Experte Czerny: Aids „an vielen Fronten“ bekämpfen
Südlich der Sahara
leben mehr als zwei Drittel aller von HIV betroffenen Menschen. Im Jahr 2007 starben
dort mehr als drei Viertel aller Aids-Infizierten weltweit. „HIV ist ein Virus, der
das Immunsystem schwächt und zerstört. Aber Aids ist auch eine kulturelle, familiäre,
kommunale und spirituelle Realität. Der Kampf gegen Aids muss an all diesen Fronten
ausgetragen werden.“ Michael Czerny ist Direktor des afrikanischen Jesuitennetzwerkes
gegen Aids (AJAN). Anlässlich des Weltaidstages am 1. Dezember sendet Radio Vatikan
ein Gespräch mit dem Experten.
Als „Krankheit der Armut und des Krieges“ beschrieb
Czerny Aids in einem Interview. In 30 Ländern des afrikanischen Kontinents hilft das
Jesuitennetzwerk „AJAN“ seit sieben Jahren HIV-infizierten Menschen. Um das Virus
in Schach zu halten, gibt es inzwischen Medikamente. Doch um Aids als „kultureller
Realität“ zu begegnen, müsse das jahrhunderte lang gebeutelte Afrika zuerst Gerechtigkeit
erfahren, so der Jesuit. Das AJAN-Netzwerk setzt deshalb auf Hilfsprojekte, die Menschen
vielfältig und langfristig unterstützen.
„In Togo gibt es zum Beispiel
eine Art integriertes Multi-Service-Center. Da können die Menschen verschiedene Leistungen
in Anspruch nehmen. Es gibt dort auch ein Ausbildungszentrum, so dass die Menschen
nicht sagen müssen, dass sie wegen Aids dorthin kommen. Man geht auf ihre verschiedenen
Bedürfnisse ein. In Burundi dagegen haben wir sozusagen ein umgekehrtes Hilfsmodell.
Dort gibt es kein Zentrum, sondern lediglich ein kleines Büro. Von dort aus fahren
unsere Leute in zehn abgelegene und schwer erreichbare Dörfer im Umland und leisten
individuelle Hilfe. Das ist ein komplett dezentralisiertes Projekt.“
Mit
dem Liefern von Medikamenten und Kondomen sei es nicht getan, so Czerny. Aids sei
schließlich kein „technisches“ Problem, das mit Symptombekämpfung abgetan werden könne.
Für tatsächliche „Heilung,“ so Czerny, seien soziale Nähe und Hilfe im Alltag viel
wichtiger.
„Nur zehn Prozent der Infizierten können sich Aids-Medikamente
ab und zu leisten. Es gibt also neunzig Prozent HIV-positiver Menschen, die vielfältige
pastorale, menschliche und materielle Hilfe benötigen, die eine Gefahr für andere
sein können. Die Pharmafirmen und die Geldgeber dieser Programme interessiert das
aber herzlich wenig.“
Oftmals würden Infizierte sozial ausgegrenzt, so
der Fachmann. Ganz praktische Probleme müssten bewältigt werden: Viele Kranke könnten
wegen Mangelernährung die starken Aids-Medikamente gar nicht erst einnehmen, das Busticket
zum Krankenhaus nicht bezahlen oder blieben von Informationen über Aids und Hilfsangebote
abgeschnitten. Schnelle Lösungen seien deshalb nicht realistisch. Czerny:
„Die
Herausforderung ist, einen langfristigen Einsatz zu leisten. Wir sehen Aids als ein
Jahrhundertprojekt. Und wir werden notfalls ein Jahrhundert lang gegen diese Krankheit
kämpfen. Wir werden nicht weglaufen, weil etwas anderes dringlicher erscheint. Es
gibt noch so viele Bedürftige, die daran leiden. Wir bleiben dran, auch wenn es noch
Generationen braucht, um diesen Menschen zu helfen.“
Mit besonders hohem
Tempo steigen derzeit auch die Infektionen in Osteuropa sowie in Süd-Ostasien. Aids
bekomme in Öffentlichkeit und Medien aber insgesamt immer weniger Aufmerksamkeit,
warnt Czerny. Außerdem werde in den oft polemischen Diskussionen das komplexe Problem
stark vereinfacht. Das sei zum Beispiel in der Kondom-Debatte während der letzten
Papstreise geschehen. Czerny:
„Das Kondom ist in der Debatte konkretes
Objekt und Symbol. Deshalb ist es leicht, das ganze Thema daran aufzuhängen. Aber
in Afrika ist das Kondom lange nicht alles. Und mein Eindruck ist, dass sich die aufgebrachten
Medien weniger an dem Kondom, als vielmehr daran stoßen, dass es in der Sexualität
nicht nur „Ja“ und Konsens gibt. Es gibt Dinge, die man tun und lassen sollte. Und
schon diese einfache Möglichkeit, dass Kultur, Gesellschaft, Religion und Familie
da Mitspracherecht haben sollten, wird als inakzeptabel begriffen. In Afrika wird
die Position des Papstes dagegen geschätzt. Denn die Gemeinschaft, in der wir leben,
hängt von unserer eigenen Weisheit und Disziplin ab.“ „Die Kirche kämpft ohne
Pause gegen Aids; ich rufe zu Gebet und konkretem Handeln auf, damit alle Aids-Kranken
den Trost und die Hoffnung des Herrn erfahren. Ich hoffe, dass es mit vereinten Kräften
eines Tages gelingt, diese Krankheit zu stoppen und auszurotten!“ - so die Worte Papst
Benedikts zum Welt-Aids-Tag. Die Immunschwächekrankheit wurde in den achtziger Jahren
bekannt, und der erste Welt-Aids-Tag von den Vereinten Nationen für den 1. Dezember
1988 ausgerufen. Seitdem finden an diesem Tag jährlich weltweit Informations- und
Solidaritätsveranstaltungen statt. (rv/weltaidstag 29.11.2009 pr)