2010-01-01 14:29:51

D/Ö: „Krisen zu Neustart nutzen“


Die Kirchen in Deutschland und Österreich haben zum Jahreswechsel dazu ermuntert, die Wirtschaftskrise zur Erneuerung zu nutzen. Sie riefen die Bundesbürger zugleich zu mehr Umweltschutz und gesellschaftlichem Engagement auf.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, forderte größere Anstrengungen, um den Zusammenhalt der Gesellschaft auch in der Wirtschaftskrise zu gewährleisten. Egoismus habe zu ihrer Entstehung geführt, deshalb sei jetzt jeder Einzelne dazu aufgerufen, mehr Rücksichtnahme gegenüber dem anderen zu üben, forderte Zollitsch am Silvesterabend im Freiburger Münster. Das neue Jahr solle Anlass sein, den eigenen Lebensstil auf Maß und Verantwortung hin zu überdenken. Es dürfe nicht zur Zerstörung der Lebensgrundlagen kommen, warnte Zollitsch mit Blick auf Klimawandel und Umweltzerstörung. Umso schmerzlicher sei es, dass es auf dem Klimagipfel in Kopenhagen nicht gelungen sei, ein verbindliches Nachfolgeabkommen für Kyoto zu beschließen, beklagte Zollitsch. „Es scheint nach wie vor der Grundsatz zu gelten: Nachhaltiges Wirtschaften und ökologisches Handeln haben nur dann eine Chance, wenn es sich auch ökonomisch rechnet!“
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, rief zu mehr Wagemut auf. Chancen und Herausforderungen machten nicht vergessen, dass es auch Schwieriges zu bewältigen gebe, schreibt sie in ihrer Neujahrsbotschaft. Doch wer neue Wege gehen wolle, dürfe nicht vor allem zurückschrecken.
Der Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann mahnte zu weniger Hast im täglichen Leben. „Wir können zwar den Lauf der Zeit nicht anhalten, aber es kommt darauf an, wie wir mit ihr umgehen“, sagte Lehmann in seiner Neujahrspredigt am Donnerstag in Mainz. Angesichts der Hektik des modernen Lebens sprächen viele Menschen davon, dass sie ihr Leben „entschleunigen“ wollten. Eine Entschleunigung bringe es mit sich, dass Menschen mehr Zeit füreinander hätten. Es gebe aber auch Zeiten, in denen sei Eile unvermeidlich, räumte der Kardinal ein.
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat die weltweite Verfolgung von Christen verurteilt. Wie andere Kirchenvertreter ermunterte er in seiner Predigt zum Jahreswechsel dazu, die Wirtschaftskrise zur Erneuerung zu nutzen. Gemeinsam riefen sie die Bundesbürger zugleich zu mehr Umweltschutz und gesellschaftlichem Engagement auf. Meisner kritisierte außerdem ein unverantwortliches Handeln von Verantwortlichen in der Wirtschaft und auf dem Finanzsektor. Vielen Menschen sei in den vergangenen Monaten großer Schaden zugefügt worden. Mit Sorge blicke er auch auf den weltweiten Terrorismus, bei dem Menschen in Selbstmordattentaten missbraucht und benutzt würden.
Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, hat vor einem Verlust der Kultur durch die Ökonomisierung aller Lebensbereiche gewarnt. Unsere Kultur werde „dominiert von der Ideologie des ständig wachsenden materiellen Reichtums“. Diese Dominanz löse letztlich den Begriff der Kultur selbst auf, kritisierte Marx in seiner Silvesterpredigt im Münchner Liebfrauendom. Kultur lebe aber von der Orientierung an dem, was bleibe, von der Suche nach dem Guten und der Wahrheit, so der Erzbischof weiter. Marx appellierte an die Gläubigen, sich frei zu machen von subjektiven Zwängen. „Um unsere Zeit wirklich verstehen zu können, brauchen wir einen möglichst objektiven Standpunkt, einen Ort, wo Interessen und Vorurteile keinen Raum haben.“ Dieser Ort sei für Christen das Gebet, sagte der Erzbischof. Die Botschaft und die Realität des Glaubens sei kein Relikt aus vormodernen Zeiten, sondern notwendige Quelle, die nicht durch Unterhaltungsindustrie, Sport oder materiellen Wohlstand ersetzt werden könne.
Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst rief die Gläubigen zum Jahreswechsel zu Zuversicht im Glauben und verantwortlichem Handeln. Christen dürften sich trotz der gegenwärtigen Krisen nicht entmutigen lassen, sagte Bischof Fürst am Silvestertag beim Jahresschlussgottesdienst in Ludwigsburg. „Wir dürfen in dem Vertrauen leben, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann“, betonte er. Enttäuscht äußerte sich Fürst über den gescheiterten Weltklimagipfel von Kopenhagen. Christen seien zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur aufgerufen.
Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen rief dazu auf, den Sonntag als Weltkulturerbe zu schützen. Er sei ein Entschleuniger in einem Zeitalter der Beschleunigung. „Wir brauchen den Sonntag als Kontrapunkt gegen Flexibilisierung und Ökonomisierung“, so Thissen. Wenn dieses Erbe verschleudert werde, müsse sich niemand wundern, wenn andere Kulturen und Religionen diesen Platz einnähmen.
„Die Kirche in Deutschland ist keine Randerscheinung“. Das hat der Trierer Bischof Stephan Ackermann am Donnerstagabend im Trierer Dom betont. Ackermann warnte hat die Kirche vor einer „selbst gewählten Emigration“. Allerdings falle es auch schwer, ein visionäres Bild von der Kirche der Zukunft zu entwerfen. Ackermann wandte sich gegen das Bild einer Kirche als „Kirche des Exils“. Zwar gebe es Parallelen zwischen einer Exilsituation und heutigen Kirchenerfahrungen, doch sei dieses Bild zu düster und überzeichnet. Dabei werde das vielfältige Engagement, die Kreativität und die Vitalität kirchlichen Lebens übersehen. Allerdings scheine es auch übertrieben, „pastorale Entdeckerfreude und die Lust zum Aufbruch als die vorherrschende Grundstimmung in unseren Pfarreien zu bezeichnen“, sagte er.
Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker hat zum Jahreswechsel die Menschen aufgerufen, 2010 zu einem Jahr des Dialogs zu machen. Dazu müsse die „Sprachlosigkeit im zwischenmenschlichen Bereich“ überwunden werden, sagte er in seiner Predigt am Silvesterabend im Dom zu Paderborn. „Worte werden missbraucht und trennen, Worte verbinden nicht unbedingt mehr. Der Dialog droht zu sterben“, so Beckers Analyse der modernen Gesellschaft. Um den Dialog wieder möglich zu machen, müssten „sich alle Menschen wie Brüder und Schwestern wissen“ und sich bewegen lassen vom Geist Jesu Christi.
Der Aachener katholische Bischof Heinrich Mussinghoff hat zum Jahreswechsel eine Rückbesinnung auf das Gemeinwohl gefordert. Gleichzeitig würdigte er die Sozialenzyklika Papst Benedikt XVI. „Caritas in veritate“ (Die Liebe in der Wahrheit). Dieses Lehrschreiben greife die Realität der Globalisierung auf und nehme „zu aktuellen Themen wie der Finanzkrise, der Wirtschaftsethik, der weltweiten Migration, Technisierung und Ökologie kritisch Stellung“, sagte er am Silvesterabend im Aachener Dom. Dabei durchziehe das Prinzip des Gemeinwohls, festgemacht am Faktum der Liebe, die Enzyklika wie ein roter Faden.
Christen sollten ihren Glauben im Alltag „persönlich und missionarisch“ bekennen. Dazu hat der Augsburger Bischof Walter Mixa bei seiner Jahresabschlusspredigt in der Marienkathedrale aufgerufen. Jeder könne seinen Glauben konkret weitergeben, etwa indem er andere zum Gottesdienstbesuch ermuntere oder auch mit Anders-oder Nichtglaubenden über sein Christsein spreche, sagte der Bischof. Christen sollten sich auch in Leserbriefen und Diskussionsbeiträgen zu Wort melden, wenn der Glaube oder die Kirche angegriffen würden. „Als Christen haben wir von unserem Herrn einen klaren Sendungsauftrag erhalten, die Botschaft Jesu weiter zu tragen und gemeinsam missionarisch Kirche zu sein“, sagte Mixa.
Die Finanzkrise ist nur die Spitze einer viel größeren Wertekrise. Das sagte der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in einem Pontifikalamt zum Jahreswechsel im Frankfurter Bartholomäus-Dom. Zwar hätten sich viele düstere Prognosen zum Jahresbeginn 2009 nicht verwirklicht. Jedoch dürfe man sich damit nicht zufrieden geben, warnte der Bischof. Es sei falsch, dass Vielerorts in der Finanz- und Wirtschaftswelt wie auch in der Gesellschaft so weiter gemacht werde wie bisher. „Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, das Abwrackprämien Entsorgungs- und Konsum-Mentalitäten fördern, die aber noch keine Umkehrbereitschaft bewegen“, erklärte Tebartz-van Elst.
Sorge über die Finanz- und Wirtschaftskrise drückte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, in seiner TV-Silvesteransprache aus. Dabei rief er zu mehr Solidarität mit sozial Schwachen und Ausgegrenzten auf. „Es ist Zeit, dass wir nicht wegschauen von der Not des Nächsten, denn sie kann auch uns treffen“, sagte der Kardinal am Donnerstag im ORF. Immer mehr Menschen in Österreich rutschten in die Armut ab und hätten zu wenig für das tägliche Leben, beklagte Schönborn. Auch ging der Kardinal auf das enttäuschende Ergebnis der Kopenhagener Klimakonferenz ein. Angesichts der Krisen befalle viele Menschen ein Gefühl der Ohnmacht. Doch „wir dürfen darauf vertrauen“, so Schönborn wörtlich, „dort wo die Hoffnung ist, dort gibt es auch eine Zukunft“. Zum neuen Jahr lade er deshalb alle Gläubigen dazu ein „nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern zuversichtlich aufeinander zuzugehen“.
Der Linzer Bischof Ludwig Schwarz, rief Christen dazu auf, den heiklen gesellschaftlichen und sozialen Fragen zu begegnen. Dabei sollten sie Mut und Kraft aus der Bibel schöpfen. Im Mittelpunkt seiner Predigt standen die sozialen und klimapolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres. „Die Wirtschafts- und Finanzkrise fiel nicht vom Himmel. Sie wurde durch menschliche Schuld verursacht“, mahnte Schwarz. Die armen Länder der Welt seien von der Krise am stärksten betroffen. Auch blickte der Bischof in seiner Predigt auf das ausklingende Kulturhauptstadtjahr in Linz 2009 zurück: „Von kirchlicher Seite wurden wertvolle Projekte durchgeführt. Die Turmeremitage zum Beispiel wurde weit über die Grenzen des Landes berühmt“, so Schwarz.

(pm/rv/dr/kna/diverse 1.1.2010 ad)







All the contents on this site are copyrighted ©.