Der Berliner Mauerfall
vor 20 Jahren war „eine unerwartete Morgenröte der Freiheit nach einer langen durchlittenen
Nacht der Gewalt und Unterdrückung durch ein totalitäres System“. Das sagte Papst
Benedikt XVI. am Freitagabend in der Sixtinischen Kapelle. Bei einem Konzert zum 60.
Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland sowie zum 20. Jahrestag des
Mauerfalls erinnerte Benedikt daran, dass die Geschichte der Bundesrepublik ein Beweis
für die Vorzüge der westlichen Gesellschaftsordnung gegenüber dem Kommunismus sei.
Dies sei vor allem „unserem Grundgesetz“ zu verdanken, so Benedikt wörtlich. An dem
Konzert nahm auch Bundespräsident Horst Köhler teil.
Auf dem Programm standen
die Kantaten I bis III aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Bei
dem Konzert traten die Augsburger Domsingknaben und das Residenz-Kammerorchester München
auf. Im Anschluss an das Konzert würdigte Benedikt das deutsche Grundgesetz. Der Papst
sagte in seiner Rede:
„Diese Verfassung hat wesentlich zur friedlichen Entwicklung
Deutschlands in den letzten sechs Jahrzehnten beigetragen. Denn sie mahnt die Menschen,
in Verantwortung vor Gott, dem Schöpfer, der Menschenwürde den Vorrang in jeder staatlichen
Rechtsetzung zu geben, die Ehe und die Familie als Grundlage jeder Gemeinschaft zu
achten sowie Rücksicht und Ehrfurcht vor dem zu üben, was dem anderen heilig ist.
Mögen die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands in Verpflichtung vor dem Auftrag der
geistig-politischen Erneuerung nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, die
im Grundgesetz ihren Ausdruck gefunden hat, am Aufbau einer freien und sozialen Gesellschaft
weiter mitarbeiten.“
Wenn man die Geschichte der Bundesrepublik betrachte,
so hätten die Deutschen allen Grund, Gott aus tiefster Seele zu danken, sagte der
Papst.
„Wir sind uns bewusst, dass diese Entwicklung nicht unser Verdienst
ist. Sie wurde ermöglicht durch Menschen, die aus einer tiefen christlichen Überzeugung
in der Verantwortung vor Gott handelten und damit Prozesse der Versöhnung eröffneten,
die ein neues Zueinander und Miteinander der europäischen Länder möglich machten.
Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass Verantwortung vor Gott
für rechtes politisches Handeln von entscheidender Bedeutung ist (vgl. die Enzyklika
Caritas in veritate). Gott führt die Menschen zu einer wahren Gemeinschaft zusammen,
und er macht dem einzelnen bewusst, dass in der Gemeinschaft mit den anderen noch
ein Größerer gegenwärtig ist, welcher der Urgrund unseres Lebens und unseres Miteinander
ist.“
Jeder Mensch könne für den anderen in der Gemeinschaft mit Jesus
Christus Mittler zu Gott sein, so der Papst.
Bundespräsident Köhler würdigte
in seiner Rede den Beitrag von Johannes Paul II. zur friedlichen Wende 1989. Die Appelle
dieses Papstes seien eine „große Ermutigung“ für die Freiheitsbewegungen in Mittel-
und Osteuropa gewesen. Ferner erinnerte Köhler an die Verdienste des Papstes aus Polen
um die deutsch-polnische Versöhnung.
„Er hat den Menschen vor mehr als
30 Jahren zugerufen: „Habt keine Angst! Öffnet, ja, reißt die Tore weit auf für Christus.
Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die
weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden
Macht!“ Johannes Paul II. hat sich nicht an einzelne Staatsmänner gewandt, sondern
direkt an die Völker. „Habt keine Angst!“ Wie viel Kraft hat er den Menschen damit
gegeben. Seine Worte waren eine große Ermutigung für die Freiheitsbewegungen in Mittel-
und Osteuropa. Für mich bleibt auch das folgende Wort von Johannes Paul II. eine bleibende
Wegweisung: „Es ist Gottes Wille, der Deutschland und Polen zu Nachbarn gemacht hat.“
Ich verstehe dieses Wort als Verpflichtung, gerade auch die gute Zusammenarbeit und
Versöhnung mit unseren polnischen Nachbarn voran zu bringen. Wir haben auf diesem
Weg schon viel Gutes erreicht. Und unsere gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen
Union erleichtert die weiteren Fortschritte.“