Die Staats- und Regierungschefs
der acht reichsten Industrienationen sollten die Mahnungen hören, die aus der Sozialenzyklika
Papst Benedikts sprechen. Das wünscht sich der vatikanische „Friedensminister“ Kardinal
Renato Raffaele Martino. Der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und
Frieden präsentierte die neue Enzyklika an diesem Dienstag im vatikanischen Pressesaal
– einen Tag vor dem Auftakt des G8-Gipfels in der Erdbebenstadt L´Aquila. „Caritas
in Veritate“ richte sich an die katholische Welt und an alle Menschen guten Willens,
unter diesen aber ganz besonders an die politisch Verantwortlichen, sagte Martino:
„Benedikt XVI. hatte ja bereits an G8-Gastgeber Berlusconi einen Brief
geschickt, der eine kondensierte Version seiner Enzyklika ist. Ja, wir hoffen tatsächlich,
dass die politischen Leader die Enzyklika mit Interesse rezipieren. Denn die drei
Kräfte, die in der Wirtschaft zusammenspielen, sind der Markt, die Regierungen und
die Zivilgesellschaft. Der Markt darf nicht ohne Kontrolle agieren – wie die aktuelle
Krise zeigt. Und wer kontrolliert? Die Regierungen. Deshalb brauchen
die Regierungen klare Vorstellungen über die Regeln, die aufzustellen sind.Wirtschaft
ohne Kontrolle führt in den Bankrott.“
„Caritas in veritate“ ruft zu einem
radikalen Umdenken in der Wirtschaftspolitik auf. Nicht mehr die Logik des Profits
um jeden Preis soll der innere Antrieb der Wirtschaft sein, sondern eine Ethik, in
deren Mittelpunkt der Mensch steht. Wenn der Profit, so warnt der Papst, das ausschließliche
Ziel des Wirtschaftens ist, riskiert es, Wohlstand zu zerstören und Armut herzustellen.
Dann führt das Wirtschaften direkt in den Skandal himmelschreiender Ungerechtigkeit
und Armut, während global gesehen der Reichtum wächst. Dabei kann die Kirche nicht
tatenlos zusehen, betont der päpstliche Friedensminister.
„Weil der Fortschritt
Berufung ist, bringt sich die Kirche in Fragen der Entwicklung ein. Die Enzyklika
stellt klar, dass Entwicklung nicht nur etwas Materielles ist, sondern vielmehr eine
Berufung, der nachzukommen ist. Diese Berufung ist ein Geschenk, und deshalb setzt
sie auf Nächstenliebe.“
Papst Benedikt ist überzeugt, dass jede wirtschaftliche
Entscheidung eine ethische Folge hat, und dass Wirtschaftstreibende die genuin ethische
Grundlage ihres Wirkens wiederentdecken müssen. In jeder einzelnen Phase wirtschaftlicher
Aktivität muss Gerechtigkeit angewendet werden: vom Auffinden von Bodenschätzen über
Produktion und Konsum bis hin zum Finanzmanagement. Die Enzyklika hält fest, dass
die echte Entwicklung der Völker besonders abhängt von der Anerkennung der Tatsache,
dass die menschlichen Rassen eine einzige Menschheitsfamilie bilden. Die Zusammenarbeit
soll für das Wohl aller sorgen anstatt für das Wohl begrenzter Interessensgruppen,
die miteinander in Konkurrenz stehen. Denn dabei fallen, so Kardinal Martino, immer
die Armen durch den Rost.
„Denn die Gründe der Unterentwicklung sind nicht
bloß materieller Art, sondern – das ist wichtig – der Mangel an Brüderlichkeit zwischen
Menschen und Völkern. Wenn wir die anderen als Brüder und Schwestern sehen, können
wir sicherlich offener sein, ihnen zu helfen.“
„Caritas in veritate“ besteht
auch darauf, dass annehmbare Arbeit für alle, ja namentlich Vollbeschäftigung ein
Ziel der Politik sein sollte. Das sei ein Weg, Familien ihr Auskommen zu sichern und
die Entwicklung von Gemeinschaften und Nationen zu fördern. Das Schutzniveau für Arbeiterrechte
zu senken, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu steigern, torpediere hingegen
einen bleibenden Fortschritt. Das klingt nach Utopie, ja geradezu nach einem sozialistischen
Gegenentwurf zum Kapitalismus und den Wünschen des globalen Marktes. Kardinal Martino
widerspricht: Das Denken des Papstes kann man nicht einfach in rechts oder links,
liberal oder konservativ einordnen.
„Der Maßstab ist die Soziallehre der
Kirche. Die ist weder eine marxistische noch eine liberale Lehre, obwohl die Enzyklika
klar sagt, dass der Markt wichtig ist. Denn wenn es keinen Profit gäbe, würde niemand
investieren, es gäbe keinen Zins, kein Interesse, keinen Fortschritt. Aber, und hier
kommt die Kirche ins Spiel, der Markt muss kontrolliert werden. Es muss klare und
präzise Regeln geben, um den Markt zu kontrollieren und die Beteiligung der Arbeiter
am Wirtschaften sicherzustellen. Die Geschäftsleute sollen nicht nur sich selbst berücksichtigen,
denn es gibt viele Menschen, die am Erfolg beteiligt sind. Schon Paul VI. definierte
den Arbeiter als Unternehmer, weil er in den Genuss dessen kommen soll, was er tut
– nicht zuletzt soll er in den Genuss des Profits kommen.“