2009-07-07 15:07:01

Vatikan: „Enzyklika besonders für G8-Leader“


RealAudioMP3 Die Staats- und Regierungschefs der acht reichsten Industrienationen sollten die Mahnungen hören, die aus der Sozialenzyklika Papst Benedikts sprechen. Das wünscht sich der vatikanische „Friedensminister“ Kardinal Renato Raffaele Martino. Der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden präsentierte die neue Enzyklika an diesem Dienstag im vatikanischen Pressesaal – einen Tag vor dem Auftakt des G8-Gipfels in der Erdbebenstadt L´Aquila. „Caritas in Veritate“ richte sich an die katholische Welt und an alle Menschen guten Willens, unter diesen aber ganz besonders an die politisch Verantwortlichen, sagte Martino:

„Benedikt XVI. hatte ja bereits an G8-Gastgeber Berlusconi einen Brief geschickt, der eine kondensierte Version seiner Enzyklika ist. Ja, wir hoffen tatsächlich, dass die politischen Leader die Enzyklika mit Interesse rezipieren. Denn die drei Kräfte, die in der Wirtschaft zusammenspielen, sind der Markt, die Regierungen und die Zivilgesellschaft. Der Markt darf nicht ohne Kontrolle agieren – wie die aktuelle Krise zeigt. Und wer kontrolliert? Die Regierungen. Deshalb brauchen die Regierungen klare Vorstellungen über die Regeln, die aufzustellen sind. Wirtschaft ohne Kontrolle führt in den Bankrott.“

„Caritas in veritate“ ruft zu einem radikalen Umdenken in der Wirtschaftspolitik auf. Nicht mehr die Logik des Profits um jeden Preis soll der innere Antrieb der Wirtschaft sein, sondern eine Ethik, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Wenn der Profit, so warnt der Papst, das ausschließliche Ziel des Wirtschaftens ist, riskiert es, Wohlstand zu zerstören und Armut herzustellen. Dann führt das Wirtschaften direkt in den Skandal himmelschreiender Ungerechtigkeit und Armut, während global gesehen der Reichtum wächst. Dabei kann die Kirche nicht tatenlos zusehen, betont der päpstliche Friedensminister.

„Weil der Fortschritt Berufung ist, bringt sich die Kirche in Fragen der Entwicklung ein. Die Enzyklika stellt klar, dass Entwicklung nicht nur etwas Materielles ist, sondern vielmehr eine Berufung, der nachzukommen ist. Diese Berufung ist ein Geschenk, und deshalb setzt sie auf Nächstenliebe.“

Papst Benedikt ist überzeugt, dass jede wirtschaftliche Entscheidung eine ethische Folge hat, und dass Wirtschaftstreibende die genuin ethische Grundlage ihres Wirkens wiederentdecken müssen. In jeder einzelnen Phase wirtschaftlicher Aktivität muss Gerechtigkeit angewendet werden: vom Auffinden von Bodenschätzen über Produktion und Konsum bis hin zum Finanzmanagement. Die Enzyklika hält fest, dass die echte Entwicklung der Völker besonders abhängt von der Anerkennung der Tatsache, dass die menschlichen Rassen eine einzige Menschheitsfamilie bilden. Die Zusammenarbeit soll für das Wohl aller sorgen anstatt für das Wohl begrenzter Interessensgruppen, die miteinander in Konkurrenz stehen. Denn dabei fallen, so Kardinal Martino, immer die Armen durch den Rost.

„Denn die Gründe der Unterentwicklung sind nicht bloß materieller Art, sondern – das ist wichtig – der Mangel an Brüderlichkeit zwischen Menschen und Völkern. Wenn wir die anderen als Brüder und Schwestern sehen, können wir sicherlich offener sein, ihnen zu helfen.“

„Caritas in veritate“ besteht auch darauf, dass annehmbare Arbeit für alle, ja namentlich Vollbeschäftigung ein Ziel der Politik sein sollte. Das sei ein Weg, Familien ihr Auskommen zu sichern und die Entwicklung von Gemeinschaften und Nationen zu fördern. Das Schutzniveau für Arbeiterrechte zu senken, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu steigern, torpediere hingegen einen bleibenden Fortschritt. Das klingt nach Utopie, ja geradezu nach einem sozialistischen Gegenentwurf zum Kapitalismus und den Wünschen des globalen Marktes. Kardinal Martino widerspricht: Das Denken des Papstes kann man nicht einfach in rechts oder links, liberal oder konservativ einordnen.

„Der Maßstab ist die Soziallehre der Kirche. Die ist weder eine marxistische noch eine liberale Lehre, obwohl die Enzyklika klar sagt, dass der Markt wichtig ist. Denn wenn es keinen Profit gäbe, würde niemand investieren, es gäbe keinen Zins, kein Interesse, keinen Fortschritt. Aber, und hier kommt die Kirche ins Spiel, der Markt muss kontrolliert werden. Es muss klare und präzise Regeln geben, um den Markt zu kontrollieren und die Beteiligung der Arbeiter am Wirtschaften sicherzustellen. Die Geschäftsleute sollen nicht nur sich selbst berücksichtigen, denn es gibt viele Menschen, die am Erfolg beteiligt sind. Schon Paul VI. definierte den Arbeiter als Unternehmer, weil er in den Genuss dessen kommen soll, was er tut – nicht zuletzt soll er in den Genuss des Profits kommen.“

(rv 07.07.2009 gs)








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