Kardinal Kasper: Europa ohne Kreuz ist nicht mehr Europa
Der Ökumene-Verantwortliche
des Vatikans, Kardinal Walter Kasper, findet das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichts
gegen Kreuze in italienischen Schulen befremdlich. Das sagte er im Gespräch mit uns.
Hören Sie hier die Stellungnahme Kaspers, der den vatikanischen Einheitsrat leitet,
in einem Beitrag von Gudrun Sailer.
Kasper:
„Das ist ein sehr befremdliches
Urteil, denn das Kreuz hat die europäischen Völker geeint. Diese Völker sind ja sehr,
sehr verschieden, haben verschiedene Sprachen und Kulturen. Man muss nur mal reisen
von Südspanien nach Estland oder von Rom über Kiew nach Moskau: Überall findet man
das Kreuz. Es eint uns. Europa ohne das Kreuz ist nicht mehr Europa. Das ist ein ganz
entscheidender Gesichtspunkt. Und inmitten aller alten Städte stehen Kathedralen.
Das ist ein handgreifliches Zeichen, das die europäische Kultur ausmacht. Sollen wir
die etwa auch abreißen? Das sind ja auch religiöse Symbole. Nein. Was der Gerichtshof
meiner Ansicht nach falsch gemacht hat: Er hat ein falsches Verständnis von Toleranz.“
Natürlich
müsse man tolerant sein gegen jede Minderheit, so Kasper. Man könne niemandem den
Glauben aufzwingen. Er hält aber dagegen:
„Die Mehrheit hat auch ihre Rechte
und kann ihren Glauben bezeugen in der Öffentlichkeit. Was bleibt übrig, wenn wir
alle religiösen Symbole wegtun? Dann bleibt nur eine reine Leere übrig, dann hat Europa
keinen Inhalt mehr. Deshalb scheint mir dieses Urteil völlig verfehlt. Und ich bin
sehr glücklich darüber, dass sich jetzt in Italien offensichtlich ganz erheblicher
Widerstand regt. Es gibt da Gemeinden, die viele neue Kreuze bestellt haben, die sie
aufhängen wollen in ihren öffentlichen Räumen. Die Leute lassen sich das nicht gefallen.
So wie es sich viele Gemeinden in Deutschland zur Nazi-Zeit auch nicht gefallen haben
lassen. Hier konnten an vielen Orten die Nazis die Kreuze nicht abnehmen, weil die
Leute sie mit Zähnen und Klauen verteidigt haben. Das Urteil ist meiner Ansicht nach
ein unsinniges Urteil, ein Fehlurteil, ein Missverständnis von richtig verstandener
Toleranz.“
In Italien kommt es parallel zu den kirchlichen Stellungnahmen
auch zu einer massiven politischen Mobilisierung gegen das Anti-Kreuz-Urteil aus Straßburg.
Die Regierungspartei „Popolo della Libertà“ von Silvio Berlusconi hat jetzt mit einer
Unterschriftensammlung gegen den Beschluss begonnen. Die Regierung in Rom hatte zuvor
schon Berufung gegen das Urteil eingelegt.