2009-10-24 17:53:34

Sonntagsbetrachtung: „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“


RealAudioMP3 Die Heilung des Blinden von Jericho ist die letzte Wundererzählung im Markusevangelium. Der Blinde wusste, dass er blind war, und schrie um Hilfe. Er wurde sehend und begab sich in die Nachfolge Jesu. Die Jünger dagegen scheinen immer noch blind zu sein. Sie ziehen zwar mit Jesus nach Jerusalem hinauf, aber sie verstehen seinen Weg nicht; bei der Kreuzigung Jesu wird der heidnische Hauptmann der Einzige sein, der sieht und begreift: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ Jesus erwartet auch von uns viel, sagt Pater Oskar Wermter in seiner Sonntagsbetrachtung für Radio Vatikan. Wenn wir ihm schließlich nachfolgen, wer weiß, wo uns dass noch hinführt, so P. Wermter

Hier das Sonntagsevangelium:
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus

Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus.
Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!
Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!
Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich.
Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.
Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können.
Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.


Lesen und hören Sie hier die gesamte Betrachtung von P. Wermter

Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, es ist nicht besonders angenehm, wenn man auffällt wie ein bunter Hund und die Leute einem nachschreien, die Kinder auf der Strasse etwa, oder die jungen Arbeitslosen an der Ecke, die so schrecklich gelangweilt sind. Der Nicht-Afrikaner, der aber ihre Sprache spricht, unterbricht für einen Moment die Monotonie, und dem muss man Ausdruck geben, indem man etwas Provokantes nachruft. – Die Leute um Jesus herum waren peinlich berührt, dass der blinde Bettler so viel Lärm machte. Jesus war schließlich wer, landesweit bekannt, und sein Auftreten in dem Städtchen war ein Ereignis, und nun wird es gestört von diesem Tölpel und Schreihals. Sie versuchen ihn zum Schweigen zu bringen. Er hat wirklich nichts zu suchen bei dieser denkwürdigen Zusammenkunft. Aber Jesus hat ihn bereits gehört. Er bleibt stehen. „Ruft ihn her!“ Nun gut, wenn Jesus das will, dann kann man nicht widersprechen. „Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich“. Das klingt schon ganz anders.
Die Ostkirche hat diesen Schrei, diesen Ruf des blinden Bartimäus, des Sohnes des Timäus, aufgenommen und in ein rhythmisch zu wiederholendes Gebet verwandelt, das Jesus-Gebet, „Jesus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner, des Sünders“ – es gibt verschiedene Varianten davon. Damit möchten die Mönche und Nonnen, die Pilger, auch die einfachen Christen der Aufforderung Jesu entsprechen, „dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen“ (Lukas 18: 1). Paulus sagt den Thessalonichern ebenfalls, „Betet ohne Unterlass“ (1 Thess. 5: 17).
Nachfolge heißt in der Gegenwart Jesu sein und leben, in der Gegenwart Jesu wachen und schlafen, arbeiten und ruhen, essen und fasten, gehen, stehen, und liegen, atmen und sich bewegen. Nachfolge Jesu heißt ständig aus sich selbst herausgehen und in Beziehung treten und in Beziehung leben, ja reine Beziehung werden und sein, wie Jesus der Sohn Beziehung zum Vater ist.
Aber so wie Jesus sagte, „Meine Speise ist es den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“ (Joh. 4: 34), so ist auch für den ‚Nachfolgenden’ die Beziehung nur echt und ganz, wenn sie das Suchen und Finden des Willens Gottes miteinschließt. In Beziehung treten heißt auch sich zur Verfügung zu stellen, über sich verfügen lassen. Aber wie und wozu? Was ist der Wille Gottes für mich? Wie suche ich ihn? Wie kann ich ihn finden?
Jesus fragte den Blinden: „Was soll ich dir tun?“ – „Rabbuni, ich möchte wieder sehen können“ (Markus 10: 51). Man lernt sehen, indem man sich dem Licht Gottes aussetzt. Man lernt den Willen Gottes tun, indem man das Einfache tut, das man schon jetzt als gottgefällig erkennen kann. Wenn man das tut, wird sich das Weitere ergeben. Man kann aber nicht sagen: erst muss ich genau wissen, was ich tun soll, ich muss es genau prüfen und examinieren, wenn ich dann sicher bin, dass es vernünftig ist, dann werde ich es tun. So ist das wirkliche Leben nicht: man lernt Schwimmen, indem man ins Wasser springt.
Ich hatte einen Mitbruder, der begeisterter Lehrer war und sich am liebsten in einem Klassenraum mit afrikanischen Kindern aufhielt. Er starb im simbabwischen Buschkrieg, 1978. Er pflegte sein pädagogisches Grundprinzip wie folgt zu umschreiben: ‚Wenn Du lernen willst, wie man Fahrrad fährt, musst Du Fahrrad fahren, und darüber nachdenken, wie Du noch besser Fahrrad fahren kannst.’ Man könnte auch sagen: Du lernst schwimmen, indem Du schwimmst. Du lernst zu beten, indem Du betest. Du lernst den Willen Gottes tun, indem Du anfängst ihn zu tun, wo immer sich dazu eine Gelegenheit bietet. Je mehr Du Dich auf Gott einlässt und dabei aus Dir heraustrittst, um so mehr wird Gott sich Deiner bedienen. Bartimäus, als er wieder sehen konnte und Jesus sehen konnte, war das noch nicht genug, er musste ihm nachfolgen, hinter ihm hergehen, seinen Weg ausmachen und beschreiten.
Das Jesus-Gebet hat die Form einer Bitte, aber sie ist recht allgemein gehalten, und es geht gar nicht um etwas Bestimmtes, um das gebeten wird. Menschliche Bedürftigkeit zeigt sich und die Hoffnung auf göttliche Fülle und Erfüllung. Im Übrigen aber ist es Ausdruck der Hoffnung auf Gemeinschaft mit dem Herrn und Bereitschaft mit ihm in Beziehung zu treten und zu bleiben. Wenn das Büro abgeschlossen ist, die Arbeit am Word-Prozessor zu Ende ist, ich jetzt im Wagen hinter dem Steuer die Arbeitsgedanken beiseite lege, meldet sich das Jesus-Gebet von selber und nimmt mich in seinem Rhythmus mit. Und in Gemeinschaft mit dem Sohn, der immer selber in Gemeinschaft ist mit dem Vater, macht mich der Geist beider bereit für das, was auf mich wartet am Ende der viertelstündigen Autofahrt: da warten Gemeindemitglieder auf mich mit Bitten und Fragen, da ist schon die Gemeinde versammelt zur Eucharistie, da sind andere, die auf das Sakrament der Versöhnung warten, die nicht übersehen werden dürfen, Leiter verschiedener Gruppen wollen Krisensituationen besprechen, einmal die Woche besprechen wir die Liturgie des folgenden Sonntags, besonders auch die Schrift-Texte des Tages.
Man kann Gott finden in allen Dingen, sagen die geistlichen Lehrer. Ein schöner, aber sehr allgemeiner Satz. Doch die Wahrheit ist konkret, und ich kann Gott nicht in allen möglichen, beliebigen Dingen finden, sondern nur gerade da, wo meine Sendung und meine Aufgabe mich hinführt. Wenn ich von dieser ganz bestimmten Situation davonlaufe woanders hin, so wie der Prophet Jonah von Ninive, werde ich verloren unter dem Strauch sitzen und eben nicht in der Gegenwart des Herrn sein. Der Weg, auf dem Bartimäus Jesus nachfolgte, war ein ganz bestimmter, nicht ein beliebiger Weg.
Die Liturgie der Kirche hat dem Evangelium von Bartimäus einen Text des Propheten Jeremiah vorgeordnet. „Der Herr hat sein Volk gerettet, den Rest Israels. / Seht, ich bringe sie heim aus dem Nordland / und sammle sie von den Enden der Erde, darunter Blinde und Lahme / Schwangere und Wöchnerinnen; / als große Gemeinde kehren sie hierher zurück. / Weinend kommen sie, / und tröstend geleite ich sie./ Ich führe sie an wasserführende Bäche, / auf einen ebenen Weg, wo sie nicht straucheln. / Denn ich bin Israels Vater, / und Efraim ist mein erstgeborener Sohn.“ (Jeremiah 31: 7 -9). Bartimäus, Sohn des Timäus, ist wie einer, der aus der Gefangenschaft befreit wieder heimgeleitet wird. Jesus erfüllt, was der Prophet angesagt hat.
Oft ist die Rede des Propheten öffentliche Schelte, die ihm Verfolgung, Schimpf und Schande einbringt. Heute ist es eine Trostrede. Aber das macht ihn nicht zum Schönredner und Hofpropheten, der dem König schmeichelt. Israel ist am Boden zerstört, die Mächtigen liegen dar nieder. Doch Yahwe nennt sich „Israels Vater“, was ganz selten ist in der Hebräischen Bibel. Die Mächtigen haben sich als hohl und unzuverlässig erwiesen, doch Yahwes Sorge um sein Volk hört nicht auf. Und Jeremiah ruft zur Hoffnung auf.
Hoffnung in einer Situation der Unterdrückung und des Elends ist keine Bestätigung des „Status quo“. Ganz im Gegenteil, es ist eine Aufforderung, das gegenwärtige Elend nicht zu akzeptieren, sondern sich dagegen aufzulehnen, unter der Führung Gottes, des Vaters, des Sorgenden und Sich Erbarmenden.
Als im Jahre 2005 Polizei und Armee in unseren Stadtteil einbrach und alle angeblich illegal gebauten Unterkünfte demolierte und die Bewohner, einschließlich der Alten und Schwachen, der Tuberkulose-Kranken und HIV-positiven, vertrieb und verjagte, da konnte man immer wieder hören, nachdem der erste Schock vorbei war, „Da kann man nichts machen!“ – Letztes Jahr haben die Herrschenden die Aufmüpfigen so brutal verdreschen lassen, dass aller Widerstand zusammenbrach. – „Da kann man eben nichts machen“.
Das prophetische Wort der Hoffnung sagt, „Keineswegs. Dies ist nicht das Ende. Da kann man was machen. Ihr seid Söhne und Töchter Gottes, des Vaters, Brüder und Schwestern des Sohnes und seid getauft im Heiligen Geiste. Besteht auf Eurer Würde als Menschenkinder, Gotteskinder, besteht auf Recht und Freiheit, die der Schöpfer Euch gegeben habt. Nutzt jede Gelegenheit, Euch zu behaupten. Besteht öffentlich auf dem Recht auf Leben und Gesundheit. Besteht auf dem Recht zu Erziehung für Eure Kinder. Fegt die Strassen und beseitigt den Schmutz und den Müll, in dem die Herrschenden in ihrer Unfähigkeit und ihrer Verachtung für Euch versinken lassen. Sprecht, wo man lieber Schweigen sähe, und sei es auch nur mit den Worten auf einem T-Shirt, das Ihr tragt und öffentlich zeigt. Ohne Gewalt aber auch ohne Furcht. Das Wort der Hoffnung nimmt Euch nicht alle Lasten ab, aber es gibt Euch den Mut, sie anzupacken und wegzutragen.
Bartimäus, ein blinder Bettler, hat sich nicht gescheut laut zu schreien und sich Gehör zu verschaffen. Er ist nicht sitzen geblieben und hat nicht gedacht, „Was soll’s? Da kann man halt nichts machen. Solange ich nur ein paar Almosen bekomme, und davon lebe kann...“ Nein, er ist aufgesprungen und hat nicht geschwiegen. Jesus hat ihn sprechen lassen.
Jesus erwartet das auch von uns. Wenn wir ihm schließlich nachfolgen, wer weiß, wo uns dass noch hinführt.
Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, die Sie mir geschenkt haben, und sage Guten Abend und Auf Wiedersehen.

Oskar Wermter SJ

 
(rv/schott 24.10.2009 mg)







All the contents on this site are copyrighted ©.