Kaum ein Klavierschüler
kommt daran vorbei. Die Rede ist von dem heute wohl bekanntesten Klavierstück Ludwig
van Beethovens, „Für Elise“. Wer aber verbirgt sich eigentlich hinter jener Elise,
der Beethoven im Jahr 1810 seine Komposition widmete? Diese Frage ist Musikwissenschaftlern
ein Rätsel. Dank eines Fundes im Archiv des Wiener Stephansdoms ist der Berliner Beethovenforscher,
Klaus Martin Kopitz, der Lösung jetzt offenbar ein Stückchen näher gekommen. Antje
Dechert berichtet
Schwärmerisch und auch ein bisschen wehmütig: Beethovens
„Für Elise“ ist eines der populärsten Stücke der klassischen Musik – auch dank seines
enigmatischen Titels, meint der Musikwissenschaftler Klaus Martin Kopitz:
„‚Für
Elise‘ – das spricht doch offenbar viele Leute an. Man fühlt sich irgendwie persönlich
dadurch betroffen, man stellt sich automatisch eine Frau vor, die Beethoven damit
gemeint haben könnte.“
Doch keiner weiß so recht, wer hinter dem Mythos
„Elise“ steckt. Denn eine Frau dieses Namens war aus Beethovens Biographie bisher
nicht bekannt. Fest stand nur: Eine begnadete Pianistin war die geheimnisvolle Elise
wohl eher nicht:
„Denn das Stück „Für Elise“ ist ja kein wirklich schweres
Stück, das nimmt man im Klavierunterricht eher als Anfängerstück durch.“ Der
rennomierte Beethovenforscher Ludwig Nohl hatte Beethovens Komposition 1860, also
33 Jahre nach dem Tod des Maestro wiederentdeckt. Durch ihn ist auch die berühmte
Widmung auf dem heute verschollenen Autograph des Klavierstücks überliefert: „Für
Elise am 27. April 1810 zur Erinnerung von Ludwig van Beethoven.“ Seitdem mutmaßten
Forscher über die Identität jener Elise. Einige glaubten, Nohl habe sich beim Abschreiben
der Originalnoten vertan. Nicht Elise, sondern Therese Malfatti sei gemeint, die Beethoven
1810 heiraten wollte. Das aber sei unwahrscheinlich, meint Klaus Martin Kopitz:
„Nohl
war ein sehr renommierter Beethovenforscher. Dass der sich verlesen hat, glaube ich
nicht, zumal man sagen muss, Beethoven hatte zwar eine ziemlich schlimme Klaue - das
sieht man, wenn man seine Briefe liest -, aber Eigennamen hat er schon sehr sorgfältig
und sauber geschrieben.“ Kopitz hatte daher schon seit längerem eine ganz
andere Dame im Visier, nämlich die Frau des mit Beethoven befreundeten Wiener Hofkapellmeisters
Johann Nepumuk Hummel, die aus Regensburg stammende Opernsängerin Elisabeth Röckel:
Liegt
ja auch nahe Elisabeth, Elise – das ist ja voneinander abgeleitet. Es gibt viele Kurzformen
von Elisabeth, unter anderem auch Sissi, Betti und Lieschen. Und Elise war damals
auch ein sehr beliebter Name. Es gab eine Oper namens Elise, es gab Theaterstücke
mit dem Namen Elise, also hätte es schon nahe gelegen, dass die sich Elise nannte.
Aber es war einfach zu wenig daran, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein
Fund im Archiv des Wiener Stephansdoms verhärtete seinen Verdacht, erzählt Kopitz.
In der Taufurkunde ihres ersten Kindes ist Elisabeth Röckel als Elise Röckel registriert
– ein Hinweis, dass sie sich in ihrer Wiener Zeit mit dem Modenamen „Elise“ anreden
ließ. Zudem war sich Kopitz nach weiteren Recherchen sicher: Elise Röckel war für
Beethoven weit mehr, als nur die Frau seines Freundes:
„Sie hat später selber
erzählt, dass er sie mal bei einer Abendgesellschaft aus lauter Zuneigung immer wieder
in den Arm gezwickt hat. Er konnte sich also gar nicht wieder einkriegen und hat sie
den ganzen Abend da bezirzt.“ Eine Liaison? Darüber spekulierte schon Beethovens
Sekretär und späterer Biograph, Anton Schindler. Sicher weiß man: Elisabeth Röckel
lernte den 22 Jahre älteren Beethoven um 1808 als Fünfzehnjährige durch ihren Bruder,
Joseph August Röckel, kennen. Der war ebenfalls Opernsänger und eng mit Beethoven
befreundet. 1811 debütierte Elise selbst mit rauschendem Erfolg am Wiener Kärntnertor-Theater.
Beethoven war nicht der einzige, der dem Charme des aufgehenden Opern-Stars erlag:
„Sie
wird mehrfach beschrieben als sehr schöne anmutige Frau und hatte mehrere Bewunderer:
Dichter wie Franz Grillparzer, Ignaz Franz Castelli, E.T.H. Hoffmann und eben auch
Beethoven.“ Gut möglich also, dass Beethoven versuchte Elises Herz mit seiner
Komposition zu erobern. Das vermochte am Ende aber nur sein Freund, Johann Nepumuk
Hummel. Für ihn gab Elise nach der Hochzeit 1813 sogar ihre Gesangskarriere auf:
Der
Hummel hat das anscheinend nicht gerne, dass sie singt. Er war ja selber auch Kapellmeister.
Sie ist daher nach der Hochzeit nie wieder aufgetreten. Obwohl man ihr damals prophezeit
hatte, dass sie eine der bedeutendsten Opernsängerinnen hätte werden können. Im
Gegensatz zur verfrüht abgebrochenen Karriere hielt die Freundschaft mit Beethoven
ein ganzes Leben, erzählt Kopitz. Aus dem Tagebuch eines Schülers von Röckels Mann
Hummel geht hervor, dass das Ehepaar Beethoven noch am Sterbebett besuchte.
„Das
war sehr rührend, weil gerade die Elise sich noch einmal sehr um Beethoven gekümmert
hat und sie hat ihm noch einmal eine Locke von seinen Haaren abgeschnitten und lies
sich von ihm eine letzte Schreibfeder schenken.“ Steckt also eine lebenslange
Freundschaft hinter dem Mythos Elise? Hundertprozentig beweisen kann das freilich
auch Klaus Martin Kopitz nicht. Eine schöne Vorstellung ist es allemal und ein besonderes
Stück im beethov’schen Kanon wird Elise auch bleiben, ganz egal, wer sie nun wirklich
war:
„Das ist ja ein sehr ruhiges, in sich ruhendes Stück und das muss auch
ein Teil von Beethoven gewesen sein, vielleicht auch zumindest in dieser Beziehung
zu dieser Frau, dass diese ihn vielleicht irgendwie zur Ruhe gebracht hat, dass er
da in sich ruhen konnte....es zeigt einen Aspekt von Beethovens Persönlichkeit.“