Mit dem Reformator
Johannes Calvin beschäftigt sich unsere Sendung „Aktenzeichen“ von diesem Sonntag.
Gestaltet hat sie Aldo Parmeggiani.
Der Sinn des Lebens ist arbeiten. Die
schlimmsten Sünden sind schlafen, Zeit vergeuden, im Luxus schwelgen. Das Zeichen
göttlicher Auserwähltheit ist: der Wohlstand. Im frühkapitalistischen Europa des 18.
Jahrhunderts fielen die Lehren unseres heutigen „Aktenzeichens“ auf besonders fruchtbaren
Boden. Da war er allerdings schon lange tot. 1509 in der nordfranzösischen Picardie
geboren, wurde er nur 54 Jahre alt. Zu Lebzeiten war er ein heftig umstrittener Mensch.
Mit 24 Jahren musste der begabte Theologe und Rechtswissenschafter Frankreich verlassen,
weil er die katholische Kirche angegriffen und Reformen gefordert hatte. Ein Jahr
später brachte er sich in Basel, dann in Straßburg in Sicherheit, er traf sich mit
protestantischen Gleichgesinnten im norditalienischen Ferrara und ließ sich schließlich
in Genf nieder. Allerdings wurde er bald auch aus dieser Stadt vertrieben, weil er
mit seiner kirchlichen Neuordnung zu weit ging. Drei Jahre später wurde der Bibel-Professor
dann aber zurückgeholt, und von da an konnte er – sehr zum Unmut des Genfer Adels
– bestimmen, wie ein tugendhaftes Leben auszusehen hat. Dieser gestrenge Reformator,
der glaubte, dass es für jeden vorbestimmt ist, ob er in den Himmel oder in die Hölle
kommt, heißt Johannes Calvin. Ein halbes Jahrtausend nach seiner Geburt erweist sich
sein Denken in mancher Hinsicht als erstaunlich modern. Manche Züge Calvins und seines
Denkens bleiben den heutigen Menschen eher fremd, obwohl er die Moderne ganz maßgeblich
geprägt hat.
Johannes Calvin ist eine umstrittene Gestalt der Kirchengeschichte.
Bis heute gilt er nicht gerade als Sympathieträger und Triumphalismus wäre in diesem
Calvin-Jahr fehl am Platz. Calvin war ein Mann des Widerspruchs, sein Charakter eine
Mischung von Kälte und Milde. Aber zu Calvins Erbe gehört auch das leidenschaftliche
Ringen um soziale Gerechtigkeit. Seine Überlegungen über Sozialethik sind ungebrochen
aktuell.’Raubtierkapitalismus’ und Neoliberalismus von heute würden bei Calvin keine
Rechtfertigung finden.
Zunächst aber: Was bedeutet der Name "Calvin"? Und
Wie sah es in seinem Elterhaus aus?
Unter den Gelehrten des 16. Jahrhunderts
war es üblich, den eigenen Namen ins Lateinische zu übertragen. Calvin hieß ursprünglich
Cauvin (bzw. Chauvin), "der Kahle" (lat. calvus). Daraus leitet sich der Name "Calvinus"
ab. Als Kenner der Antike könnte Calvin zudem das Werk des Satirikers Juvenal vor
Augen gestanden haben, in dem eine Person namens "Calvinus" eine Rolle spielt. Sein
Vater, Gérard Cauvin, war zuerst apostolischer Notar des Domkapitels in Noyon. Er
wurde dann Steuerverwalter der Grafschaft Vermandois und schließlich Sekretär des
Bistums und ‘Promotor iustitiae’ (Kirchenanwalt) des Domkapitels. Johannes Calvins
Mutter, Jeanne Le Franc, war die Tochter eines vornehmen Bürgers und ehemaligen Gastwirts
von Noyon. Sie soll eine sehr fromme und schöne Frau gewesen sein. Jeanne Le Franc
starb bereits 1515, als Calvin gerade einmal fünf Jahre alt war.
Hatte Calvin
auch Geschwister?
Ja, insgesamt sechs. Sein älterer Bruder, Charles, starb
1536. François, einer der beiden jüngeren Brüder, ist wahrscheinlich schon früh gestorben.
Der andere, Antoine, lebte später mit Calvin in Genf ebenso wie Marie, eine der beiden
Schwestern aus der zweiten Ehe des Vaters. Über die zweite Halbschwester ist nichts
bekannt.
Wie kam Calvin zum evangelischen Glauben?
Schon früh wurde
Calvin von Zweifeln gequält, ob er mit seinem althergebrachten Glauben vor Gott bestehen
könne. Am Schicksal seines Vaters hatte er außerdem gesehen, wie zweifelhaft die römische
Kirche damals handeln konnte. Über den Vater war nämlich wegen einer ungeklärten Erbschaftsfrage
der kleine Kirchenbann verhängt worden. Deswegen sollte er nicht auf dem kirchlichen
Friedhof beerdigt werden. Unter anderem sein Vetter Pierre Robert Olivétan brachte
Calvin dann den evangelischen Glauben nahe.
Warum hat Calvin seine französische
Heimat verlassen?
1533 soll Calvin die Semestereröffnungsrede des Rektors der
Pariser Universität, Nicolas Cop, mitverfasst haben. Wegen seiner Sympathien für den
evangelischen Glauben wurde Cop angeklagt und musste nach Basel fliehen. Auch Calvin
sah sich genötigt, Paris vorerst zu verlassen. Er verzichtete 1534 auf seine Pfründe
in Noyon. Als Ende 1534 in Paris antirömische Plakate auftauchten, wurden die Protestanten
verfolgt. Calvin floh nach Basel und verfasste dort seine ‘Institutio’, in der er
gegenüber König Franz I. die Reformation verteidigte. Von nun an war es für Calvin
lebensgefährlich, nach Frankreich zurückzukehren. Ende Mai 1536 war er das letzte
Mal in seiner Heimat. Sein Bruder Charles war damals gestorben. Calvin holte seinen
jüngeren Bruder Antoine und seine Schwester Marie und verließ Frankreich für immer.
Hat
Calvin unter seinem Exil gelitten?
Ja, sehr! Vor allem die Nachrichten von
der Verfolgung der Protestanten in Frankreich haben ihm zugesetzt. Auch Freunde Calvins
wurden wegen ihres Glaubens hingerichtet. Calvin lebte im Exil insgesamt 25 Jahre
in Genf. Aber in der Stadt blieb er ein Fremder.
Welche Sprachen hat Calvin
gesprochen?
Natürlich Französisch, seine Muttersprache. Die Gelehrtensprache
seiner Zeit, Latein, beherrschte er wie kaum ein anderer. Gute Kenntnisse hatte Calvin
auch in den biblischen Sprachen, vor allem im Altgriechischen. Deutsch hat er in Straßburg
sicherlich gehört, aber er beherrschte allenfalls einige wenige Wörter.
Hat
Calvin überhaupt geheiratet?
Ja, Calvin heiratete 1540 Idelette de Bure. Nachdem
ihr Mann gestorben war, machte Martin Bucer, der Lehrer und Freund Calvins, ihn auf
die Witwe aufmerksam. Nach der Hochzeit im August 1540 zog Idelette dann mit Calvin
nach Genf.
Hatten die beiden Kinder?
Calvins Frau Idelette hatte aus
erster Ehe einen Sohn unbekannten Namens und eine Tochter Judith. Um die Tochter hat
sich Calvin wie ein Vater gekümmert. Der ältere Sohn blieb zunächst in Deutschland.
Calvin gelang es, ihn nach Genf zu holen. Das einzige gemeinsame Kind des Ehepaares,
der Sohn Jacques, lebte nur wenige Tage. Idelette war seit dessen Geburt und Tod im
August 1542 gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich davon nie mehr
richtig. Am 29. März 1549 starb sie in Genf.
War Calvin auch einmal in Deutschland?
Ja,
sogar mehrere Jahre. Das deutschsprachige Straßburg, wo Calvin von 1538-41 als Pfarrer
der französischen Flüchtlingsgemeinde arbeitete, gehörte damals als freie Reichsstadt
zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Von Straßburg aus unternahm Calvin
längere Reisen zu den Religionsgesprächen in Frankfurt a. M., Hagenau, Worms und Regensburg.
Dort lernte er die führenden deutschen Reformatoren kennen, auch Melanchthon. Außerdem
reiste Calvin 1556 erneut für zwei Wochen nach Frankfurt a. M., um Streitereien in
der französischen Gemeinde zu schlichten.
Hat Calvin Luther persönlich gekannt?
Nein.
Auch viele seiner Schriften, die nur auf Deutsch vorlagen, hat Calvin nicht gelesen.
Über Bucer und Melanchthon, die beide Luther sehr gut kannten, erhielt Calvin einen
guten Eindruck von dessen Persönlichkeit. Calvin verehrte den deutschen Reformator
Martin Luther. Aber er wusste auch deutlich um dessen Grenzen. Die sah er vor allem
da, wo Luther nicht in der Lage war, aus kirchenpolitischen Gründen innerprotestantisch
Rücksicht zu nehmen.
Welches Verhältnis hatte Calvin zu Zwingli?
Auch
den Zürcher Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) hat Calvin nie persönlich kennengelernt.
Als er sich der Reformation anschloss, war Zwingli schon tot. Er war im Oktober 1531
in der Schlacht bei Kappel gefallen. Allerdings lassen sich schon in der ersten Ausgabe
der Institutio Einflüsse von Zwinglis Theologie nachweisen. Calvin hat mit Sicherheit
mehrere seiner Werke studiert. In der Abendmahlsfrage war Calvin mit Zwingli nicht
ganz einig. Er wusste jedoch, dass dieser in seinen späten Schriften manches neu durchdacht
hatte. Deshalb konnte Calvin sich 1549 mit Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger,
in strittigen Fragen der Abendmahlslehre einigen (Consensus Tigurinus).
Wurden
in Genf zur Zeit Calvins Menschen hingerichtet?
Ja. In Genf galten die Bestimmungen
des Römischen Rechts. Und die sahen für Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Erst
gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden schwere Verbrechen zunehmend mit Zuchthaus
bestraft.
Welchen Anteil hatte Calvin an den Todesurteilen?
Der Genfer
Rat, dem Calvin nicht angehörte, verhängte alle Todesurteile. Allerdings lässt sich
fragen, ob Calvin nicht das ein oder andere Todesurteil Kraft seiner Autorität als
Genfer Pfarrer hätte verhindern können. Calvin glaubte jedoch den Vorwürfen der Pestverbreitung
gegen die Angeklagten und hielt die Urteile deshalb für rechtens. Beim Todesurteil
gegen den Arzt und Antitrinitarier Michael Servet steht fest, dass Calvin die nötigen
Hinweise zur Identifizierung und Überführung Servets lieferte. Er trägt also Mitverantwortung
für die Verfolgung eines "Ketzers", obwohl er wusste, dass auch seine eigenen Anhänger
unter dem zweifelhaften Vorwurf der Ketzerei hingerichtet wurden. Calvin bat den Rat
darum, sowohl die "Pestverbreiter" als auch Servet nicht bei lebendigem Leibe zu verbrennen,
was eine besonders grausame Todesstrafe war. In Servets Fall kam der Rat dieser Bitte
jedoch nicht nach.
Was war Calvins Lieblingsbibelstelle?
Besonders den
Ersten Korintherbrief des Apostels Paulus schätzte Calvin sehr hoch. In seiner Institutio
von 1559 zitiert er elf Mal 1. Korinther 1,30: "Von Gott kommt auch ihr her in Christus
Jesus, welcher uns gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung
und zur Erlösung." Dies dürfte auch seine Lieblingsbibelstelle gewesen sein.