Weihnachten in Rom - Heimweh einer deutschen Literatin
Ganz anders hat die
deutschbaltische Schriftstellerin und Verwandte Hermann Hesses, Monika Hunnius, ihr
Weihnachtsfest in Rom erlebt - mehr als hundert Jahre nach Goethe. Die gebürtige Estländerin
erzählt von ihren Weihnachtsbeobachtungen 1922 in Rom und von ihren ganz persönlichen
Weihnachtsgefühlen. Antje Dechert leiht ihr ihre Stimme:
„Weihnachten
in Rom, welch ein wunderbarer Tag! Ich wohne bei Freunden aus alter Zeit, zwei Freundinnen
meiner Mutter, die seit dreißig Jahren in Rom leben und hier ihre Heimat gefunden
haben. Am Morgen des Weihnachtstages wanderte ich durch die Straßen voller
Lärm, es treibt mich hinaus in die Einsamkeit der römischen Trümmerwelt, zum Kolosseum. Der
Weg dorthin ist fast leer von Menschen, es scheint, als ob die Reisenden heute andere
Straßen gehen, kaum ein Mensch begegnet mir. Man sagt es sich immer wieder vor: "Heute
ist Weihnachten", doch will es das Herz nicht glauben. Die Sonne scheint
strahlend und warm. Ich habe einen großen Strauß Rosen gekauft, ihr Duft steigt süß
zu mir empor. Nun stehe ich vor dem Kolosseum, gewaltig steigt es in den blauen Himmel.
Ich klettere die halb verfallenen Stufen hinauf, so hoch man kann, und setze mich
dort in eine Öffnung im Gemäuer. Der Blick ist wunderbar: er geht weit über das Kapitol,
weit hinaus über die Campagna bis zu den Sabiner und Albaner Bergen am Horizont. Rosenduft,
Sonne, dieser Blick in die weite schimmernde Ferne - es war so traumhaft schön! Und
doch breitete meine Seele ihre Schwingen aus und flog voller Sehnsucht in die alte
Heimat, die jetzt im tiefen Schnee begraben lag. Nein, Weihnachtsstimmung gab es hier
nicht; die gab es nur daheim in den verschneiten Wäldern. Mit einem Herzen voller
Heimweh saß ich da, einsam und fremd. - Nun war es Nachmittag; ich macht
mich mit meinen Freunden auf den Weg zum berühmten Kindergottesdienst in der Kirche
Ara - Celi. Das wundertätige Bambino wird für die Weihnachtstage dort ausgestellt.
In einer Ecke der Kirche liegt es in seiner Krippe auf Stroh; ihm gegenüber ist eine
Kanzel aufgebaut, die dicht gedrängt voller Kinder ist, Kopf an Kopf stehen sie da
und füllen auch die Treppe, die in die Kirche hinabführt, die voller Menschen ist.
Eine bunt gemischte Menge; stolze Eltern, die ihre Kinder predigen hören, neugierige
Fremde, die sich das Schauspiel ansehen wollen, und Andächtige, die fest an die Wunderkraft
des heiligen Bambino glauben. Die Kinderpredigt ist schon in vollem Gang.
Wie unkindlich wirken die italienischen Kinder auf unser deutsches Gemüt! Nichts von
Scheu, nichts von Verlegenheit! So geht es dort stundenlang fort; ein Kind folgt dem
andern, die predigende Schar ist unendlich. Indessen liegt das heilige Bambino
in einem Prunkgewande in der Krippe und lächelt starr mit seinem kleinen Holzgesicht. Wir
verlassen die Kirche, um zur rechten Zeit zu unserem Festgottesdienst zu kommen. Dicht
neben Ara - Celi, auch auf dem Kapitolinischen Hügel, befindet sich die kleine deutsche
Gesandtschaftskirche. Das erste, was man beim Eintritt erblickt, ist ein strahlender
Weihnachtsbaum auf dem Altar. Ja, hier ist Weihnachten, heimatlich und schön! Kannte
man auch die wenigsten, welche die Kirche füllten, so war es doch in dem Augenblick,
als gehörte man schon lange zueinander. Deutsche Weihnachtslieder mitten
im Herzen Roms, eine deutsche Weihnachtspredigt und ein deutscher kleiner Chor, der
zum Schluss "Stille Nacht, heilige Nacht" sang. Das zu erleben war wunderschön! Klingen
die Töne wohl hinaus bis zum Kolosseum, hallen sie wider von den Mauern, die die letzten
Sterbeseufzer der gemarterten Christen einst vernommen? - Der Gottesdienst ist beendet;
ich stehe auf dem Platz vor der Kirche, an eine niedrigen Mauer gelehnt. Zu meinen
Füßen liegt Rom im Dämmerlicht. Da plötzlich erklingen die Glocken, es scheint, als
ob ganz Rom im Klang sich auflöste und zum Himmel emporstiege! Es ist eine unwirkliche
Welt, in der man steht, umflutet von Weihnachtsglockenklang! Nun sind wir
zu Hause. Der Herr des Hauses, ein alter vornehmer Italiener, liest die Weihnachtsgeschichte
italienisch. Ich nannte ihn nur den "Herrn Senator", so voll edler Würde war seine
Erscheinung. Ihm fehlte nur die Toga um die Schultern. Er liest mit schöner, klangvoller
Stimme. Wunderbar klingt die alte edle Sprache von seinen Lippen. Außer
uns ist noch eine italienische Familie da, der ist die Feier fremd, und sie hält sich
dicht aneinandergedrängt. Die Kinder staunen mit großen schwarzen Augen auf den Baum
und wenden dann ihre Köpfchen wieder neugierig forschend auf den Lesenden. Ein
festliches Abendessen vereinigt uns alle. Der Herr Senator erhebt sich, das Weinglas
in der Hand, in dem der goldene Frascati funkelt. Er hält eine Rede auf mich, "auf
die blonde Fremde", die ein italienisches Herz hätte. Er spricht so schön; jede Bewegung
hat was Feierliches; aber die blonde Fremde mit dem "italienischen Herz" fühlt, wie
deutsch diese Herz schlägt, das ganz von Heimweh erfüllt ist. - Ach, jetzt gehen sie
daheim durch den funkelnden Schnee in den Weihnachtsgottesdienst, und der Lichtschein
fällt hier und da schon aus den hellerleuchteten Fenstern auf den Schnee, die Weihnachtsglocken
läuten . . . Die italienische Familie ist fort. Alles im Hause ist zur Ruhe
gegangen. Ich bin in meinem Zimmer. Da klopft es sacht an meine Tür; die beiden alten
Freundinnen sind da. "Jetzt komm noch einmal ins Weihnachtszimmer, aber leise, damit
niemand im Hause es merkt; jetzt feiern wir noch einmal Weihnachten und zünden die
Lichter für uns drei Heimatmenschen an." Und wir sitzen zusammen im Weihnachtszimmer;
der Lorbeerbaum erstrahlt noch einmal im Kerzenlicht. Wir sprechen von der Heimat
und den Menschen, die wir dort geliebt. Wir sprechen von der grenzenlosen
Einsamkeit dort um die Weihnachtszeit: funkelnder Schnee, soweit das Auge reicht,
dazwischen ein einsames Glöckchen, das die Stille durchklingt.- meine Freundinnen
erzählen von meiner Mutter, die mit ihren schneeweißen Haaren und jungen leuchtenden
Augen durch die Straßen Roms gewandert war und all die Schönheit, die diese Augen
schauten, in ihre Seele trank . . .Nun sind sie alle tot, die einst so stark gelebt
und geliebt . . . Langsam brennen die Lichter am Baum herab. Und draußen
rauscht der Tiber und funkeln die römischen Sterne.“ (rv 14.12.2009 vp)