Die Eidgenossen haben sich nach einer ersten Hochrechnung überraschend für ein Verbot
des Baus von Minaretten ausgesprochen. Beim Volksbegehren von diesem Sonntag Morgen
stimmten nach den ersten Zahlen bis zu 59 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja, 41
Prozent mit Nein. Die Umfragen hatten vor dem Votum noch ein ganz anderes Stimmungsbild
nahegelegt. Offenbar wurde am Sonntag auch die Mehrheit der Kantone erreicht, die
für eine Annahme der Initiative nötig ist. Das Volksbegehren ging vom Umfeld der national-konservativen
„Schweizerischen Volkspartei“, kurz SVP, aus. In der Schweiz leben etwa 400.000 Moslems;
allerdings gibt es derzeit nur vier von außen sichtbare Minarette. Die Regierung war
gegen ein Minarett-Verbot; sie befürchtete negative Folgen für das Verhältnis der
Schweiz zur arabischen Welt. Auch die katholischen Bischöfe haben sich deutlich gegen
die Initiative ausgesprochen. Befürworter eines Verbots sehen in Minaretten hingegen
Symbole eines bedrohlichen politisch-religiösen Machtanspruchs. Nach ersten Meldungen
des Schweizer Fernsehens wird es überraschend doch eine klare Mehrheit für ein Minarett-Verbot
geben.
Die Schweizer Bischöfe nennen den Entscheid des Stimmvolks in einer
ersten Stellungnahme „ein Hindernis und eine grosse Herausforderung auf dem gemeinsamen
Weg der Integration“. Es sei „offensichtlich nicht genügend gelungen, dem Stimmvolk
vor Augen zu führen, dass das Bauverbot für Minarette das gute Zusammenleben der Religionen
und Kulturen nicht fördert, sondern diesem im Gegenteil schadet“. Wörtlich schreiben
die Bischöfe: „Der Abstimmungskampf mit seinen Übertreibungen und Verzeichnungen hat
vor Augen geführt, dass der Religionsfriede keine Selbstverständlichkeit ist und immer
wieder neu errungen werden muss.“ Das Ja zur Initiative mache die „Probleme unübersehbar,
die sich aus dem Zusammenleben der Religionen und Kulturen ergeben“. Hauptvoraussetzung
für die Bewältigung dieser Probleme sei, „dass die Bevölkerung im Zusammenleben von
Religionen und Kulturen das nötige Vertrauen in unsere Rechtsordnung gewinnt und die
angemessene Berücksichtigung aller Interessen gewährleistet sehen“. Dies zu erreichen,
müsse die gemeinsame Aufgabe aller Menschen in der Schweiz sein. Die Schwierigkeiten
im Zusammenleben der Religionen und Kulturen wiesen „über die Schweiz hinaus“, notiert
das Statement. Das Bauverbot für Minarette werde „den bedrängten und verfolgten Christen
in islamischen Ländern nichts nützen“, ja vielleicht sogar schaden.
Die einzigen
Gewinner nach der Annahme des Minarett-Verbots sind die „Radikalen auf beiden Seiten“.
Dieser Ansicht ist der Interreligiöse Think-Tank, ein Zusammenschluss von Schweizer
Religionsexpertinnen der drei monotheistischen Religionen, die sich im interreligiösen
Dialog engagieren. Durch das Minarett-Verbot werde sich gar nichts ändern: „Ausgrenzung“
und „Unsichtbarkeit des Islams“ würden bestehen bleiben. Auch an der Zahl der Muslime
ändere sich nichts. Der Think-Tank befürchtet vielmehr, dass die Zahl derer, die sich
in ihrer „radikalen und gesellschaftsfeindlichen Haltung“ bestätigt fühlen, zunehmen
wird.
Die beiden islamischen Nationalverbände in der Schweiz bedauern das Abstimmungsergebnis
„zutiefst“. Den Initianten sei es leider gelungen, „mit ihrer verzerrenden Propaganda
Ängste bei einer Mehrheit der Stimmenden zu mobilisieren, welche nichts mit dem Islam
in der Schweiz zu tun haben“, schreiben die Verbände in einer gemeinsamen Erklärung.
Die hier lebenden Muslime würden sich zur Schweizer Verfassung und Rechtsordnung bekennen.
Umso grösser sei ihr Befremden, dass nun ihre Verfassungsrechte verletzt werden sollen.
Das Verbot, ihre Gotteshäuser mit einem Minarett zu schmücken, verstosse unter anderem
gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit. Die muslimischen Verbände betonen, trotz
allem zur Schweiz und ihren Institutionen zu stehen. Sie seien auch dankbar dafür,
dass die meisten Parteien und die „Schwesterreligionen Judentum und Christentum“ sich
für das Grundrecht der Religionsfreiheit und den Schutz der Minderheiten eingesetzt
haben. Die Sozialdemokratische Partei warnte in einer ersten Reaktion davor, Moslems
in der Schweiz auszugrenzen.