Ukraine: Verschiedene Reaktionen auf Kyrills Besuch
Aus Furcht vor Protesten
von ukrainischen Nationalisten hat der Moskauer Patriarch Kyrill I. überraschend auf
den Besuch der westukrainischen Stadt Riwne verzichtet. Der Sprecher der russisch-orthodoxen
Kirche, Wladimir Legoida, teilte am Sonntagabend, mit, auf dringende Empfehlung der
ukrainischen Präsidentenkanzlei habe das orthodoxe Kirchenoberhaupt den Besuch der
Stadt abgesagt. Von der Halbinsel Krim sei Kyrill I. deshalb nach Kiew statt nach
Riwne geflogen. In der Ukraine gebe es verschiedene Reaktionen auf den zehntägigen
Besuch des Moskauer Patriarchen. Das erklärt gegenüber Radio Vatikan der ukrainische
Kirchenhistoriker, Oleg Turiy. Er doziert an der Katholischen Universität in Lemberg.
„Unser
Land besteht aus verschiedenen Regionen, die sehr verschiedene historische Schicksale
erlebt haben. Deshalb ist die Positionierung der Menschen zu allen wichtigen Fragen
wie politische Orientierungen oder nationale Identität verschieden. Für mich ist bei
diesem Besuch ein Aspekt wichtig, der vielleicht bei vielen westlichen Beobachtern
nicht bekannt ist, und zwar hat sich Patriarch Kyrill I. für die Rehabilitierung des
Stalinismus ausgesprochen. Er hat nämlich gesagt, dass Nationalsozialismus eine schlimme
Sache gewesen sei und auch der Stalinismus sei nicht gut gewesen, aber man dürfe die
beiden totalitären Regimes nicht vergleichen. Diese Stellungnahme beweist eine enge
Beziehung zur aktuellen russischen Staatspolitik. Denn in Russland ist ein Prozess
der Wiederherstellung des sowjetischen Modells im Gange.“ In der Ukraine gibt
es drei orthodoxe Kirchen. Die eine ist mit dem Moskauer Patriarchat verbunden, zwei
weitere haben sich von ihr abgespalten und möchten selbstständig sein. Turiy:
„Die
Haltung gegenüber dem Besuch Kyrills in der Ukraine hängt sehr stark davon ab, wie
sich die Verhältnisse zwischen diesen Kirchen in den vergangenen Jahren gestaltet
haben und weiterentwickeln sollen. Für mich persönlich ist diese ganze Phraseologie
über das Verständnis der Orthodoxie als etwas, was dem Katholizismus gegenübersteht,
nicht verständlich. Das ist aber ein altes Konfessionsmodell, das noch in vielen Köpfen
vorherrscht. Dieser Besuch richtet sich danach. Die Ideologie dieser Reise soll dazu
dienen, der Welt zu zeigen, dass die Orthodoxen in der Ukraine Teil der großen russischen
Zivilisation seien. Deshalb kann man diese Visite nicht nur als Pastoralbesuch sondern
auch als politisches Unternehmen betrachten.“ Der Moskauer Patriarch Kyrill
I. hat in der Ukraine zur Wiedervereinigung der orthodoxen Kirche im Land aufgerufen.
Die Anhänger der beiden vom Moskauer Patriarchat abgespaltenen Kirchen sollten zur
russisch-orthodoxen Kirche zurückkehren, sagte er bei einem Gottesdienst auf dem Platz
vor dem berühmten Höhlenkloster von Kiew. Die ukrainische Hauptstadt sei das „Jerusalem“
der Orthodoxen, so Kyrill.
„Patriarch Kyrill spricht oft über solche Parallelen.
Wenn wir das historisch überprüfen wollen, dann zeigt sich, dass solche Beispiele
nicht ganz stimmen. Denn er bezieht sich auf das Pentarchiemodell, was aber nur für
römisch-byzantinische Reichskirchen galt. Doch das Moskauer Patriarchat ist viele
Jahrhunderte später entstanden – und das auf sehr fragwürdige Weise. Deshalb sind
solche Parallelen nicht möglich. Hinter solchen Sätzen stehen im Grunde genommen sehr
wichtige und, meiner Meinung nach, sehr konsequente Ideen Kyrills und zwar, dass für
ihn das ganze Gebiet des ehemaligen russischen Imperiums und der späteren Sowjetunion
das kanonische Territorium abdeckt. Das soll eine Basis für die Wiederherstellung
einer neuen Großmacht sein, die man „Heiliges Russland“ oder „Orthodoxe Zivilisation“
nennt, es geht darum, ein altes Modell für das Verständnis der Kirche zu übernehmen.“
(rv/kipa) (rv/kipa 03.08.2009 mg)