Die Öffnung des Vatikans hin zu traditionellen Anglikanern hat vor allem in den USA
zu einer Debatte in den Zeitungen geführt: Es ist der dortige Zweig der Anglikaner
namens „episcopal church“, die mit liberalen Öffnungen zu einer Zerreißprobe innerhalb
der anglikanischen Weltgemeinschaft geführt hat. Die „New York Times“ deutet die Papst-Entscheidung
als Hinweis, dass Benedikt die Kräfte der Christen vereinen will, um vor allem gegen
den Islam und dessen Wachstum auf dem afrikanischen Kontinent vorzugehen. In Afrika
dominieren traditionellere Spielarten des anglikanischen Bekenntnisses, deren längerfristige
Allianz mit den Katholiken zumindest nicht unvorstellbar ist; ihr Wortführer ist der
nigerianische Erzbischof Peter Akinola. Allerdings hat am letzten Wochenende die traditionelle
Gruppe „Global South“, die für fast die Hälfte der Anglikaner steht, dafür plädiert,
das römische Werben zunächst einmal zu ignorieren und lieber zu versuchen, die Anglikaner
von innen her auf Kurs zu halten. – Die „Washington Post“ sieht in Benedikts Entscheidung
hingegen ein Zeichen, dass der Papst gar nicht so konservativ sei, wie oft behauptet
werde: Durch sein Entgegenkommen gegenüber anderen habe er die Dinge bei den Anglikanern
in Bewegung gebracht.
Auch in der letzten Enzyklika des Papstes, „Caritas in
veritate“ (deren Rezeption ausgesprochen zögerlich verläuft), sehen Kenner ein erstaunliches
ökumenisches Entgegenkommen des Papstes – diesmal gegenüber den Protestanten. Vatikan-Kardinal
Paul Josef Cordes weist im Gespräch mit FAZ-Korrespondent Jörg Bremer darauf hin,
dass Protestanten anders als Katholiken nie von „Soziallehre“ sprächen; sie orientierten
sich mehr an der Bibel und sprächen von „Sozialethik“. Das habe Benedikt in seiner
Enzyklika – zu deren „Gegenlesern“ Cordes zählte – in gewisser Weise nachvollzogen.
Der Papst stelle in dem Text „die überkommene katholische Soziallehre vom Kopf auf
die Füße des Glaubens“; als Theologe habe er dafür gesorgt, die Soziallehre, die sich
bisher viel mit naturrechtlichen Prinzipien beschäftigt habe, ins Innere des Glaubens
zu ziehen und mit Gottes Wort in Beziehung zu setzen. Diese neue Perspektive sehe
den Menschen nicht mehr als „Objekt“, sondern als „Akteur“, „weil er Christus erkennen
kann“. Eine Art „Umkehr in der katholischen Soziallehre“, schreibt die FAZ – und eine
Annäherung an protestantische Sichtweisen.
Wenige Tage nach der Veröffentlichung
von „Caritas in veritate“ konnte der Papst dem neuen US-Präsidenten Barack Obama eine
Kopie des Textes im Vatikan in die Hand drücken. Das Verhältnis des Vatikans zu Obama
ist auch ein Dreivierteljahr nach dessen Amtseid immer noch zwiespältig; auf der einen
Seite stehen vorsichtige Würdigungen des Präsidenten durch den früheren päpstlichen
Haustheologen Kardinal Georges Cottier oder den „Osservatore Romano“ (und übrigens
auch durch zahlreiche afrikanische Bischöfe auf der jüngst zu Ende gegangenen Bischofssynode
zu Afrika im Vatikan); auf der anderen Seite ist ein gerüttelt Maß Skepsis zu beobachten,
besonders was Obamas Haltung zu Lebensschutz und Abtreibung betrifft. Der Papst selbst
machte das deutlich, als er dem Präsidenten ein Vatikan-Dokument über Bioethik zur
Lektüre schenkte. Die italienische Zeitschrift „Radici Cristiani“ veröffentlichte
in ihrer Oktober-Ausgabe nun eine vernichtende Obama-Analyse, die auf der Vollversammlung
der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften am 1. Mai dieses Jahres im Vatikan
vorgetragen worden sei. Sie stammt aus der Feder des emeritierten Löwener Professors
für Politische Philosophie und Zeitgenössische Ideologien, Mons. Michel Schooyans.
Titel: „Obama und Blair, der neuinterpretierte Messianismus“.
Schooyans wirft
Obama nicht nur – auf einer Linie mit den meisten US-Bischöfen – „Zweideutigkeiten
in seinen Äußerungen zur Abtreibung“ vor: Der Präsident habe geradezu „das Recht eingeführt,
einige Menschenwesen“ (nämlich die Ungeborenen) „zu diskriminieren und zu selektieren“:
„In seiner vorgeburtlichen Version ist in den USA der Rassismus wieder eingeführt
worden.“ Die USA seien unterwegs „in den Totalitarismus“; Obamas „Messianismus“ werde
weltweit zu einem Anstieg der Abtreibungszahlen führen, und jetzt, wo Obamas Wille
„Quelle des Rechts“ sei, werde er auch „andere subjektive Rechte“ stärken, nämlich
„Euthanasie, Homosexualität, Drogen usw.“. „Bei diesen Programmen kann Obama auf die
Hilfe des Ehepaars Tony Blair und Cherie Booth setzen. Der vom früheren britischen
Premier gegründete Think Tank namens „Tony Blair Faith Foundation“ will nämlich die
großen Religionen wiederbegründen, so wie sein Kollege Barack Obama die Weltgesellschaft
neu aufbauen will.“ Blair war nach seinem Ausstieg aus der Spitzenpolitik vom anglikanischen
zum katholischen Bekenntnis seiner Frau übergetreten. Nun ist er als erster Präsident
des Europäischen Rates im Gespräch. Schooyans wirft Blairs Stiftung vor, die „neuen
Rechte“ ausbreiten zu wollen „und sich zu diesem Zweck der Weltreligionen zu bedienen,
die ihren neuen Aufgaben angepasst werden“. Ein neuer, politisch korrekter „Glaube“
solle „über allen Religionen stehen, als einigendes Band der Weltgesellschaft“. Genau
besehen, sei Blairs „Bekehrung“ nicht zum Nennwert zu nehmen: „Ist er überhaupt katholisch?“
Blair stehe für einen „Deismus“ und dafür, „dass die bürgerliche Macht definiert,
was jemand glauben soll“; das erinnere „eindeutig an die Geschichte des Anglikanismus“.
„Inspirateurin der mondialistisch-synkretistischen Ideologie ihres Mannes“ sei Cherie
Blair. Die Katholiken sollten sich gegen die Instrumentalisierung der Religion und
gegen einen heraufziehenden „politisch-juridischen Terrorismus“ wehren, mahnte der
Monsignore seine Zuhörer im Vatikan.