Afghanistan hat gewählt.
Trotz Gewalt gingen nach ersten Angaben zwischen 40 und 50 Prozent an die Urnen. Das
Ergebnis der Präsidentschaftswahl werde laut Wahlkommission frühestens am Sonntag
feststehen. Internationale Beobachter bewerten den Ablauf der Wahlen unterschiedlich.
Sie seien ruhiger als erwartet verlaufen, sagte gegenüber Radio Vatikan der Seelsorger
der internationalen katholischen Gemeinschaft in Kabul, Pater Giuseppe Moretti. Die
größte Herausforderung für die neue Regierung sei jetzt, die hohe Frustration in der
Bevölkerung abzubauen. Die Menschen seien angesichts des Stillstandes und der Korruption
enttäuscht:
„Die Afghanen wissen von den großen Hilfsleistungen aus dem
Ausland und fragen sich, wohin diese eigentlich verschwunden sind. Hinzu kommt, dass
der größte Teil der Bevölkerung keinen Zugang zu fließendem Wasser oder Elektrizität
hat. Die Löhne sind niedrig, es gibt viele Arbeitslose. Das alles bildet ein Substrat
für eine große Unzufriedenheit. Die resultiert daraus, dass viel versprochen und zu
wenig konkret umgesetzt wurde.“
Der UNO-Sicherheitsrat hat die Bürger in
Afghanistan zu der Präsidenten- und Regionalwahl in ihrem Land beglückwünscht. Zugleich
verurteilte der Sicherheitsrat die Versuche der aufständischen Taliban, die Abstimmung
zu stören. Nach Angaben der Regierung in Kabul wurden am Wahltag am Donnerstag bei
Anschlägen und Gefechten mehr als 50 Menschen getötet. Einen starken Rückhalt hätten
die Islamisten in der Bevölkerung nicht, sagt Pater Moretti:
„Die Menschen
in Afghanistan sind nicht nostalgisch. Sie sehnen sich nicht nach den Taliban. Natürlich
werden hie und da Stimmen laut, die angesichts der hohen Kleinkriminalität, der steigenden
Lebenshaltungskosten sagen, früher ging es uns besser, auch wenn die Regierung schlechter
war. Aber solche Äußerungen entspringen keiner echten Überzeugung. Das ist eher eine
instinktive Reaktion von Menschen, die sich nach Ruhe und Wohlstand sehnen.“
Nach
ersten Hochrechnungen beanspruchen sowohl der amtierende Präsident Hamid Karsai als
auch sein Herausforderer, Abdullah Abdullah, den Sieg für sich. Egal wer gewinne,
Afghanistan brauche einen radikalen politischen Strategiewechsel, sagte im Kölner
Domradio Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung. Sonst seien
die Perspektiven für das Land düster, meint Schetter:
„Wir haben eine Eskalation
der Gewalt in den letzten drei Jahren. Wir sehen, dass der Wiederaufbau immer stärker
ins Stocken gerät. Wir sehen eine große Frustration bei den Afghanen, die die internationale
Gemeinschaft immer mehr ablehnt. Hier muss wirklich etwas passieren. Sonst erlebt
die Gemeinschaft in Afghanistan ein zweites Vietnam.“