Sie liest sich wie
ein modernes Märchen: die Lebensgeschichte der „Wüstenblume“. Waris Dirie erzählt
im gleichnamigen Buch und im Film - am 24. September kommt er in die deutschen Kinos
- von ihrer Flucht als 13-Jährige aus Somalia. Mit 18 wurde Waris Dirie in London
als Model entdeckt. Als erwachsene Frau bricht sie ein Jahrhunderte altes Tabu und
spricht offen über ihre eigene Genitalverstümmelung. Ein Schicksal das sie teilt -
laut UNO-Angaben weltweit täglich mit 6.000 Mädchen. Hintergründe in diesem Beitrag
von Birgit Pottler:
Genitalverstümmelung bei Mädchen sei eine fest verwurzelte
Tradition, bestätigt die Misereor-Expertin Barbara Schirmel. In vielen afrikanischen
Ethnien lasse sich diese Praxis durch Modernisierungen kaum oder nur sehr schwer ausmerzen
und laufe sozusagen „neben der Gesellschaft her“.
„Dazu kommt, dass die
Verstümmelung in den meisten Kulturen positiv besetzt ist. Das heißt, es werden Begriffe
wie ,rein’, ,sauber’ oder ,du wirst zur Frau’ verwendet. Die Mädchen wissen im Prinzip
nicht, was auf sie zukommt, erwarten aber etwas Positives, etwas, was sie selbst als
Frau aufwertet und als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft kennzeichnet. Ein Mädchen
ist dann heiratsfähig, wenn sie beschnitten ist.“
Die Beschneiderinnen
arbeiten ohne Betäubung mit Operationswerkzeugen wie Rasierklingen, Scheren oder Glasscherben,
berichtet die Misereor-Mitarbeiterin.
„Das kann von einem kleinen Einritzen
der Haut der Klitoris gehen bis hin zur vollständigen Entfernung der äußeren Geschlechtsorgane,
wo nur mit Hilfsmitteln vernäht oder mit Dornen zugesteckt wird. Das ist meistens
auch mit einem großen Schock für die Mädchen verbunden. Die Mädchen sind bei vollem
Bewusstsein und werden von den Frauen festgehalten. Von Frauen, denen sie bisher vertraut
haben, von denen sie dachten, sie tun ihnen etwas Gutes: die Tanten, Großmütter, Mütter.“
Viele
sterben durch den hohen Blutverlust oder an Infektionen. Lebenslang begleiteten die
Frauen Schmerzen, jeder Toilettengang werde mitunter zur Folter. Später gäbe es Komplikationen
in der Schwangerschaft und bei der Geburt der Kinder, wenn sie denn lebend zur Welt
kommen. Aber auch psychische Störungen begleiteten die Frauen in Afrika ein Leben
lang. Barbara Schirmel:
„Viele Beschneidungen finden in einem sehr jungen
Alter statt, wo Menstruation und Geburt noch in weiter Ferne liegen. Viele Frauen
bringen die Probleme, die sie körperlicher Art haben, nicht mit der Beschneidung in
Verbindung, sondern sie sind integraler Bestandteil ihres Frauseins.“
Hier
setzt zum Beispiel die Aufklärungsarbeit von Misereor und verschiedenen Partnern in
afrikanischen Ländern an. Das katholische Hilfswerk und Organisationen vor Ort versuchen,
mit Stammesführern in Verbindung zu kommen, muslimische oder christliche Geistliche
zu Unterstützern zu machen, dort, wo Frauen Rechtsbeistand suchten später auch Versöhnungsprozesse
in den Familien in Gang zu setzen, oder mit den Beschneiderinnen zu sprechen, ihnen
andere Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen und so das Übel an der Wurzel zu packen.
In
Äthiopien etwa sind 80 Prozent der Frauen beschnitten. Ägypten, Kenia, Tansania reihen
sich ein. Doch so absurd es klingen mag, „Beschneidungen“ - wenn auch unter klinischen
Bedingungen - sind kein rein afrikanisches Phänomen.
„Bis in die 1950er
Jahre wurden zum Beispiel in den Vereinigten Staaten noch Mädchen oder Frauen beschnitten,
das heißt, ihnen wurde die Klitoris entfernt, wenn sie unter Schizophrenie litten.
Das war als Therapiemethode anerkannt.“
Frauen dürften
nicht auf die Verstümmelung reduziert werden, so die Misereor-Expertin. Das zeige
auch Waris Dirie mit Buch und Film, mit ihrer Arbeit. Seit 1997 ist sie UNO-Sonderbotschafterin.
„Sie
möchte aufzeigen, dass trotz der Schwere des Eingriffs, der auch zutiefst zu verurteilen
ist – es handelt sich wirklich um eine sehr grausame Menschenrechtsverletzung – man
nicht vergessen darf, dass es sich um Frauen handelt, die eine menschliche Würde haben,
die es Wert sind, auch über diese Verstümmelung hinaus als Ganzes wahrgenommen zu
werden. Waris Dirie möchte mit dem Film auch zeigen, dass man Respekt gegenüber anderen
Kulturen haben muss, und ich finde, das gelingt in dem Film ganz gut.“