Liebe Brüder und Schwestern. Meine Freude ist groß, dass ich heute mit euch das
Brot des Wortes Gottes und das Brot der Eucharistie teilen kann, hier im Herzen der
Diözese Brescia, wo der Diener Gottes Johannes Baptist Montini, Papst
Paul VI geboren wurde und als Jugendlicher seine Ausbildung erhalten hat. Mit Zuneigung
grüße ich euch alle und danke euch für euren herzlichen Empfang. Im Besonderen danke
ich dem Bischof, Monsignore Luciano Monari, für seine ausdrucksstarken
Worte, die mich zu Beginn dieser Feier erreicht haben. Und mit ihm grüße ich die Herren
Kardinäle, die Bischöfe, die Priester und Diakone, die Ordensmänner und Ordensfrauen
und alle pastoralen Mitarbeiter. Ich danke dem Bürgermeister und den anderen zivilen
und militärischen Würdenträgern. Ein besonderes Gedenken richte ich an die Kranken,
welche sich im Inneren der Domkirche befinden.
Im Zentrum des Wortgottesdienstes
am heutigen Sonntag, dem 32. Sonntag im Jahreskreis, finden wir die Gestalt der armen
Witwe, oder, um es genauer zu sagen, den Gestus, wie sie die letzten Geldstücke, die
ihr verblieben sind, in den Opferkasten des Tempels wirft. Ein Gestus, der Dank des
aufmerksamen Blickes Jesu sprichwörtlich geworden ist: „Das Opfer der Witwe“
ist gleichzusetzten mit der Großzügigkeit eines jeden, der gibt ohne das Wenige zurückbehalten
zu wollen, das er noch besitzt. Aber zuvor jedoch möchte ich die Bedeutung des Umfeldes
hervorheben, in dem sich diese Episode des Evangeliums abspielt, also der Tempel in
Jerusalem, religiöses Zentrum des Volkes Israel und Ort des öffentlichen und festlichen
Kultes, aber auch Ort der Pilgerschaft, der traditionellen Riten und der rabbinischen
Streitgespräche, wie sie in den Evangelien wiedergegeben werden, in denen Jesus sich
zwar ganz auf die Weise der Lehrmeister verhält, jedoch mit einer einzigartigen Autorität
seine Lehre weitergibt. Er geht hart ins Gericht in den Auseinandersetzungen mit den
Schriftgelehrten aufgrund ihrer Scheinheiligkeit: sie, die nach außen hin ihre Frömmigkeit
zwar zur Schau stellen, in Wirklichkeit den Armen aber ausbeuten, indem sie den Leuten
noch mehr Pflichten auferlegen, die sie selbst jedoch nicht beachten. Jesus schließlich
zeigt sich dem Tempel sehr ergeben als Haus des Gebetes, und gerade deshalb möchte
er es von allen unsittlichen Bräuchen reinigen, ja mehr noch: er will die viel tiefergehende
Bedeutung des Tempels offenbaren in der Bindung an die Erfüllung seines eigenen Mysteriums.
Die
Episode mit dem „Opfer der Witwe“ ist eingeschrieben in diesen Kontext und
führt uns, durch den Blick Jesu selbst, dazu, unsere Aufmerksamkeit an einem flüchtigen,
aber entscheidenden Punkt festzumachen: die Geste einer Witwe, ganz arm, die in den
Opferkasten des Tempels zwei kleine Münzen hineinwirft. Wie damals zu den Jüngern,
spricht Jesus auch zu uns: Habt Acht! Schaut gut hin, was diese Witwe dort tut, denn
ihr Tun ist uns eine große Lehre; es bringt das grundlegende Merkmal derer zum Ausdruck,
welche die „lebendigen Steine“ dieses neuen Tempels sind, nämlich die gänzliche
Hingabe seiner selbst an den Herrn und an seinen Nächsten. Das ist die immerwährende
Bedeutung der Opfergabe aus der Hand der armen Witwe, die Jesus rühmt, weil sie –
so sagt er es selbst – mehr gegeben hat als die Reichen, die nur etwas von ihrem Überfluss
hergegeben haben, während sie alles gegeben hat, was sie zum Leben hatte (vgl.
Mk 12,44).
Liebe Freunde! Ausgehend von diesem Bild aus dem Evangelium,
möchte ich kurz das Mysterium der Kirche bedenken, und zugleich auf diese Weise meiner
Verehrung Ausdruck verleihen in der Erinnerung an den großen Papst Paul VI, der sein
ganzes Leben dem Dienst der Kirche geweiht hat. Die Kirche ist ein konkret geistlicher
Organismus, der in Raum und Zeit das Opfer des Gottessohnes sich erstecken lässt,
ein Opfer, das im Respekt vor den Dimensionen der Welt und der Geschichte scheinbar
bedeutungslos ist, aber das entscheidende Opfer in den Augen Gottes ist. Wie es der
Hebräerbrief sagt – auch in dem Abschnitt, den wir gehört haben – hat Gott das Opfer
Jesu genügt, geopfert „ein einziges Mal“, um die ganze Welt zu retten (vgl.
Hebr 9,26.28), denn in dieser einzigen Hingabe ist die ganze göttliche Liebe zusammengefasst,
wie sich auch in der Geste der Witwe die ganze Liebe einer Frau zu Gott und zu den
Brüdern konzentriert: da fehlt einfach nichts und nichts kann hier noch hinzugefügt
werden. Die Kirche, die unaufhörlich aus der Eucharistie heraus geboren wird, ist
die Fortsetzung dieser Gabe, dieses Überflusses, der sich in der Armut ausdrückt,
und von alldem, was sich auch in Bruchstücken zur Verfügung stellt. Es ist der Leib
Christi, der sich ganz gibt, der gebrochene und geteilte Leib, in beständigem Gehorsam
gegenüber dem Willen seines Hauptes. Ich bin glücklich, dass ihr dabei seid euch in
die Natur der Eucharistie zu vertiefen, angeleitet durch den Hirtenbrief eures Bischofs.
Dies
ist die Kirche, die der Diener Gottes Paul VI mit einer leidenschaftlichen Liebe geliebt
hat und mit all‘ seiner Kraft versuchte, dies begreifbar zu machen und zu lieben.
Lesen wir erneut seine »Gedanken über den Tod«, dort, wo er im abschließenden
Teil über die Kirche spricht. „Ich möchte sagen“, so schreibt er, „dass
ich sie immer geliebt habe … und mir scheint es, dass ich für sie, nicht für anderes,
gelebt habe.“ Es sind Akzente eines pulsierenden Herzens, welches fortführt: „Ich
möchte sie schließlich in allem verstehen, in ihrer Geschichte, im göttlichen Heilsplan,
in ihrer endgültigen Bestimmung, in ihrer Komplexität, ihre völlige und einheitliche
Zusammensetzung, in ihrer menschlichen und unvollkommenen Form, in ihren Unglücken
und Leiden, in den Schwachheiten und dem Elend ihrer vielen Kinder, in den weniger
sympathischen Aspekten, und in ihrem immerwährenden Sich bemühen um Gläubigkeit, um
Liebe, um Vervollkommnung und Nächstenliebe. Geheimnisvoller Leib Christi. Ich möchte
sie umarmen, grüßen, lieben, in allem Sein, das sie bildet, in jedem Bischof und Priester,
der ihr beisteht und sie führt, in jeder Seele, die lebt und sie veranschaulicht;
gesegnet sei sie.“ Und die letzten Worte sind für sie, wie für die Braut des ganzen
Lebens: „Und zur Kirche, der ich alles schulde und die mir alles gewesen ist, was
sage ich ihr? Die Segnungen Gottes seien über dir; sei dir deiner Natur und deiner
Sendung bewusst; habe ein Gespür für die wahren und tiefen Bedürfnisse der Menschheit;
und gehe deinen Weg arm, also frei, kraftvoll und liebevoll in Richtung Christi.“
Was könnte man diesen so hohen und eindringlichen Worten noch hinzufügen?
Ich möchte nur diese letzte Vision von Kirche als „arm und frei“ hervorheben,
was uns wieder die Gestalt der armen Witwe ins Bewusstsein ruft. So muss die kirchliche
Gemeinschaft sein, um es fertig zu bringen, heute zur Menschheit sprechen zu können.
Die Begegnung und der Dialog der Kirche mit der Menschheit in dieser unserer Zeit
lagen Johannes Baptist Montini in allen Phasen seines Lebens ganz besonders
am Herzen, von den ersten Jahren seines priesterlichen Dienstes an bis zum Ende seines
Pontifikats. All seine Energie hat er hineingelegt in den Dienst an einer Kirche in
der bestmöglichsten Übereinstimmung mit ihrem Herrn Jesus Christus, so dass in der
Begegnung mit ihr (der Kirche), der Mensch gleichzeitig Ihm (dem Herrn) begegnen kann,
denn Ihn hat der Mensch absolut von Nöten. Dies ist die tiefste Sehnsucht des Zweiten
Vatikanischen Konzils, mit dem die Überlegungen von Paul VI zum Thema Kirche übereinstimmen.
Auf programmtische Weise wollte er so einige wichtige Punkte in seiner ersten Enzyklika
»Ecclesiam suam« vom 06. August 1964 darlegen, zu seinem Zeitpunkt,
wo die Konzilsdokumente »Lumen gentium« und »Gaudium et spes«
noch nicht das Licht erblickt haben.
Mit dieser Enzyklika hatte sich der Papst
vorgenommen, allen die Bedeutung der Kirche für das Heil der Menschheit zu erklären,
zugleich aber auch der Anspruch, dass zwischen der kirchlichen Gemeinschaft und der
Gesellschaft ein Verhältnis der gegenseitigen Kenntnis und der Liebe bekräftigt wird.
„Kenntnis“, „Erneuerung“, „Dialog“: diese drei Wörter sind es,
von Paul VI zu Beginn seines Pontifikats ausgewählt, um seine vorherrschenden „Gedanken“
so, wie er sie versteht, auszudrücken, und alle drei betreffen die Kirche. Vor allem
der Anspruch aber, dass sie die Kenntnis über sich selbst vertieft: Ursprung, Natur,
Sendung, endgültige Bestimmung; an zweiter Stelle das Bedürfnis der Erneuerung und
ihrer Reinigung im Hinblick auf ihr Vorbild, dass Christus ist; schließlich das Problem
ihrer Beziehung zur modernen Welt. Liebe Freunde – ich wende mich hier besonders an
die Brüder im Bischofs- und Priesteramt – ist nicht deutlich zu sehen, dass die Frage
nach der Kirche, nach ihrer Notwendigkeit im Heilsplan und in ihrer Beziehung zur
Welt auch heute noch absolut zentral bleibt? Dass sogar die Entwicklungen im Bezug
auf Säkularisierung und Globalisierung diese Frage auch tiefgreifender gemacht haben,
in der Auseinandersetzung mit einer Gottvergessenheit auf der einen Seite, und den
nicht christlichen Religionen auf der anderen Seite? Die Betrachtungen von Papst Montini
über die Kirche sind mehr als nur aktuell; sie sind ebenso ein wertvolles Beispiel
seiner Liebe zur Kirche, untrennbar verbunden mit seiner Liebe zu Christus. „Das
Mysterium der Kirche“, so können wir es in der Enzyklika »Ecclesiam suam«
lesen, „ist nicht bloßer Gegenstand theologischer Erkenntnis. Es muss eine gelebte
Wirklichkeit sein, von der der gläubige Mensch noch bevor er einen klaren Begriff
davon hat, ein gleichsam mit der Natur gegebene Erfahrung haben kann.“ Dies setzt
jedoch ein stabiles inneres Leben voraus, welches „die große Quelle der Spiritualität
der Kirche darstellt, als die ihr eigene Weise, die Ausstrahlungen des Geistes Christi
aufzunehmen, als tiefster Ausdruck ihrer religiösen und sozialen Tätigkeit und als
unverletzbarer Selbstschutz und immer neue Kraft in ihrer schwierigen Begegnung mit
der profanen Welt.“
Meine Lieben, was für ein unschätzbares Geschenk sind
die Unterweisungen des Dieners Gottes Paul VI für die Kirche! Und wie begeisternd
ist es jedesmal sich wieder in seine Schule zu begeben! Es ist eine Lehre, die alles
im Blick hat und alle in die Pflicht nimmt, gemäß den verschiedenen Gaben und Diensten,
an denen das Volk Gottes so reich ist durch das Wirken des Heiligen Geistes. In diesem
Jahr, das dem Priestertum gewidmet ist, gefällt es mir hervorzuheben, wie diese Lehre
in besonderer Weise die Priester betrifft und mit hineinnimmt, zu denen Papst Montini
stets eine besondere Zuneigung und einen speziellen Eifer übrig hatte. In seiner Enzyklika
über den priesterlichen Zölibat schrieb er: „»Ergriffen von Christus« (Phil 3,12)
und zur Ganzhingabe an ihn geführt, wird der Priester Christus auch durch jene Liebe
ähnlicher, mit der der Ewige Priester seinen Leib, die Kirche, geliebt und sich ganz
für sie hingegeben hat … Die gottgeweihte Jungfräulichkeit der Priester macht in der
Tat die jungfräuliche Liebe Christi zu seiner Kirche und zugleich die übernatürliche
Fruchtbarkeit dieses Ehebundes sichtbar“ (Sacerdotalis caelibatus,
26). Ich widme diese Worte den zahlreichen Priestern der Diözese von Brescia,
hier gut vertreten, wie ebenso den Jugendlichen, die in der Seminarausbildung stehen.
Und ich möchte auch an jene Worte erinnern, die Paul VI am 7. Dezember 1968 an die
Alumnen des Lombardischen Seminars gerichtet hat, als die Schwierigkeiten in der Zeit
nach dem Konzil mit den Unruhen aus der Welt der Jugend sich verbanden: „Viele“,
so sagte er damals, „erwarten vom Papst Aufsehen erregende Gesten, energische und
entschiedene Eingriffe. Der Papst sieht es jedoch nicht als seine Pflicht an, eine
andere Linie einzuschlagen als jenen der Vertrautheit mit Jesus Christus, dem seine
Kirche mehr am Herzen liegt als irgendetwas anderes. Er wird es sein, der den Sturm
stillen wird … Damit ist nicht ein unfruchtbares oder ein träges Erwarten gemeint:
sondern ein wachendes Erwarten im Gebet. Das ist die Voraussetzung, die Jesus für
uns gewählt hat, damit er es zur Erfüllung bringen kann. Auch der Papst braucht die
Unterstützung durch das Gebet.“ Liebe Brüder, das priesterliche Vorbild des
Dieners Gottes Johannes Baptist Montini möge euch stets leiten, und
der Heilige Arcangelo Tadini möge euch ein guter Fürsprecher sein, den
ich vorhin bei einem kurzen Halt in Botticino verehrt habe.
Während
ich die Priester grüße und ermutige, darf ich, vor allem hier in Brescia, nicht die
gläubigen Laien vergessen, die in diesem Land eine außerordentliche Lebendigkeit des
Glaubens und der Werke gezeigt haben, in verschiedenen Gebieten des Apostolats und
im sozialen Einsatz. In den Unterweisungen von Paul VI, liebe Freunde hier in Brescia,
findet ihr wertvolle Hinweise, um euch den gegenwärtigen Herausforderungen stellen
zu können, welche vor allem in der ökonomischen Krise, der Einwanderungsproblematik
und in der Erziehung der Jugendlichen bestehen. Gleichzeitig hat Papst Montini nicht
die Gelegenheit verpasst, das Primat der kontemplativen Dimension zu unterstreichen,
also das Primat Gottes in der menschlichen Erfahrung. Und deshalb darf man niemals
darin nachlassen, dass geweihte Leben zu fördern, in der Vielfalt seiner Aspekte.
Er liebte auf eindringliche Weise die vielgestaltige Schönheit der Kirche, in der
wir wiederum den Widerschein der unendlichen Schönheit Gottes erkennen dürfen, die
auf dem Antlitz Christi ersichtlich wird.
Beten wir, dass der Glanz der göttlichen
Schönheit auch unsere Gemeinschaft erleuchtet und die Kirche ein leuchtendes Zeichen
der Hoffnung für die Menschheit im dritten Jahrtausend ist. Zu dieser Gnade verhelfe
uns Maria, die Papst Paul VI am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Mutter
der Kirche erklärt hat. Amen. Radio Vatikan-Arbeitsübersetzung nach dem Redemanuskript
von Kaplan Sascha Jung.