Vor dem Welternährungsgipfel: „Hunger ist ein Verteilungsproblem“
Eine Milliarde Menschen
auf der Welt leiden Hunger. Das heißt, jeder Sechste ist chronisch unterernährt. Aus
Solidarität mit den Ärmsten der Armen hat der Chef der Welternährungsorganisation
zu einem Hungerstreik von 24 Stunden aufgerufen. Jacques Diouf nannte diese Aktion
– er selbst begann in der Nacht von Freitag auf Samstag mit dem Hungerstreik – ein
„symbolisches Zeugnis“. Der Aufruf unmittelbar vor dem Welternährungsgipfel soll Staats-
und Regierungschefs wachrütteln. Diese beraten von Montag bis Mittwoch am Sitz der
Welternährungsorganisation in Rom über Wege aus der Nahrungsmittelkrise. Zum Auftakt
spricht Papst Benedikt XVI.
Der Gipfel soll Hilfen für Kleinbauern in die Wege
leiten und eine „Grüne Revolution“ anstoßen. Der Senegalese Diouf propagiert als Direktor
der Welternährungsorganisation vor allem für Afrika Biotechnologie und modernes Saatgut.
Die
mehr als 60 Staats- und Regierungschefs stehen nächste Woche in Rom unter Zugzwang.
Denn bereits auf dem ersten Welternährungsgipfel 1996 und auf dem Millenniumsgipfel
war beschlossen worden, den Hunger bis 2015 zu halbieren. Hilfswerke wie Misereor
und Brot für die Welt hatten schon dieses Ziel als halbherzig kritisiert. In den letzten
Jahren ist die Zahl der unterernährten Menschen schneller gestiegen als die Weltbevölkerung.
Um diesen dramatischen Trend zumindest aufzuhalten, wenn nicht gar gegenzusteuern
braucht es nach Ansicht der Hilfswerke ein Umdenken: Mehrproduktion alleine reicht
nicht, Hunger ist ein Verteilungsproblem. Das sagt Alicia Kolmans. Sie vertritt das
katholische deutsche Hilfswerk Misereor beim Welternährungsgipfel in Rom. Birgit Pottler
hat mir ihr gesprochen: „Schon damals konzentrierten sich die Gipfelempfehlungen
auf eine Steigerung der Landwirtschaftsproduktion, das ist heute leider genauso. Hunger
ist aber kein Mengenproblem, sondern in erster Linie ein Verteilungsproblem. Das heißt:
beispielsweise Bauern – und Bauern sind ein Großteil der Hungernden – hungern, weil
sie nicht genug produzieren können, weil sie beispielsweise keinen oder nicht genug
Zugang zu Land haben, keinen Zugang zu Wasser und zu anderen Ressourcen wie Krediten
etc. Menschen aus der Stadt zum Beispiel hungern, weil sie nicht genügend Einkommen
haben. Es kann genug Nahrung da sein, aber wenn ich kein Geld habe, kann ich mir diese
Nahrung nicht leisten. Das sind wesentliche Probleme, und das sollte auf dem Gipfel
gesehen werden.“
Haben Sie denn Hoffnung, dass das gesehen wird? Meinen
Sie, dass seit dem letzten Gipfel dieser Paradigmenwechsel zumindest angestoßen wurde
oder das Bewusstsein in den Köpfen da ist, das ein solches Umdenken nötig ist?
„Leider
muss man sagen, dass, wenn man sich den Entwurf für die Gipfelerklärung anschaut,
diese Produktivitätsbrille immer noch da ist, d.h. wir müssen mehr produzieren, um
den Hunger zu bekämpfen. Das ist eine wesentliche Botschaft des Gipfels. Es wird ausgerechnet,
dass wir 70 Prozent mehr Nahrungsmittel produzieren müssen, um die Welt im Jahr 2050
zu ernähren. Das ist das zentrale Argument, und das, so denken wir, ist problematisch.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik müsste sich an den Bedürfnissen der Hungernden
orientieren, und wenn das passieren würde, sähe manches anders aus. Bei dem Gipfel
wird das zum Beispiel nicht gesehen: Wir erwarten eine so genannte neue Grüne Revolution,
d.h. Hochertragssaatgut, teilweise auch Gentechnik, sehr moderne Technologien in der
Landwirtschaft, die die Ertragssteigerungen unterstützen sollen. Aber genau das sind
Technologien, die sich Bauern nicht leisten können. Die Hungernden wird das nicht
erreichen.“
Welche Maßnahmen stehen denn nach Meinung der Hilfswerke an?
Gerade kirchliche Hilfswerke haben ja aufgrund der verschiedenen Gegebenheiten vor
Ort mehr Kontakt zu der einheimischen Bevölkerung und mehr Kenntnis der Bedürfnisse
als viele politische Organisationen. Werden Ihre konkreten Vorschläge denn gehört?
„Wir
hoffen, dass sie gehört werden. Ganz wichtig ist es, die Kleinbauern in den Mittelpunkt
zu stellen, eine nachhaltige Landwirtschaft und eine standortgerechte Landwirtschaft
zu fördern. Weiterhin ganz wichtig: Die Stärkung von Landrechten. Sehr zentral ist
auch ein Ende von Marktöffnungszwang und Dumping. Ein weiterer Punkt: Sicherheitsnetze
entwickeln; das ist auch sehr wichtig, sowohl in Form von sozialen Programmen, beispielsweise
auch in einer besseren Vernetzung von städtischer und ländlicher Bevölkerung sowie
auch einer Förderung einer städtischen Landwirtschaft. Parallel zum Regierungsgipfel
findet ein Gipfel der Zivilgesellschaft statt, wo diese Forderungen noch einmal zum
Ausdruck kommen und hoffentlich auch die Entscheidungen der Regierungsvertreter beeinflussen.“
Die
Ernährungskrise, die Nahrungsmittelkrise wird durch den Klimawandel noch verschärft
– jüngste Beispiele wie in Lateinamerika haben das erneut gezeigt. Nun findet in einigen
Wochen der Weltklimagipfel statt: Müsste nicht noch viel mehr Zusammenarbeit zwischen
den einzelnen Institutionen, zwischen den einzelnen Gremien geschehen, wenn wir doch
von dieser engen Verbindung zwischen Ernährungskrise und Klimawandel wissen?
„Es
passiert schon einiges an Zusammenarbeit, und das Klimathema wird auch ein wichtiger
Tagesordnungspunkt beim Welternährungsgipfel sein. Das wesentliche Problem ist, dass
auch in der Klimadiskussion die Entscheidungen zu wenig demokratisch sind, d.h. insbesondere
die Interessen der Betroffenen nicht genug berücksichtigen. Hoffnung macht in diesem
Zusammenhang zum Beispiel die Schaffung des Komitees für Ernährungssicherung, das
ist ein Gremium, das jetzt auch beim Welternährungsgipfel abgesegnet werden soll.
Es ist vorgesehen, dass in dieser Struktur auch die Zivilgesellschaft eine starke
Stimme hat. Also es gibt schon einiges an Zusammenarbeit. Es ist nicht im Wesentlichen
ein Problem der Organisationen, sondern ein Problem des politischen Willens, insbesondere
des politischen Willens, auch auf die Stimme der Betroffenen zu hören und auf ihre
Bedürfnisse einzugehen.“
Politischen Willen, etwas anzupacken und etwas
zu verändern, den hat auch Papst Benedikt XVI. in den vergangenen Wochen und Monaten
immer wieder gefordert. Jetzt spricht er zum Auftakt des Welternährungsgipfels. Kann
den seine Ansprache dem Gipfel so etwas wie eine bestimmte Richtung geben oder bleibt
sein Besuch bei der FAO eher eine protokollarische Besonderheit?
„Ich denke,
der Papst kann durchaus Einfluss haben. Seine Worte haben Autorität und finden Gehör.
In seiner Sozialenzyklika gibt es zum Thema Ernährung und Landwirtschaft auch viele
positive Punkte. Es wäre sicherlich gut, wenn er diese bei seiner Rede auf dem Gipfel
aufgreifen würde. Er unterstreicht zum Beispiel die Bedeutung des Rechts auf Nahrung
und – auch sehr wichtig – die Notwendigkeit, auch die lokalen Gemeinschaften in die
Entscheidungen über die Landwirtschaftspolitik mit einzubeziehen. Das sind allein
zwei Punkte, die wichtig wären und die sicher auch Einfluss haben können auf die anwesenden
Regierungschefs und Minister.“