2009-10-22 15:05:00

Afrika-Synode: Migration mit Kurs auf die Festung Europa


Migration von Afrika nach Europa ist eines der sozialen Themen, das den afrikanischen Bischöfen bei ihrer Synode im Vatikan besonders unter den Nägeln brennt. Ein reales Problem, das viele Facetten hat. Zum einen das Drama der Boatpeople auf dem Mittelmeer mit Kurs auf die „Festung Europa“, zum anderen der Aderlass bestimmter afrikanischer Regionen an Jugendlichen und wertvollen Arbeitskräften. Viele afrikanische Synodenväter zeigten sich in ihren Stellungnahmen geradezu verärgert über die abwehrende Haltung Europas gegenüber afrikanischen Bürgern, hat Gudrun Sailer beobachtet.

Ob ein Asylantrag angenommen oder abgeschmettert wird, ist derzeit für Migranten in der EU ein Hasardspiel. Jedes der 27 EU-Länder entscheidet auf eigenen Grundlagen. Nun arbeitet die Europäische Union daran, das Asylrecht zu vereinheitlichen; einen entsprechenden Vorschlag hat die EU-Kommission an diesem Mittwoch präsentiert. Was bei der Asyl-Debatte in Europa aber meistens völlig aus dem Blick bleibt: Migration ist ein Menschenrecht. Daran erinnerte bei der Afrika-Synode unter anderem Charles Palmer Buckle, Erzbischof von Accra in Ghana:

„Menschen haben das Recht, hinzuwandern wo sie wollen. Wenn Europa versucht, andere Leute aus Europa auszuschließen - und manche Regelungen sind jetzt vorgekommen, die gegen das Menschenrecht verstoßen -, dann fragen wir: Was hat das zu bedeuten für Europa, das uns in Afrika die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gebracht und immer darauf gedrängt hat, dass unsere Regierungen hier die Menschenwürde und die Menschenrechte wahren?“

Ganz ähnlich sieht es der nigerianische Prälat und Synodenvater Obiora Ike, der seinerzeit in Bonn und Innsbruck Theologie studierte.

„Wir haben es mit einer neuen Migration zu tun, aber die ganze Welt war immer in Bewegung. Die ganze Welt ist nichts anders als eine Migration von einer Agrargesellschaft zu einer Industriegesellschaft. Es gehört zu unserem Menschsein und unserer Kultur, zu gehen wo man Platz findet und Möglichkeiten hat.“

Die neuen EU-weit einheitlichen Regelungen der Frage, wann ein Asylantrag anzunehmen ist, sehen unter anderem vor, dass Aufnahmeverfahren in erster Instanz binnen sechs Monaten abgeschlossen sein sollen. Außerdem müssen die Behörden des jeweiligen Landes Asylsuchende über ihre Rechte informieren. Das gelte auch für Bootsflüchtlinge aus Afrika, sagte Justiz- und Sicherheitskommissar Jacques Barrot. Ein klarer Verweis auf Italien, das seit einigen Monaten die Praxis pflegt, Boote mit afrikanischen Flüchtlingen einfach zurück zur libyschen Küste zu eskortieren, ohne etwa zu prüfen, ob im Herkunftsland der Betreffenden ein blutiger Bürgerkrieg tobt, was eindeutig Asylgrund ist. Obiora Ike:

„Afrikaner wollen überhaupt nicht nach Europa kommen. Sie kommen aufgrund von Mängeln, wirtschaftlichen oder politischen, wegen Unterdrückung, Kriegen. Niemand soll sagen, bleib doch in einer Kriegsfront, wo Bomben fallen. Wir haben über 15 Millionen Vertriebene, Leute, die ihre Heimat verlassen müssen. Denken wir an Darfur.“

Doch anstatt soziale Gründe als Asylmotive zu beachten, habe die EU ausschließlich ihre Wirtschaft im Blick, kritisiert Erzbischof Palmer Buckle. Die europäischen Länder nähmen eine „Selektion“ von Einwanderern aufgrund ihrer Bildung vor – nicht aufgrund ihrer Schutzwürdigkeit.

„Leute mit Ausbildung kommen ganz einfach an Visa und erhalten alle Unterstützung, um hier in Europa zu bleiben und sich einzubringen. Warum muss man diese Selektion vornehmen einerseits in das, was Europa gefällt und andererseits das, was es weniger gut findet? Wir beklagen uns ganz besonders über diese Ungerechtigkeit. Unsere Leute kommen hierher, sind Migranten und Asylbewerber. Aber ihre Menschenwürde, die müssen wir verteidigen.“

Palmer Buckle lobt die europäischen Ortskirchen wegen ihres Einsatzes für Migranten ausdrücklich, meint aber, vielleicht sei da noch nicht genug getan. Auch Obiora Ike findet: Das Potential der europäischen Katholiken, ihre Bereitwilligkeit, Fremde aufzunehmen, ist noch nicht so recht ausgeschöpft.

„Migration ist ein Thema, as afrikanischen Bischöfen und der ganzen Weltkirche am Herzen liegt. Einmal: Migranten sind Menschen, sie haben Respekt verdient. Sie haben vieles verlassen und verloren, sie müssen ein Trauma verarbeiten. Sie haben Kinder, die zur Schule gehen. Und Jesus sagt – ich war obdachlos, ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Das ist ein Auftrag des Evangeliums!“

Wenn die EU sich nun eine einheitliche Grundlage für Asylanträge geben will, findet Ike das grundsätzlich in Ordnung:

„Dass die EU eine Ordnungssicherheit hat - das darf sie. Nur soll das auf eine Art sein, dass man nicht Afrikaner diskriminiert. Und wir sehen, dass das gemacht wird.“

Doch wenn der nigerianische Priester auf die Jahrhunderte der Ausbeutung Afrikas durch den Westen zurückblickt, hält er solche Regelungen, die möglicherweise in Jahren in Kraft treten, für eher kleinlich.

„Es waren europäische und amerikanische Sklavenhändler, die mehrere Jahrhunderte lang Afrikaner geholt und gegen ihren Willen auf die Plantagen gebracht haben. Man hat sie wie Waren verkauft. Am Ende der Sklavenhändlerei sind Europäer nach Afrika gekommen. Man hat sie nicht eingeladen, und sie haben auch keinen Visaantrag gestellt. Sie haben Afrika unter sich aufgeteilt - Schwarzafrika, deutsches Afrika, französisches Afrika. Man hat die Afrikaner nicht gefragt, dürfen wir kommen? Man kam einfach, nahm Ressourcen, nahm Menschen, regierte, und Afrikaner dürfen nicht darüber reden. Am Ende der Koloniezeit hat man Afrikaner in Verwirrung zurückgelassen, dann kam der Kalte Krieg, und Afrika war Schauplatz. Jetzt sind Ost und West versöhnt, und Afrika ist der Feind. Und dann fragt man nach Gerechtigkeit? Welche Gerechtigkeit? Es ist doch eine Frage der geschichtlichen Tatsachen: Man hat einen Kontinent 400 Jahre lang versklavt, 100 Jahre lang kolonisiert, dann kamen Globalisierung und Neo-Kolonialismus. Ein paar multinationale Konzerne haben größere Budgets als die von 53 afrikanischen Nationen zusammen!“

Freilich habe auch und gerade Afrika selbst einen Auftrag, gegen Migration zu kämpfen, das heißt, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Jugendliche ihre Zukunft im eigenen Land sehen. Korrupte Regierungen seien abzuwählen, Gesundheitswesen und Bildung zu stärken.

„Wenn wir in Afrika Infrastrukturveränderungen haben, gute Straßen, Strom fließt, Schulen sind gebaut, warum müssen wir Millionen unserer Ärzte und Lehrer im Ausland haben? Einmal hat man sie mit Gewalt dorthin gebracht, und jetzt gehen einige von ihnen freiwillig dorthin. Aber Afrika gibt nicht auf, denn in vielen Ländern Afrikas, in Südafrika, Nigeria, Kenia, Tansania, gibt es eine Demokratie von unseren eigenen Kräften aus. Denn die afrikanischen Menschen glauben an sich selbst“ Wir haben einen Glauben an Gott, das ist uns gegeben, und wir haben einen Glauben an den Menschen. Und wenn man uns nicht stört, sodass wir unsere Sachen in Ordnung bringen können, sind wir in der Lage, Verbesserungen zu machen. Afrika hat viele Freunde, die uns unterstützen für eine verlässliche, ehrliche, langfristige Entwicklung. Und letztlich: Wenn Afrika steht, steht Europa.“

(rv 22.10.2009 gs)







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