Pro Tag werden in
Afghanistan im Durchschnitt zwei Schulen angegriffen. „Bildung unter Beschuss“ ist
folglich der Titel einer Studie, die das Hilfwerk CARE, die Weltbank und das afghanische
Bildungsministerium an diesem Montag gemeinsam veröffentlicht haben. Betroffen sind
den Umfragen unter mehr als 1000 Personen zufolge vor allem Bildungseinrichtungen
von Mädchen. Auch die Präsenz von internationalen Gebern und Streitkräften erhöhe
die Gefahr. Wenn Gemeinden sich bei der Bildung selbst engagierten und Regierung sowie
Militär wenig Einfluss nähmen, könnten sich Angriffe auf Schulen reduzieren, so die
Schlussfolgerung. Einzelheiten von Birgit Pottler:
„Bildung unter Beschuss“.
Ein starkes Bild und doch weit mehr als das. Denn Angriffe auf Schulen sind ein alarmierender
Trend in Afghanistan. Im Jahr 2008 gab es 670 Übergriffe auf Schulen, dabei wurden
auch Lehrer und Schüler ermordet. Das afghanische Bildungsministerium gibt an: Zwischen
2006 und 2007 wurden bei 1145 Angriffen 230 Menschen getötet. In den einzelnen Distrikten
Afghanistans sei zwar unterschiedlich, doch die Bedrohung steige, sagt Anton Markmiller,
Hauptgeschäftsführer von CARE Deutschland. Ein ähnlicher Bericht sei von Human Rights
Watch bereits 2006 veröffentlicht worden – „leider ohne nennenswerte öffentliche Wahrnehmung“.
Markmiller: „Wir
haben in der Befragung festgestellt, dass 20 Prozent der Lehrkräfte mitteilen, dass
sie schon einmal bedroht wurden. Und zwar nach dem Muster: ,Wenn Du weiterhin dort
unterrichtest, bringen wir dich um.’ Das ist eine erschreckende Tendenz, wenn ein
Fünftel der Lehrkräfte diese Erfahrungen gemacht hat.“ Meistens werden Brandanschläge
auf Schulen verübt, wird Feuer gelegt in Gebäuden oder in Zelten, die in vielen Distrikten
die Mauern ersetzen.
„Der Angriff auf Mädchenschulen ist wesentlich häufiger
als auf Jungenschulen. In Zahlen: 40 Prozent Mädchenschulen, 32 Prozent gemischte
und 28 Prozent Jungenschulen. Da es aber wesentlich weniger Mädchenschulen gibt, ist
das natürlich eine signifikante Häufigkeit, und das Phänomen hat ganz offensichtlich
einen geschlechtsspezifischen Hintergrund.“ Nun liegen auch Schulen nicht
im luftleeren Raum und die Angriffe dürften nicht losgelöst von der „extrem unstabilen
Sicherheitslage“ und „einander widerstrebenden Machtinteressen“ in Afghanistan betrachtet
werden, so der Geschäftsführer des Hilfswerks. Dazu kommt die Historie: Nach dem Einmarsch
der Sowjettruppen 1979 regte sich massiver Widerstand gegen das aufoktruierte Bildungssystem.
Kirchliche
Einrichtungen werden heute weniger Opfer von Gewalt als staatliche, berichtet Markmiller:
„Aus
meiner Sicht liegt das daran, dass bei der Gründung und beim Betrieb dieser Schulen
viel stärker partizipative Methoden angewandt werden, dass die lokale Bevölkerung
in die Gründung und in den Aufbau einer Schule einbezogen wird und damit eine größere
Sicherheit gewährleistet ist. Die Studie hat ganz eindeutig ergeben, dass der größte
Schutz gegeben ist, wenn die Gemeinden selbst die Träger der Einrichtungen sind. Einfach
gesagt: Wenn sie die Schulen als die ihren betrachten, dann werden sie auch dafür
eintreten. Und man muss natürlich auch dafür sorgen, dass die einheimischen
Gruppen mit den potentiellen Bedrohern ins Gespräch kommen. Wenn das oppositionelle
Gruppen sind, hat die Gemeinde in der Regel einen Zugang und den muss man nutzen,
um den Sinn der Ausbildung und der Schulbildung zu vermitteln – dass sich das nicht
gegen die Bevölkerung richtet oder wie zu Sowjet-Zeiten aufoktruiert wird, sondern
dass es um die Zukunft des Landes geht.“ (rv 23.11.2009 bp)