Die Ansprache von Papst Paul VI. in der Generalaudienz am 19. November 1969: Liebe
Söhne und Töchter, Wir wollen eure Aufmerksamkeit auf ein Ereignis lenken, das
der Lateinischen Katholischen Kirche unmittelbar bevorsteht: Die Einführung der Liturgie
nach dem Neuen Ordo der hl. Messe. Diese Liturgie wird in den italienischen Diözesen
vom 1. Adventssonntag an verpflichtend, er fällt in diesem Jahr auf den 30. November.
Die hl. Messe wird künftig in einer Weise gefeiert, die sich deutlich von dem unterscheidet,
woran wir in den letzten 400 Jahren seit Papst Pius V. und dem Konzil von Trient gewöhnt
waren. Diese Veränderung ist etwas ganz erstaunliches und außergewöhnliches, denn
die hl. Messe gilt als der traditionelle und unveränderliche Ausdruck unseres Gottesdienstes
und unserer Rechtgläubigkeit. Wir stellen uns die Frage: Wie konnte es zu einer solchen
Änderung kommen? Wie wird sie sich auf diejenigen auswirken, die die hl. Messe besuchen?
Auf diese Fragen und auf andere, die aus dieser Neuerung entstehen, werden sie Antworten
erhalten, diese Antworten werden in allen Kirchen verkündet werden. Sie werden überall
und in allen kirchlichen Veröffentlichungen und in allen Schulen, wo die christliche
Lehre gelehrt wird, vielfältig wiederholt werden. Wir ermahnen euch, aufmerksam zuzuhören
– dann werdet ihr ein deutlicheres und tieferes Verständnis der staunenswerten und
wunderbaren Bedeutung der hl. Messe erhalten. In dieser kurzen und einfachen Ansprache
versuchen Wir, euch nur die ersten Schwierigkeiten zu erleichtern, die diese Veränderung
mit sich bringt. Wir gehen dazu auf die ersten drei Fragen ein, die einem dabei unmittelbar
in den Sinn kommen. Wie kann eine solche Veränderung möglich sein? Antwort: sie
beruht auf dem Willen des ökumenischen Konzils, das vor nicht allzulanger Zeit stattgefunden
hat. Das Konzil hat bestimmt: „Der Meß-Ordo soll so überarbeitet werden, daß der eigentliche
Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang deutlicher hervortreten
und die fromme und tätige Teilnahme der Gläubigen erleichtert werde. Deshalb sollen
die Riten unter treulicher Wahrung ihrer Substanz einfacher werden. Was im Lauf der
Zeit verdoppelt oder weniger glücklich eingefügt wurde, soll wegfallen. Einiges dagegen,
was durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, soll, soweit es angebracht oder
nötig erscheint, nach der altehrwürdigen Norm der Väter wiederhergestellt werden.“
(SC 50) Die Reform, die jetzt in Kraft treten wird, ist also die Erfüllung eines
autoritativen Auftrags der Kirche. Sie ist ein Akt des Gehorsams. Sie ist ein Akt
des Zusammenhalts der Kirche mit sich selbst. Sie ist ein weiterer Entwicklungsschritt
ihrer authentischen Tradition. Sie ist ein Zeugnis von Treue und Lebenskraft, dem
wir alle ohne zu zögern Zustimmung schulden. Sie ist kein willkürlicher Akt. Sie
ist auch kein zeitlich begrenzter Versuch, an dem man sich beteiligen kann oder auch
nicht. Sie ist kein improvisierter Akt von Diletanten. Sie ist Gesetz. Sie wurde von
kompetenten Experten der heiligen Liturgie ausgearbeitet und sie wurde lange Zeit
erörtert und bedacht. Wir müssen es uns angelegen sein lassen, sie freudigen Herzens
anzunehmen und exakt, einheitlichen Sinnes und sorgfältig in die Praxis umzusetzen.
Diese Reform setzt den Unsicherheiten, den Debatten und den willkürlichen Mißbräuchen
ein Ende. Sie ruft uns zurück zu der Einheitlichkeit der Riten und der Empfindungen,
wie sie der katholischen Kirche zu eigen sind, der Erbin und Fortführerin jener ersten
christlichen Gemeinde, die „ein Herz und eine Seele war“ (APG 4:32). Die Einmütigkeit
des Betens der Kirche ist die Stärke ihrer Einheit und ihres Katholisch-Seins. Die
bevorstehende Veränderung darf diese Einmütigkeit nicht zerbrechen oder stören. Sie
soll sie befestigen und sie mit einem neuen, einem jugendlichen Geist erfüllen. Die
zweite Frage ist: wie sehen die Veränderungen im einzelnen aus? Ihr werdet selbst
sehen, daß es viele neue Vorgaben für die Feier der hl. Messe gibt. Sie werden vor
allem in der Anfangszeit eine beträchtliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordern.
Doch die persönliche Frömmigkeit und der Gemeinschaftssinn werden es Euch leicht und
angenehm werden lassen, die neuen Vorschriften zu beachten. Aber haltet das folgende
deutlich im Bewußtsein: Nichts an der Substanz der traditionellen hl. Messe ist verändert
worden. Vielleicht lassen sich Einige von dem Eindruck, den manche besondere Zeremonien
oder Rubriken auf sie machen, zu der Annahme verleiten, daß darin eine Veränderung
oder Verkleinerung von unveränderlichen Glaubenswahrheiten liegt und bekräftigt wird.
Sie könnten zu der Ansicht kommen, daß der Gleichklang zwischen der Weise des Gebetes,
der lex orandi, und der Weise des Glaubens, der lex credendi, dadurch beeinträchtigt
worden ist. Das ist definitiv nicht der Fall. Vor allem deshalb nicht, weil der
Ordo und die darauf bezüglichen Rubriken für sich keine dogmatische Definition darstellen.
Ihr theologischer Stellenwert mag je nach dem liturgischen Kontext, in dem sie stehen,
unterschiedlich sein. Sie sind Zeichen und Ausdruck eines spirituellen Vorgangs, eines
lebendigen und erfahrbaren Vorgangs, hinter dem das unaussprechliche Geheimnis der
göttlichen Gegenwart steht, das nicht immer in ein- und derselben Weise ausgedrückt
wird. Nur der theologische Scharfsinn kann diesen Vorgang analysieren und in Lehraussagen
ausdrücken, die unserer Vernunft entsprechen. Die Messe des neuen Ordo ist und bleibt
die gleiche Messe, die wir immer hatten. Wenn sich etwas geändert hat, dann das, daß
ihre Selbstindentität in einiger Hinsicht noch klarer zum Ausdruck gebracht wird.
Die Einheit des Herrenmahls und des Opfers am Kreuze in ihrer Darstellung und
Erneuerung in der hl. Messe wird nach dem neuen Ordo ebenso unverletzlich bekräftigt
und gefeiert, wie das nach dem alten Ordo der Fall war. Die hl. Messe ist und bleibt
das Gedächtnis von Christi letztem Abendmahl. Bei diesem Mahl verwandelte der Herr
das Brot und den Wein in Seinen Leib und Sein Blut und setzte das Opfer des neuen
Bundes ein. Er wollte, daß dieses Opfer als ein und dasselbe durch die Vollmacht Seines
Priestertums erneuert werde, das er den Aposteln übertrug. Nur die Art und Weise der
Darbringung ist verschieden, sie ist unblutig und sakramental, und sie erfolgt im
ewigen Gedenken an Ihn, bis Er wieder kommt. (De la Taille, Mysterium Fidei, Eluc.
IX). In der neuen Ordnung werdet ihr feststellen, daß die Beziehung zwischen der
Liturgie des Wortes und der Liturgie der Eucharistie im engeren Sinne deutlicher ausgedrückt
wird, nämlich so, daß die letztere zur praktischen Antwort auf die erstere wird (vergl.
Bouyer). Ihr werdet feststellen, in welchem Ausmaß die Versammlung der Gläubigen aufgerufen
ist, an der Feier des eucharistischen Opfers teilzunehmen und wie sie in der hl. Messe
in Tat und Bewußtsein wirklich „Kirche“ sind. Ihr werdet noch weitere wunderbare Züge
entdecken. Aber glaubt nicht, daß diese Dinge die Absicht haben, ihr wahres und traditionelles
Wesen zu verändern. Versucht stattdessen wahrzunehmen, wie die Kirche bestrebt
ist, ihrer liturgischen Botschaft mit dieser neuen und erweiterten liturgischen Sprache
größere Wirksamkeit zu verleihen; wie sehr sie bestrebt ist, allen ihren Gläubigen
und dem ganzen Leib des Gottesvolkes ihre Botschaft in einer direkteren und pastoraleren
Weise näherzubringen. In gleicher Weise antworten Wir auf die dritte Frage: Was
werden die Erträge dieser Erneuerung sein? Die Erträge, die wir erwarten oder besser
erhoffen, sind, daß die Gläubigen an den liturgischen Geheimnissen mit größerem Verständnis
teilhaben, in einer Weise, die praktischer ist, die mehr Freude vermittelt, die mehr
zu ihrer Heiligung beiträgt. Das heißt, sie werden das Wort Gottes hören, das durch
die Jahrhunderte lebt und in unseren Seelen widerhallt, und sie werden ebenso teilhaben
an der geheimnisvollen Wirklichkeit des sakramentalen und versöhnenden Opfers Christi.
Daher lasst uns nicht von der „neuen Messe“ reden. Lasst uns lieber von der „neuen
Ära“ im Leben der Kirche sprechen. Übersetzung: EWTN - TV