Was ist wirklich wichtig,
was ist wirklich von Gewicht, was zählt am Ende wirklich, was ist unverzichtbar, worauf
müssen wir wirklich alles setzen, worum geht es am Ende? Dieses „am Ende” – dem stellen
wir uns nicht. Wir nehmen das Leben in Häppchen. Erst mal durch die Schule kommen
und gute Zeugnisse bekommen. Dann einen Platz an einer Hochschule, eine gute Berufsausbildung,
eine Karriere, ein gutes Einkommen. Eine Freundin und gute Freunde. Und dann? Ist
das alles? Diese Fragen stellt der Jesuit Oskar Wermter in seiner Betrachtung zum
28. Sonntag im Jahreskreis. Seine Fragen und Antwortversuche sind geprägt von der
Realität Simbabwes, er lebt dort seit mehreren Jahrzehnten:
Weisheit Die
erste Lesung dieses Sonntags stellt uns jemanden vor, der radikaler zu fragen versteht
und auch eine entsprechende Antwort findet. Ist da etwas, das noch wichtiger ist als
all das, was wir eben aufgelistet haben? Ja. Er nennt diesen Schatz, gegenüber dem
alle anderen Schätze nicht mehr als ein bisschen Sand sind, WEISHEIT. Weisheit
befähigt uns, die Dinge zu durchschauen, ja genau die Frage zu beantworten, die wir
am Anfang gestellt haben. Sie lehrt uns zu sehen, was wirklich zählt, worauf es wirklich
ankommt. Sie öffnet die Augen für das, was noch mehr ist als Erfolg, Karriere, ein
gutes Einkommen, kurz und gut, Glück und was so allgemein als Liebe verstanden wird.
Weisheit ist kein besonders populärer Begriff heutzutage, es klingt ein bisschen
altmodisch, hausbacken, von gestern oder vorgestern, eigentlich ein bisschen aus der
Mode in unserer Postmoderne, die Überkommenem nicht traut, wir verbinden Weisheit
eher mit alten Leuten und Altweibergeschichten. Ein unbedingter, unabkömmlicher, ja
absoluter Wert ist sie wohl für die meisten von uns nicht.
Wahrheit Machen
wir mal ein kleines Experiment und ersetzten Weisheit mit WAHRHEIT. Und lesen dann
den Text noch einmal. Für Wahrheit können auch wir uns noch leidenschaftlich einsetzen,
für Wahrheit lohnt es sich zu kämpfen, zum Beispiel wenn wir uns für Informationsfreiheit
einsetzen, uns über Lügen empören und Heuchelei verachten. Als Publizist verbindet
mich die Suche nach Wahrheit und der verantwortliche Umgang mit Informationen mit
vielerlei Kollegen, von denen viele in Fragen des Glaubens mir etwas reserviert gegenüber
stehen. Aber in einem Lande, wo die Medien weitgehend Staatsmonopol sind und Informationen
nur nach politischen Rücksichten ausgegeben werden, also manipuliert sind, da muss
man schon eine gewisse Leidenschaft für die Wahrheit entwickeln, wenn man weiterhin
im Pressebereich arbeiten will, ohne den Respekt vor sich selbst zu verlieren. Denn
die Mächtigen sind schamlose Lügner und erwarten, dass Presseleute ihre Lügen fraglos
an die Öffentlichkeit weitergeben. In einer Atmosphäre, wo ständig dieselben Propaganda-Lügen
wiederholt werden, entwickelt man einen Hunger nach Wahrheit, nach Licht und Klarheit.
Die besten unter den Kollegen sind von diesem Verlangen angetrieben und nehmen dafür
sogar ziemliche Risiken auf sich.
Leben überhaupt Im
Markus-Evangelium von morgen begegnen wir einem Mann, der nach mehr als dem Gewöhnlichen
und Üblichen sucht, er nennt es „das ewige Leben“, das er „erben“ will. Man sollte
darunter nicht einfach jenseitiges Leben verstehen, sondern das eigentliche, wesentliche
Leben, den Sinn von Leben überhaupt, Erfüllung und Fülle des Lebens. Er ist einer,
der sich mit den verschiedenen „Häppchen“, die das Leben anzubieten hat, nicht zufrieden
gibt. Er will Leben überhaupt. Er ist ein Mann, der zweifellos einen weiteren Horizont
hat als die meisten, aber selbst ihm geht die Luft aus, angesichts der Antwort, die
ihm Jesus gibt. Damit hat er nicht gerechnet, dass er und seine Lebensweise derart
in Frage gestellt würden; er der erstaunlicherweise von sich behaupten kann, dass
er alle Gebote hält. Wer kann das schon von sich sagen?
Armut „Geh
und verkauf , was Du hast, und gib das Geld den Armen. So wirst Du einen bleibenden
Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!” (Markus 10.21) Er soll seinen
Wohlstand aufgeben und die Armut wählen? Armut heißt Abhängigkeit und damit Unfreiheit,
es ist tägliche Sorge und Unsicherheit, ob man morgen auch noch genügend haben wird,
um die Familie satt zu bekommen, ob man auch die Miete und die Stromrechnung, die
Müllabfuhr und das Wasser bezahlen kann. Armut heißt Wohnungsnot und Streit mit den
Nachbarn, die einem viel zu nah auf der Pelle sitzen, mit der Schwiegertochter, die
eigentlich woanders wohnen sollte, aber sich das nicht leisten kann. Armut ist Arbeitslosigkeit
und Angst vor der Polizei, die einen jederzeit belästigen kann, weil der Straßenhandel,
den man betreibt in Ermangelung einer Arbeitsstelle, oder der Gemüseanbau auf öffentlichem
Bauland illegal sind. Armut heißt Krankheit und früher Tod : „er das streikende staatliche
Krankenhaus und den privaten Arzt nicht bezahlen kann, hat den Kampf ums Dasein verloren.
So jedenfalls beobachte ich das Tag für Tag in meiner Gemeinde in Mbare in Harare
in Zimbabwe, das 80 Prozent Arbeitslosigkeit hat und dessen Wirtschaft so kaputt ist,
dass es nicht einmal mehr eine eigene Währung hat. Wo Armut sich weniger drastisch
darbietet, etwa in Deutschland, umgeben die Leute Armut und die Armen mit einer gewissen
Romantik, besonders in gewissen kirchlichen Kreisen. Ich kann solchen Mitchristen
versichern, dass an der Armut nichts romantisch ist. Sie ist schmutzig und laut, sie
riecht unangenehm und ist vulgär. Und, was bei deutschen Freunden besonders unangenehm
auffallen würde, sie kümmert sich nicht um die Umwelt, verpestet die Luft und verseucht
das Wasser.
Unsicherheit „Er ging traurig davon, denn
er war sehr reich.“ Geld, pflegen wir zu sagen, macht nicht glücklich, aber es
beruhigt so. Kann ich bestätigen. Und nun soll der wohlhabende Mann, der von den Härten
der Armut gut geschützt ist, die Unsicherheit der Armen und ein Leben in ständiger
Sorge riskieren? Wofür? Nicht Haben und Besitzen, der Besitzstand also, das Stehen
auf Besitz, der Selbststand, das sich selber in der Hand haben sind das Rechte, das
Geforderte, von Jesus Erwartete, sondern Beziehung, in Beziehung sein, über sich selber
auf den Anderen hin ausgerichtet sein. – Wir sind existentiell arm. Was immer wir
haben und besitzen mögen, wir verdanken es anderen, nicht uns selber. Das will der
„self-made man” oder die „self-made woman” von heute nicht gerne hören. Wir verdanken
uns unseren Eltern, Geschwistern, Lehrern, Freunden, Gefährten, Kollegen, früheren
Generationen, die uns unsere Kultur vererbt haben. Letztendlich und in einem allumfassenden
Sinne verdanken wir uns dem Schöpfergott. Unser Sein ist geschenktes Sein.
Beziehung „Dann
komm und folge mir nach!” Lebe Dein Leben in der ständigen Beziehung zu mir, in einer
bleibenden Bindung und Ausrichtung, lebe auf mich hin, Tag und Nacht, alle Tage. Jesus
selber lebt so. Er lebt ganz und gar auf den hin, den er „Abba” nennt, lieber Vater,
seinen Gott und unseren Gott. Diese „Abba” Beziehung – er sprach von ihr am Tag und
machte sie explizit im Gebet, allein, auf dem Berg in der Nacht – war so auffällig,
so ungewöhnlich, so tief beeindruckend und geradezu umwerfend für die Jünger und Jüngerinnen,
dass das „Abba” – Wort in der aramäischen Muttersprache Jesu seinen Weg ins Griechische
Neue Testament fand. Er ließ seine Eltern sprachlos im Tempel, als er so ganz selbstverständlich
davon sprach, „Wusstet Ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?”
(Lukas 2: 49) Und zu eben dem Vater sprach er seine letzten Worte im Todeskampf. „Dann
komm und folge mir nach!” Das heißt, Du gehörst nicht mehr Dir selber. Du wirst Dich
ständig selber weggeben müssen, ständig zur Verfügung stehen müssen, für meinen Dienst,
für die, die der Vater mir anvertraut hat, die in meinem Händen sind, und die ich
in deine Hände geben werde. Ich kann Dir nichts versprechen, nicht Wohlstand, Sicherheit,
keine besonderen Prämien, kein großes Ansehen und Ruhm bei den Menschen, auch nicht
sichtbaren Erfolg. Das einzige, das ich Dir versprechen kann, ist, dass ich immer
bei Dir sein werde, und dass Du Dich immer auf mich ausrichten kannst und Dich auf
mich verlassen kannst. Auch wenn man Dich anfeindet oder ausnutzt oder verbraucht
oder Du mit deinem Lebenswerk scheiterst, diese Verbindung, diese Gefährtenschaft
wird nicht abreißen. – Jesus selber scheiterte. Aber der „Abba” blieb bei ihm, ließ
ihn nicht fallen, alles wurde ihm genommen, nur der „liebe Vater” blieb ihm.
Gefährtenschaft
- Verfolgung Oft wird das Evangelium von diesem Sonntag als Werbetext für
kirchliche Berufe und Ordensberufe gebraucht. Das ist schon recht, wenn man sich nur
klarmacht, dass Jesus mit den Worten „Komm und folge mir nach!” zu sehr vielfältigen
Formen der Nachfolge aufrufen kann. Man muss aber ehrlich zugeben, dass dies schon
ein etwas merkwürdiger Werbetext ist. Zwar verspricht er das „Hundertfache“ (Mk 10,30)
dessen, was man aufgibt um der Nachfolge willen. In der Tat ist diese Gefährtenschaft
unendlich kostbar. Doch verspricht er auch „Verfolgungen”. Was ein seltsamer Lohn!
Im Grunde verspricht er eben nur, dass es dem Diener genauso gehen wird wie dem
Herrn, denn „der Knecht ist nicht größer als sein Herr” (Joh 13,16).
Und
was ist mit den „Brüdern und Schwestern, Müttern und Kindern”, die man „hundertfach”
bekommen soll? Die Schriftgelehrten werden eine Erklärung haben. Ich weiß nur, dass
sie hundertfach an meine Türe klopfen mit allen ihren Fragen und Wünschen. In Mbare,
Harare, in Zimbabwe, im südlichen Afrika.