2009-12-18 15:30:53

Vatikan/D: Das Motu Proprio und seine Folgen. Interview mit Erzbischof Schick


RealAudioMP3 Die diese Woche veröffentlichten Änderungen im Kirchenrecht bezüglich Diakonen-Amt und Eherecht sind angebracht und richtig. So fasst es der Bamberger Erzbischof und Kirchenrechtler Ludwig Schick zusammen. Teilweise würden so Fakten wieder hergestellt, die „vor 1983 und mindestens seit dem Konzil von Trient gegolten“ haben. Gleichzeitig verweist Schick den Gedanken an das Diakonat der Frau keineswegs ins Reich der Phantasie. – Das päpstliche Motu Proprio „Omnium in mentem“ hatte eine seit 1983 geltende Ausnahme im Eherecht zurückgenommen und den Dienst des Diakons wieder klarer vom Priester- und Bischofsamt unterschieden. Die Bestimmungen treten in drei Monaten in Kraft.
Birgit Pottler hat mit Erzbischof Ludwig Schick über das Motu Proprio und seine Folgen gesprochen. Im Interview ging es auch um Grundsatzfragen: Was heißt, „von der Kirche abfallen“? Sind Glaubensgemeinschaft und Körperschaft teilbar?

Lesen und hören Sie das ganze Gespräch:
Birgit Pottler: In medias res: Eine Ehe zwischen getauften Katholiken, egal ob Kirchensteuer zahlend oder nicht, und Ungetauften oder Andersgläubigen ist für die katholische Kirche ungültig, sofern vorher keine ausdrückliche Genehmigung eingeholt wurde. Will das Motu Proprio und die damit verbundene Änderung des Eherechts im Grunde einen kirchenrechtlichen Grundsatz wieder stärker und zweifelsfrei betonen? Semel catholicus, semper catholicus – einmal katholisch, immer katholisch? 
Erzbischof Schick: „Ja. Der Grundsatz ,Einmal katholisch, immer katholisch’ hat ja immer gegolten. Durch dieses neue Motu Proprio wird die Ausnahme von diesem Grundsatz für die Eheschließung und das Eherecht zurückgenommen. Deshalb wird durch das Motu Proprio dieser Grundsatz wieder neu bestärkt und ins Bewusstsein gehoben. Man kann nur sagen, das ist auch richtig so.“

Nach dem seit 1983 geltenden Kirchenrecht waren Katholiken, die durch einen so genannten formalen Akt von der Kirche abgefallen sind, nicht an die rechtlich vorgeschriebene Form der Eheschließung gebunden. Ihre Ehe mit einer ungetauften Person galt als gültig. Bleiben wir zunächst „formal“: Der Kirchenaustritt wie wir ihn in Deutschland kennen, ist in den wenigsten Ländern möglich, altes wie neues Kirchenrecht und das der Ostkirchen können sich also nicht nur darauf beziehen. Was ist gemeint mit dem „actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica“, dem formalen Abfall von der katholischen Kirche? 
„Wenn ein Katholik sich aus der Gemeinschaft der Kirche abmeldet, wirklich sagt, ich gehöre nicht mehr dazu, weil er mit Papst, den Bischöfen und der Gemeinschaft nicht mehr verbunden sein will, weil er Glaubensgeheimnisse leugnet oder den Glauben gänzlich abgelegt hat, dann ist er von der Kirche abgefallen. Das kann in Deutschland durch den Kirchenaustritt geschehen. Seit über hundert Jahren wird in Deutschland angenommen, wer durch diesen zivilrechtlich so genannten Kirchenaustritt beim Standesamt oder Amtsgericht seinen Austritt erklärt, ist kirchenrechtlich von der Kirche abgefallen. Da gibt es gute Gründe, und das ist immer wieder so gesagt worden. Natürlich gibt es Abfall von der Kirche auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Afrika oder Lateinamerika. Wenn ein Katholik dort sagt, ich will nicht mehr zur katholischen Kirche gehören, sondern zu einer Sekte, und er tut das willentlich, bewusst und eben öffentlich, dann ist er auch abgefallen. Diese Ausnahme im Eherecht hat etliche Probleme mit sich gebracht, und die ist jetzt zurück genommen worden. Aber der Abfall von der Kirche ist auch weiterhin ein Faktum, und das bleibt.“
Das Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen von 1990 kennt die Ausnahme im Eherecht nach dem formalen Abfall von der Kirche nicht. Ist die Streichung dieser Klausel in gewissem Sinn auch ein Akt innerkatholischer Ökumene? 
„Ich würde nicht so weit gehen. Das Faktum ist, dass die katholische Kirche mit dem Motu Proprio einen Zustand hergestellt hat, der vor 1983 und zwar mindestens seit dem Konzil von Trient gegolten hat. Diese Ausnahme hat der Codex für die orientalischen Kirchen von 1990 nicht mitgemacht. Von daher ist einfach ein ursprünglicher Zustand wieder hergestellt, der für die Ostkirche und die Westkirche der katholischen Kirche gültig ist.“

Eingeführt wurde die so genannte Befreiung von der Formpflicht – also Eheschließung vor geistlichem Amtsträger und zwei Zeugen – 1983 aus pastoralen Gründen, ebenfalls aus vorwiegend pastoralen Gründen wird diese Ausnahme jetzt zurückgenommen. Sie stiftete Verwirrung. Viele Paare wussten nicht, dass ihre Standesamtliche Trauung dennoch kirchlich gültig war. Was ist ihre Erfahrung als Kirchenrechtler und Seelsorger? Welche Rechtslage entspricht eher der Situation der Menschen? 
„Zunächst einmal ist es so, dass es der katholischen Kirche entspricht, dass einer oder eine, die katholisch getauft wurde, immer katholisch bleibt und von daher auch an die Regeln der katholischen Kirche gebunden ist. Es gibt Dispensen, da wirkt aber die Kirche dann mit.
Aber dass jemand von der Kirche abfällt und dann eine kirchlich gültige Ehe schließt, das hat ja auch theologische Schwierigkeiten. Diese Regel hat dann auch praktische Schwierigkeiten gebracht, dass Leute, die lange von der Kirche weg, wirklich von ihr abgefallen waren, geheiratet haben, zurückkehren und plötzlich feststellen, dass sie kirchlich gültig verheiratet sind, obwohl sie annahmen gar nicht zur Kirche zu gehören. Das hat Verwirrung gestiftet und auch Unverständnis.
Es ist jetzt klar, dass jemand, der zur katholischen Kirche gehört, an die Regeln gebunden ist. Wenn er sich davon befreien lassen will, sind Dispensmöglichkeiten vorhanden. Aber er muss mit der Kirche mitwirken und nicht ohne die Kirche etwas unternehmen.
Natürlich muss das jetzt erklärt werden, aber auf längere Sicht schafft das mehr Klarheit und auch mehr Kirchenbindung, als das in der Regel von 1983 bis heute der Fall war.“

Ganz konkret: Was ändert sich für die Paare vor der Eheschließung? Unter welchen Bedingungen, um nicht kirchenrechtlich zu sprechen bei welchen „Formfehlern“, ist künftig eine kirchliche Trauung nach einer zivilrechtlichen Scheidung möglich? 
„Wenn jemand heiratet muss ein so genanntes Brautprotokoll aufgenommen werden. Das war immer so und bleibt auch so. Man geht zum Pfarrer und sagt, ich will heiraten. Dann muss der Pfarrer feststellen, ob die beiden schon einmal verheiratet waren, also eine Vor-Ehe vorliegt. Dann muss der Pfarrer sehen, ob diese Vor-Ehe kirchlich gültig war oder nicht kirchlich gültig war. Wenn sie nicht gültig war, kann er zur Trauung schreiten. Wenn sie gültig war, dann gibt es nur die Möglichkeit, dass ein Eheprozess geführt wird. In der eigentlichen Prozedur ändert sich nichts Besonderes. Aber es ändert sich etwas darin, wie der Pfarrer vorzugehen hat. Das müssen die Pfarrer wissen. Das müssen sie dann mit den Paaren kommunizieren und müssen helfen, dass ihre jetzt beabsichtigte Ehe möglich wird. Es kann aber natürlich auch sein, dass die erste Ehe gültig ist, dann kann keine zweite Ehe geschlossen werden. Es ist eher eine Aufgabe für die Pfarrer als für die Brautpaare. Die Pfarrer müssen das natürlich den Paaren kommunizieren.“

Ob eine Ehe gültig ist, hat weit reichende Konsequenzen gerade in den Ländern, in denen die kirchliche Trauung auch zivilrechtlich anerkannt werden kann, beispielsweise in Italien. Auch die Erklärungen zum Motu Proprio verweisen darauf. In Deutschland ist das noch nicht der Fall, aber Sie wollen ja seitens der Bischofskonferenz Stück für Stück in diese Richtung gehen. Was bedeutet hier diese neue Rechtslage? 
„Bei uns ist es ja zunächst so, dass es eine Ziviltrauung vor der kirchenrechtlichen Trauung geben muss. Das ist eine Praxis, die sich auch gegen den Willen der Kirche in Deutschland so rechtlich etabliert hat, aber wir kommen mit dieser Praxis eigentlich auch ganz gut zurecht. Sie hat auch manche Vorteile: Sie schafft Rechtssicherheit für die Eheleute auch hinsichtlich des Staates. Dennoch: Die Auffassung der Kirche war immer, dass es nur eine Trauung geben soll, und diese Trauung liegt in den Händen der Kirche. Die kirchliche Trauung soll vom Staat akzeptiert werden und Rechtswirkungen für den staatlichen Bereich bekommen. Da ist eine entsprechende gesetzliche Regelung in Deutschland nötig. Wenn sie gemacht wird, dann ist das für uns als Kirche die richtigere Lösung und wir wünschen sie.“

„Abgefallene“ Katholiken, also für Deutschland gesprochen, zum Beispiel solche, die keine Kirchensteuer mehr zahlen, stehen für das Eherecht des CIC auf einer Stufe mit anderen „kirchensteuerpflichtigen“ Gläubigen. Inwiefern tangiert diese Einschätzung die Debatte um die Kirchensteuer in Deutschland und die Trennung zwischen Glaubensgemeinschaft und Körperschaft?  
„Der Abfall von der Kirche wie ich ihn eben schon geschildert habe, dass jemand bewusst, willentlich und öffentlich die Gemeinschaft mit der Kirche aufkündigt, das ist nicht einfach identisch mit der Einstellung, ,ich will keine Kirchensteuer mehr zahlen’. Da muss ein wirklicher Abfall von der Kirche statt finden. In Deutschland, seit hundert Jahren, wird der zivilrechtliche Austritt als dieser Abfall von der Kirche verstanden – willentlich, bewusst, öffentlich. Wir müssen ja auch sagen, dass die Erfahrung lehrt, dass die, die aus der Kirche zivilrechtlich austreten, auch diesen kirchenrechtlichen Abfall machen, denn wenn wir die Leute anschreiben, die aus vor dem Standesamt oder dem Amtsgericht aus der Kirche ausgetreten sind, antworten 80 Prozent nicht und wollen die Gesprächsangebote der Pfarrer nicht wahrnehmen. Wir müssen also davon ausgehen, dass hier schon ein Abfall von der Kirche geschehen ist.

Im Fall des formellen Austritts des Freiburger Kirchenrechtlers Hartmut Zapp wartet die Deutsche Bischofskonferenz ja das Revisionsurteil ab; scheitert die Revision, steht die staatskirchenrechtliche Grundsatzdebatte endgültig ins Haus.

„Bei Zapp soll getrennt werden zwischen Kirche als geistlicher Gemeinschaft und Kirche als Körperschaft. Das widerspricht klar dem Zweiten Vatikanischen Konzil und unserer ganzen Tradition. Wir haben in der katholischen Theologie immer gesagt, dass die Kirche wie der Leib Jesu Christi selber verfasst ist: Es gibt in ihm Geist und Körper, es gibt in ihm die geistliche Gemeinschaft und die Körperschaft. Protestantische Theologen haben das getrennt, die katholische Kirche nie. Deshalb kann es einen Abfall von der Kirche geben nur von beidem. Wenn man von der Körperschaft abfällt, fällt man auch von der geistlichen Gemeinschaft ab. Da muss Klarheit sein, und das müssen auch alle akzeptieren. Das gilt auch für Zapp und für den ein oder anderen.
Einen wirklichen Abfall von der Kirche im strengen Sinn, also eine Trennung von der Kirche gibt’s ja gar nicht. Das ist wie bei einer Familie. In eine Familie wird man hineingeboren, und dann bleibt man Familienglied, selbst wenn man sich von dieser Familie entfernt. So ist es auch in der Kirche.

Geben die Überlegungen der Glaubenskongregation, die jetzt zur Änderung des CIC geführt haben, Aufschluss über die Sichtweise des Vatikans? Ein Papier des Rats der Gesetzestexte aus dem Jahr 2006 ließ ja eher die Schlüsse zu, ein formeller Austritt beende nicht auch die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft. 
„Das glaube ich nicht. Im neuen Codex von 1983 steht ja bezüglich Kirchensteuer und Körperschaft, dass es zur Gemeinschaft mit der Kirche gehört, dass man auch für die finanziellen Notwendigkeiten der Kirche sich einsetzen muss und da auch seinen Beitrag leisten muss. Wie dieser Beitrag zu leisten ist, das kann die Bischofskonferenz festlegen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat damals gesagt, das ist festgelegt durch unser Kirchensteuersystem. Der Apostolische Stuhl hat diese Partikularnorm für Deutschland ausdrücklich bestätigt.
Der Brief aus dem Jahr 2006, definiert neu, wie dieser öffentliche Akt zu Stande kommen muss, damit die Rechtssicherheit da ist, dass der Abfall von der Kirche von der Formpflicht befreit. Jetzt ist diese Klausel weg gefallen und damit ist im Grunde auch der Grund dafür weg gefallen.
Man muss auch hier darüber sprechen, wie dieser Abfall von der Kirche sich vollzieht. Wie schon gesagt, die alte und neue Regel ist: bewusst, willentlich und öffentlich. Wie das geschieht, spielt keine Rolle. Es muss nachweisbar sein. Wenn einer sich willentlich und bewusst öffentlich sagt, ich gehöre nicht mehr zur katholischen Kirche, dann war das immer Abfall von der Kirche.“

Eine Nachfrage zu den Klarstellungen im Profil des Diakons: Priester und Bischöfe handeln „als Vertreter Christi, des Hauptes“, Diakone dienen dem Volk Gottes. Nun ist das keine Neuerung, sondern eine Angleichung an den Weltkatechismus, die schon Johannes Paul II. nahe gelegt hat; aber: Ergibt sich damit nicht eine Öffnung des Diakonats für die Frau? Wenn sie nicht mehr als Vertreterin Christi zu verstehen ist? Ist diese Überlegung ernst zu nehmen, ist sie zumindest kirchliche Zukunftsmusik oder gehört sie ins Reich der unangemessenen Wünsche ans Christkind? 
„Über das Diakonat der Frau darf natürlich nachgedacht werden. Aber wichtig ist, dass man die ganze Geschichte dabei im Kopf und im Blick hat. Es hat Diakoninnen in der frühen Kirche gegeben. Das ist nicht zu bestreiten. Diese hatten ganz bestimmte Aufgaben, und wenn man Frauen, die heute diese Aufgaben haben, wieder Diakoninnen nennen will, dann ist das eine Sache.
Das Motu Proprio hat aber auch wieder ins Bewusstsein gebracht und geklärt, was in den letzten Jahren durch verschiedene Dokumente und auch durch den Codex sozusagen unklar geworden war: Im Konzil und der vorhergehenden Tradition heißt es eindeutig, dass die Priesterweihe und die Bischofsweihe für den priesterlichen Dienst befähigt; dass die Diakonenweihe aber für den Dienst – zusammen mit dem Priestertum – zur Verkündigung, in der Liturgie und der Caritas befähigt. Priester und Bischof handeln in persona Christi. Die Diakone handeln mit den Priestern und zum Dienst der Priester und Bischöfe. Dass diese Unterscheidung zwischen Priestertum und Diakonat wieder deutlich geworden ist, ist auch eine Wiederbelebung der alten Auffassung. Ich habe das in meinem Studium noch so gelernt, und wir waren erstaunt, dass diese jetzt aufgehobene Formulierung in den Codex und andere Dokumente hineinkam.“

(rv 17.12.2009 bp)







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