2009-10-10 11:58:23

Betrachtung zum Sonntag: „Der größte Schatz“


RealAudioMP3 Was ist wirklich wichtig, was ist wirklich von Gewicht, was zählt am Ende wirklich, was ist unverzichtbar, worauf müssen wir wirklich alles setzen, worum geht es am Ende? Dieses „am Ende” – dem stellen wir uns nicht. Wir nehmen das Leben in Häppchen. Erst mal durch die Schule kommen und gute Zeugnisse bekommen. Dann einen Platz an einer Hochschule, eine gute Berufsausbildung, eine Karriere, ein gutes Einkommen. Eine Freundin und gute Freunde. Und dann? Ist das alles?
Diese Fragen stellt der Jesuit Oskar Wermter in seiner Betrachtung zum 28. Sonntag im Jahreskreis. Seine Fragen und Antwortversuche sind geprägt von der Realität Simbabwes, er lebt dort seit mehreren Jahrzehnten:


Weisheit
Die erste Lesung dieses Sonntags stellt uns jemanden vor, der radikaler zu fragen versteht und auch eine entsprechende Antwort findet. Ist da etwas, das noch wichtiger ist als all das, was wir eben aufgelistet haben? Ja. Er nennt diesen Schatz, gegenüber dem alle anderen Schätze nicht mehr als ein bisschen Sand sind, WEISHEIT.
Weisheit befähigt uns, die Dinge zu durchschauen, ja genau die Frage zu beantworten, die wir am Anfang gestellt haben. Sie lehrt uns zu sehen, was wirklich zählt, worauf es wirklich ankommt. Sie öffnet die Augen für das, was noch mehr ist als Erfolg, Karriere, ein gutes Einkommen, kurz und gut, Glück und was so allgemein als Liebe verstanden wird.
Weisheit ist kein besonders populärer Begriff heutzutage, es klingt ein bisschen altmodisch, hausbacken, von gestern oder vorgestern, eigentlich ein bisschen aus der Mode in unserer Postmoderne, die Überkommenem nicht traut, wir verbinden Weisheit eher mit alten Leuten und Altweibergeschichten. Ein unbedingter, unabkömmlicher, ja absoluter Wert ist sie wohl für die meisten von uns nicht.


Wahrheit
Machen wir mal ein kleines Experiment und ersetzten Weisheit mit WAHRHEIT. Und lesen dann den Text noch einmal. Für Wahrheit können auch wir uns noch leidenschaftlich einsetzen, für Wahrheit lohnt es sich zu kämpfen, zum Beispiel wenn wir uns für Informationsfreiheit einsetzen, uns über Lügen empören und Heuchelei verachten.
Als Publizist verbindet mich die Suche nach Wahrheit und der verantwortliche Umgang mit Informationen mit vielerlei Kollegen, von denen viele in Fragen des Glaubens mir etwas reserviert gegenüber stehen. Aber in einem Lande, wo die Medien weitgehend Staatsmonopol sind und Informationen nur nach politischen Rücksichten ausgegeben werden, also manipuliert sind, da muss man schon eine gewisse Leidenschaft für die Wahrheit entwickeln, wenn man weiterhin im Pressebereich arbeiten will, ohne den Respekt vor sich selbst zu verlieren. Denn die Mächtigen sind schamlose Lügner und erwarten, dass Presseleute ihre Lügen fraglos an die Öffentlichkeit weitergeben. In einer Atmosphäre, wo ständig dieselben Propaganda-Lügen wiederholt werden, entwickelt man einen Hunger nach Wahrheit, nach Licht und Klarheit. Die besten unter den Kollegen sind von diesem Verlangen angetrieben und nehmen dafür sogar ziemliche Risiken auf sich.


Leben überhaupt
Im Markus-Evangelium von morgen begegnen wir einem Mann, der nach mehr als dem Gewöhnlichen und Üblichen sucht, er nennt es „das ewige Leben“, das er „erben“ will. Man sollte darunter nicht einfach jenseitiges Leben verstehen, sondern das eigentliche, wesentliche Leben, den Sinn von Leben überhaupt, Erfüllung und Fülle des Lebens. Er ist einer, der sich mit den verschiedenen „Häppchen“, die das Leben anzubieten hat, nicht zufrieden gibt. Er will Leben überhaupt.
Er ist ein Mann, der zweifellos einen weiteren Horizont hat als die meisten, aber selbst ihm geht die Luft aus, angesichts der Antwort, die ihm Jesus gibt. Damit hat er nicht gerechnet, dass er und seine Lebensweise derart in Frage gestellt würden; er der erstaunlicherweise von sich behaupten kann, dass er alle Gebote hält. Wer kann das schon von sich sagen?


Armut
„Geh und verkauf , was Du hast, und gib das Geld den Armen. So wirst Du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!” (Markus 10.21)
Er soll seinen Wohlstand aufgeben und die Armut wählen? Armut heißt Abhängigkeit und damit Unfreiheit, es ist tägliche Sorge und Unsicherheit, ob man morgen auch noch genügend haben wird, um die Familie satt zu bekommen, ob man auch die Miete und die Stromrechnung, die Müllabfuhr und das Wasser bezahlen kann. Armut heißt Wohnungsnot und Streit mit den Nachbarn, die einem viel zu nah auf der Pelle sitzen, mit der Schwiegertochter, die eigentlich woanders wohnen sollte, aber sich das nicht leisten kann. Armut ist Arbeitslosigkeit und Angst vor der Polizei, die einen jederzeit belästigen kann, weil der Straßenhandel, den man betreibt in Ermangelung einer Arbeitsstelle, oder der Gemüseanbau auf öffentlichem Bauland illegal sind. Armut heißt Krankheit und früher Tod : „er das streikende staatliche Krankenhaus und den privaten Arzt nicht bezahlen kann, hat den Kampf ums Dasein verloren. So jedenfalls beobachte ich das Tag für Tag in meiner Gemeinde in Mbare in Harare in Zimbabwe, das 80 Prozent Arbeitslosigkeit hat und dessen Wirtschaft so kaputt ist, dass es nicht einmal mehr eine eigene Währung hat. Wo Armut sich weniger drastisch darbietet, etwa in Deutschland, umgeben die Leute Armut und die Armen mit einer gewissen Romantik, besonders in gewissen kirchlichen Kreisen. Ich kann solchen Mitchristen versichern, dass an der Armut nichts romantisch ist. Sie ist schmutzig und laut, sie riecht unangenehm und ist vulgär. Und, was bei deutschen Freunden besonders unangenehm auffallen würde, sie kümmert sich nicht um die Umwelt, verpestet die Luft und verseucht das Wasser.


Unsicherheit
„Er ging traurig davon, denn er war sehr reich.“
Geld, pflegen wir zu sagen, macht nicht glücklich, aber es beruhigt so. Kann ich bestätigen. Und nun soll der wohlhabende Mann, der von den Härten der Armut gut geschützt ist, die Unsicherheit der Armen und ein Leben in ständiger Sorge riskieren? Wofür?
Nicht Haben und Besitzen, der Besitzstand also, das Stehen auf Besitz, der Selbststand, das sich selber in der Hand haben sind das Rechte, das Geforderte, von Jesus Erwartete, sondern Beziehung, in Beziehung sein, über sich selber auf den Anderen hin ausgerichtet sein. – Wir sind existentiell arm. Was immer wir haben und besitzen mögen, wir verdanken es anderen, nicht uns selber. Das will der „self-made man” oder die „self-made woman” von heute nicht gerne hören. Wir verdanken uns unseren Eltern, Geschwistern, Lehrern, Freunden, Gefährten, Kollegen, früheren Generationen, die uns unsere Kultur vererbt haben. Letztendlich und in einem allumfassenden Sinne verdanken wir uns dem Schöpfergott. Unser Sein ist geschenktes Sein.


Beziehung
„Dann komm und folge mir nach!” Lebe Dein Leben in der ständigen Beziehung zu mir, in einer bleibenden Bindung und Ausrichtung, lebe auf mich hin, Tag und Nacht, alle Tage.
Jesus selber lebt so. Er lebt ganz und gar auf den hin, den er „Abba” nennt, lieber Vater, seinen Gott und unseren Gott. Diese „Abba” Beziehung – er sprach von ihr am Tag und machte sie explizit im Gebet, allein, auf dem Berg in der Nacht – war so auffällig, so ungewöhnlich, so tief beeindruckend und geradezu umwerfend für die Jünger und Jüngerinnen, dass das „Abba” – Wort in der aramäischen Muttersprache Jesu seinen Weg ins Griechische Neue Testament fand. Er ließ seine Eltern sprachlos im Tempel, als er so ganz selbstverständlich davon sprach, „Wusstet Ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?” (Lukas 2: 49) Und zu eben dem Vater sprach er seine letzten Worte im Todeskampf.
„Dann komm und folge mir nach!” Das heißt, Du gehörst nicht mehr Dir selber. Du wirst Dich ständig selber weggeben müssen, ständig zur Verfügung stehen müssen, für meinen Dienst, für die, die der Vater mir anvertraut hat, die in meinem Händen sind, und die ich in deine Hände geben werde.
Ich kann Dir nichts versprechen, nicht Wohlstand, Sicherheit, keine besonderen Prämien, kein großes Ansehen und Ruhm bei den Menschen, auch nicht sichtbaren Erfolg. Das einzige, das ich Dir versprechen kann, ist, dass ich immer bei Dir sein werde, und dass Du Dich immer auf mich ausrichten kannst und Dich auf mich verlassen kannst. Auch wenn man Dich anfeindet oder ausnutzt oder verbraucht oder Du mit deinem Lebenswerk scheiterst, diese Verbindung, diese Gefährtenschaft wird nicht abreißen. – Jesus selber scheiterte. Aber der „Abba” blieb bei ihm, ließ ihn nicht fallen, alles wurde ihm genommen, nur der „liebe Vater” blieb ihm.


Gefährtenschaft - Verfolgung
Oft wird das Evangelium von diesem Sonntag als Werbetext für kirchliche Berufe und Ordensberufe gebraucht. Das ist schon recht, wenn man sich nur klarmacht, dass Jesus mit den Worten „Komm und folge mir nach!” zu sehr vielfältigen Formen der Nachfolge aufrufen kann.
Man muss aber ehrlich zugeben, dass dies schon ein etwas merkwürdiger Werbetext ist. Zwar verspricht er das „Hundertfache“ (Mk 10,30) dessen, was man aufgibt um der Nachfolge willen. In der Tat ist diese Gefährtenschaft unendlich kostbar. Doch verspricht er auch „Verfolgungen”. Was ein seltsamer Lohn! Im Grunde verspricht er eben nur, dass es dem Diener genauso gehen wird wie dem Herrn, denn „der Knecht ist nicht größer als sein Herr” (Joh 13,16).


Und was ist mit den „Brüdern und Schwestern, Müttern und Kindern”, die man „hundertfach” bekommen soll? Die Schriftgelehrten werden eine Erklärung haben. Ich weiß nur, dass sie hundertfach an meine Türe klopfen mit allen ihren Fragen und Wünschen. In Mbare, Harare, in Zimbabwe, im südlichen Afrika.


Oskar Wermter SJ
(rv 10.10.2009 bp)








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