2009-12-02 11:38:22

Schweiz: Minarett-Debatte


RealAudioMP3 Zwei Tage nach dem Schweizer Nein zu Minaretten erhitzen sich weiterhin die Gemüter. Besonnene Stimmen raten dazu, die Entscheidung nicht zu hoch zu hängen; in mehrheitlich muslimischen Ländern wird Europa hingegen „Islamophobie“ vorgeworfen.

Keine Minarette, kein islamischer Ruf zum Gebet in der Schweiz – was die Volksabstimmung am Sonntag ergab, wird von den einen als mutig gefeiert, von anderen als Eingriff in die Religionsfreiheit verdammt. Die Politiker des Alpenlandes sind beunruhigt über die heftigen Reaktionen aus dem Ausland. Bundesrätin Doris Leuthard wurde auf einer Konferenz in Genf von Gesprächspartnern aus dem Ausland ins Gebet genommen:

„Die sind völlig überrascht, dass in der Schweiz so ein Entscheid möglich ist; man interpretiert es dann aber sehr oft auch falsch, und deshalb ist es jetzt meine Aufgabe und die meiner Kollegen, gut zu informieren, dass die Schweiz weiter offen bleibt für alle Religionen und dass man als Moslem nach wie vor seinen Glauben in der Moschee ausüben kann!“ 
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey befürchtet nun ein Sicherheitsproblem für die Schweiz – das sagte sie bei einem Besuch in Athen. Und auch Bundespräsident Hans-Rudolf Merz ist besonders mit Blick aufs Ausland beunruhigt: Von dort erreichten ihn viele Fragen, sagte er dem Schweizer Fernsehen.

„Die Heftigkeit überrascht mich schon. Ich glaube, wir müssen jetzt kühles Blut bewahren und diese Fragen aufnehmen und beantworten. Wir sollten das allerdings in aller Sachlichkeit tun; wir sind es ja gewohnt, in der Schweiz mit schwierigen Fragen auch sachlich gut umzugehen, und diese Tradition müssen wir jetzt ins Ausland übertragen.“ 
Vor allem ins islamisch geprägte Ausland: Hier ist das Unverständnis über das Schweizer Nein zu Minaretten groß. Der Fernsehprediger von Al-Dschasira, Scheich Yussuf Quaradawi, spricht von „Rassismus“, von einem „Verstoß gegen die Menschenrechte“ und von „Islamophobie“. Heute verbiete man die Minarette, morgen seien die Moscheen dran, fürchtet der populäre Prediger aus Doha, der auch die „Union islamischer Ulema“ leitet.

Der türkische Europaminister Egemen Bagis ruft Moslems dazu auf, ihr Geld von Schweizer Konten abzuziehen und es lieber auf türkischen Konten zu deponieren; über ein Viertel der Moslems, die in der Schweiz leben, sind Türken. Auch der bekannte Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, ein Europa-Parlamentarier, ermuntert reiche Moslems zum Konten-Kündigen in der Schweiz: „Leert die Kassen!“, ruft er im Gespräch mit einer Schweizer Zeitung.

„Ein Minarett spielt eigentlich gar keine Rolle für eine Gläubige” – das wiederum meint Lale Akgün, langjährige Integrationsbeauftragte der deutschen SPD. „Ich glaube, im Moment läuft in der Diskussion einiges sehr durcheinander, und ich finde es ziemlich problematisch, wie es läuft.“ Zum einen sei natürlich ein Verbot von Minaretten ein Entscheid, der als Affront gegen eine Religionsgemeinschaft aufgefasst werden könne: „Aber diese Entscheidung wird im Moment viel zu sehr hochgespielt.“ Das wirkliche Problem sei doch, dass der Islam auch in der deutschen Öffentlichkeit zu sehr mit Zwangsehe, Beschneidung, Blutrache oder Burkas in Verbindung gebracht werde. Hier gelte es anzusetzen, um Integration möglich zu machen.

Das Minarett-Verbot der Schweizer hat auch die etwas lahme Debatte über die „identité nationale“, die nationale Identität aufgemischt, die in Frankreich Präsident Nicolas Sarkozy losgetreten hatte. Drei Wochen vor den Regionalwahlen streitet Frankreich nun über ein mögliches Burka-Verbot; viele erinnern sich an die quälende Kopftuch-Debatte, die das Land vor ein paar Jahren schon einmal hatte.

Zurück in die Schweiz selbst: Da hat der Politgeograf Michael Hermann eine interessante Erklärung für das Ja bei der Initiative gegen Minarette. Hier sei es gelungen, klassisch rechte mit klassisch linken Argumenten zu verknüpfen. Rechts: Einsatz für Recht und Ordnung. Links: Nein zu Machos, Nein zu sexueller Gewalt. In mehreren Westschweizer Städten haben am Dienstagabend mehrere tausend Menschen gegen das Nein zu Minaretten demonstriert: in Lausanne, Genf, Freiburg und Biel. Einer der Slogans hieß: „Wir sind alle Muslime.“ In Genf wurde die Kundgebung eingerahmt von zwei Minaretten – aus Holz und Papier, und ohne Muezzin.

Aus Bosnien kommt die Warnung, Europa sende eine üble Botschaft an die Muslime. Das sagt der bosnische Moslemführer Mustafa Ceric, eine wichtige Persönlichkeit im interreligiösen Dialog. Er sieht das Schweizer Nein zu Minaretten zusammen mit einer Entscheidung der EU; diese hat die Visumspflicht für viele Länder aufgehoben, nicht aber für mehrheitlich islamische Länder. Es sei interessant, dass beide Entscheidungen an einem der wichtigsten islamischen Feste, nämlich dem Opferfest, gefallen seien, so Ceric.
(rv/kipa/schweizer tv/domradio/ap 02.12.2009 sk)
 







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