Aus der Wirtschafts-
und Finanzkrise haben wir immer noch nichts gelernt. Das hat der Erzbischof von München
und Freising, Reinhard Marx, am Donnerstagnachmittag in München betont. Der Vorsitzende
der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen stellte dort ein Expertenpapier
vor, das die Deutsche Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen hatte. Der Titel des
Dokuments: „Auf dem Weg aus der Krise“. Damit wollen die Bischöfe zu mehr Offenheit
und Ehrlichkeit in der Debatte über die Bewältigung der Krise anregen. Dazu der Erzbischof
im Interview mit dem Münchner Kirchenradio: „Ich habe immer betont, dass die
Krise ein Lernort sein soll. Sie ist eine tiefe Herausforderung für das Verhältnis
von Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land und auch auf einer globalen Ebene.
Die Krise ist eine Herausforderung, die meiner Ansicht nach in ihrer Bedeutung und
Dimension noch immer unterschätzt wird. Und deswegen ist es meiner Ansicht nach wichtig,
dass wir weiterhin dran bleiben und nicht meinen, es sei schon alles wieder vorbei.
Im Gegenteil: wir müssen wirklich, langfristig und im Blick auf die Armen versuchen,
Maßnahmen zu ergreifen und zu denken.“ Schon auf ihrer Vollversammlung in
Hamburg in diesem Frühjahr haben die deutschen Bischöfe betont, dass die Krise nicht
nur eine Frage der Stabilität und Effizienz eines wirtschaftlichen Systems, sondern
insbesondere eine Frage der Gerechtigkeit sei. Das unterstrich der Sozialethiker Marx
nun auch in München:
„Jetzt sprechen wir von der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Genauso geläufig ist uns die Klimakrise. Auch von dieser sind, vor allem langfristig,
die armen Länder und die Entwicklungsländer noch stärker betroffen, als wir. Und das,
was wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise an Geld verlieren, fehlt uns natürlich
auch zur Aufarbeitung der Ernährungskrise. Der weltweite Hunger und die Armut haben
ja zugenommen. Da stehen wir vor Herausforderungen. Und die Wirtschafts- und Finanzkrise
schränkt unsere Handlungsmöglichkeiten durch die Schuldenberge, die aufgehäuft wurden,
natürlich ein. Diese müssen nun schnell abgearbeitet werden, denn sonst lassen sich
die anderen Krisen noch schwerer bewältigen. Und die Armen werden eher noch daran
zu tragen haben und schwerer als wir.“ Vor allem vor diesem Hintergrund habe
sich die Kirche dem Thema der Wirtschafts- und Finanzkrise angenommen, so Marx. Im
Kern gehe es ihr um die Menschen, vor allem um diejenigen, deren Existenz und Zukunft
gefährdet sind. Die Stellungnahme zur Krise appelliert dabei an jeden Einzelnen, an
einem Gleichgewicht zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl zu arbeiten und die individuelle
Verantwortung für die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Ordnung nicht zu unterschätzen.
Doch wird dieser Appell Früchte tragen? Marx: „Ich befürchte schon, dass wieder
zu schnell zur Tagesordnung übergegangen wird. Das sehen wir ja beispielsweise bei
der Diskussion um Boni oder bei der Diskussion auf Weltebene, ob wir Rahmenbedingungen
für die Finanzmärkte schaffen können. Da sind wir längst noch nicht an dem Punkt,
den ich erwartet hatte, als die Krise im letzten Herbst ausgebrochen ist. Insofern
brauchen wir solche Ermutigungen und Zwischenrufe, damit wir nicht darin nachlassen,
aus der Krise zu lernen und nicht zu schnell wieder zur Tagesordnung überzugehen.“ Die
Erklärung sei kein Hirtenwort der Bischöfe, sondern ein Wort, das Fachleute erarbeitet
haben und das die Bischofskonferenz gutheißt und begrüßt, so Marx. Man hoffe, dass
es zu öffentlichen Diskussionen führen wird und eine Stütze sein kann. „Auf dem Weg
aus der Krise“. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat das Papier der Deutschen Bischofskonferenz
zur Finanzmarktkrise bereits als „äußerst wertvollen Diskussionsbeitrag“ gewürdigt.
Es biete wichtige Orientierungspunkte für Politik und Wirtschaft und möge viele Leser
finden – „nicht nur in der Politik, sondern auch in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft“. (rv/münchner
kirchenradio 18.12.2009 vp/bp)