2009-09-11 16:29:14

Aktenzeichen: Johannes Calvin


RealAudioMP3 Mit dem Reformator Johannes Calvin beschäftigt sich unsere Sendung „Aktenzeichen“ von diesem Sonntag. Gestaltet hat sie Aldo Parmeggiani.

Der Sinn des Lebens ist arbeiten. Die schlimmsten Sünden sind schlafen, Zeit vergeuden, im Luxus schwelgen. Das Zeichen göttlicher Auserwähltheit ist: der Wohlstand. Im frühkapitalistischen Europa des 18. Jahrhunderts fielen die Lehren unseres heutigen „Aktenzeichens“ auf besonders fruchtbaren Boden. Da war er allerdings schon lange tot. 1509 in der nordfranzösischen Picardie geboren,  wurde er nur 54 Jahre alt. Zu Lebzeiten war er ein heftig umstrittener Mensch. Mit 24 Jahren musste der begabte Theologe und Rechtswissenschafter Frankreich verlassen, weil er die katholische Kirche angegriffen und Reformen gefordert hatte. Ein Jahr später brachte er sich in Basel, dann in Straßburg in Sicherheit, er traf sich mit protestantischen Gleichgesinnten im norditalienischen Ferrara und ließ sich schließlich in Genf nieder. Allerdings wurde er bald auch aus dieser Stadt vertrieben, weil er mit seiner kirchlichen Neuordnung zu weit ging. Drei Jahre später wurde der Bibel-Professor dann aber zurückgeholt, und von da an konnte er – sehr zum Unmut des Genfer Adels – bestimmen, wie ein tugendhaftes Leben auszusehen hat. Dieser gestrenge Reformator, der glaubte, dass es für jeden vorbestimmt ist, ob er in den Himmel oder in die Hölle kommt, heißt Johannes Calvin. Ein halbes Jahrtausend nach seiner Geburt erweist sich sein Denken in mancher Hinsicht als erstaunlich modern. Manche Züge Calvins und seines Denkens bleiben den heutigen Menschen eher fremd, obwohl er die Moderne ganz maßgeblich geprägt hat.


Johannes Calvin ist eine umstrittene Gestalt der Kirchengeschichte. Bis heute gilt er nicht gerade als Sympathieträger und Triumphalismus wäre in diesem Calvin-Jahr fehl am Platz. Calvin war ein Mann des Widerspruchs, sein Charakter eine Mischung von Kälte und Milde. Aber zu Calvins Erbe gehört auch das leidenschaftliche Ringen um soziale Gerechtigkeit. Seine Überlegungen über Sozialethik sind ungebrochen aktuell.’Raubtierkapitalismus’ und Neoliberalismus von heute würden bei Calvin keine Rechtfertigung finden.
 
Zunächst aber: Was bedeutet der Name "Calvin"? Und Wie sah es in seinem Elterhaus aus?

Unter den Gelehrten des 16. Jahrhunderts war es üblich, den eigenen Namen ins Lateinische zu übertragen. Calvin hieß ursprünglich Cauvin (bzw. Chauvin), "der Kahle" (lat. calvus). Daraus leitet sich der Name "Calvinus" ab. Als Kenner der Antike könnte Calvin zudem das Werk des Satirikers Juvenal vor Augen gestanden haben, in dem eine Person namens "Calvinus" eine Rolle spielt.
Sein Vater, Gérard Cauvin, war zuerst apostolischer Notar des Domkapitels in Noyon. Er wurde dann Steuerverwalter der Grafschaft Vermandois und schließlich Sekretär des Bistums und ‘Promotor iustitiae’ (Kirchenanwalt) des Domkapitels. Johannes Calvins Mutter, Jeanne Le Franc, war die Tochter eines vornehmen Bürgers und ehemaligen Gastwirts von Noyon. Sie soll eine sehr fromme und schöne Frau gewesen sein. Jeanne Le Franc starb bereits 1515, als Calvin gerade einmal fünf Jahre alt war.

Hatte Calvin auch Geschwister?

Ja, insgesamt sechs. Sein älterer Bruder, Charles, starb 1536. François, einer der beiden jüngeren Brüder, ist wahrscheinlich schon früh gestorben. Der andere, Antoine, lebte später mit Calvin in Genf ebenso wie Marie, eine der beiden Schwestern aus der zweiten Ehe des Vaters. Über die zweite Halbschwester ist nichts bekannt.

Wie kam Calvin zum evangelischen Glauben?

Schon früh wurde Calvin von Zweifeln gequält, ob er mit seinem althergebrachten Glauben vor Gott bestehen könne. Am Schicksal seines Vaters hatte er außerdem gesehen, wie zweifelhaft die römische Kirche damals handeln konnte. Über den Vater war nämlich wegen einer ungeklärten Erbschaftsfrage der kleine Kirchenbann verhängt worden. Deswegen sollte er nicht auf dem kirchlichen Friedhof beerdigt werden. Unter anderem sein Vetter Pierre Robert Olivétan brachte Calvin dann den evangelischen Glauben nahe.

Warum hat Calvin seine französische Heimat verlassen?

1533 soll Calvin die Semestereröffnungsrede des Rektors der Pariser Universität, Nicolas Cop, mitverfasst haben. Wegen seiner Sympathien für den evangelischen Glauben wurde Cop angeklagt und musste nach Basel fliehen. Auch Calvin sah sich genötigt, Paris vorerst zu verlassen. Er verzichtete 1534 auf seine Pfründe in Noyon. Als Ende 1534 in Paris antirömische Plakate auftauchten, wurden die Protestanten verfolgt. Calvin floh nach Basel und verfasste dort seine ‘Institutio’, in der er gegenüber König Franz I. die Reformation verteidigte. Von nun an war es für Calvin lebensgefährlich, nach Frankreich zurückzukehren.
Ende Mai 1536 war er das letzte Mal in seiner Heimat. Sein Bruder Charles war damals gestorben. Calvin holte seinen jüngeren Bruder Antoine und seine Schwester Marie und verließ Frankreich für immer.

Hat Calvin unter seinem Exil gelitten?

Ja, sehr! Vor allem die Nachrichten von der Verfolgung der Protestanten in Frankreich haben ihm zugesetzt. Auch Freunde Calvins wurden wegen ihres Glaubens hingerichtet. Calvin lebte im Exil insgesamt 25 Jahre in Genf. Aber in der Stadt blieb er ein Fremder.

Welche Sprachen hat Calvin gesprochen?

Natürlich Französisch, seine Muttersprache. Die Gelehrtensprache seiner Zeit, Latein, beherrschte er wie kaum ein anderer. Gute Kenntnisse hatte Calvin auch in den biblischen Sprachen, vor allem im Altgriechischen. Deutsch hat er in Straßburg sicherlich gehört, aber er beherrschte allenfalls einige wenige Wörter.

Hat Calvin überhaupt geheiratet?

Ja, Calvin heiratete 1540 Idelette de Bure. Nachdem ihr Mann gestorben war, machte Martin Bucer, der Lehrer und Freund Calvins, ihn auf die Witwe aufmerksam. Nach der Hochzeit im August 1540 zog Idelette dann mit Calvin nach Genf.

Hatten die beiden Kinder?

Calvins Frau Idelette hatte aus erster Ehe einen Sohn unbekannten Namens und eine Tochter Judith. Um die Tochter hat sich Calvin wie ein Vater gekümmert. Der ältere Sohn blieb zunächst in Deutschland. Calvin gelang es, ihn nach Genf zu holen. Das einzige gemeinsame Kind des Ehepaares, der Sohn Jacques, lebte nur wenige Tage. Idelette war seit dessen Geburt und Tod im August 1542 gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich davon nie mehr richtig. Am 29. März 1549 starb sie in Genf.

War Calvin auch einmal in Deutschland?

Ja, sogar mehrere Jahre. Das deutschsprachige Straßburg, wo Calvin von 1538-41 als Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde arbeitete, gehörte damals als freie Reichsstadt zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Von Straßburg aus unternahm Calvin längere Reisen zu den Religionsgesprächen in Frankfurt a. M., Hagenau, Worms und Regensburg. Dort lernte er die führenden deutschen Reformatoren kennen, auch Melanchthon. Außerdem reiste Calvin 1556 erneut für zwei Wochen nach Frankfurt a. M., um Streitereien in der französischen Gemeinde zu schlichten.

Hat Calvin Luther persönlich gekannt?

Nein. Auch viele seiner Schriften, die nur auf Deutsch vorlagen, hat Calvin nicht gelesen. Über Bucer und Melanchthon, die beide Luther sehr gut kannten, erhielt Calvin einen guten Eindruck von dessen Persönlichkeit. Calvin verehrte den deutschen Reformator Martin Luther. Aber er wusste auch deutlich um dessen Grenzen. Die sah er vor allem da, wo Luther nicht in der Lage war, aus kirchenpolitischen Gründen innerprotestantisch Rücksicht zu nehmen.

Welches Verhältnis hatte Calvin zu Zwingli?

Auch den Zürcher Reformator Ulrich Zwingli (1484-1531) hat Calvin nie persönlich kennengelernt. Als er sich der Reformation anschloss, war Zwingli schon tot. Er war im Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel gefallen. Allerdings lassen sich schon in der ersten Ausgabe der Institutio Einflüsse von Zwinglis Theologie nachweisen. Calvin hat mit Sicherheit mehrere seiner Werke studiert. In der Abendmahlsfrage war Calvin mit Zwingli nicht ganz einig. Er wusste jedoch, dass dieser in seinen späten Schriften manches neu durchdacht hatte. Deshalb konnte Calvin sich 1549 mit Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger, in strittigen Fragen der Abendmahlslehre einigen (Consensus Tigurinus).

Wurden in Genf zur Zeit Calvins Menschen hingerichtet?

Ja. In Genf galten die Bestimmungen des Römischen Rechts. Und die sahen für Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden schwere Verbrechen zunehmend mit Zuchthaus bestraft.

Welchen Anteil hatte Calvin an den Todesurteilen?

Der Genfer Rat, dem Calvin nicht angehörte, verhängte alle Todesurteile. Allerdings lässt sich fragen, ob Calvin nicht das ein oder andere Todesurteil Kraft seiner Autorität als Genfer Pfarrer hätte verhindern können. Calvin glaubte jedoch den Vorwürfen der Pestverbreitung gegen die Angeklagten und hielt die Urteile deshalb für rechtens. Beim Todesurteil gegen den Arzt und Antitrinitarier Michael Servet steht fest, dass Calvin die nötigen Hinweise zur Identifizierung und Überführung Servets lieferte. Er trägt also Mitverantwortung für die Verfolgung eines "Ketzers", obwohl er wusste, dass auch seine eigenen Anhänger unter dem zweifelhaften Vorwurf der Ketzerei hingerichtet wurden. Calvin bat den Rat darum, sowohl die "Pestverbreiter" als auch Servet nicht bei lebendigem Leibe zu verbrennen, was eine besonders grausame Todesstrafe war. In Servets Fall kam der Rat dieser Bitte jedoch nicht nach.

Was war Calvins Lieblingsbibelstelle?

Besonders den Ersten Korintherbrief des Apostels Paulus schätzte Calvin sehr hoch. In seiner Institutio von 1559 zitiert er elf Mal 1. Korinther 1,30: "Von Gott kommt auch ihr her in Christus Jesus, welcher uns gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung." Dies dürfte auch seine Lieblingsbibelstelle gewesen sein.

Aldo Parmeggiani, Rom
(rv 13.09.2009 ap)









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