„Ich denke,
dass es jetzt für alle klar ist: Diese Vergötterung des Markts hat sich selbst als
falsch offenbart.“
Das war vor einem Jahr: Miguel d’Escoto, Präsident der
letzten UNO-Generalversammlung, Berater des Präsidenten von Nicaragua und zuvor katholischer
Priester, äußerte sich zur weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise: „Wir
erleben die Konsequenzen dieses Götzendienstes. Auf manchen Münzen lesen wir immer
noch ,In God we trust’, aber wir vertrauen nicht auf Gott, wir bauen auf den Markt,
und der ist gescheitert. Das ist eine Lektion für Menschen in der ganzen Welt, die
diesem Götzen verfallen sind.“
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise kann nach
Ansicht des Mailänder Kardinals Dionigi Tettamanzi nur durch eine neue Wertschätzung
des Maßhaltens überwunden werden. Eine verstärkte Kontrolle der Finanzmärkte allein
reiche nicht aus, schreibt Tettamanzi in einem Beitrag für die Turiner Tageszeitung
„La Stampa“ ein Jahr nach dem Zusammenbruch der einst viertgrößten US-Investmentbank
Lehman Brothers.
Gier und Habsucht von Bankern und Managern spielten zwar eine
Rolle, seien aber nicht die zentrale Ursache der Krise, sagt der deutsche Wirtschaftsethiker
Jörg Althammer von der Katholischen Universität Eichstätt. Vielmehr habe eine Kombination
aus Markt- und Staatsversagen letztendlich zur Krise geführt, so Althammer im Gespräch
mit Radio Vatikan.
„Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, dann
wird sich auch der Finanzmarkt nicht ändern. Und dann ist die nächste Krise natürlich
bereits vorprogrammiert.“
Wenn sich die Regulierungen und Kontrollen nicht
deutlich und vor allem durchgreifend veränderten, dann werde sich auch das Finanzsystem
nicht verändern, betont Althammer
„Was wir jetzt bereits beobachten, ist,
dass es nach der Finanzmarktkrise erste Anzeichen gibt, dass genauso weiter gewirtschaftet
wird wie vorher. Das hat damit zu tun, dass diese neuen Regulierungen noch nicht in
dem Maß greifen, wie wir uns das wünschen würden, und dass deswegen auch die Anreizstrukturen
die gleichen geblieben sind, wie wir sie vor der Finanzmarktkrise hatten.“
Von
einer Entwarnung will der Wirtschaftsexperte nicht sprechen, derzeit sei lediglich
zu beobachten, „dass der massive Auftragsrückgang offensichtlich zum Stillstand gekommen
ist“.
„Das heißt, wir befinden uns zur Zeit an der Talsohle der Krise, und
die Hoffnung besteht nun natürlich, dass es wieder zu einem selbst tragenden Aufschwung
kommt, aber der steht uns noch bevor.“
Auf dem Arbeitsmarkt dagegen stünden
die stärksten Auswirkungen erst noch bevor, die Marke von vier Millionen werde zum
Jahresende auf jeden Fall überschritten, prognostiziert Althammer.
„Wir
wissen, dass entsprechende Effekte auf den Arbeitsmärkten natürlich Effekte für das
System der sozialen Sicherung nach sich ziehen. Die große und noch völlig ungelöste
Frage ist, wie sich die Staatsverschuldung entwickeln wird. Was wir jetzt schon absehen
können, ist, dass es auch in dieser Erholungsphase erhebliche Anstrengungen geben
muss, um die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren. Auch das geht natürlich nicht
vonstatten, ohne die sozialen Sicherungssysteme, ohne die sozialpolitischen Maßnahmen
zu beschneiden.“
Die 20 Staats- und Regierungschefs
der wirtschaftsstärksten Industrie- und Schwellenländern müssen in wenigen Tagen in
Pittsburgh internationale Absprachen noch fester ziehen. Althammer würde den Fokus
nicht so sehr auf die Managergehälter und Bonuszahlungen legen. Vielmehr sollte es
den Finanzakteuren künftig nicht mehr möglich sein, bestimmte Risikoposten „sozusagen
zu verschleiern und aus ihrer Bilanz zu nehmen“.
„Das müsste im Rahmen einer
globalen Regulierungsstrategie der Finanzmärkte unterbunden werden. Derjenige, der
Risiken eingeht, muss auch mit seinem Eigenkapital für diese Risiken haften.“
In
der internationalen Zusammenarbeit warnt der Wirtschaftsethiker vor Protektionismus
in den Volkswirtschaften. Erste Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise zeigten diese Tendenz:
Jedes Land stelle nationale Programme auf und versuche sowohl den eigenen Standort
zu stärken – Opel in Deutschland, General Motors in den USA – als auch die Nation
„im internationalen Konkurrenzkampf besser aufzustellen“. Althammer:
„Ein
solches Zunehmen des Protektionismus wäre natürlich insbesondere für die Entwicklungsländer
fatal. Denn die Entwicklungsländer sind ganz massiv darauf angewiesen, dass sie Zugang
zu freien internationalen Märkten haben, denn nur so können sie sich selbständig und
aus eigener Kraft aus ihrer Unterentwicklung befreien.“