Was geht in einem
religiös motivierten Selbstmordattentäter vor? Unter anderem auf diese brisante Frage
suchte vor kurzem der Internationale Kongress für Religionspsychologie in Wien eine
Antwort. Und diese Antwort fiel irritierend oder zumindest überraschend aus – erklärt
die Religionspsychologin Susanne Heine von der Evangelisch-Theologischen Fakultät
der Universität Wien. Im Gespräch mit „Kathpress“ betonte sie, dass empirische Forschungen
gezeigt hätten: „Auch Attentäter können religiös Suchende sein.“ Dies sei „ein durchaus
neuer Aspekt in der aktuellen Debatte.
Heine widerspricht der verbreiteten
These, dass fundamentalistische Attentäter Religion nur instrumentalisieren und zur
Rechtfertigung ihrer Gewalttaten anführen. Stattdessen habe die Religionspsychologie
zeigen können, dass sich diese Menschen durchaus auf dem Weg spirituell-religiöser
Suche befinden. Freilich lasse dieser Befund keine Verallgemeinerung derart zu, dass
jeder spirituell Suchende ein potenzieller Gewalttäter sei. Es bedürfe hierzu vielmehr
eines Zusammenspiels mehrerer Faktoren, wie etwa eines spezifischen Persönlichkeitsprofils,
dem Gewalt prinzipiell nicht fremd ist und dem etwa eine Identifizierung mit einer
Opferrolle leicht fällt.
Auch mangelnde Empathie- und Kommunikationsfähigkeit
seien Faktoren, die zu einer selektiven religiösen Suche Anlass geben, so Heine. Eine
solche Suchbewegung fokussiere etwa vor allem jene Passagen in Heiligen Schriften,
in denen sie die eigene Opferrolle bestätigt finden, in denen einfache Weltbilder
gezeichnet werden oder eine „Reinigung“ der Welt als göttliche Aufgabe empfohlen würde.
Einen besonderen Stellenwert räume die Religionspsychologie in diesem Zusammenhang
der Erfahrung von Demütigungen ein. Verlusterfahrungen seien psychologisch wesentlich
leichter zu verarbeiten als Erfahrungen der Demütigung, so Heine. Im Blick auf den
Islam lasse sich eine lange Geschichte der Demütigungen durch „den Westen“ aufzeigen,
die bis in die Zeit der Kolonialisierungen zurückreiche. Demütigungserfahrungen bilden
laut Heine „psychische Sedimente“, die sich über das kollektive Gedächtnis erhalten
und auch heute noch - durch Medien kommuniziert - zu Traumatisierungen führen können.
Zur Positionierung der Religionspsychologie zwischen Theologie und Psychologie
betont Heine die unbedingte Selbstständigkeit des Faches. Trotz zahlreicher inhaltlicher
Überschneidungen legen insbesondere die Religionspsychologen großen Wert auf eine
strikte Abgrenzung des Faches von der Theologie. Heine führt dies auf die lange Emanzipationsgeschichte
des Faches zurück, dass sich - wie die gesamte Psychologie - nur mühsam von Philosophie
und Theologie emanzipierte, indem der Fokus stärker auf empirische Fragestellungen
und Forschung gelegt wurde.