Papst: Flammendes Plädoyer für akademische Freiheit
Vor der universitären
Elite Tschechiens hat Papst Benedikt XVI. ein Plädoyer für die akademische Freiheit
gehalten. Nach dem „Sieg des menschlichen Geistes“ über eine totalitäre Ideologie
dürfe die Forschung jetzt nicht Beute eines Relativismus werden, der Vernunft und
Wahrheit voneinander abkoppele, warnte Benedikt XVI. in einer Rede vor rund 500 Vertretern
des akademischen Lebens am Sonntag in der Prager Burg. Eingeladen hatte der Rektor
der traditionsreichen Karlsuniversität, Vaclav Hampl. Pater Max Cappabianca berichtet:
Benedikt
XVI. erinnerte an den Beitrag der Universitäten zur „samtenen Revolution“ von 1989.
Die Reformbewegungen hätten ihren Ursprung gerade an den Hochschulen und in Studentenkreisen:
„Die
Sehnsucht nach Freiheit und Wahrheit ist unveräußerlich Teil unseres gemeinsamen Menschseins.
Sie kann nie ausgelöscht werden; und wenn sie geleugnet wird, dann gerät, wie es die
Geschichte gezeigt hat, das Menschsein selbst in Gefahr. Auf diese Sehnsucht versuchen
der religiöse Glaube, die verschiedenen Künste, die Philosophie, die Theologie und
andere Wissenschaften – jeweils mit ihrer eigenen Methode – zu antworten, sowohl auf
der Ebene der systematischen Reflexion als auch auf der Ebene des korrekten Handelns.“
Die
Universität habe einen eminent humanistischen Bildungsauftrag:
„Das Konzept
einer integralen Bildung, die auf der Einheit des auf der Wahrheit gegründeten Wissens
basiert, muss wiedergewonnen werden. Es dient als Gegengewicht zu der in der heutigen
Gesellschaft so augenscheinlichen Tendenz zur Fragmentierung des Wissens. Die massive
Zunahme von Information und Technologie bringt die Versuchung mit sich, die Vernunft
vom Streben nach Wahrheit loszulösen.“ Die Zeit der Eingriffe von Seiten des
politischen Totalitarismus sei vorbei so Benedikt. Allerdings sei zu beklagen, dass
auf der ganzen Welt die akademische Forschung subtil dazu gezwungen werden, sich dem
Druck ideologischer Interessensgruppen und der Verlockung kurzzeitiger utilitaristischer
Ziele zu beugen.
„Was wird passieren, wenn unsere Kultur nur auf Modethemen
mit geringem Bezug zu einer echten historischen intellektuellen Tradition beziehungsweise
auf den am lautesten beworbenen oder am besten finanzierten Ansichten gründet? Was
wird passieren, wenn sie sich in ihrer Angst, einen radikalen Säkularismus zu bewahren,
von ihren lebensspendenden Wurzeln abschneidet? Unsere Gesellschaften werden nicht
vernünftiger, toleranter oder flexibler werden, sondern brüchiger und weniger aufnahmefähig,
und es wird ihnen immer schwerer fallen zu erkennen, was wahr, edel und gut ist.“ Benedikt
XVI. wandte sich gegen die Auffassung, dass Religion und Vernunft Gegensätze darstellten
und erinnerte dabei auch an die Gründung der Karlsuniversität 1347 durch Papst Clemens VI.
(1342-1352). „Dieses Vertrauen in das menschliche Vermögen, Wahrheit
zu suchen, Wahrheit zu finden und nach der Wahrheit zu leben, führte zur Gründung
der großen europäischen Universitäten. Gewiß müssen wir dies heute neu betonen, damit
wir den intellektuellen Kräften den nötigen Mut für die Entwicklung einer Zukunft
wahrer menschlicher Blüte geben, einer Zukunft, die des Menschen wirklich würdig ist.“
Der
Applaus nach der Papstrede war der bisher längste und lebhafteste der Reise. Eine
protokollarische Überraschung gab es bei der Begrüßung des Papstes durch einen Studenten
der Universität. Der junge Mann, Mitglied der Theologischen Fakultät, erklärte einleitend,
dass er in einer bewussten Entscheidung die Grußworte nicht wie vorgesehen auf Englisch,
sondern in der Muttersprache des Papstes auf Deutsch sprechen wolle.