2009-11-06 12:02:21

Franz von Assisi - der erste Performance-Künstler


RealAudioMP3 Franz von Assisi – ein Urbild heutiger Künstler? Der Mann, der die Renaissance einleitete? Würde man gar nicht denken, zunächst, wenn man den Armutsprediger aus Assisi vor Augen hat. Und doch ist ausgerechnet der heilige Franz eine Art heimlicher Patron der Künstler, sagt der deutsche Kulturschaffende Wolfgang Storch, der in Berlin und Volterra arbeitet.

„Francesco ist wunderbar! Er wächst auf mit einer französischen Mutter; sie spricht mit ihm Französisch; und dann kommt der Vater aus Frankreich zurück, weil er Tuchhändler war und dort Geschäfte gemacht hat, und nennt ihn „Francesco“ – Französling! Daher kommt der Name! So wächst er auf und sagt von sich, er sei „illiteratus“ – stimmt nicht. Der wusste so genau Bescheid und hat das alles gelesen – wenn er gegen die Bücher geredet hat, dann, damit die Mönche raus in die Welt gehen: Das war für ihn das Wichtige. Er hat dieses Elend gesehen, in dem das Heilige Römische Reich deutscher Nation um 1200 herum war, und hat gesehen, in welchem Zustand die Kirche ist, und hat gedacht, er müsse noch einmal von vorn, von unten anfangen. Dann hat er eine Gruppe um sich geschart, hat unten in Assisi eine Hütte gegründet und gesagt: Hier ist unser Ort, ziehen wir los! Er ist zum Papst gegangen, hat sich bei ihm immer rückversichert und eine Regel aufgestellt, die der Papst mündlich angenommen hat – und so konnte er anfangen. Aber die Kraft, die er hatte, kam aus dem Gesang, aus dem Wissen – er war ein großer Sänger. Und er schafft die Sprache: Mit dem „Sonnengesang“ entsteht die italienische Literatur. Von ihm bis Dante, hundert Jahre später – das ist die große Entwicklung, die er eröffnet.

Mit dieser Kraft, mit der er die Imitatio Christi gelebt hat und mit der er sich in „Performances“ gezeigt hat – er ist wie ein großer Künstler. Der erste große Aktionskünstler. Weil sein Vater das Geld wiederhaben wollte, was er ihm entwendet hatte, weil er Stoffballen nach Foligno gefahren hat, um von diesem Geld die Kirche San Damiano wörtlich genommen wieder aufzubauen… wie er dem Vater zurückgibt, was des Vaters ist! Er gibt ihm das Geld zurück, zieht sich nackt aus und sagt in Anwesenheit des Bischofs nackt zu ihm: „Du warst mein Vater! Mein Vater ist Gott.“ Mit dieser Aktion beginnen eine Reihe von großen Manifestationen bis hin zu dieser ersten Installation einer Krippe… Er baut in Greccio die Krippe nach und sagt: „Hier ist Bethlehem! Ihr müsst nicht auf einen Kreuzzug gehen, sondern wir müssen selber bei uns anfangen.“ Mit diesen Aktionen gibt er die Kraft für den Neuanfang – und bewirkt so viel für die Künste! Durch ihn befreit sich die Malerei von der Ikone und beginnt das, was unsere Kunst und Kultur prägt. Darum ist er für mich – der Anfang.“

Franz von Assisi also sozusagen auch der erste Performance-Künstler, lange vor Beuys?

„Ja! Und ich kann keinen großen Unterschied finden zwischen Beuys und Franz… Natürlich sind das ganz verschiedene Welten – aber der Ansatz, die Christuskraft zu gewinnen, die ist bei Beuys wie bei Franz von Assisi dieselbe. Und diese Aktion, die er gemacht hat, in der sich die Kunst manifestiert, um den anderen zu erreichen und eine Öffentlichkeit herzustellen mit diesen Aktionen – das verbindet Beuys und Franz von Assisi. Hier ist, würde ich sagen, der Kern – der „nucleus“ – unserer Kultur.“

Storch sprach in der letzten Woche auf einer Konfernz der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom zum Thema Mittelmeer - Raum der Kultur. Dabei zeichnete der Schriftsteller und Kuratorein ein Panorama lebhaften Kulturaustausches als Voraussetzung dafür, dass sich spezifisch europäisches Denken herausbildete: „Deutschland ist nicht denkbar ohne Italien, Italien nicht ohne Griechenland, Griechenland nicht ohne den Vorderen Orient.“ Die „Weitergabe und Wiedergewinnung“ des im antiken Griechenland Geleisteten sei über Bagdad, Toledo, Florenz und Nürnberg gelaufen. Mit dem „Symposion“, der Darstellung eines Gastmahls mit dazugehörigem Streitgespräch, habe Platon „an die Stelle (geführt), wo sich Philosophie, Kunst und Religion einander eröffnen“; der darin entfaltete Begriff „poíesís“ (Machen, Tätigkeit, die etwas hervorbringt, Schöpfung) sei zum „gemeinsamen Zentrum“ der Arbeit der Theologen, Philosophen und Künstler geworden.

Storch zitierte Novalis mit dem Satz, dass „alle Poesie Übersetzung“ sei: „Poesie als Übergang, als Transition, ein Hinübertragen aus einer Zeit in eine andere“. Dies sei für den Mittelmeerraum auch heute bestimmend: „Jeder kann den Raum finden, in dem er schöpferisch tätig werden kann. Die Künste, die Philosophie und die Religion wechseln sich ab“.


(rv 06.11.2009 sk)







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