Nach zahlreichen politischen
Rückschlägen ist der Reformvertrag der Europäischen Union an diesem Dienstag in Kraft
getreten. Der so genannte Lissabon-Vertrag legt die Basis für eine EU, die reibungsloser
und demokratischer funktionieren soll. Die katholische Kirche begrüßt den Vertrag,
er trage der Erweiterung der Union von 15 auf 27 Mitgliedsstaaten Rechnung. Die EU
„wird demokratischer, transparenter und effizienter“, heißt es in einer europaweit
abgestimmten Erklärung der Bischöfe. Birgit Pottler berichtet:
Mehr Demokratie Nach
acht Jahren Debatte könne die EU sich jetzt auf die inhaltlichen Herausforderungen
konzentrieren und aufhören, „sich mit sich selbst zu beschäftigen“, sagte Thomas Pickartz
von der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) in Brüssel gegenüber
Radio Vatikan. Der Referent für institutionelle und soziale Fragen würdigte die Elemente
für mehr Demokratie im Lissabon-Vertrag, wie die Möglichkeit einer europaweiten Bürgerinitiative
und das stärkere Mitspracherecht für das Europäische Parlament: „Das hat es vorher
nicht gegeben. Da das Parlament direkt von den Bürgern legitimiert ist, ist diese
stärkere Stellung zu begrüßen. Ich denke, dass der Vertrag von Lissabon zeigen wird,
ob er in der Lage ist, Resultate zu produzieren, ob er den Bürger, den Menschen in
der EU in den Mittelpunkt stellen kann, ob es der EU gelingen kann auf die Herausforderungen
der heutigen Zeit zu antworten. Wenn dem so ist, dann werden letztlich auch die Bürger
davon überzeugt sein, dass das ein wichtiger Vertrag war.“ Mehr Dialog Neben
der Reform der EU-Institutionen verankert der Vertrag auch den Dialog mit den Kirchen
und Religionsgemeinschaften. Mit Artikel 17 des Vertrags über ihre Arbeitsweise erkennt
die EU die Identität und den spezifischen Beitrag der Kirchen an und führt auf dieser
Grundlage einen „offenen, transparenten und regelmäßigen“ Dialog mit ihnen.
Thomas
Pickartz, COMECE-Fachmann für institutionelle Fragen: „Das bedeutet, dass unabhängig
vom guten Willen Einzelner nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers dieser Dialog
auch mit den Europäischen Institiutionen geführt werden soll.“ Umgekehrt verpflichte
der Artikel die Kirchen dazu, noch mehr als bisher zu tun, und – gerade auch im Blick
auf die neuen Institutionen und Entscheidungsträger – die Arbeiten zu begleiten. Die
EU sei gut beraten, auf die Erfahrung der Kirchen zum Beispiel in der Entwicklungshilfe
oder als Arbeitgeber im Bereich Soziales zurückzugreifen, so Pickartz. „Ich denke
schon, dass das nicht spurlos an den europäischen Entscheidungsträgern vorübergeht,
wenn sie mit kirchlichen Experten mit großer Erfahrung zusammentreffen. Natürlich
liegt unsere besondere Identität, unser spezifischer Beitrag darin, dass wir etwas
zur Wertebasis der EU beitragen können.“ Auf der Agenda stünden unter anderem der
menschenwürdige Umgang mit Flüchtlingen, ein soziales und familienfreundliches Europa
sowie Fragen der Bioethik und Forschungspolitik.
Mit Artikel 17 verpflichtet
sich die EU auch, das national geregelte Staat-Kirche-Verhältnis zu achten und nicht
zu beeinträchtigen. Pickartz ergänzt: „Das bedeutet, dass auch die institutionelle
Dimension der Religionsfreiheit, die sich auf die Kirche als Körperschaft bezieht,
gewährleistet ist.“
Christliche Prinzipien bewahren Zwar bedauerten
die Kirchen, dass der neue Vertrag weder auf Gott noch auf die christlichen Wurzeln
des Kontinents Bezug nehme. „Doch es gibt immerhin einen Verweis auf das geistig-religiöse
Erbe Europas, und damit ist natürlich besonders das christliche Erbe gemeint.“ Mit
Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags wird auch die so genannte Grundrechtscharta rechtsverbindlich.
Grund- und Freiheitsrechte werden damit für jeden Bürger einklagbar. In der Charta
und im gesamten Arbeiten der EU seien die Achtung der Menschenwürde und Prinzipien
wie Solidarität und Subsidiarität der katholischen Soziallehre grundlegend, so COMECE-Referent
Pickartz. Sein Appell: „Ich denke, dass die Kirchen auf die Einhaltung dieser Prinzipien
drängen sollten und besondere Kompetenz haben, um über diese Prinzipien zu wachen.“ (rv
01.12.2009 bp)