Deutschland spezial: Was erwartet die Kirche von einer neuen Bundesregierung?
Schuldenabbau, Impulse
für den Arbeitsmarkt, Schutz des Lebens sowie eine kinder- und familienfreundliche
Politik. Das sind die wichtigsten Forderungen der katholischen Bischöfe an eine neue
Bundesregierung.
Lesen und hören Sie Hintergründe von Birgit Pottler:
„Ideale
Partei wird es nicht geben“ Bereits im Wahlkampf habe er „die Besinnung
auf die zentralen christlichen Werte vermisst“, sagte der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch vergangenen Freitag. Er habe sich jedoch
nie für oder gegen eine bestimmte Partei ausgesprochen, so der Erzbischof, womit er
Berichten über ein Radio-Interview Mitte der Woche widersprach. „Wir wollen,
dass die Bürger als mündige und erwachsene Menschen selber entscheiden, wen sie wählen.
Sie sollen dabei freilich überlegen, welche Partei, welches Programm sich nach ihren
eigenen Vorstellungen in den Politikbereichen besonders gut bewährt, für die wir sensibilisiert
haben. Die ideale Partei, die all meine eigenen Vorstellungen in die Praxis umsetzt,
die wird es wohl in dieser Welt nicht geben. Aber wichtig ist, zur Wahl zu gehen und
damit zu zeigen, dass man mitgestalten will.“ Die Bischöfe achteten auf Themen
wie den Schutz des Lebens, eine kinder- und familienfreundliche Politik und Maßnahmen
zur ganzheitlichen Bildung des Menschen. Diese Punkte hätten im Wahlkampf eine geringe
Rolle gespielt, seien aber wichtige Aufgaben der neuen Bundesregierung.
Lasten
gerechter verteilen Zur Finanzmarktkrise bekräftigte Zollitsch die Forderung
der deutschen Bischöfe, die Staatsschulden abzubauen. Keinesfalls wollten die Oberhirten
kritisieren, „dass in der Finanzmarktkrise gehandelt worden ist“. „Mit Blick auf die
nachkommenden Generationen“ seien aber die Belastungen „ungerecht verteilt“. Dagegen
müsse die neue Bundesregierung angehen. Zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung
gehörten außerdem „Impulse für den Arbeitsmarkt“: „Es geht auch darum, darauf
zu schauen, dass Arbeit mehr bedeutet, als Geld zu verdienen und zugleich auch heißt,
am gesellschaftlichen Prozess teilhaben zu können. Und darum ist es wichtig, diese
Frage nicht zurückzustellen.“
Antworten statt Effekthascherei Der
Bamberger Erzbischof Ludwig Schick kritisierte bereits vergangene Woche die Effekthascherei
seitens der Politiker. Statt flotter Sprüche brauche es Antworten auf die verschiedenen
Krisen, auch auf die Fragen nach den Werten.
„Wir brauchen profilierte
Programme“ Der deutsche Medienbischof Gebhard Fürst gab den Medien eine
Teilschuld an dem „ruhigen Wahlkampf“. Nicht nur die Politiker selbst, auch die Medienvertreter
hätten relevante Fragen nicht angesprochen. Am Rand der Vollversammlung der Deutschen
Bischofskonferenz in Fulda zeigte sich Fürst gleichermaßen überrascht und enttäuscht.
Medien hätten die Aufgabe, das Profil von Parteien und Persönlichkeiten abzufragen.
„In der Politik sind die Frage der Bildung und andere Fragen von gesellschaftlicher
Relevanz, wie die Frage nach Ehe und Familie, von großer Bedeutung. Ich habe gehört,
dass manche Umfragen den Politikern nahe gelegt haben, dass sie nicht so sehr polarisieren
sollen, weil Streit und Profilierungssucht bei den Menschen nicht so gut ankommt.
Das bedauere ich, weil wir in einer Situation sind, wo wir profilierte Programme brauchen,
die für unsere Zukunft geeignet sind, damit wir die schwierigen Zeiten, die noch vor
uns liegen, bestehen.“ Provozieren christliche Werte also? Nachdem jahrelang
eine Rückbesinnung auf Ethik und Moral öffentlich gefordert wurde und scheinbar ein
gesellschaftliches Querschnittthema war? Auch hier kommt offenbar wieder die Finanzkrise
zum Tragen. Fürst: „Wir hören ja seit Jahren das Geschrei um Werte. Wenige aber
sagen, war sie mit den Werten wirklich meinen! Von christlicher Seite gibt es sicherlich
Werte, die, wenn sie von der Öffentlichkeit korrigiert und von Parteien übernommen
werden, zum Konflikt führen und auch zu Abgrenzungen. Ich sage einmal: es ist undenkbar,
dass wir ein Wirtschaftssystem beibehalten, in dem Lüge und Betrug wie Schmieröl in
der Wirtschaft wirken. Es ist eine klare Aussage, dass wir eine Werteorientierung
auch der Wirtschaft brauchen. Es gibt die lange Debatte, Wirtschaft habe eine Eigengesetzlichkeit,
es gehe nicht um Werte, sondern um Wettbewerb, aber das ist nicht meine Position.
Ich habe immer schon gesagt, dass langfristig nur das Wirtschaftssystem überleben
wird, das sich an Werten orientiert, weil alles andere zu Misstrauen und nur noch
zum Kampf miteinander führt. Und das destabilisiert die Solidarität und gefährdet
unsere Zukunft.“ Zur Wahl zu gehen sei „gleichzeitig Bürgerrecht und Christenpflicht“,
so Fürst. Das Evangelium habe immer gesellschaftspolitischen Bezug. In diesem Wahlkampf
habe der Bischof von Rottenburg-Stuttgart aber auch eine offensive Haltung seitens
der Kirche vermisst. „Denn wir tragen aus unserem christlichen Glauben heraus
die Verantwortung dafür, in die Gesellschaft einzugreifen. Und wir haben unsere Wertvorstellungen
und Grundüberzeugungen, von welchen wir sicher sind, dass sie für die Zukunft unserer
Gesellschaft wichtig sind. Wir haben etwas einzubringen. Das müssen wir offensiv tun.
Wir dürfen uns nicht marginalisieren lassen. Und Wahlkampfzeiten sind immer auch Zeiten,
in denen sich die Kirche zu Wort meldet. Das ist mir insgesamt, von der Politik, den
Medien und der Kirche selbst her, zu wenig geschehen.“ (rv 25.09.2009 bp)