Kurt Koch zum Minarett-Verbot: „Abstimmung zeigt Identitätskrise“
Vier Minarette gibt es in der ganzen Schweiz – und bei dieser niedrigen Zahl wird
es wohl auch bleiben. Denn die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung am Sonntag
überraschend für ein Verbot des Minarettbaus entschieden. Mit hoher Wahlbeteiligung
und ganzen 57 Prozent.
Als „Hindernis“ und „große Herausforderung“ für die
Integration bewerten die Bischöfe des Alpenlandes das Ergebnis. Welchen Hintergrund
hat eine solche Ohrfeige für die muslimische Minderheit in der Schweiz? Für den Vorsitzenden
der Schweizer Bischofskonferenz ist das – so Kurt Koch wörtlich – „Ergebnis ohne Sachverstand“
ein Anzeichen für eine Krise christlicher Identität – und nicht nur in der Schweiz.
Koch:
„Die ganze Gesellschaft in Europa ist derart im Umbruch, dass die
Identität der europäischen Länder ins Flottieren geraten ist. Und jetzt hat man eine
Bedrohung gesehen, hat Angst vor der Islamisierung, so dass man plötzlich die eigene
Identität sichern will, die man aber in normalen Zeiten gar nicht so sehr lebt und
zum Tragen bringt. Deshalb muss jetzt auch klar gesehen werden, zu unserer christlichen
Identität auch in einem weltanschauungsneutralen Staat wie der Schweiz zurückfinden.
Nur wenn wir eine positive Identität haben, können wir auf andere zugehen. Wenn wir
nur eine negative Identität haben, steht jede Begegnung unter einem schlechten Vorzeichen.“
Am
Tag nach der Abstimmung herrscht bei den Organisatoren der Initiative einen Triumph,
bei den anderen Katzenjammer. Die in der Schweiz lebenden Muslime fühlen sich durch
das Abstimmungsergebnis am Pranger. Viele fürchten indes, dass die Ängste vieler Schweizer
vor dem Islam negative Folgen haben könnten für Christen in mehrheitlich islamischen
Ländern. Koch:
„Erstens wird das unser Engagement für die verfolgten und
bedrohten Christen in islamischen Ländern nicht erleichtern, sondern furchtbar erschweren.
Denn es nagt an unserer Glaubwürdigkeit. Ich bin auch deshalb sehr froh, dass der
Bischof von Arabien, Bischof Paul Hinder gesagt hat, die Annahme dieser Initiative
ist ein Bärendienst für die Christen in Arabien.“
Integration könne bei
einem „Unsichtbarbleiben“ der Muslime nicht stattfinden, so Koch. Und auch das Zusammenleben
der Religionen könne dann nicht eingeübt werden. Überhaupt zeige die Abstimmung, wie
auch das Straßburger Anti-Kreuz-Urteil, eine diffuse Angst vor der Sichtbarkeit von
Religion überhaupt. Koch:
„Zweitens ist das Nein zu den Minaretten auch
ein Nein zur Sichtbarkeit der Religion. Und das wird früher oder später Konsequenzen
für unsere Kirche haben. Der Entscheid des europäischen Gerichtshofes in Brüssel war
ja eine Vorwarnung, das es nun auch mit den christlichen Zeichen in der Gesellschaft
problematisch wird.“
Um gegen die diffuse Angst vor dem Islam anzugehen,
müsse gerade jetzt Integrationsarbeit geleistet werden, so der Bischof.
„Ich
denke, es muss jetzt sehr viel Arbeit hinsichtlich der Integration der muslimischen
Minderheit in der schweizerischen Bevölkerung geschehen. Deshalb habe ich auch vor
der Abstimmung immer gesagt, die Initiative löst kein einziges Problem. Sie schafft
neue Probleme, und die eigentliche Arbeit beginnt jetzt.“