Zwei Tage nach dem
Schweizer Nein zu Minaretten erhitzen sich weiterhin die Gemüter. Besonnene Stimmen
raten dazu, die Entscheidung nicht zu hoch zu hängen; in mehrheitlich muslimischen
Ländern wird Europa hingegen „Islamophobie“ vorgeworfen.
Keine Minarette, kein
islamischer Ruf zum Gebet in der Schweiz – was die Volksabstimmung am Sonntag ergab,
wird von den einen als mutig gefeiert, von anderen als Eingriff in die Religionsfreiheit
verdammt. Die Politiker des Alpenlandes sind beunruhigt über die heftigen Reaktionen
aus dem Ausland. Bundesrätin Doris Leuthard wurde auf einer Konferenz in Genf von
Gesprächspartnern aus dem Ausland ins Gebet genommen:
„Die sind völlig überrascht,
dass in der Schweiz so ein Entscheid möglich ist; man interpretiert es dann aber sehr
oft auch falsch, und deshalb ist es jetzt meine Aufgabe und die meiner Kollegen, gut
zu informieren, dass die Schweiz weiter offen bleibt für alle Religionen und dass
man als Moslem nach wie vor seinen Glauben in der Moschee ausüben kann!“ Bundesrätin
Micheline Calmy-Rey befürchtet nun ein Sicherheitsproblem für die Schweiz – das sagte
sie bei einem Besuch in Athen. Und auch Bundespräsident Hans-Rudolf Merz ist besonders
mit Blick aufs Ausland beunruhigt: Von dort erreichten ihn viele Fragen, sagte er
dem Schweizer Fernsehen.
„Die Heftigkeit überrascht mich schon. Ich glaube,
wir müssen jetzt kühles Blut bewahren und diese Fragen aufnehmen und beantworten.
Wir sollten das allerdings in aller Sachlichkeit tun; wir sind es ja gewohnt, in der
Schweiz mit schwierigen Fragen auch sachlich gut umzugehen, und diese Tradition müssen
wir jetzt ins Ausland übertragen.“ Vor allem ins islamisch geprägte Ausland:
Hier ist das Unverständnis über das Schweizer Nein zu Minaretten groß. Der Fernsehprediger
von Al-Dschasira, Scheich Yussuf Quaradawi, spricht von „Rassismus“, von einem „Verstoß
gegen die Menschenrechte“ und von „Islamophobie“. Heute verbiete man die Minarette,
morgen seien die Moscheen dran, fürchtet der populäre Prediger aus Doha, der auch
die „Union islamischer Ulema“ leitet.
Der türkische Europaminister Egemen
Bagis ruft Moslems dazu auf, ihr Geld von Schweizer Konten abzuziehen und es lieber
auf türkischen Konten zu deponieren; über ein Viertel der Moslems, die in der Schweiz
leben, sind Türken. Auch der bekannte Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, ein Europa-Parlamentarier,
ermuntert reiche Moslems zum Konten-Kündigen in der Schweiz: „Leert die Kassen!“,
ruft er im Gespräch mit einer Schweizer Zeitung.
„Ein Minarett spielt eigentlich
gar keine Rolle für eine Gläubige” – das wiederum meint Lale Akgün, langjährige Integrationsbeauftragte
der deutschen SPD. „Ich glaube, im Moment läuft in der Diskussion einiges sehr durcheinander,
und ich finde es ziemlich problematisch, wie es läuft.“ Zum einen sei natürlich ein
Verbot von Minaretten ein Entscheid, der als Affront gegen eine Religionsgemeinschaft
aufgefasst werden könne: „Aber diese Entscheidung wird im Moment viel zu sehr hochgespielt.“
Das wirkliche Problem sei doch, dass der Islam auch in der deutschen Öffentlichkeit
zu sehr mit Zwangsehe, Beschneidung, Blutrache oder Burkas in Verbindung gebracht
werde. Hier gelte es anzusetzen, um Integration möglich zu machen.
Das Minarett-Verbot
der Schweizer hat auch die etwas lahme Debatte über die „identité nationale“, die
nationale Identität aufgemischt, die in Frankreich Präsident Nicolas Sarkozy losgetreten
hatte. Drei Wochen vor den Regionalwahlen streitet Frankreich nun über ein mögliches
Burka-Verbot; viele erinnern sich an die quälende Kopftuch-Debatte, die das Land vor
ein paar Jahren schon einmal hatte.
Zurück in die Schweiz selbst: Da hat der
Politgeograf Michael Hermann eine interessante Erklärung für das Ja bei der Initiative
gegen Minarette. Hier sei es gelungen, klassisch rechte mit klassisch linken Argumenten
zu verknüpfen. Rechts: Einsatz für Recht und Ordnung. Links: Nein zu Machos, Nein
zu sexueller Gewalt. In mehreren Westschweizer Städten haben am Dienstagabend mehrere
tausend Menschen gegen das Nein zu Minaretten demonstriert: in Lausanne, Genf, Freiburg
und Biel. Einer der Slogans hieß: „Wir sind alle Muslime.“ In Genf wurde die Kundgebung
eingerahmt von zwei Minaretten – aus Holz und Papier, und ohne Muezzin.
Aus
Bosnien kommt die Warnung, Europa sende eine üble Botschaft an die Muslime. Das sagt
der bosnische Moslemführer Mustafa Ceric, eine wichtige Persönlichkeit im interreligiösen
Dialog. Er sieht das Schweizer Nein zu Minaretten zusammen mit einer Entscheidung
der EU; diese hat die Visumspflicht für viele Länder aufgehoben, nicht aber für mehrheitlich
islamische Länder. Es sei interessant, dass beide Entscheidungen an einem der wichtigsten
islamischen Feste, nämlich dem Opferfest, gefallen seien, so Ceric. (rv/kipa/schweizer
tv/domradio/ap 02.12.2009 sk)