Interview der Woche: „Wenn viele Kerzen brennen, ist die Lage angespannt“
Die Affäre um den
Luftangriff in Kundus weitet sich aus. Dabei gerät der deutsche Verteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg zunehmend unter Druck. Seit Wochen wird über die Frage
gestritten, wie viel Guttenberg über den Luftangriff wusste. Bei dem von der Bundeswehr
veranlassten Nato-Luftschlag waren Anfang September bis zu 142 Menschen getötet worden,
darunter auch viele Zivilisten. Jenseits des Streits um die politischen Verantwortlichkeiten
erinnern Militärseelsorger an die in Afghanistan stationierten Soldaten und warnen
vor den psychischen Folgen des Einsatzes – so etwa Pater Jonathan Göllner. Er war
zur Zeit des umstrittenen Luftangriffs in Kundus stationiert. Wie er die Tragödie
erlebte hat ihn unser Kollege vom Kölner Domradio, Tobias Fricke, gefragt:
„Im
ersten Moment gab es erstmal einen Moment der Erstarrung – man fragte sich, was ist
da heute Nacht tatsächlich passiert? Dann erst in den nächsten Tagen, in den Tagen
danach suchten Soldaten das Gespräch mit mir.“ Worum ging es in diesen Gesprächen?
„Zunächst einmal um die sehr unterschiedlichen Reaktionen zwischen Deutschland
und Afghanistan. Die ersten Reaktioen aus Afghanistan waren sehr positiv. Der Gouverneur
und die Distriktmanager sagten den Soldaten, das sei eine gute Aktion gewesen. Umgekehrt
erlebten sie aber aus Deutschland massive Kritik, in den Medien und in der Öffentlichkeit.
Plötzlich waren sie in diesem Zwiespalt zwischen Lob und Tadel, ja in einer fast schizophrenen
Situation.“ Der deutsche Soldat sollte als „Brunnenbauer in Uniform“ nach
Afghanistan reisen. Jetzt begegnet der Bundeswehr ernsthafter Krieg. Wie gehen die
Soldaten mit dieser Erkenntnis mit dieser Gefahr um?
„Sicher, seit Mitte
dieses Jahres hat sich die Situation in Kundus grundlegend geändert. Für Soldaten
ist das wirklich kriegerische Auseinandersetzung und man merkt dort den Unterschied.
Wir wechseln ja alle vier Monate. Die Kontingente sind anders geworden: Für Soldaten,
die jetzt unten in Kundus sind, ist es ganz klar ein Kampfeinsatz.“ Suchen
die Soldaten mit Ihnen deshalb das seelsorgliche Gespräch? Macht ihnen das Sorgen?
„Ich hatte viele Kameraden, die – entweder bevor sie hinausgefahren sind
zu einem Auftrag oder nachdem sie zurückgekommen sind – das Gespräch mit mir suchen.
Es gibt aber auch eine ganz schlichte, fast wortlose Form: Wir haben einen Kerzenleuchter
in Kundus und dort sehe ich immer an der Anzahl der Kerzen, die brennen, wie die Stimmung
ist. Wenn viele Kerzen bernnen ist die Lage äußerst angespannt.“ Können Sie
den Bundeswehrsoldaten helfen?
„Es geht zunächst darum zuzuhören. – Als
Militärseelsorger unterliege ich der Schweigepflicht. Alles, was mir gesagt wird,
fällt wirklich unter Vertraulichkeit. Da ist die Möglichkeit, sich einfach mal Luft
zu machen, einfach mal der Seele wirklich einen Raum zu geben; dass ich nur zuhöre,
entgegennehme und auch mittrage und begleite. Es geht meist nicht um vorschnelle Antworten,
sondern wirklich erst einmal darum, eine Adresse zu haben, wo man abladen kann.“ Haben
Sie den Eindruck die Soldaten werden den Afghanistan-Einsatz gut verkraften?
Die
Erfahrung aus dem Einsatz in Kundus – dazu gehört auf jeden Fall der Angriff auf die
beiden Tanklaster – diese Erfahrung wird die Soldaten nicht so einfach loslassen.
Das wird sie weiter begleiten. Und eine Erfahrung, die viele Soldaten im Einsatz gemacht
haben und vielleicht so beschreiben, ist folgende: Man wird grau an der Seele. So
wie man graue Haare kriegt nach manchen Erfahrungen, so hinterlässt das auch Spuren
auf der Seele.“