Vier Minarette gibt
es in der ganzen Schweiz – und bei dieser niedrigen Zahl wird’s wohl auch bleiben.
Denn die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung am Sonntag überraschend für
ein Verbot des Minarettbaus entschieden. Am Tag danach herrscht bei den einen Triumph,
bei den anderen Katzenjammer. Die Debatte schwappt über die Schweiz hinaus: Viele
fürchten jetzt, dass die Ängste vieler Schweizer vor dem Islam negative Folgen haben
könnten für Christen in mehrheitlich islamischen Ländern. Oder, dass es eine Art zweiten
Karikaturenstreit geben könnte.
Deutliches Ergebnis Das Nein
zu Minaretten kam überraschend – und deutlich: 57 Prozent. Umfragen zuvor waren nur
von 37 Prozent Zustimmung ausgegangen. Mehrheitlich abgelehnt wurde die Initiative
nur in den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Neuenburg und Waadt. Das so genannte „Ständemehr“,
das für eine Annahme der Initiative nötig ist, wurde mühelos erreicht: Mit 19,5 gegenüber
3,5 ablehnenden Ständen hat eine übergroße Mehrheit aller Kantone die Einführung des
Minarett-Verbots gutgeheißen. Am deutlichsten fiel die Zustimmung in Appenzell Innerrhoden
mit 71 Prozent aus. Auffallend war auch die – bei Volksabstimmungen eher unübliche
– hohe Wahlbeteiligung. In verschiedenen Städten, etwa in Zürich, Bern und Freiburg,
kam es am Sonntag abend zu Protestkundgebungen gegen das Abstimmungsresultat. Die
Schweizer Regierung versucht die Lage zu beruhigen; erstmals überhaupt veröffentlichte
der Bundesrat seine Erklärung zu einer eidgenössischen Abstimmung auch auf Arabisch.
Er versucht sich damit auch in Schadensbegrenzung.
Muslime fühlen sich
am Pranger Die in der Schweiz lebenden Muslime fühlen sich durch das Abstimmungsergebnis
am Pranger: Als würden „ihr Glaube und ihre Daseinsberechtigung in der Schweiz infrage
gestellt“. Die islamischen Nationalverbände betonen aber auch, dass durch die Annahme
der Minarett-Initiative ihre eigene Verantwortung noch gewachsen sei, „auf legitime
Befürchtungen in der Schweizer Bevölkerung einzugehen und zu antworten“. „Schockiert“
ist der bekannte islamische Theologe Tariq Ramadan, einer der wichtigsten Befürworter
eines so genannten „europäischen Islams“. In mehreren europäischen Ländern dominierten
Extremisten die Debatte über den Islam. Er glaube, dass auch Moslems an der Lage mit
schuld seien: „Sie sollten aufhören, sich unsichtbar zu machen, und sich lieber in
die öffentliche Debatte einklinken.“
Bischöfe wittern Probleme Das
„Ja“ zur Initiative macht die Probleme unübersehbar, die sich aus dem Zusammenleben
der Religionen und Kulturen ergeben, und ist in diesem Sinne eine Herausforderung
– so reagiert die Schweizer Bischofskonferenz. „Alle Menschen guten Willens“ sollten
sich jetzt erst recht für die bedrängten und verfolgten Christen in islamischen Ländern
einsetzen. Das Abstimmungsergebnis sei zwar keine „totale Katastrophe“, mache aber
deutlich, dass die schweizerische Gesellschaft, die Kirchen und alle anderen Religionsgemeinschaften
sich jetzt wirklich an die Arbeit machen müssten, um ein Zusammenleben in Vielfalt
zu ermöglichen. Das sagt Pierre Farine, Weihbischof des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg.
Denn die Zukunft der Schweiz sei ohne jeden Zweifel multikulturell, multiethnisch
und multireligiös.
„Mehr Integrationsbemühungen“ Zu wesentlich
verstärkten Bemühungen um Integration ruft der Schweizerische Rat der Religionen auf.
Der Entscheid der Stimmberechtigten dürfe nicht als „generelle antiislamische Haltung
instrumentalisiert werden“, sondern sei Ausdruck einer tiefen gesellschaftlichen Verunsicherung.
Den gesellschaftlichen Zusammenhalt belastet sieht der Schweizerische Evangelische
Kirchenbund. Der gegenseitige Respekt vor dem Anderen sei eine entscheidende Voraussetzung
für den Dialog und für gelingende Integration. Die Schweizerische Evangelische Allianz,
die enttäuscht über die Abstimmung ist, glaubt, dass die Moslems nicht genug das Gespräch
mit der Bevölkerung gesucht haben.
„Umsetzung wird schwierig“ Die
Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz weist darauf hin, dass die Umsetzung
des neuen Verfassungsartikels („Der Bau von Minaretten ist verboten“) auf Schwierigkeiten
stoßen wird. Rechtsexperten haben im Vorfeld der Abstimmung wiederholt darauf hingewiesen,
dass eine Klage gegen ein generelles Minarett-Verbot vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
wohl Erfolg haben dürfte. Nach Ansicht der Partei bestehen in der Bevölkerung Ängste
gegenüber einem „religiösen Fundamentalismus“, denen Rechnung getragen werden müsse.
Die Evangelische Volkspartei sieht derweil den Augenblick für gekommen, die Bundesverfassung
durch einen Religionsartikel anzureichern. Dabei solle das Christentum als Basiskultur
der Schweiz in der Verfassung verankert werden. Die Religionsfreiheit der Muslime
dürfe aber nicht angetastet werden. Der Schweizer Arbeitgeberverband sieht den „Ruf
der Schweiz als offenes und tolerantes Land beschädigt mit negativen Folgen für die
Wirtschaft“.
„Geradezu panische Angst“ Der Bischof, der für
Christen in Arabien zuständig ist, hat den Eindruck, „dass viele Leute geradezu mit
panischer Angst auf die Zeichen religiöser Präsenz reagieren, nicht nur im Blick auf
den Islam“. Bischof Paul Hinder ist selbst Schweizer. Er sieht eigentlich nicht ein,
warum eine Religionsgemeinschaft, die sich an die Ordnung eines freiheitlichen Rechtsstaates
halten wolle, ihre Präsenz nicht in der entsprechenden Form ausdrücken könne. Piusbrüder
und andere Minarett-Gegner Die schismatisch orientierte „Pius-Bruderschaft“
freut sich über den Ausgang der Abstimmung. Die Gemeinschaft, die ihren Hauptsitz
im Schweizer Econe hat, hatte das „Nein“ zu Minaretten unterstützt. Die Eidgenössische
Demokratische Union wertet die Annahme des Minarett-Verbots als ein Zeichen dafür,
„dass die Schweizer Bevölkerung an den bewährten Werten festhalten will“. Die Partei
gehörte zu den Urhebern der Volksinitiative. Aus ihrer Sicht schränkt die Annahme
der Initiative die Religionsfreiheit der Muslime nicht ein. Entsprechende „Drohungen
und Erpressungsversuche von islamischer Seite“ müssten unmissverständlich zurückgewiesen
werden. Die Schweizerische Volkspartei, Haupt-Trägerin der Kampagne gegen Minarette,
denkt jetzt über weitere Initiativen nach: gegen Zwangsehen, gegen Beschneidungen,
gegen Ganzkörper-Verschleierung von Frauen.
Deutschland: „Angst vor Islamisierung“ Die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ weist warnend auf den „populistischen Faktor von
Volksabstimmungen“ hin. Während CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach auch in Deutschland
eine zunehmende Angst vor Islamisierung ausmacht, warnt CSU-Generalsekretär Alexander
Dobrindt davor, das Votum im Nachbarland überzubewerten. Die SPD weist darauf hin,
dass eine Entscheidung wie in der Schweiz in Deutschland nicht mit dem Grundgesetz
zu vereinbaren wäre; die Türkische Gemeinde in Deutschland befindet, ein Minarett
gehöre zu einer Moschee, und über ein Grundrecht wie Religionsfreiheit lasse sich
eigentlich nicht abstimmen. Die Kölner Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur warnt
vor einer „Dynamik in anderen europäischen Ländern“: Das könne dafür sorgen, dass
„die Muslime am Ende in Europa keinen Platz mehr haben“.
„Große Sorge“
bei deutschen Bischöfen „Mit großer Sorge“ reagiert die Deutsche Bischofskonferenz
auf die Entscheidung der Schweizer. Das Ergebnis der Volksabstimmung könne dem guten
Zusammenleben der Religionen und Kulturen im Nachbarland schaden, sagt Erzbischof
Robert Zollitsch, und den Christen in islamischen Ländern werde die Entscheidung nicht
helfen. Zur Religionsfreiheit gehöre auch das Recht der Muslime auf den Bau würdiger
Moscheen. Zollitsch wörtlich: „Gerade weil wir Christen die Einschränkungen der Religionsfreiheit
in muslimisch geprägten Ländern ablehnen und verurteilen, setzen wir uns nicht nur
für die Rechte der dortigen Christen ein, sondern auch für die Rechte der Muslime
bei uns“.
Vatikan: „Instrumentalisierung von Religion“ „Man
sollte sich davor hüten, Religion zu instrumentalisieren“: Das sagt der Chefredakteur
der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“, Gianmaria Vian. Solche Instrumentalisierung
„bringt immer schlechte, giftige Früchte hervor“. Natürlich müsse die Entscheidung
der Schweizer respektiert werden – „doch auch die Kultfreiheit in Europa steht außerhalb
jeder Diskussion!“ Der Leiter des Päpstlichen Migrantenrates, Erzbischof Antonio Maria
Vegliò, stellt sich hinter die Haltung der Schweizer Bischöfe: „Ich verstehe nicht,
wie man die Religionsfreiheit einer Minderheit antasten kann oder eine Gruppe daran
hindern will, ihren Kultort zu bauen.“ „Aversion und Angst“ sei vielerorts zu spüren,
„aber ein Christ muss das überwinden“.
EU: Die Stunde der Populisten Die
schwedische EU-Präsidentschaft findet es merkwürdig, dass man mit einem Referendum
über Fragen entscheide, die eigentlich Thema der Stadtplanung seien. Es sei schwierig,
wenn die Politik über architektonische Fragen entscheide. Amnesty International findet
das Schweizer Votum „konsternierend“; die Politiker seien ein großes Risiko eingegangen,
als sie die Initiative nicht für unzulässig erklärten. Jetzt müssten sie die Folgen
tragen. In mehreren europäischen Ländern nutzen Populisten jetzt das Thema Minarette
für ihre Ziele aus: In den Niederlanden will der rechtsextreme Parteichef Geert Wilders
ebenfalls „ein ähnliches Referendum“ auf die Beine stellen; eine ähnliche Meldung
kommt aus Dänemark, dem Land des Karikaturenstreits. In Italien begrüßen führende
Politiker der „Lega Nord“ das Schweizer Votum, fordern, den „Vormarsch islamischer
Symbole in Europa“ zu stoppen, und setzen sich für die Aufnahme des Kreuzes in die
italienische Landesflagge ein.
Presse zeigt auf Regierung Viele
Schweizer Zeitungen orten die Ursachen für das Abstimmungsresultat bei der Schweizer
Regierung und den Parteien: Diese seien im Abstimmungskampf zu wenig präsent gewesen,
schreibt die Westschweizer Zeitung „Le temps“. Die Abstimmung vergrössere die „bedenkliche
Liste, welche unser Land in eine schwache Position auf dem internationalen Parkett
versetzt“, schreibt Genfs „24 Heures“. Der Zürcher Tages-Anzeiger sieht in dem Ja
einen „herben Rückschlag für den Religionsfrieden“. Die Muslime müssten ihr Imageproblem
mit einer verstärkten Öffnung angehen, meint der Berner „Bund“. Noch weiter geht die
„Thurgauer Zeitung“: „Muslime müssen sich stärker anpassen“, fordert die Kommentatorin.
Das Ja zum Minarettverbot könnte aussenpolitische Folgen mit sich bringen, warnen
einige Kommentatoren. Der Bundesrat müsse deshalb kühlen Kopf bewahren und die Anliegen
der Schweiz selbstbewusst vertreten, fordert die „Neue Zürcher Zeitung“.
Islamische
Länder: Wut und Empörung In mehrheitlich islamischen Ländern regt sich
vielerorts Verwunderung und Empörung über das Schweizer Minarett-Verbot. Islamische
Gruppen in Pakistan sprechen von „extremer Islamophobie“ und „Diskriminierung“. In
Indonesien, dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, spricht der größte
Islamverband von einem „Zeichen des Hasses der Schweizer auf die Muslime“. Demonstrationen
seien unvermeidlich, man fordere aber alle auf, dies friedlich zu tun. Die türkische
Zeitung „Watan“ spricht von einem Sieg der „Rassisten“. Die libanesische Zeitung „An-Nahar“
schreibt, diese Abstimmung setze die Schweiz an einen der vorderen Plätze in Sachen
Konfrontation mit dem Islam in Europa. Ein Vertreter des arabischen Senders Al Jazeera
befürchtet, dass die Schweizer Bevölkerung mit dem Ja zur Initiative eine Zweiklassengesellschaft
geschaffen habe. „Oslobodjenje“, eine Wochenzeitung für alle Volksgruppen in Bosnien
und Herzegowina, unterstreicht die Aussage der Schweizer Antrirassismus-Kommission,
dass das Minarettverbot in der Schweiz „Hass hervorrufe“. Die Zeitung hält fest, dass
die meisten Muslime in der Schweiz Kriegsflüchtlinge aus Bosnien seien.
Übrigens:
Noch eine Abstimmung Volk und Stände in der Schweiz haben am Sonntag noch
eine weitere Abstimmung hinter sich gebracht. Dabei sagten sie Nein zur Initiative
„für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten“. 68,2 Prozent der Stimmberechtigten lehnten
das Volksbegehren der „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ ab. Kein einziger Kanton
stimmte zu; fast 1,8 Millionen der Stimmberechtigten legten ein Nein in die Urne und
folgten darin dem Bundesrat, den bürgerlichen Parteien und den Wirtschaftsverbänden.
Diese hatten vor einem Verlust von 5.000 bis 10.00 Arbeitsplätzen gewarnt.