Die Vereinigten Staaten
werden vorerst keine neue Gesundheitsreform einführen. Der Wunsch des US-Präsidenten
Barack Obama nach einer raschen Verabschiedung seines Projekts hat einen Dämpfer erfahren.
Die US-Bischöfe hatten das Vorhaben begrüßt, dennoch bleiben bei den Oberhirten Vorbehalte
gegen die ethischen Positionen des neuen Präsidenten bestehen. Über die Hintergründe
hat Mario Galgano mit dem USA-Experten Ferdinand Oertel gesprochen.
„Die
amerikanischen Bischöfe befürchten seit der Wahl Obamas, dass er in Fragen des Lebensschutzes
liberale Gesetze erlässt. Das wären Gesetze, die der kirchlichen Lehre entgegenstehen.
Es gibt tatsächlich Kräfte in der Demokratischen Partei, die Obama dazu drängen, die
Abtreibung durch ein neues Gesetz ganz frei zu geben. Andererseits hat Obama auch
das von Ex-Präsident Bush erlassene Teilverbot staatlich finanzierter Forschung an
menschlichen Embryonen aufgehoben. Bei der Gesundheitsreform befürchten nun die Bischöfe,
dass die so genannten Pro-Choice-Vertreter, die für die Liberalisierung der Abtreibung
sind, zwei Dinge versuchen: Sie möchten in der Reform staatliche Finanzierung für
Abtreibungen einbauen und alle Mediziner und Personal die Beteiligung an Abtreibungen
vorzuschreiben. Ansonsten riskieren sie, dass sie keine staatlichen Mittel bekommen.
Deshalb hat der in der Bischofskonferenz zuständige Oberhirte und Vorsitzende der
Kommission für Gerechtigkeit und Menschenschutz, Bischof Murphy, allen US-Kongressmitgliedern
mitgeteilt, sie sollen das seit langem bestehende Verbot der staatlichen Finanzierung
von Abtreibungen nicht aufheben und ebenso nicht eine Gewissensklausel einführen,
die Ärzte und Personal an der Beteiligung an Abtreibungen zwingt. Die Bischöfe setzen
sich aber auch dafür ein, dass der Zugang zu Krankenversicherung allen US-Bürgern
offen steht. Das betrifft insbesondere die Aufhebung des bisher bestehenden Verbots
für Millionen hispanischer Einwanderer und vor allem für deren Kinder. Diese sind
ja US-Staatsbürger. Soweit die Haltung der Bischöfe.“
Wie haben katholische
Laien die Reformbemühungen Obamas in der Gesundheitspolitik aufgenommen?
„Da
muss man schon sagen, dass fast alle Katholiken voll und ganz hinter den Forderungen
der Bischöfe stehen. Vor allem die Millionen Katholiken hispanischer Abstammung, die
inzwischen fast ein Drittel der katholischen US-Bevölkerung ausmachen, unterstützen
die Aktionen der Bischöfe für eine Gerechtigkeit gegenüber allen. In einem Kommentar
in der führenden katholischen Laienzeitschrift mit der Überschrift „Wir sind bereit
für diese Reform“ steht zum Beispiel, dass auch bei einer nur teilweise erfüllenden
Reformumsetzung, wonach alle krankenversichert seien, Obama mit der Zustimmung der
Katholiken rechnen könne. Insofern gibt es kein Dissens zwischen dem Kirchenvolk und
den Bischöfen.“
Obama hat jüngst eine Katholikin als Leiterin des öffentlichen
Gesundheitsdienstes ernannt, Regina Benjamin. Ist das ein Signal in Richtung Kirche
oder eher eine Vernebelungsstrategie?
„Ich glaube weder noch. Von allen
Seiten wird bestätigt, dass man Obama vertrauen kann. Er entscheidet nach sachlichen
Gesichtspunkten. Dabei ist auffällig, dass er sich um eine Repräsentanz aller Bevölkerungsschichten
in der Regierungsmitarbeit bemüht. Er hat mit dem neuen US-Botschafter beim Heiligen
Stuhl, dem Professor Dias, einen renommierten Theologen ernannt, der aus Kuba stammt.
Als neue Richterin hat er am Obersten amerikanischen Gericht, Frau Sotomayor, benannt.
Ihre Wurzeln liegen in Puerto Rico. Dazu kommt eben die Ärztin Regina Benjamin, die
eine Afroamerikanerin aus den Südstaaten ist. Beide Frauen sind katholisch. Obama
hat in jüngster Zeit mehrfach betont, dass er in seiner Zeit als Sozialarbeiter in
Chicago sehr stark von dem damaligen katholischen Kardinal Bernardin beeinflusst worden
ist. Er verteidigte ein ethisches Grundkonzept als Gemeinsamkeit für die Gesellschaft.“
Auch
innerhalb der katholischen Kirche gibt es Spaltungen in der Frage des Lebensschutzes.
„Pro Life“-Anhänger sind für den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens ohne Ausnahmen.
„Pro Choice“-Anhänger hingegen wollen der Frau die Wahlfreiheit einräumen, ob sie
eine ungewollte Schwangerschaft austrägt oder nicht. Wo verläuft in der katholischen
Kirche die Trennlinie? Gibt es in der großen US-Bischofskonferenz Oberhirten, die
– so wie teils in Europa – vermittelnde Positionen einnehmen?
„Die Frage
zur Haltung der Abtreibung hat die Katholiken zweifelsohne gespalten. Das gilt sowohl
für die Laien als auch für die Bischöfe. Dazu hat beigetragen, dass die Bischöfe vor
der letzten Präsidentschaftswahl als entscheidendes Kriterium, die Haltung von Politikern
zur Abtreibungsfrage bezeichnet haben. Als dann die Mehrheit der Katholiken Obama
gewählt hat, der als „Pro Choice“ gilt, war klar, dass zwischen den Bischöfen und
dem Kirchenvolk Meinungsunterschiede bestehen. Dass bei den Bischöfen nicht alle einer
Meinung sind, zeigte die Reaktion beim Auftritt Obamas an der katholischen Elite-Universität
Notre-Dame im Juni. 60 der 300 US-Bischöfe haben sich scharf gegen die Ehrung des
oft als Abtreibungspräsidenten bezeichneten Obama ausgesprochen. Die anderen haben
geschwiegen. Als Obama in Notre-Dame seinen Vorschlag zur gemeinsamen Suche von Wegen
zur Reduzierung der Abtreibungen machte und auch die Gewissensklausel bestätigte,
da haben sich die Bischöfe dann doch zur Mitarbeit in diesen Fragen bereit erklärt.
Allerdings immer noch nicht alle. Als Vermittler gilt zwar der gegenwärtige Vorsitzende
der amerikanischen Bischofskonferenz, aber er hat natürlich keine Richtlinienkompetenz
gegenüber Ortsbischöfen. Er balanciert zwischen Rom und Washington, wie man sagen
kann.“
Ist denn die katholische Lebensschutzbewegung in den Vereinigten
Staaten tatsächlich so identitätsstiftend, wie das manchmal von hier aus wirkt?
„In
Zusammenhang mit der Ehrung Obamas durch die Universität Notre-Dame haben führende
Katholiken die Bischöfe bereits davor gewarnt, die Kirche nur auf die Abtreibungsfrage
zu reduzieren. Die aggressiveren Kräfte in der „Pro Life“-Bewegung und auch einige
Bischöfe tragen eher dazu bei, dass diese Identität verwässert wird. Sie haben sogar
dazu geführt, dass die Kirche in der amerikanischen Öffentlichkeit als antiamerikanisch
beurteilt wird. Nach dem Besuch von Obama bei Benedikt XVI. mehren sich jetzt die
Stimmen, die für einen Dialog plädieren. Das gilt sowohl für „Pro Life“-Anhänger als
auch für „Pro Choice“-Anhänger und auch zwischen Kirchenvolk und Bischöfen sowie zwischen
Bischöfen und der amerikanischen Regierung. Im Leitartikel der einflussreichen Bistumszeitung
von Indianapolis hat es jetzt geheißen, es gibt doch die Möglichkeit eines „Common
Ground“, in dem die Freiheitsideale Amerikas mit den Lebensrechtslehren der Kirche
ehrlich zu Lösungen geführt werden können.“