2009-07-26 11:05:54

USA: Gesundheitsreform – Wo steht die Kirche?


RealAudioMP3 Die Vereinigten Staaten werden vorerst keine neue Gesundheitsreform einführen. Der Wunsch des US-Präsidenten Barack Obama nach einer raschen Verabschiedung seines Projekts hat einen Dämpfer erfahren. Die US-Bischöfe hatten das Vorhaben begrüßt, dennoch bleiben bei den Oberhirten Vorbehalte gegen die ethischen Positionen des neuen Präsidenten bestehen. Über die Hintergründe hat Mario Galgano mit dem USA-Experten Ferdinand Oertel gesprochen.

„Die amerikanischen Bischöfe befürchten seit der Wahl Obamas, dass er in Fragen des Lebensschutzes liberale Gesetze erlässt. Das wären Gesetze, die der kirchlichen Lehre entgegenstehen. Es gibt tatsächlich Kräfte in der Demokratischen Partei, die Obama dazu drängen, die Abtreibung durch ein neues Gesetz ganz frei zu geben. Andererseits hat Obama auch das von Ex-Präsident Bush erlassene Teilverbot staatlich finanzierter Forschung an menschlichen Embryonen aufgehoben. Bei der Gesundheitsreform befürchten nun die Bischöfe, dass die so genannten Pro-Choice-Vertreter, die für die Liberalisierung der Abtreibung sind, zwei Dinge versuchen: Sie möchten in der Reform staatliche Finanzierung für Abtreibungen einbauen und alle Mediziner und Personal die Beteiligung an Abtreibungen vorzuschreiben. Ansonsten riskieren sie, dass sie keine staatlichen Mittel bekommen. Deshalb hat der in der Bischofskonferenz zuständige Oberhirte und Vorsitzende der Kommission für Gerechtigkeit und Menschenschutz, Bischof Murphy, allen US-Kongressmitgliedern mitgeteilt, sie sollen das seit langem bestehende Verbot der staatlichen Finanzierung von Abtreibungen nicht aufheben und ebenso nicht eine Gewissensklausel einführen, die Ärzte und Personal an der Beteiligung an Abtreibungen zwingt. Die Bischöfe setzen sich aber auch dafür ein, dass der Zugang zu Krankenversicherung allen US-Bürgern offen steht. Das betrifft insbesondere die Aufhebung des bisher bestehenden Verbots für Millionen hispanischer Einwanderer und vor allem für deren Kinder. Diese sind ja US-Staatsbürger. Soweit die Haltung der Bischöfe.“

Wie haben katholische Laien die Reformbemühungen Obamas in der Gesundheitspolitik aufgenommen?

„Da muss man schon sagen, dass fast alle Katholiken voll und ganz hinter den Forderungen der Bischöfe stehen. Vor allem die Millionen Katholiken hispanischer Abstammung, die inzwischen fast ein Drittel der katholischen US-Bevölkerung ausmachen, unterstützen die Aktionen der Bischöfe für eine Gerechtigkeit gegenüber allen. In einem Kommentar in der führenden katholischen Laienzeitschrift mit der Überschrift „Wir sind bereit für diese Reform“ steht zum Beispiel, dass auch bei einer nur teilweise erfüllenden Reformumsetzung, wonach alle krankenversichert seien, Obama mit der Zustimmung der Katholiken rechnen könne. Insofern gibt es kein Dissens zwischen dem Kirchenvolk und den Bischöfen.“

Obama hat jüngst eine Katholikin als Leiterin des öffentlichen Gesundheitsdienstes ernannt, Regina Benjamin. Ist das ein Signal in Richtung Kirche oder eher eine Vernebelungsstrategie?

„Ich glaube weder noch. Von allen Seiten wird bestätigt, dass man Obama vertrauen kann. Er entscheidet nach sachlichen Gesichtspunkten. Dabei ist auffällig, dass er sich um eine Repräsentanz aller Bevölkerungsschichten in der Regierungsmitarbeit bemüht. Er hat mit dem neuen US-Botschafter beim Heiligen Stuhl, dem Professor Dias, einen renommierten Theologen ernannt, der aus Kuba stammt. Als neue Richterin hat er am Obersten amerikanischen Gericht, Frau Sotomayor, benannt. Ihre Wurzeln liegen in Puerto Rico. Dazu kommt eben die Ärztin Regina Benjamin, die eine Afroamerikanerin aus den Südstaaten ist. Beide Frauen sind katholisch. Obama hat in jüngster Zeit mehrfach betont, dass er in seiner Zeit als Sozialarbeiter in Chicago sehr stark von dem damaligen katholischen Kardinal Bernardin beeinflusst worden ist. Er verteidigte ein ethisches Grundkonzept als Gemeinsamkeit für die Gesellschaft.“

Auch innerhalb der katholischen Kirche gibt es Spaltungen in der Frage des Lebensschutzes. „Pro Life“-Anhänger sind für den unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens ohne Ausnahmen. „Pro Choice“-Anhänger hingegen wollen der Frau die Wahlfreiheit einräumen, ob sie eine ungewollte Schwangerschaft austrägt oder nicht. Wo verläuft in der katholischen Kirche die Trennlinie? Gibt es in der großen US-Bischofskonferenz Oberhirten, die – so wie teils in Europa – vermittelnde Positionen einnehmen?

„Die Frage zur Haltung der Abtreibung hat die Katholiken zweifelsohne gespalten. Das gilt sowohl für die Laien als auch für die Bischöfe. Dazu hat beigetragen, dass die Bischöfe vor der letzten Präsidentschaftswahl als entscheidendes Kriterium, die Haltung von Politikern zur Abtreibungsfrage bezeichnet haben. Als dann die Mehrheit der Katholiken Obama gewählt hat, der als „Pro Choice“ gilt, war klar, dass zwischen den Bischöfen und dem Kirchenvolk Meinungsunterschiede bestehen. Dass bei den Bischöfen nicht alle einer Meinung sind, zeigte die Reaktion beim Auftritt Obamas an der katholischen Elite-Universität Notre-Dame im Juni. 60 der 300 US-Bischöfe haben sich scharf gegen die Ehrung des oft als Abtreibungspräsidenten bezeichneten Obama ausgesprochen. Die anderen haben geschwiegen. Als Obama in Notre-Dame seinen Vorschlag zur gemeinsamen Suche von Wegen zur Reduzierung der Abtreibungen machte und auch die Gewissensklausel bestätigte, da haben sich die Bischöfe dann doch zur Mitarbeit in diesen Fragen bereit erklärt. Allerdings immer noch nicht alle. Als Vermittler gilt zwar der gegenwärtige Vorsitzende der amerikanischen Bischofskonferenz, aber er hat natürlich keine Richtlinienkompetenz gegenüber Ortsbischöfen. Er balanciert zwischen Rom und Washington, wie man sagen kann.“

Ist denn die katholische Lebensschutzbewegung in den Vereinigten Staaten tatsächlich so identitätsstiftend, wie das manchmal von hier aus wirkt?

„In Zusammenhang mit der Ehrung Obamas durch die Universität Notre-Dame haben führende Katholiken die Bischöfe bereits davor gewarnt, die Kirche nur auf die Abtreibungsfrage zu reduzieren. Die aggressiveren Kräfte in der „Pro Life“-Bewegung und auch einige Bischöfe tragen eher dazu bei, dass diese Identität verwässert wird. Sie haben sogar dazu geführt, dass die Kirche in der amerikanischen Öffentlichkeit als antiamerikanisch beurteilt wird. Nach dem Besuch von Obama bei Benedikt XVI. mehren sich jetzt die Stimmen, die für einen Dialog plädieren. Das gilt sowohl für „Pro Life“-Anhänger als auch für „Pro Choice“-Anhänger und auch zwischen Kirchenvolk und Bischöfen sowie zwischen Bischöfen und der amerikanischen Regierung. Im Leitartikel der einflussreichen Bistumszeitung von Indianapolis hat es jetzt geheißen, es gibt doch die Möglichkeit eines „Common Ground“, in dem die Freiheitsideale Amerikas mit den Lebensrechtslehren der Kirche ehrlich zu Lösungen geführt werden können.“

(rv .26.07.2009 mg)







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