Menschen in der Zeit Mario Adorf: Bald 80…und immer noch im Rampenlicht
Der 1930 in Zürich
geborene Mario Adorf ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Schauspieler unserer
Zeit. Vielfach ausgezeichnet, gehört er zu den profiliertesten und beliebtesten zeitgenössischen
Darstellern bei Bühne, Kino und Fernsehen auf der internationalen Ebene. Sein schauspielerisches
Repertoire drückt sich meist in Charakteren aus, die zwischen raubeinigen Männern,
ehrenwerten Signori und gleich mehreren Päpsten liegen. Mario Adorf ist bereits in
sein 80. Lebensjahr eingetreten, feiert seinen Geburtstag jedoch erst im kommenden
Jahr. Vermutlich wird er sich der Flut von Interviewfragen dann wohl kaum mehr erwehren
können. Daher unser frühzeitiges Sendeangebot - Mario Adorf ist uns – wir er selbst
bestätigt – dankbar dafür. Für Mario Adorf verlief das Leben bisher – wie bei vielen
Schauspielern - auf einer Trennlinie zwischen Fiktion und Realität. Heute aber richten
sich unsere Blicke in der Hauptsache hinter die Kulissen und konzentrieren sich in
erster Linie auf den Menschen Mario Adorf. Eine erste Frage lautet deshalb: Herr Adorf,
mussten Sie denn viel kämpfen, um das zu werden, was Sie geworden sind?
‘Eigentlich
nicht. Ich hatte eine schwere Kindheit, ich hatte eine relativ schwere Jugend, aber
als dann die Weichen gestellt waren, als ich meinen Beruf gefunden hatte - ich hatte
ihn gar nicht erstrebt, sondern ich hatte ihn sozusagen gefunden - da ging alles doch
relativ leicht weiter. Es hatte sich auch der Erfolg sehr schnell eingestellt, obwohl
es immer ein Erfolg der kleinen Schritte war. Es gab nicht den großen Durchbruch –
wie wann das nennt, es waren kleine Schritte, aber ich hatte immer das Gefühl, dass
es aufwärts geht’.
Sie gelten allgemein als charmanter, liebenswerter Mensch,
obwohl Sie sehr oft ziemlich harte Rollen spielen. Wie gelingt es Ihnen, Ihr Äußeres
mit dem Inneren auszutauschen, oder umgekehrt?
‘Ja, das hat damit zu tun: Solange
ich dunkelhaarig war und vielleicht sogar auch einen Bart trug, was ja damals nicht
immer üblich war, lag es nahe, dass ich die finsteren Rollen bekam. Die etwas helleren
Charaktere, die etwas weicheren und charmanteren Rollen, sind mir erst im späteren
Alter, als die Haare grau oder weiss wurden, zugeteilt worden. - Ich hab aber auch
mehrere Päpste gespielt.: Sixtus V. in den Film von Luigi Magni ‘State buoni, se potete’,
dann habe ich noch einmal Urban VIII. gespielt - in der Mary Ward-Geschichte – wie
mir halt durch das Alter so Rollen zugeteilt wurden, die mir eine gewisse Autorität
zubilligten’.
Herr Adorf, etwas was Sie besonders sympathisch macht, ist wohl
auch ihr bestechender Humor. Humor kann man ja bekanntlich nicht erlernenen, sondern
man hat ihn oder man hat ihn nicht. Sie wurden deshalb sogar ausgezeichnet mit dem
‘Orden wider dem tieirischen Ernst’ und sind da in bester Gesellschaft zusammen mit
einem Dietrich Genscher, Johannes Rau oder Kardinal Karl Lehmann. Was ist Humor, Herr
Adorf?
‘Ich glaube, für mich selbst ist Humor, sich selbst nicht allzu ernst
zu nehmen. Wenn man sich selbst zu ernst nimmt, dann ist einem der Humor ja verwehrt,
dann nimmt man ja alle Situationen zu ernst,, dann hat der Humor gar keinen Platz.
Sobald man sich selbst nicht so ernst nimmt, hat man auch den Abstand und die Möglichkeit
über sich selbst zu lächeln und auch über die Dinge zu lächeln und zu lachen und sie
damit manchmal auch zu entschärfen’.
Sich nicht zu ernst nehmen, das war auch
ein bekanntes Motto von Papst Johannes XXIII., der ja auch der gute, der lächelnde
Papst genannt wird. - Die Welt feiert in diesem Jahr das Jahr der Astronomie, natürlich
auch im Vatikan. Dabei steht der große Wissenschaftler Galileo Galilei selbstverständlich
im Vordergrund. Das Verhältnis Vatikan – Galilei war ja viele Jahrhunderte – bis zur
Rehabilitierung durch Papst Johannes Paul II. durchaus kontrovers. Sie Herr Adorf
haben in der Reihe ‘Weltmacht Vatikan’ Galilei dargestellt. Was hat Sie persönlich
an diesem hervorragenden Menschen besonders beeindruckt?
‘Mich hat Galileo
als Figur schon als Student, als junger Mann immer fasziniert. Als ich dann diesen
Film drehen konnte, hatte ich auch die Gelegenheit mit dem heutigen Papst zu sprechen
– ich habe ihn ja interviewt in diesem Film – das war schon sehr interessant. Ich
habe Galileo dann noch einmal gespielt, zusammen mit Sir Peter Ustinow. Das ging es
um ein Interview, dass Ustinow mit Galileo führte. Das war schon eine sehr interessante
Sache, diese Figur zu spielen, zumal wir auch in dem Raum spielten, in dem Galileo
in der Villa Medici interniert war, während seines Prozesses. Also die ganze Geschichte
hat mich schon eine längere Zeit sehr verfolgt.’
Sie sagten es eben: Sie haben
Papst Benedikt XVI. in der Rolle eines Journalisten in der TV-Serie Galileo Galilei
interviewt. Damals war Joseph Ratzinger noch Präfekt der römischen Glaubenskongregation.
Wie haben Sie ihn erlebt, den heutigen Papst?
‘Ja, doch als sehr vorsichtig,
etwas abwägend. Er ist nicht eingegangen auf dem Vorwurf, den wir im Film erhoben
hatten, sondern er hat auf Kardinal Ottaviani hingewiesen, dass dieser mit dieser
Geschichte befasst sei und dass er im Augenblick eigentlich nicht die richtige Adresse
sei. Aber es war ein sehr angenehmes Gespräch. Er hatte mich zuerst auch nicht erkannt,
und dann erst – auf Nachfrage bei seinen Mitarbeitern – hat er dann herausbekommen,
dass ich der Schauspieler Mario Adorf war und das hat die ganze Angelegenheit wieder
entschärft. Wir sprachen sehr schön miteinander und wir haben uns dann noch öfters
getroffen auf dem Flughafen. Ich habe immer bewundert, dass er ohne Bodyguard oder
irgendwelche Begleitung ganz allein zwischen München und Rom, hin- und zurück reiste.
Vielleicht ergibt sich auch die Gelegenheit, dass ich ihn als Papst treffen kann’.
Welche Fragen würden Sie ihn denn stellen, wenn Sie ihn heute begegnen würden?
Oder besser: was würden Sie ihm denn gerne sagen? Was läge Ihnen denn so am Herzen?
‘Das
ist eine schwere Frage. Ich habe mir diese Frage realistisch nie gestellt, Was würde
ich ihn fragen? Das wäre eine Überlegung. Das kann man nicht so spontan sagen….Welche
Frage stellt man dem heutigen Papst? In der heutigen Situation? Wie heute die Welt
ist und wie heute die Kirche dasteht? Sicher, es gibt Fragen, aber man möchte ja nicht
Allerweltsfragen stellen…Ich würde vielleicht fragen: haben Sie denn von Gunther Grass
dieses Buch gelesen, wo er die Vermutung anstellt, dass Sie der waren, dieser Josef
im Gefangenenlager….So was würde ich gerne fragen zum Beispiel. Keine grundsätzlichen
Fragen über Verhütung und so weiter….das würde ich mich gar nicht trauen und nicht
anrühren wollen…’
Oder zum Beispiel eine Frage über die neue Enzyklika des
Papstes: ‘Caritas in veritate’, die vor einigen Wochen erschienen ist. Haben Sie sie
auszugsweise schon gelesen?
‘Leider nicht, leider nicht. Ich habe davon gehört.
Sie ist sicher sehr interessant. Kann man da übers Internet irgendwie dazukommen?
Aber sicher, selbstverständlich. Wir haben eine Homepage von Radio Vatikan:
wenn Sie die eintippen –Radio Vatikan, deutsch – dann bekommen Sie die ganze Enzyklika
geliefert..
‘Oh, das werde ich dann tun, das werde ich tun.’
Bleiben
wir noch kurz beim Vatikan, Herr Adorf. Sie sind Katholik. Was finden Sie an dieser
Religion besonders gut, was würden Sie daran ändern?
(Lacht). Das ist wieder
eine sehr, sehr große und lange Frage! Ich bin ja in einem Waisenhaus aufgewachsen
unter Schwestern, Benediktinerinnen, und meine Einstellung zur Religion wurde dadurch
sehr geprägt. Dann darf man nicht vergessen, dass in der gleichen Zeit auch der Nationalsozialismus
herrschte, diese unheilige Kraft, die auch auf einem einwirkte, das waren alles Dinge,
die einem letztlich beeinflusst haben.’
Herr Adorf, Sie haben nicht nur eine
schier unübersehbare Reihe von Filmen gedreht, Sie sind auch Schriftsteller. So haben
Sie zum Beispiel eine sehr bewegende Hommage über Ihre Mutter geschrieben. Wie würden
Sie den Begriff der Liebe zur Mutter, der ja vielen Söhnen zu Eigen ist, in wenigen
Worten umschreiben?
‘Ja, ich hatte ein besonderes Verhältnis zu meiner Mutter.
Die Beurteilung oder überhaupt die Einstellung zu meiner Mutter war die eines Erwachsenen.
Das heißt: die Bewunderung für eine Frau, die ein schweres Leben hatte, die ein uneheliches
Kind in einer schweren Zeit geboren und aufgezogen hat. Es war immer ein Verhältnis,
nicht der großen Intimität und der Zärtlichkeit, sondern doch eigentlich der großen
Bewunderung. Sie war auch eine sehr gute Richterin über meinen Dingen, die ich tat,
auch über Dinge, die ich schlecht tat nach ihrer Meinung. Also sie war schon für mich
eine sehr wichtige Person, in meinem ganzen Leben. Bis zu einem gewissen Punkt natürlich.’
Ihre Vorliebe zur italienischen Kultur ist ja bekannt: Sie haben viele Jahre
in Rom gelebt. Was bedeutet Ihnen diese Stadt?
‘Ich habe verschiedene Arten
von Rom kennen gelernt, ich habe schon als Student das klassische Rom kennen gelernt
und ich habe mich interessiert für die Kultur, für die Architektur, für die weltliche
und kirchliche Geschichte. Und dann kam ich in das völlig andere Rom der 60er Jahre,
das Rom der ‘Dolce vita’, wo ich auch zugebe, dass ich als junger Mann diese Zeit
durchaus genossen habe. Bis dann in der jüngeren Vergangenheit eine gewisse – nicht
Müdigkeit – aber doch ein Abschluss zu erkennen war. Ich habe viele Jahre in Rom gelebt,
das war ein ganz wichtiger, ein großer Abschnitt meines Lebens, Rom ist von meinem
Leben gar nicht mehr zu trennen, obwohl ich mich jetzt ja aus Rom zurückgezogen habe,
ich habe das gute, das beste – für mich das beste Rom - erlebt und dann war es eben
vor vier fünf Jahren nicht mehr so’.
Von Italien nach Deutschland; Die Bundesrepublik
ist in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden. Sie sind eingeladen worden, and den Feierlichkeiten
in Berlin teilzunehmen. Ist die Bundesrepublik ein Vorzeigestaat für Europa, die Welt?
‘Deutschland ist zumindest ein Staat, der die Demokratie ernst genommen hat.
Ein Staat, der aus einer sehr unguten Geschichte – den Nationalsozialismus – herausgefunden
hat, zu einer Form der Demokratie, die in Europa – das kann man sagen – doch zu den
besseren oder besten Demokratien gehört. Das kann man schon grundsätzlich einmal sagen.
Wie allerdings sonst alles gehandhabt wird,…. damit muss man nicht immer unbedingt
einverstanden sein’.
Durch zwei Ereignisse ist der Begriff Holocaust in diesem
Jahr besonders oft zur Titelseite der Medien erhoben worden. Erstens durch die Affäre
um den Bischof Williamson von der Piusbruderschaft, der ihn leugnet und zweitens durch
den historischen Besuch von Papst Benedikt XVI. in Yad Vashem in Jerusalem, der den
Holocaust als größten Schandfleck der Geschichte bezeichnet hat. Eine Frage an den
Schauspieler Mario Adorf: Sie haben in dem Spielfilm ‘Epsteins Nacht’ mit Bruno Ganz
die Hauptrolle in diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte gespielt. Das war
Fiktion. Kann man den Holocaust, kann man Auschwitz, überhaupt als Realität begreiflich
darstellen?
‘Ich muss sagen, ich habe da inzwischen eingesehen – es ist mir
sehr viel klarer geworden als früher – dass gewisse Dinge leichter darstellbar sind
durch Fiktion, als durch Dokumentation. Das ist eine merkwürdige Geschichte – man
würde doch eher sagen, dass dokumentarische Hinweise, das Zeigen von Fotos, von Bildern,
von Filmen eine große Wirkung hat – un dann merkt man zum Beispiel, dass ein fiktionaler
Film, wie der Film über den Holocaust, eine viel größere emotionale Wirkung hat, obwohl
er gar nicht mehr so nahe an der Realität ist. Das ist eine ganz merkwürdige und sehr
wichtige Sache, die ich erst sehr spät so begriffen habe’.
Bevor wir diesen
Gespräch abschließen müssen, sagen Sie uns doch noch etwas über Europa, bitte: Was
ist für Sie das vereinte Europa oder die EU? Sehen Sie es als Fortschritt in der Menschheit,
ganzheitlich gesehen, oder finden Sie, dass Europa, das jetzige Europa, wie es sich
präsentiert, sich zu schwach, zu bürokratisch darstellt?
‘Von Anfang an, als
man von Europa noch gar nicht sprach, empfand ich mich als Europäer: durch meine Geburt
in der Schweiz, durch meine italienische, durch meine deutsche Herkunft empfand ich
mich selbst immer als Europäer. Ich glaube an Europa und ich glaube an die Wichtigkeit
Europas. Ob der Weg dorthin so leicht ist, wie man es sich heute vorstellt und was
da alles noch passieren wird, das steht auf einem anderen Blatt. Und da haben Sie
recht, wenn Sie das Wort bürokratisch benützen, Im Augenblick passiert sehr viel Kleinkram
und sehr viel Egoistisches von Seiten der einzelnen Staaten. Also, es ist sicher kein
leichter Weg. Aber dass es ein guter Weg ist, davon bin ich überzeugt. Wie sind zusammengerückt,
alles was sich nach dem 2. Weltkrieg wieder ereignet hat, an Annährung, an Kenntnis,
sind Dinge, die letzten Endes Kriege unmöglich machen. Das wäre für mich das Allerwichtigste:
dass Kriege in der Zukunft – wie auch immer die Staaten sich arrangieren – dass Kriege
als Lösung von politischen Konflikten unmöglich werden. Das ist mein größter Wunsch
und daran möchte ich auch sehr gerne glauben’.