„Christen und Muslime: gemeinsam die Armut besiegen“ lautet der Titel der Botschaft
zum Ende des Fastenmonats Ramadan, veröffentlicht am 11. September 2009. Wir dokumentieren
die Botschaft des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog in der offiziellen
deutschen Übersetzung:
Liebe muslimische Freunde!
Anlässlich
des Abschlusses des Monats Ramadan möchte ich an Sie alle meine Friedens- und Freudenwünsche
richten und Ihnen mit dieser Botschaft ein gemeinsames Nachdenken über das Thema:
Christen und Muslime: Gemeinsam die Armut besiegen vorschlagen.
Zweifelsohne muss man mit Freude feststellen, dass im Laufe der Jahre diese
Botschaft des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog nicht nur eine Gewohnheit
geworden ist, sondern eine erwünschte Begegnung. In manchen Ländern ist sie eine Gelegenheit
zum freundschaftlichen Zusammentreffen vieler Christen und Muslime. Es ist vielmehr
nicht selten, dass sie einer gemeinsamen Sorge entspricht und einen vertrauensvollen
und offenen Austausch fördert. Bilden all diese Elemente nicht schon auf den ersten
Blick Zeichen der Freundschaft zwischen uns, für die wir Gott Dank sagen sollen?
Um zum Thema dieses Jahres zu kommen: Der Mensch, der sich in einer Notsituation
befindet, liegt unbestreitbar den Geboten am Herzen, auf die wir alle aus verschiedenen
Gründen großen Wert legen. Die Aufmerksamkeit, das Mitleid und die Hilfe, die wir
alle, Brüder und Schwestern in Menschlichkeit, dem entgegenbringen können, der arm
ist, um ihm seinen Platz in der menschlichen Gesellschaft zurückzugeben, sind lebendige
Beweise der Liebe des Allerhöchsten, denn es ist der Mensch als solcher, den zu lieben
und zu unterstützen Er uns alle auffordert, ohne nach Zugehörigkeit zu unterscheiden.
Wir wissen alle, dass die Armut erniedrigt und unerträgliche Leiden
erzeugt; sie sind oft Quelle der Vereinsamung, der Wut, ja sogar des Hasses und des
Verlangens nach Rache. Das kann zu feindlichen Handlungen mit allen zur Verfügung
stehenden Mittel führen, die sogar mit Erwägungen religiöser Art gerechtfertigt werden:
sich im Namen einer angeblichen „göttlichen Gerechtigkeit“ des Reichtums des anderen,
sein Friede und seine Sicherheit inbegriffen, zu bemächtigen. Das ist der Grund, warum
die Zurückdrängung der Erscheinungsformen des Extremismus und der Gewalt notwendigerweise
den Kampf gegen die Armut durch die Förderung einer gesamtmenschlichen Entwicklung
impliziert, die Papst Paul VI. als den „neuen Namen für Frieden“ bezeichnet hat (Enzyklika
Populorum Progressio, 1975, Nr. 76). In seiner neuen Enzyklika Caritas in
Veritate über die gesamtmenschliche Entwicklung in der Liebe und in der Wahrheit stellt
Papst Benedikt XVI. unter Berücksichtigung des aktuellen Kontextes des Einsatzes für
die Entwicklung unter anderem die Notwendigkeit einer „neuen humanistischen Synthese“
(Nr. 21) ins Licht, die - die Offenheit des Menschen für Gott gewahrt - ihm seinen
Platz „als Mittel- und Höhepunkt“ der Welt zurückgibt (Nr. 57). Eine echte Entwicklung
muss also „den ganzen Menschen und alle Menschen“ fördern (Populorum Progressio,
Nr. 42).
In seiner Homilie am vergangenen 1. Januar anlässlich
des Welttages des Friedens 2009 hat Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. zwei Arten
von Armut unterschieden: eine zu bekämpfende Armut und eine zu umarmende Armut.
Die
zu bekämpfende Armut steht jedem vor Augen: Hunger, Trinkwassermangel, mangelhafte
ärztliche Versorgung und unzureichender Wohnraum, das Fehlen erzieherischer und kultureller
Einrichtungen, Analphabetismus, ohne jedoch auch die Existenz neuer Formen der Armut
zu übergehen, „wie z. B. die Phänomene der Marginalisierung, der relationalen, moralischen
und geistigen Armut in den reichen und entwickelten Gesellschaften“ (Botschaft zum
Weltfriedenstag 2009). Die freiwillig gewählte Armut ist diejenige, die zu einem
einfachen und wesentliche Lebensstil einlädt, der unnützen Aufwand meidet und die
Umwelt und alle Güter der Schöpfung achtet. Diese Armut ist auch, wenigstens zu bestimmten
Zeiten des Jahres, eine der Genügsamkeit und des Fastens. Die gewählte Armut befähigt
uns, aus uns selbst herauszutreten und das Herz zu weiten.
Als
Gläubige zusammenarbeiten zu wollen, um gemeinsam gerechte und dauerhafte Lösungen
für die Geißel der Armut zu suchen, bedeutet auch, über die großen Probleme unserer
Zeit nachzudenken und, wenn möglich, sich gemeinsam dafür einzusetzen, um dieses Ziel
zu erreichen. Deshalb ist es notwendig, dass die Bezugnahme auf die mit der Globalisierung
unserer Gesellschaften verbundenen Aspekte eine geistige und moralische Bedeutung
besitzt; denn wir teilen die Berufung, eine einzige Menschheitsfamilie zu gründen,
in der alle - Individuen, Völker, Nationen - ihr Verhalten nach den Grundsätzen der
Brüderlichkeit und Verantwortlichkeit ausrichten.
Ein
aufmerksamer Blick auf das komplexe Phänomen der Armut führt uns dazu, ihren Ursprung
wesentlich in dem Mangel an Achtung vor der angeborenen Würde des Menschen zu sehen,
und er ruft uns zu einer globalen Solidarität auf, z. B. durch die Annahme eines „gemeinsamen
ethischen Kodex“ (Johannes Paul II, Ansprache an die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften,
27. April 2001, Nr. 4).- dessen Normen nicht nur einen vertraglichen Charakter hätten,
sondern im Naturgesetz verwurzelt wären, das vom Schöpfer in das Gewissen eines jeden
Menschen eingeschrieben ist (vgl. Röm 2,14-15).
Es scheint,
dass wir an verschiedenen Orten der Welt von der Toleranz zur Begegnung geschritten
sind, angefangen mit dem gemeinsamen Erlebnis und den geteilten Sorgen. Das ist schon
ein bedeutendes Ziel, das erreicht wurde.
Wenn man allen den Reichtum
zur Verfügung stellt, der vom Gebet, dem Fasten und der Nächstenliebe der einen und
der anderen ausgeht, ist es dann nicht vielleicht möglich, dass der Dialog die lebendigen
Kräfte derer mobilisiert, die auf dem Weg zu Gott sind? Der Arme stellt eine Anfrage
an uns, fordert uns heraus; vor allem aber lädt er uns ein, für eine edle Sache zusammenzuarbeiten:
seine Armut zu besiegen!