Die Katholische Soziallehre
heute für Europa fruchtbar machen: Diesem Ziel dienten die Ersten Katholischen Sozialtage
für Europa, die am Sonntag im polnischen Danzig zu Ende gingen. Organisiert wurden
sie von den EU-Bischofskonferenzen (Comece); Teilnehmer waren rund 400 Männer und
Frauen vom ganzen europäischen Kontinent, darunter auch vierzig Bischöfe. Die Abschlusserklärung
ruft nach „Solidarität“ und einer „Strategie des Gemeinwohls“. Familien müssten gestärkt
werden; in ganz Europa sollte es möglich sein, dass Eltern die Erziehung von Kindern
mit ihrem Berufsleben vereinbaren können. Eine einheitliche europäische Immigrations-
und Asylpolitk sei nötig, die die Menschenwürde eines jeden Migranten achte und klar
Rechte und Pflichten als Grundlage für die Integration regle. Die Wirtschaft müsse
sich als „Dienst an allen Menschen“ verstehen.
„Diese Sozialtage sind ja die
ersten ihrer Art“, sagte uns in Danzig der Mailänder Kardinal Dionigi Tettamanzi.
„Ich finde, sie sind eine gute Idee – da kann was draus werden! Auf die Dauer müssen
wir eine Strategie finden, um sicherzustellen, dass Europa weiter christlich inspiriert
wird, gerade im sozialen Bereich. Politiker reden da immer gerne von Solidarität,
Subsidiarität, der Sorge für den Nächsten – und das sind ja nun gerade die Kernwerte
der katholischen Soziallehre!“
(rv 12.10.2009 sk) Wir dokumentieren
hier die Erklärung von Danzig im vollen Wortlaut.
Danzig / Polen, 8.-11.
Oktober 2009 Solidarität ist die Zukunft Europas «Eure Söhne und Töchter werden
Propheten sein. Eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer haben Visionen.»
(Joel 2,28)
1. Am 1. September 1939 markierten Schüsse auf der Westerplatte
den Beginn des blutigsten Konfliktes der Weltgeschichte, der im Verlust von über 60
Millionen Menschenleben gipfelte. Aus der Suche nach Versöhnung in Folge dieser Tragödie
wuchs jenes Projekt von Freiheit, Frieden und Fortschritt, das wir heute Europäische
Union nennen. Siebzig Jahre später sind Delegierte aus 29 europäischen Ländern zu
den ersten Katholischen Sozialtagen für Europa nach Danzig gekommen, wo der Kampf
von Arbeitern und Intellektuellen für die humane und soziale Dimension der Arbeit
den Weg zum Fall des Eisernen Vorhangs und zur Europäischen Einigung geführt haben.
Hier in Danzig - auf der ersten von hoffentlich vielen derartigen Versammlungen -
haben wir über die Bedeutung der Solidarität (solidarnosc) und ihre Zukunft in Europa
nachgedacht. Inspiriert aus dem Evangelium und der Katholischen Soziallehre machen
wir Vorschläge, um das Gemeinwohl in Europa voran zu bringen.
2. Wir sind überzeugt,
dass unsere Generation die Herausforderung erneut annehmen muss, eine «Strategie für
das Gemeinwohl» zu entwickeln, auf dem Grundsatz «Dient einander in Liebe.» (Gal 5,13).
Dieser Grundsatz verlangt, dass der Staat und die öffentlichen Institutionen Freiräume
für selbstbestimmtes Handeln achten und die sozialen Beziehungen stärken, damit jeder
Mensch seine ganzen Möglichkeiten ausschöpfen kann. Dazu müssen wir unsere Institutionen
mit dem Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip erfüllen. Diese Strategie setzt
eine gerechte Demokratie voraus, die nur mit verantwortungsvollen Beiträgen aller
möglich ist. Wie die Weltwirtschaftskrise lehrt, müssen Egoismus, Utilitarismus und
Materialismus Platz machen für das Teilen. Solidarität muss ein Leitprinzip wirtschaftlichen
Handelns werden. Die unveräußerliche Würde menschlichen Lebens ist von der Empfängnis
bis zum natürlichen Tod zu achten. Ebenso sind der Fremde, der an unsere Tür klopft,
und künftige Generationen zu achten. Wir leben in Gesellschaften mit beträchtlichem
Bewusstsein für individuelle Rechte - bis dahin, dass manche Verantwortung nur für
sich selbst anerkennen. Wir betonen, dass Solidarität jede/n von uns verpflichtet
- nur so verhindern wir, dass Rechte nebulos in der Luft hängen bleiben. Wir brauchen
keine Furcht zu haben: Solidarität ist unsere gemeinsame Zukunft. Die Einheit Europas
war der Traum Weniger. Sie ist zur Hoffnung Vieler geworden. Heute müssen wir gewährleisten,
dass sie auch weiter dem Ziel globaler Solidarität dient. Wir sollten nicht in Apathie
oder einen neuen Nihilismus verfallen. Wir müssen mehr Vertrauen in die Kreativität
der Menschen setzen, Europa auf der Basis von Werten zu gestalten.
3. Für
uns bedeutet Solidarität ein persönliches und kollektives Engagement in drei Hauptrichtungen: Solidarität
zwischen den Generationen: - Unterstützung und Schutz für die Familie, auf Basis
der Ehe von Mann und Frau, und Verhältnisse, die es Eltern erlauben, Kinder zu erziehen
und Beruf und Familie zu vereinbaren; - Einführung einer einheitlichen europäischen
Immigrations- und Asylpolitk, die die Menschenwürde eines/r jeden Migranten/in achtet,
mit klaren Rechten und Pflichten als Grundlage für ihre Integration; - Neuorientierung
unseres persönlichen Lebensstiles und des Wirtschaftswachstums, um unseren ökologischen
Fußabdruck und den Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen generell zu verkleinern,
damit wir den nachkommenden Generationen einen bewohnbaren Planeten weiterreichen
können. Solidarität innerhalb Europas: - Ausrichtung der Wirtschaft am Dienst
an allen Menschen, indem der Wert menschlicher Arbeit in allen Formen anerkannt wird
- bezahlt, unbezahlt und ehrenamtlich. Die europäische Soziale Marktwirtschaft muss
den neuen Herausforderungen angepasst werden; - Schutz der am meisten Verwundbaren
von uns, soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen für alle in unseren Gesellschaften,
effektivere Maßnahmen, um Armut und sozialen Ausschluss zu verringern; - Schaffung
einer Politik der Steuerung der Finanzmärkte auf EU-Ebene und Einsatz für wirksame
Strukturen der internationalen Regulierung. Solidarität zwischen Europa und der
Welt: - Einhaltung unserer Versprechen an die Entwicklungsländer und Einführung
einer «Gemeinsamen Entwicklung» mit den ärmsten Ländern der Welt, speziell in Afrika; -
Weiterentwicklung von fairem Handel (fair trade) auf nationaler und EU-Ebene; -
Frieden und Gerechtigkeit, aufbauend auf Menschenwürde, Menschenrechten, insbesondere
Religionsfreiheit. Zur vollen Umsetzung dieser Ziele müssen die öffentlichen Finanzen
sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene entsprechend angepasst werden. Alle Bürger/innen
Europas, die diese Ansichten teilen, müssen sich persönlich zur Umsetzung engagieren
und und politische Verantwortung auf allen Ebenen, wo es sinnvoll ist, übernehmen.
4.
Die ganzheitliche Entwicklung der Menschen und der Völker voran zu bringen ist eine
Berufung, die uns erst zu dem macht, was wir sind. Als Christ/inn/en sind wir auf
Transzendenz hin offen. Es ist unsere Berufung, das Geschenk der Geschwisterlichkeit,
im Vertrauen auf Gottes Beistand, froh anzunehmen und seine Werkzeuge zu werden, auch
wenn es persönlichen Verzicht bedeutet. Europa braucht im Glauben gereifte Männer
und Frauen, die im Namen Jesu Christi bereit sind, andere mit offenen Armen zu empfangen
und für den Aufbau von Beziehungen und Institutionen der Solidarität einzutreten,
im Dienst an den Menschen unserer Zeit und in Achtung vor den Generationen, die nach
uns kommen. Mit Männern und Frauen anderer Überzeugung möchten im Dialog bleiben und
für das Gemeinwohl zusammen arbeiten.