Franz von Assisi –
ein Urbild heutiger Künstler? Der Mann, der die Renaissance einleitete? Würde man
gar nicht denken, zunächst, wenn man den Armutsprediger aus Assisi vor Augen hat.
Und doch ist ausgerechnet der heilige Franz eine Art heimlicher Patron der Künstler,
sagt der deutsche Kulturschaffende Wolfgang Storch, der in Berlin und Volterra arbeitet.
„Francesco
ist wunderbar! Er wächst auf mit einer französischen Mutter; sie spricht mit ihm Französisch;
und dann kommt der Vater aus Frankreich zurück, weil er Tuchhändler war und dort Geschäfte
gemacht hat, und nennt ihn „Francesco“ – Französling! Daher kommt der Name! So wächst
er auf und sagt von sich, er sei „illiteratus“ – stimmt nicht. Der wusste so genau
Bescheid und hat das alles gelesen – wenn er gegen die Bücher geredet hat, dann, damit
die Mönche raus in die Welt gehen: Das war für ihn das Wichtige. Er hat dieses Elend
gesehen, in dem das Heilige Römische Reich deutscher Nation um 1200 herum war, und
hat gesehen, in welchem Zustand die Kirche ist, und hat gedacht, er müsse noch einmal
von vorn, von unten anfangen. Dann hat er eine Gruppe um sich geschart, hat unten
in Assisi eine Hütte gegründet und gesagt: Hier ist unser Ort, ziehen wir los! Er
ist zum Papst gegangen, hat sich bei ihm immer rückversichert und eine Regel aufgestellt,
die der Papst mündlich angenommen hat – und so konnte er anfangen. Aber die Kraft,
die er hatte, kam aus dem Gesang, aus dem Wissen – er war ein großer Sänger. Und er
schafft die Sprache: Mit dem „Sonnengesang“ entsteht die italienische Literatur. Von
ihm bis Dante, hundert Jahre später – das ist die große Entwicklung, die er eröffnet.
Mit dieser Kraft, mit der er die Imitatio Christi gelebt hat und mit der er
sich in „Performances“ gezeigt hat – er ist wie ein großer Künstler. Der erste große
Aktionskünstler. Weil sein Vater das Geld wiederhaben wollte, was er ihm entwendet
hatte, weil er Stoffballen nach Foligno gefahren hat, um von diesem Geld die Kirche
San Damiano wörtlich genommen wieder aufzubauen… wie er dem Vater zurückgibt, was
des Vaters ist! Er gibt ihm das Geld zurück, zieht sich nackt aus und sagt in Anwesenheit
des Bischofs nackt zu ihm: „Du warst mein Vater! Mein Vater ist Gott.“ Mit dieser
Aktion beginnen eine Reihe von großen Manifestationen bis hin zu dieser ersten Installation
einer Krippe… Er baut in Greccio die Krippe nach und sagt: „Hier ist Bethlehem! Ihr
müsst nicht auf einen Kreuzzug gehen, sondern wir müssen selber bei uns anfangen.“
Mit diesen Aktionen gibt er die Kraft für den Neuanfang – und bewirkt so viel für
die Künste! Durch ihn befreit sich die Malerei von der Ikone und beginnt das, was
unsere Kunst und Kultur prägt. Darum ist er für mich – der Anfang.“
Franz von
Assisi also sozusagen auch der erste Performance-Künstler, lange vor Beuys?
„Ja!
Und ich kann keinen großen Unterschied finden zwischen Beuys und Franz… Natürlich
sind das ganz verschiedene Welten – aber der Ansatz, die Christuskraft zu gewinnen,
die ist bei Beuys wie bei Franz von Assisi dieselbe. Und diese Aktion, die er gemacht
hat, in der sich die Kunst manifestiert, um den anderen zu erreichen und eine Öffentlichkeit
herzustellen mit diesen Aktionen – das verbindet Beuys und Franz von Assisi. Hier
ist, würde ich sagen, der Kern – der „nucleus“ – unserer Kultur.“
Storch sprach
in der letzten Woche auf einer Konfernz der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Päpstlichen
Universität Gregoriana in Rom zum Thema Mittelmeer - Raum der Kultur. Dabei zeichnete
der Schriftsteller und Kuratorein ein Panorama lebhaften Kulturaustausches als Voraussetzung
dafür, dass sich spezifisch europäisches Denken herausbildete: „Deutschland ist nicht
denkbar ohne Italien, Italien nicht ohne Griechenland, Griechenland nicht ohne den
Vorderen Orient.“ Die „Weitergabe und Wiedergewinnung“ des im antiken Griechenland
Geleisteten sei über Bagdad, Toledo, Florenz und Nürnberg gelaufen. Mit dem „Symposion“,
der Darstellung eines Gastmahls mit dazugehörigem Streitgespräch, habe Platon „an
die Stelle (geführt), wo sich Philosophie, Kunst und Religion einander eröffnen“;
der darin entfaltete Begriff „poíesís“ (Machen, Tätigkeit, die etwas hervorbringt,
Schöpfung) sei zum „gemeinsamen Zentrum“ der Arbeit der Theologen, Philosophen und
Künstler geworden.
Storch zitierte Novalis mit dem Satz, dass „alle Poesie
Übersetzung“ sei: „Poesie als Übergang, als Transition, ein Hinübertragen aus einer
Zeit in eine andere“. Dies sei für den Mittelmeerraum auch heute bestimmend: „Jeder
kann den Raum finden, in dem er schöpferisch tätig werden kann. Die Künste, die Philosophie
und die Religion wechseln sich ab“.