2009-09-27 13:38:10

Sonntag: Predigt in Brünn im Wortlaut


„Die Erfahrung der Geschichte zeigt, zu welcher Sinnlosigkeit der Mensch gelangt, wenn er Gott von seinem Entscheidungs- und Handlungshorizont ausschließt.“ Daran hat Papst Benedikt XVI. am Sonntag bei einer Messe in Brünn erinnert. Das Kirchenoberhaupt erinnerte auch am zweiten Tag seines Pastoralbesuchs an die Märtyrer vergangener Jahrhunderte, legte aber den Schwerpunkt auf die aktuellen Herausforderungen der Gesellschaft. Viele Formen der Armut entstünden aus Isolation und der Ablehnung Gottes.


Wir dokumentieren die Predigt in einer deutschen Übersetzung:



Liebe Brüder und Schwestern!

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28). Jesus lädt jeden seiner Jünger ein, mit ihm zu rasten, in ihm Stärkung, Halt und Ruhe zu finden. Diese Einladung richtet er im besonderen an unsere liturgische Versammlung, in der gleichsam eure ganze kirchliche Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri zusammenkommt. Alle und jeden grüße ich: an erster Stelle den Bischof von Brünn – dem ich auch für die freundlichen Worte danke, die er zu Beginn der Messe an mich gerichtet hat – sowie die Herren Kardinäle und die anderen anwesenden Bischöfe. Ich grüße die Priester, die Diakone, die Seminaristen, die Ordensleute, die Katecheten und pastoralen Mitarbeiter, die Jugendlichen und die zahlreichen Familien. Aufrichtige Grüße richte ich an die zivilen und militärischen Autoritäten, insbesondere an den Präsidenten der Republik mit seiner werten Gattin, an den Bürgermeister der Stadt Brünn und an den Präsidenten der Region Südmähren, eines geschichtsträchtigen Landes, reich an Kultur, Industrie und Handel. Darüber hinaus möchte ich herzlich die Pilger grüßen, die aus ganz Mähren und aus den Diözesen der Slowakei, Polens, Österreichs und Deutschlands gekommen sind.

Liebe Freunde, wegen des Charakters der heutigen liturgischen Versammlung habe ich gerne die Entscheidung mitgetragen, die euer Bischof erwähnt hat, die Schriftlesungen der heiligen Messe auf das Thema der Hoffnung abzustimmen: Ich habe diese Entscheidung übernommen mit dem Gedanken an das Volk dieses geschätzten Landes wie auch an Europa und die gesamte Menschheit, die nach etwas dürstet, worauf sie ihre eigene Zukunft stützen kann. In meiner zweiten Enzyklika Spe salvi habe ich hervorgehoben, dass die einzige „sichere“ und verlässliche“ Hoffnung (vgl. Nr. 1) in Gott gründet. Die Erfahrung der Geschichte zeigt, zu welcher Sinnlosigkeit der Mensch gelangt, wenn er Gott von seinem Entscheidungs- und Handlungshorizont ausschließt, und wie es nicht einfach ist, eine Gesellschaft aufzubauen, die sich an den Werten des Guten, der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit inspiriert, weil der Mensch frei ist und seine Freiheit brüchig bleibt. Die Freiheit muss daher ständig neu für das Gute gewonnen werden, und die nicht einfache Suche nach „den rechten Ordnungen der menschlichen Dinge“ ist eine Aufgabe, die allen Generationen auferlegt ist (vgl. ebd., 24-25). Das ist der Grund, liebe Freunde, warum wir hier sind, um vor allem zu hören, um ein Wort zu hören, das uns den Weg weist, der zur Hoffnung führt; ja, um das Wort zu hören, das allein feste Hoffnung geben kann, weil es Gottes Wort ist.

In der ersten Lesung (Jes 61,1-3a) stellt sich der Prophet als einer vor, dem die Sendung übertragen ist, allen Niedergeschlagenen und Armen die Befreiung, Trost und Freude zu verkünden. Diesen Text hat Jesus aufgriffen und sich in seiner Verkündigung zu eigen gemacht. Ja, er hat ausdrücklich gesagt, dass die Verheißung des Propheten sich in ihm erfüllt hat (vgl. Lk 4,16-21). Sie hat sich vollständig verwirklicht, als er durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung von den Toten uns von der Knechtschaft des Egoismus und des Bösen, der Sünde und des Todes befreit hat. Dies ist die Botschaft des Heils – alt und immer neu –, welche die Kirche von Generation zu Generation verkündet: den gekreuzigten und auferstandenen Christus, Hoffnung der Menschheit!

Dieses Wort des Heils ertönt auch heute kraftvoll in unserer liturgischen Versammlung. In Liebe wendet sich Jesus an euch, Söhne und Töchter dieses gesegneten Landes, in dem seit über tausend Jahren der Same des Evangeliums ausgestreut wurde. Wie andere Nationen erlebt euer Land gerade eine kulturelle Situation, die oft eine radikale Herausforderung für den Glauben darstellt und folglich auch für die Hoffnung. In der Tat haben der Glaube wie auch die Hoffnung in der modernen Zeit so etwas wie eine „Verschiebung“ erfahren, da sie auf die Ebene des Privaten und Jenseitigen verlagert wurden, während im konkreten und öffentlichen Leben sich das Vertrauen in den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt behauptet hat (vgl. Spe salvi, 17). Wir alle wissen, dass dieser Prozess zweideutig ist: Er öffnet zugleich Möglichkeiten zum Guten wie auch negative Aussichten. Die technischen Entwicklungen und die Verbesserung der sozialen Strukturen sind wichtig und gewiss notwendig, doch reichen sie nicht aus, das moralische Wohl der Gesellschaft zu gewährleisten (vgl. ebd., 24). Der Mensch muss von den materiellen Unterdrückungen befreit werden, aber er muss – und zwar tiefer – von den Übeln erlöst werden, die den Geist bedrücken. Und wer kann ihn erretten, wenn nicht Gott, der die Liebe ist und in Jesus Christus sein Antlitz als allmächtiger und barmherziger Vater geoffenbart hat? Unsere feste Hoffnung ist also Christus: In ihm hat Gott uns bis zum äußersten geliebt und uns das Leben in Fülle gegeben (vgl. Joh 10,10), jenes Leben, das zu besitzen jeder Mensch, mitunter sogar unbewusst, ersehnt.

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Diese Worte Jesu, die in großen Lettern über dem Portal eurer Kathedrale in Brünn geschrieben stehen, richtet er nun an einen jeden von uns und fügt hinzu: „Lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mt 11,29). Können wir angesichts seiner Liebe in Gleichgültigkeit verharren? Hier, wie anderswo, haben in den vergangenen Jahrhunderten viele gelitten, um dem Evangelium treu zu bleiben, und haben die Hoffnung nicht verloren; viele haben sich aufgeopfert, um dem Menschen wieder Würde zu geben und den Völkern Freiheit. Dabei haben sie in der großmütigen Bindung an Christus die Kraft gefunden, eine neue Menschheit aufzubauen. Und auch in der gegenwärtigen Gesellschaft, in der viele Formen der Armut aus der Isolation entstehen, aus dem Nicht-geliebt-Sein, aus der Ablehnung Gottes und aus einem ursprünglichen tragischen Verschließen des Menschen in sich selbst, der meint, sich selbst genügen zu können oder nur eine unbedeutende und vorübergehende Erscheinung zu sein, – in dieser unserer Welt, die entfremdet ist, „wenn sie sich bloß menschlichen Plänen verschreibt“ (vgl. Caritas in veritate, 53), kann allein Christus unsere sichere Hoffnung sein. Dies ist die Botschaft, die wir Christen jeden Tag mit unserem Zeugnis verbreiten sollen.

Verkündet ihr sie, liebe Priester, indem ihr aufs engste mit Christus verbunden bleibt und mit Begeisterung euren Dienst tut und dabei gewiss seid, dass dem nichts fehlt, der auf ihn vertraut. Gebt Zeugnis von Christus ihr, liebe Ordensleute, indem ihr freudig und konsequent die Evangelischen Räte lebt und dabei aufzeigt, welche unsere wahre Heimat ist: der Himmel. Und ihr, liebe junge und erwachsene Gläubige, ihr, liebe Familien, stützt eure Pläne in der Familie, in der Arbeit, in der Schule und die Tätigkeiten in jedem gesellschaftlichen Bereich auf den Glauben an Christus. Jesus verlässt nie seine Freunde. Er sichert euch seine Hilfe zu, denn ohne ihn kann nichts gemacht werden. Aber zugleich bittet er einen jeden, sich persönlich dafür einzusetzen, seine universale Botschaft der Liebe und des Friedens zu verbreiten. Es ermutige euch das Beispiel der Heiligen Cyrill und Methodius, der Hauptpatrone Mährens, die den slawischen Völkern das Evangelium gebracht haben, und der Heiligen Petrus und Paulus, denen eure Kathedrale geweiht ist. Schaut auf das leuchtende Zeugnis der heiligen Zdislava, einer Mutter, die viele Werke des Glaubens und der Barmherzigkeit vollbrachte; auf das des heiligen Priesters und Märtyrers Jan Sarkander, des heiligen Priesters und Ordensmannes Klemens Maria Hofbauer, der aus dieser Diözese stammte und vor hundert Jahren heiliggesprochen wurde, und auf das der seligen Ordensfrau Restituta Kafka, die in Brünn geboren und von den Nationalsozialisten in Wien umgebracht wurde. Es begleite euch und schütze euch die Muttergottes, die Mutter Christi, unsere Hoffnung. Amen!

(rv 27.09.2009 red)








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