Am Freitag trifft
Papst Benedikt XVI. zum ersten Mal den US-Präsidenten Barack Obama. Eine „sehr offene
Diskussion“ soll es werden, heißt es schon im Vorfeld. In vielen Fragen – vor allem
bei Lebensschutz und Stammzellforschung – hat die US-Kirche, hat der Vatikan starke
Vorbehalte gegen den smarten Präsidenten. Trotzdem: Immer wieder gibt es aus dem Vatikan
auch überraschend freundliche Töne über Obama.
In der Zeitschrift „30 Tage
in Kirche und Welt“ beugt sich ein Kardinal über zwei große Reden, die Obama in den
letzten Wochen gehalten hat. Und ist „berührt“ von der Sprache des neuen US-Präsidenten:
„Sie zeigt einen Blick auf die Politik, der starke Berührungspunkte mit wesentlichen
Elementen der katholischen Soziallehre hat.“ Der Purpurträger, der das schreibt, ist
Georges Cottier, der lange Jahre Theologe des Päpstlichen Hauses war. Der Schweizer
Dominikaner analysiert in seinem Aufsatz eine Rede Obamas an der Katholischen Universität
Notre Dame vom Mai und eine Rede an die islamische Welt, gehalten in Kairo Anfang
Juni.
„Tatsächlich“, so befindet Kardinal Cottier, „ist die Rede an der Notre-Dame-Universität
nur so gespickt von Anleihen aus der christlichen Tradition. Da taucht zum Beispiel
häufig der Ausdruck „gemeinsamer Grund“ auf – und er entspricht dem grundlegenden
Begriff des Gemeinwohls in der kirchlichen Soziallehre.“ Ihm scheine, so der Dominikaner-Kardinal
weiter, „dass wir einverstanden sein können mit Obamas Ansatz, wie wir bei der Suche
nach dem Gemeinwohl vorgehen sollten. Auch weil er dabei ausdrücklich von den Folgen
der Erbsünde ausgeht, einer Gegebenheit, von der die christliche Tradition immer gesprochen
hat.“
Kardinal Cottier zitiert Obama des weiteren mit den Sätzen: „Die Ironie
des Glaubens ist, dass er letztlich mit dem Zweifel einhergeht... Wer an ihn glaubt,
muss darauf vertrauen, dass seine Weisheit die unsere übersteigt.“ Cottier führt mit
einem Beleg aus dem Weltkatechismus aus, dass diese Sätze sehr genau ein zutiefst
christliches Grundgefühl widerspiegeln. Das Bewusstsein der Erbsünde, das Bewusstsein
unserer Grenzen - dieses Grundgefühl scheine dazu beizutragen, dass Obama mit einer
gewissen „Demut“ auf die gegenwärtige Weltlage und auf „ethisch sensible Themen“ blicke.
Kardinal Cottier lobt außerdem, dass Barack Obama von einem – „um diesen Begriff
einmal positiv zu wenden“ – Vor-Urteil ausgeht, dass anderen Menschen zunächst einmal
unterstellt, dass sie guten Willens sind, „auch wenn sie nicht denken wie wir“. Cottier
wörtlich: „Wir müssen die Karikatur des Anderen vermeiden, dürfen ihn nicht dämonisieren
– von dieser zutiefst christlichen Inspiration lebt die Demokratie.“ Bei seiner Obama-Rede
habe er „sofort an die Enzyklika Ecclesiam suam von Paul VI. denken müssen“, und auch
an Dignitatis humanae, einen Grundlagentext der katholischen Soziallehre. Es gehe
nicht darum, Obama sozusagen „an uns zu ziehen“, meint der Kardinal: Aber es ließen
sich doch sehr interessante „Berührungspunkte finden“.
Cottier spart keineswegs
das heikle Thema Abtreibung aus. Es ringe ihm Achtung ab, dass Obama dieses Thema
selbst vor seinem mehrheitlich katholischen Auditorium angesprochen habe. Der Kardinal
wörtlich: „In gewisser Weise sind hier die kritischen Stimmen der US-Bischöfe gerechtfertigt:
Bei politischen Entscheidungen zur Abtreibung wird an Werte gerührt, die nicht verhandelbar
sind. Für uns steht der Schutz der Person, ihrer unveräußerlichen Rechte, auf dem
Spiel. In der pluralistischen Gesellschaft gibt es radikale Meinungsunterschiede in
diesem Punkt. Einige sehen – wie wir – Abtreibung als in sich böse; andere akzeptieren
sie, und einige bezeichnen sie sogar als ein Recht. Der Präsident hat sich diese letzte
Position nie zu eigen gemacht. Im Gegenteil – mir scheint er positive Vorschläge zu
machen (wie das auch der „Osservatore Romano“ vom 19. Mai unterstrichen hat): Auch
in diesem Fall schlägt er vor, einen gemeinsamen Grund zu suchen. Und auch bei dieser
Suche – so betont Obama – braucht keiner seine eigenen Überzeugungen aufzugeben, sondern
soll sie im Gegenteil vor allen vertreten und verteidigen. Das ist keineswegs der
falschverstandene Relativismus dessen, der sagt, dass da einfach Meinung gegen Meinung
steht und dass alle Meinungen doch letztlich unsicher und subjektiv sind.“ Obama sehe
auch, so der Kardinal weiter, „den tragischen Ernst des Problems“. Der Vorschlag des
Präsidenten sei, zusammenzuarbeiten, damit die Zahl der Frauen, die abtreiben wollen,
sinkt. Cottier: „Seine Worte gehen in die Richtung, das Übel zu verringern... Das
ist natürlich nur ein Minimum – aber ein wertvolles Minimum. Mich erinnert es an die
Haltung der ersten christlichen Gesetzgeber, die ja auch nicht gleich Konkubinat oder
Sklaverei abgeschafft haben; stattdessen kam der Wandel durch einen langsamen Weg.“
„Der
Realismus des Politikers erkennt das Böse und nennt es bei seinem Namen“, schreibt
Kardinal Cottier. Angerührt ist der frühere vatikanische Haustheologe auch von der
Schilderung Obamas, wie dieser als Sozialarbeiter in Chicago „zu Jesus fand“ – nämlich
über das Beispiel von Christen, die sich karitativ engagierten. „Das Schauspiel der
Nächstenliebe, die von Gott kommt, hat die Kraft, Geist und Herz der Menschen zu bewegen
und anzuziehen – das ist der einzige Same realen Wandels in der Geschichte der Menschheit“,
so Kardinal Cottier. Dass nur vierzig Jahre nach dem Mord an Martin Luther King ein
Obama Präsident werde, sei „Zeichen und Beweis für die historische Effizienz des Vertrauens
auf die Kraft der Wahrheit“. Der „demütige Realismus Obamas“ öffne „neue Szenarien“.
Das
zeige schließlich auch Obamas Rede an Moslems, die er Anfang Juni in Kairo hielt.
Auch in diesem Fall habe Obama vom „gemeinsamen Grund“ gesprochen – und deutliche
„Übereinstimmung gezeigt mit dem, was der Papst bei seiner Reise ins Land Jesu gesagt
hat“. Kardinal Cottier weiter: „Mich hat überrascht, dass er sich, als er aus der
Bibel zitieren wollte, für die Bergpredigt entschieden hat. Diese richtet sich direkt
an die Jünger Jesu, nicht in erster Linie an die zeitliche, politische, bürgerliche
Gesellschaft. Aber Obama hat ihren positiven Widerschein und ihre Inspiration für
das Leben der civitas wahrgenommen – das erinnert mich an das Gespür eines Johannes
Paul II.“.
Ein ungewöhnlicher Aufsatz, dieser Text von Kardinal Cottier. Und
ein interessanter Denkanstoß, über das Treffen Obamas mit Papst Benedikt hinaus.