Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) hat angesichts der anhaltenden Weltwirtschaftskrise eine Rückbesinnung
auf das christliche Menschenbild gefordert. Gemeinsame Werte und Grundsätze seien
unabdingbar für verantwortliches politisches Handeln, sagte Merkel bei einem Vortrag
in der Katholischen Akademie Bayern in München. Ein Beitrag von Birgit Pottler:
Innerer
Kompass für die Politik „Ohne Grundsätze, Werte, Leitbilder, ohne dass
wir Halt und Orientierung haben, werden wir diese Fragen nicht beantworten können.
Wir werden keine Lösungen finden und wir werden auch unsere Interessen nicht vertreten
können. Wer im Meer der verschiedensten Interessen nicht orientierungslos hin und
her getrieben werden will, der braucht einen verlässlichen inneren Kompass.“
Merkel
übte scharfe Kritik an „Maßlosigkeit, Gier und der Durchsetzung von Eigeninteressen“
- dies habe erst zur Wirtschaftskrise geführt - und plädierte stattdessen für eine
Balance zwischen „Gewinnstreben und Gemeinnützigkeit“. Die Politik alleine könne die
derzeitige Krise jedoch nicht bewältigen, betonte die Kanzlerin, sprach von „Gottvertrauen“
und einer breiten gesellschaftlichen Diskussion: „Es geht darum, eine Gesellschaft
mit einem menschlichen Gesicht zu schaffen, in der auch die Wirtschaft dem Menschen
dient und nicht der Eindruck entsteht, die Menschen laufen irrationalen Mechanismen
hinterher.“
Der Mensch ist das Kapital „Politisches Handeln
aus christlicher Verantwortung“ war die Veranstaltung in der renommierten Münchner
Akademie überschrieben. Die Rednerin - begrüßt vom Münchner Erzbischof Reinhard Marx
- bediente Politiker und Kirchenvertreter gleichermaßen: Die Menschenwürde und die
zentrale Rolle des Menschen seien letztendlich der Schlüssel für alle Herausforderungen,
auch für eine verantwortliche Politik, mahnte Merkel. Die evangelische Christin fühlt
sich bestärkt durch die Sozialenzyklika Papst Benedikts XVI.: „Das erste zu
schützende und zu nutzende Kapital ist der Mensch, die Person in ihrer Ganzheit.
Das ist das Zitat, das mir insbesondere aus dem Blickwinkel des christlichen Menschenbildes
in dieser Enzyklika so wunderbar erscheint.“ Das christliche Menschenbild liefere
per se keine konkreten politischen Handlungsweisen, so Merkel, doch auch für die Politik
gelte die „verantwortete Freiheit“ als Maxime. Der Mensch sei berufen, sich nach seinen
eigenen Fähigkeiten zu entfalten, doch dies dürfe nicht zu „rücksichtsloser Freiheit“
führen.
Globale Verantwortung Was bedeute „verantworte Freiheit
leben“ für die Wirtschafts- und Sozialpolitik? Merkels Antwort: den Blick für andere
nicht verlieren. „Wir leben in einer globalen Krise, und es gehört vielleicht
zu den politisch am schwierigsten durchzusetzenden Aufgaben, gerade in dieser Zeit
unsere Verantwortung für die gesamte Welt auch immer wieder zu betonen.“
In
der Krise seien seitens des Staates Maßnahmen ergriffen worden, von denen sie nach
Ende des Sozialismus nicht geglaubt hatte, dass diese noch möglich seien, so die CDU-Politikerin
mit Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft
- erwachsen aus der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik - sei
für die Zukunft viel versprechender. „Wenn die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft
weltweit angewandt worden wären, wäre es zu dieser tiefen Krise nicht gekommen.“
Die
Krise als „entscheidende Wendung“ Gottvertrauen, Merkel spricht in ihrem
45-minütigen Vortrag mehrmals davon, und Demut bräuchten alle Beteiligten, um die
aktuelle kritische Lage zu überwinden. Die Lösung liege vielleicht in der Krise selbst: „Krisis
bedeutet soviel wie Entscheidung oder entscheidende Wendung. Und damit haben wir auch
einen Schlüssel in der Hand, aus dieser schwierigen Situation mit einer eigenen Vergewisserung,
wo wir hinwollen, auch etwas zu machen.“
Merkel sprach sich für eine weltweite
„Charta des nachhaltigen Wirtschaftens“ aus; ähnlich wie mit der Charta der Menschenrechte
nach dem Zweiten Weltkrieg könnten die Staaten so die Lehren aus der Krise ziehen.
Der nächste G20-Gipfel in Pittsburgh könnte erste Schritte unternehmen: „Mir
liegt sehr daran, dass wir dies zustande bringen; damit wir das Eisen schmieden, solange
es heiß ist.“
Kämpferisch in die Zukunft Dass die Kirchen
sich „als kritisches Korrektiv“ immer wieder einmischten, müssten Politiker akzeptieren;
europaweit gelte es auch in der Politik, sich für die gemeinsamen christlich-abendländischen
Werte einzusetzen:
„Wir müssen kämpferischer werden. Das ist meine feste
Überzeugung. Nicht überheblich, aber kämpferischer. Es ist kein Selbstläufer, dass
unsere Art zu leben, unsere Prägung sich in der Welt durchsetzt. Im Gegenteil: Es
gibt viel mehr, die auch anders denken.“
Sola scriptura - auf die Schrift
allein kann die Pastorentochter in der Politik nicht bauen; auch gute Werke sind gefragt.
Doch ihren Vortrag vor katholischem wie evangelischem Publikum aus Politik und Kirche
beendete Angela Merkel mit einem Pauluszitat: „Apostel Paulus schrieb in seinem
Brief an die Galater: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Diese Freiheit, richtig
verstanden im christlichen Menschenbild, kann uns befreien, auch die schwersten Probleme
anzugehen - mit fröhlichem Herzen und dem von mir schon beschriebenen Gottvertrauen.“