2009-09-29 12:21:49

„Europa, unsere Chance“ – Kolumne des Monats, von Botschafter Horstmann


Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. Hans-Henning Horstmann, verfasst jeden Monat für uns eine Kolumne zu aktuellen Themen. Sein Beitrag für Radio Vatikan im September trägt den Titel: "Europa: Unsere Chance für die Zukunft". Horstmann geht darin auf die Reise von Papst Benedikt in die Tschechische Republik am letzten Wochenende ein. Hier finden Sie den vollen Text des Beitrags.

Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,

Benedikt XVI. hat am 26. September 2009 in Prag gesagt: "Europa ist mehr als ein Kontinent. Es ist ein Zuhause." Als Österreich in der ersten Jahreshälfte 2006 den EU-Vorsitz hatte, lautete der Arbeitstitel einer Konferenz zur Subsidiarität in der Europäischen Union: "Europa beginnt zu Hause" und: als ehemaliger Schüler der Europaschule Luxemburg fühle ich mich in Europa zu Hause.

Europa hat seine klar definierten geographischen Grenzen. Dennoch: die europäischen Institutionen haben Mitglieder, deren Staatsgebiet sich auf Asien, Afrika und auch Lateinamerika bezieht. Ich denke an die zentralasiatischen Mitglieder der OSZE, an die französischen Überseegebiete im Pazifik und in Lateinamerika, an die spanischen Enklaven in Nordafrika, an die Europaratsmitglieder Russland und Türkei. Zwar sind die geographischen Grenzen definiert, aber nicht als Festungsgürtel sondern als territoriale Linien, die in unserer Zeit der weltweiten Gleichzeit durch Teleinformation und Kommunikation, in unserer Zeit der Globalisierung ihren traditionellen Abgrenzungscharakter verloren haben. Dennoch: jede geographische Linie ist auch eine geopolitische Tatsache. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Sozialenzyklika "Deus caritas est" daher zu Recht die primäre Verantwortung der Nationalstaaten für die Wahrung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und die Verantwortung für Arbeitsplätze eingefordert. Alle drei europäischen Institutionen: die Europäische Union, der Europarat, die OSZE und ihre souveränen Mitgliedstaaten stellen sich diesen Herausforderungen.

Von der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 bis zur Ratifikation des Vertrages von Lissabon in dieser Woche hat die Europäische Union den höchsten Grad an Integration - im Vergleich zu den beiden anderen Institutionen - und an Freizügigkeit erreicht. Die Europäische Union mit ihrer ausgeprägten Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten, die nicht Mitglieder der EU sind und ihrer Heranführungsstrategie für die Staaten, die Mitglieder werden, ist das Modell eines Friedensprojektes, das auf der Welt einzigartig ist und in vielen Kontinenten Modellcharakter hat: z.B. der Zusammenschluss der ASEAN-Staaten in Asien und Mercosur in Lateinamerika.


In der anhaltenden Finanz-, Wirtschaft- und Vertrauenskrise ist die Europäische Union mit dem Euro- und dem Schengenraum, mit einer sich verstärkenden Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, vor allem aber mit seiner sich zumindest auf dem Kontinent verstärkenden ökologischen und sozialen Marktwirtschaft unsere Chance für die Zukunft.

Die Menschen bleiben in dieser Krise verunsichert, zum Teil apathisch. Dem will Benedikt XVI. seit Beginn seines Pontifikates entgegenwirken und dies war auch ein Motiv für seine deutlichen Worte zu Europa in der Tschechischen Republik.

Kulturen in anderen Kontinenten, insbesondere in Asien, sind älter als die europäische. Auch deshalb hat sich die Europäische Union seit 1957 stets den anderen Kontinenten geöffnet, um Barrieren abzubauen, Konflikte zu verhindern und vor allem interkontinentale Partnerschaften zu fördern. Die Europäische Union hat mit dieser Politik der Öffnung gerade gegenüber dem Süden nicht nur Erfolg gehabt. Unser Nachbarkontinent Afrika, den die Europäer kolonialisiert haben, hat, nachdem die Staaten südlich der Sahara ihre Unabhängigkeit errangen, eine Politik des europäischen Entwicklungshilfewettbewerbs erleben müssen, der Korruption und Diktaturen gestützt hat. Die Priester und Ordensschwestern auf dem Lande und in den Industriegebieten haben die größte Not gelindert. Heute hat dieser Kontinent für den Heiligen Stuhl, für Deutschland, für Europa und für die Vereinten Nationen besondere Priorität.

Nach der Wende 1989, als Europa begann, mit zwei Lungen zu atmen, haben wir uns mehr und mehr auf uns selbst konzentriert. Es ist aber meine feste Überzeugung, dass kein anderer Kontinent wie Europa und insbesondere die Europäische Union nicht nur die afrikanische Herausforderung angenommen hat, sondern auch die asiatische. Die transatlantische Brücke, d.h. Europa, Kanada, USA, erhält zur Zeit neue Pfeiler. Auch die Zusammenarbeit mit Lateinamerika gewinnt wieder an Attraktion für Europa. Die Europäer wissen: als exklusiver Club sind wir zum Scheitern verurteilt, als weltoffene Partner können wir die Krise meistern.

Die Menschen in Deutschland sind zunächst einmal in ihren Städten und Gemeinden und in ihren Regionen zu Hause. Meine Generation und viele in Politik, Wirtschaft, im Finanzwesen und in der Kultur wissen um die gemeinsame europäische Geschichte, das große, reiche europäische christliche Erbe, das uns nicht nur in der europäischen Zuversicht bekräftigt sondern auch darin, dass wir nur mit einem starken Europa und nicht einer provinziellen Biedermeierei die globale Krise bestehen werden. Das Entscheidende für mich ist, dass wir sie gemeinsam bestehen und nicht die nationalen Reflexe zunehmen - sie sind heute bisweilen größer, als sie es 1957 waren. Die klaren Aussagen des Papstes zu Europa in Prag sind für die Menschen guten Willens auch Mahnung, vor allem aber Ermutigung, das europäische Haus zu stärken.








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