Vatikan an Priester: „Geht hinaus, habt keine Angst!“
Die katholischen Priester
der Weltkirche sollen sich angesichts der Entchristlichung unserer Zeit nicht „in
die Schützengräben des Widerstands“ zurückziehen. Darum bittet sie der Vatikan-Verantwortliche
für Priester. „Wir dürfen weder mutlos werden noch vor der aktuellen Gesellschaft
Angst haben oder sie einfach verurteilen. Sie muss gerettet werden!“, schreibt der
Präfekt der Kleruskongregation, Kardinal Cláudio Hummes, in einem Brief an die Priester
zum Festtag des Heiligen Jean-Marie Vianney. An diesem Dienstag jährt sich Vianneys
Todestag zum 150. Mal. Jede Kultur des Menschen, auch die heutige, könne evangelisiert
werden, ermutigte der Kardinal die Priester. Gegenüber Radio Vatikan sagt Kardinal
Hummes:
„Der diesjährige Gedenkttag des Heilgen von Ars fällt mit dem Priesterjahr
zusammen. Ich denke, dass die heutigen Priester vom Heiligen Jean-Marie Vianney viel
lernen können. Durch seine großherzige und unermüdliche Hingabe an die Seelsorge und
begleitet von einer tiefen Askese sowie geistlichem Leben gelangte er zu einer anerkannten
Heiligkeit. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich an diesem Gedenktag einen Gottesdienst
in Ars zelebrieren darf.“
Besonders lud Kardinal Hummes die Priester dazu
ein, auf die Getauften, aber „Fernstehenden“ zuzugehen. Auch die Armen und die Familien
sollten besonders Schwerpunkte der Seelsorge sein.
„Die ganze Welt erlebt
derzeit eine schwierige Phase. Viele Menschen leiden an den Folgen von Krieg, Armut
oder Einsamkeit. Doch all diese Menschen müssen wissen, dass die Kirche ein Heer vorzuweisen
hat. Die Priester haben nämlich die Aufgabe, den Notleidenden beizustehen. All diesen
Menschen können die Priester beweisen, wie nahe ihnen Kirche steht und sie liebt.“
Papst
Benedikt XVI. hat den französischen Heiligen Jean-Marie Vianney als Vorbild in den
Mittelpunkt des Priesterjahres gerückt. Während des unlängst angelaufenen Jahres der
Priester, das für Berufungen wirbt, steht der Pfarrer von Ars als „Patron der Geistlichen“
im Blickpunkt.
(rv 04.08.2009 mg)
Lesen Sie hier den gesamten offiziellen
Brief auf Deutsch
Jesus sagte: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu
richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47)
Liebe Priester!
Die heute
dominierende westliche Kultur, die sich in der Welt über die globalisierten Kommunikationsmittel
und die Mobilität der Menschen auch in den Ländern mit einer anderen Kultur immer
mehr ausbreitet, stellt die Evangelisierung vor neue und sehr anspruchsvolle Herausforderungen.
Es handelt sich um eine Kultur, die zutiefst von einem Relativismus gezeichnet ist,
der jede Behauptung einer absoluten und transzendenten Wahrheit ablehnt, daher auch
die Grundlagen der Moral zerstört und sich der Religion verschließt. So geht die Leidenschaft
für die Wahrheit verloren, ja, sie wird als „nutzlose Leidenschaft” abgestempelt.
Andererseits aber stellte sich Jesus Christus gerade als die Wahrheit, der universale
Logos, die Vernunft vor, die alles Seiende erhellt und verdeutlicht. Den Relativismus
begleitet dann ein individualistischer Subjektivismus, der das eigene Ich zum Mittelpunkt
aller Dinge macht. Schließlich gelangt man zum Nihilismus, laut dem es nichts und
niemanden gibt, für den es sich lohnen würde, sein ganzes Leben einzusetzen; die Folge
ist, dass das Leben keinen wahren Sinn mehr hat. Dennoch ist anzuerkennen, dass die
gegenwärtig vorherrschende postmoderne Kultur einen großen und wahren wissenschaftlichen
sowie technologischen Fortschritt mit sich bringt, der den Menschen – und dabei vor
allem die jungen Menschen – fasziniert. Die Verwendung dieses Fortschrittes hat leider
nicht immer als erstes Ziel das Wohl des Einzelnen und aller Menschen. Ihm fehlt ein
ganzheitlicher Humanismus, der ihm seinen wahren Sinn verleihen und sein wahres Ziel
weisen könnte. Wir könnten noch von anderen Aspekten dieser Kultur sprechen: von Konsumismus,
Ausschweifung, Kultur des Showbusiness und des Körpers. Man kommt nicht umhin festzustellen,
dass all dies einen Laizismus hervorbringt, der die Religion nicht will, der alles
daran setzt, sie zu schwächen oder wenigstens auf das Privatleben der Personen zu
begrenzen. Diese Kultur führt im Großteil der christlichen Länder und in besonderer
Weise im Westen zu einer nur allzu sichtbaren Entchristlichung. Die Zahl der Priesterberufe
ist zurückgegangen. So hat aufgrund des Mangels an Berufungen und bedingt durch den
Einfluss des kulturellen Umfeldes, in dem die Priester leben, deren Anzahl abgenommen.
Auf all dies könnte man mit Verzagtheit und Pessimismus reagieren, womit der modernen
Welt scheinbar das Urteil gesprochen wäre und man sich gedrängt fühlte, sich in die
Defensive, in die Schützengräben des Widerstandes zu begeben. Jesus Christus sagt
indessen: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten”
(Joh 12,47). Wir dürfen weder mutlos werden noch vor der aktuellen Gesellschaft Angst
haben oder sie einfach verurteilen. Sie muß gerettet werden! Jede Kultur des Menschen,
auch die heutige, kann evangelisiert werden. In jeder Kultur sind „semina Verbi” vorhanden,
die für das Evangelium offen sind. Gewiss auch in unserer heutigen Kultur. Zweifellos
würden auch die sogenannten Post-Christen sich angesprochen fühlen und sich öffnen,
wenn man sie zu einer wahren, persönlichen und gemeinschaftlichen Begegnung mit Jesus
Christus als lebendiger Person führen würde. Bei einer derartigen Begegnung kann jeder
Mensch guten Willens von Ihm ergriffen werden. Er liebt alle und klopft an die Türen
aller, da er ausnahmslos alle retten will. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben
– für alle. Er ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Meine lieben
Priester, wir Hirten sind heute mit aller Dringlichkeit zur Mission aufgerufen, sowohl
„ad gentes” als auch innerhalb der Regionen der christlichen Länder, wo sich sehr
viele Getaufte von der Teilnahme in unseren Gemeinden entfernt oder sogar den Glauben
verloren haben. Wir dürfen weder Angst haben noch gemütlich bei uns zuhause bleiben.
Der Herr hat seinen Jüngern gesagt: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?”
(Mt 8, 26). „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!”
(Joh 14,1). „Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern
man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus” (Mt 5,15). „Geht hinaus
in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15). „Seid
gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt” (Mt 28,20). Wir werden
den Samen des Wortes Gottes nicht nur vom Fenster unseres Pfarrhauses aus säen, sondern
wir werden ins offene Feld unserer Gesellschaft hinausziehen, angefangen bei den Armen,
und so auch alle Ebenen und Institutionen der Gesellschaft erreichen. Wir werden die
Familien besuchen gehen, alle Menschen, vor allem die Getauften, die nun fernstehend
sind. Unser Volk will die Nähe seiner Kirche spüren. Wir werden dies tun und voll
Freude und Begeisterung auf die heutige Gesellschaft zugehen, in der Gewissheit, dass
der Herr uns in der Mission zur Seite steht und dass er an die Türen der Herzen derjeniger
klopft, denen wir Ihn verkünden werden.
Cláudio Card. Hummes Emeritierter
Erzbischof von São PauloPräfekt der Kongregation für den Klerus