Sozialenzyklika Papst Benedikts: Caritas in veritate Das Dokument auf Deutsch
In seiner ersten Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ (Die Liebe in der Wahrheit)
plädiert Papst Benedikt XVI. für eine „ganzheitliche Entwicklung aller Völker“. Die
weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise wie auch die Globalisierung sollten als Chance
genutzt werden, eine Welt in Gerechtigkeit und Solidarität zu bauen.
Lesen
Sie hier die gesamte Enzyklika auf Deutsch:
ENZYKLIKA CARITAS IN
VERITATE VON PAPST BENEDIKT XVI. AN DIE BISCHÖFE AN DIE PRIESTER
UND DIAKONE AN DIE PERSONEN GOTTGEWEIHTEN LEBENS AN DIE CHRISTGLÄUBIGEN
LAIEN UND AN ALLE MENSCHEN GUTEN WILLENS ÜBER DIE GANZHEITLICHE ENTWICKLUNG
DES MENSCHEN IN DER LIEBE UND IN DER WAHRHEIT EINLEITUNG1. Caritas
in veritate – die Liebe in der Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem irdischen Leben
und vor allem mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt hat, ist der hauptsächliche
Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit.
Die Liebe – »caritas« – ist eine außerordentliche Kraft, welche die Menschen
drängt, sich mutig und großherzig auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens
einzusetzen. Es ist eine Kraft, die ihren Ursprung in Gott hat, der die ewige Liebe
und die absolute Wahrheit ist. Jeder findet sein Glück, indem er in den Plan einwilligt,
den Gott für ihn hat, um ihn vollkommen zu verwirklichen: In diesem Plan findet er
nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser Wahrheit zustimmt, wird er frei (vgl.
Joh 8, 22). Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen
und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der
Liebe. Denn diese »freut sich an der Wahrheit« (1 Kor 13, 6). Alle Menschen
spüren den inneren Impuls, wahrhaft zu lieben: Liebe und Wahrheit weichen niemals
gänzlich von ihnen, denn sie sind die Berufung, die Gott ins Herz und in den Geist
eines jeden Menschen gelegt hat. Jesus Christus reinigt und befreit die Suche nach
der Liebe und der Wahrheit von unseren menschlichen Armseligkeiten und offenbart uns
vollends die Initiative der Liebe und den Plan eines wahren Lebens, das Gott für uns
vorbereitet hat. Die Liebe in der Wahrheit wird zum Gesicht Christi; und in
Christus wird sie zur Berufung für uns, unsere Mitmenschen in der Wahrheit seines
Planes zu lieben. Er selbst ist ja die Wahrheit (vgl. Joh 14, 6). 2. Die
Liebe ist der Hauptweg der Soziallehre der Kirche. Jede von dieser Lehre beschriebene
Verantwortung und Verpflichtung geht aus der Liebe hervor, die nach den Worten Jesu
die Zusammenfassung des ganzen Gesetzes ist (vgl. Mt 22, 36-40). Sie verleiht
der persönlichen Beziehung zu Gott und zum Nächsten einen wahren Gehalt; sie ist das
Prinzip nicht nur der Mikro-Beziehungen – in Freundschaft, Familie und kleinen Gruppen
–, sondern auch der Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
politischen Zusammenhängen. Für die Kirche ist – vom Evangelium her – die Liebe alles,
denn, wie uns der heilige Johannes lehrt (vgl. 1 Joh 4, 8.16) und ich in meiner
ersten Enzyklika in Erinnerung gerufen habe: »Gott ist Liebe« (Deuscaritas
est): Aus der Liebe Gottes geht alles hervor, durch sie nimmt alles Gestalt
an, und alles strebt ihr zu. Die Liebe ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen
gemacht hat, sie ist seine Verheißung und unsere Hoffnung. Ich weiß um die Entstellungen
und die Sinnentleerungen, denen die Liebe ausgesetzt war und ist, mit der entsprechenden
Gefahr, daß sie mißverstanden, aus der ethischen Lebenspraxis ausgeschlossen und in
jedem Fall daran gehindert wird, in rechter Weise zur Geltung zu kommen. Im gesellschaftlichen,
rechtlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich, also in den Zusammenhängen,
die für diese Gefahr am anfälligsten sind, wird die Liebe leicht als unerheblich für
die Interpretation und die Orientierung der moralischen Verantwortung erklärt. Daher
ist es notwendig, die Liebe und die Wahrheit nicht nur in der vom heiligen Paulus
angegebenen Richtung der »veritas in caritate« (Eph 4, 15) miteinander
zu verbinden, sondern auch in der entgegengesetzten und komplementären von »caritas
in veritate«. Die Wahrheit muß in der »Ökonomie« der Liebe gesucht, gefunden und
ausgedrückt werden, aber die Liebe muß ihrerseits im Licht der Wahrheit verstanden,
bestätigt und praktiziert werden. Auf diese Weise werden wir nicht nur der von der
Wahrheit erleuchteten Liebe einen Dienst erweisen, sondern wir werden auch dazu beitragen,
daß sich die Wahrheit glaubwürdig erweist, indem wir ihre Authentizität und ihre Überzeugungskraft
im konkreten gesellschaftlichen Leben deutlich machen. Das ist heute von nicht geringer
Bedeutung in einem sozialen und kulturellen Umfeld, das die Wahrheit relativiert und
ihr gegenüber oft gleichgültig und ablehnend eingestellt ist. 3. Wegen dieser engen
Verbindung mit der Wahrheit kann die Liebe als authentischer Ausdruck des Menschseins
und als ein Element von grundlegender Bedeutung in den menschlichen Beziehungen –
auch im öffentlichen Bereich – erkannt werden. Nur in der Wahrheit erstrahlt die
Liebe und kann glaubwürdig gelebt werden. Die Wahrheit ist ein Licht, das der
Liebe Sinn und Wert verleiht. Es ist das Licht der Vernunft wie auch des Glaubens,
durch das der Verstand zur natürlichen und übernatürlichen Wahrheit der Liebe gelangt:
er erfaßt ihre Bedeutung als Hingabe, Annahme und Gemeinschaft. Ohne Wahrheit gleitet
die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben
füllen kann. Das ist die verhängnisvolle Gefahr für die Liebe in einer Kultur ohne
Wahrheit. Sie wird Opfer der zufälligen Gefühle und Meinungen der einzelnen, ein Wort,
das mißbraucht und verzerrt wird, bis es schließlich das Gegenteil bedeutet. Die Wahrheit
befreit die Liebe von den Verengungen einer Emotionalisierung, die sie rationaler
und sozialer Inhalte beraubt, und eines Fideismus, der ihr die menschliche und universelle
Weite nimmt. In der Wahrheit spiegelt die Liebe die persönliche und zugleich öffentliche
Dimension des Glaubens an den biblischen Gott wider, der zugleich »Agape«und »Logos« ist: Caritas und Wahrheit, Liebe und Wort. 4. Da die Liebe
voll Wahrheit ist, kann sie vom Menschen in ihrem Reichtum an Werten begriffen, zustimmend
angenommen und vermittelt werden. Denn die Wahrheit ist „lógos“, der
„diá-logos“ schafft und damit Austausch und Gemeinschaft bewirkt. Indem die
Wahrheit die Menschen aus den subjektiven Meinungen und Empfindungen herausholt, gibt
sie ihnen die Möglichkeit, kulturelle und geschichtliche Festlegungen zu überwinden
und in der Beurteilung von Wert und Wesen der Dinge einander zu begegnen. Die Wahrheit
öffnet den Verstand der Menschen und vereint ihre Intelligenz im Logos der
Liebe: Das ist die Botschaft und das christliche Zeugnis der Liebe. Wenn wir im augenblicklichen
sozialen und kulturellen Umfeld, in dem die Tendenz zur Relativierung der Wahrheit
verbreitet ist, die Liebe in der Wahrheit leben, kommen wir zu der Einsicht, daß die
Zustimmung zu den Werten des Christentums ein nicht nur nützliches, sondern unverzichtbares
Element für den Aufbau einer guten Gesellschaft und einer echten ganzheitlichen Entwicklung
des Menschen ist. Ein Christentum der Liebe ohne Wahrheit kann leicht mit einem Vorrat
an guten, für das gesellschaftliche Zusammenleben nützlichen, aber nebensächlichen
Gefühlen verwechselt werden. Auf diese Weise gäbe es keinen eigentlichen Platz mehr
für Gott in der Welt. Ohne die Wahrheit wird die Liebe in einen begrenzten und privaten
Bereich von Beziehungen verbannt. Aus den Planungen und den Prozessen zum Aufbau einer
menschlichen Entwicklung von umfassender Tragweite – im Dialog zwischen Wissen und
Praxis – wird sie ausgeschlossen. 5. Caritas ist empfangene und geschenkte
Liebe. Sie ist »Gnade« (cháris). Ihre Quelle ist die ursprüngliche Liebe des
Vaters zum Sohn im Heiligen Geist. Sie ist Liebe, die vom Sohn her zu uns herabfließt.
Sie ist schöpferische Liebe, aus der wir unser Sein haben; sie ist erlösende Liebe,
durch die wir wiedergeboren sind. Sie ist von Christus offenbarte und verwirklichte
Liebe (vgl. Joh 13, 1), »ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist«
(Röm 5, 5). Als Empfänger der Liebe Gottes sind die Menschen eingesetzt, Träger
der Nächstenliebe zu sein, und dazu berufen, selbst Werkzeuge der Gnade zu werden,
um die Liebe Gottes zu verbreiten und Netze der Nächstenliebe zu knüpfen. Auf
diese Dynamik der empfangenen und geschenkten Liebe geht die Soziallehre der Kirche
ein. Sie ist »caritas in veritate in re sociali«: Verkündigung der Wahrheit
der Liebe Christi in der Gesellschaft. Diese Lehre ist Dienst der Liebe, aber in der
Wahrheit. Die Wahrheit ist Hüterin und Ausdruck der befreienden Kraft der Liebe in
den immer neuen Wechselfällen der Geschichte. Sie ist zugleich Wahrheit des Glaubens
und der Vernunft, in der Unterscheidung ebenso wie im Zusammenwirken der beiden Erkenntnisbereiche.
Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen Wohlstand und eine angemessene Lösung
der schweren sozioökonomischen Probleme, welche die Menschheit plagen, ist diese Wahrheit
notwendig. Und noch notwendiger dafür ist, daß diese Wahrheit geliebt und bezeugt
wird. Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen
und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen
und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in
einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie
der augenblicklichen. 6. »Caritas in veritate«istdas Prinzip,
um das die Soziallehre der Kirche kreist, ein Prinzip, das in Orientierungsmaßstäben
für das moralische Handeln wirksame Gestalt annimmt. Besonders zwei von ihnen möchte
ich erwähnen, die speziell beim Einsatz für die Entwicklung in einer Gesellschaft
auf dem Weg zur Globalisierung erforderlich sind: die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl. Zunächst
die Gerechtigkeit. Ubi societas, ibi ius: Jede Gesellschaft erarbeitet ein
eigenes Rechtssy-stem. Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben
ist schenken, dem anderen von dem geben, was „mein“ ist; aber sie ist nie ohne die
Gerechtigkeit, die mich dazu bewegt, dem anderen das zu geben, was „sein“ ist, das,
was ihm aufgrund seines Seins und seines Wirkens zukommt. Ich kann dem anderen nicht
von dem, was mein ist, „schenken“, ohne ihm an erster Stelle das gegeben zu haben,
was ihm rechtmäßig zusteht. Wer den anderen mit Nächstenliebe begegnet, ist vor allem
gerecht zu ihnen. Die Gerechtigkeit ist der Liebe nicht nur in keiner Weise fremd,
sie ist nicht nur kein alternativer oder paralleler Weg zur ihr: Die Gerechtigkeit
ist untrennbar mit der Liebe verbunden, sie ist ein ihr innewohnendes Element. Die
Gerechtigkeit ist der erste Weg der Liebe oder – wie Paul VI. sagte – ihr »Mindestmaß«,
ein wesentlicher Bestandteil jener Liebe »in Tat und Wahrheit« (1 Joh 3, 18),
zu der der Apostel Johannes aufruft. Zum einen erfordert die Liebe die Gerechtigkeit:
die Anerkennung und die Achtung der legitimen Rechte der einzelnen und der Völker.
Sie setzt sich für den Aufbau der „Stadt des Menschen“ nach Recht und Gerechtigkeit
ein. Zum andern geht die Liebe über die Gerechtigkeit hinaus und vervollständigt sie
in der Logik des Gebens und Vergebens. Die „Stadt des Menschen“ wird nicht nur durch
Beziehungen auf der Grundlage von Rechten und Pflichten gefördert, sondern noch mehr
und zuerst durch Verbindungen, die durch Unentgeltlichkeit, Barmherzigkeit und Gemeinsamkeit
gekennzeichnet sind. Die Nächstenliebe offenbart auch in den menschlichen Beziehungen
immer die Liebe Gottes; diese verleiht jedem Einsatz für Gerechtigkeit in der Welt
einen theologalen und heilbringenden Wert. 7. Ferner muß besonderer Wert auf das
Gemeinwohl gelegt werden. Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll
dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es eines, das an das Leben der
Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl. Es ist das Wohl jenes „Wir
alle“, das aus einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu
einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen. Es ist nicht ein für sich selbst gesuchtes
Wohl, sondern für die Menschen, die zu der sozialen Gemeinschaft gehören und nur in
ihr wirklich und wirkungsvoller ihr Wohl erlangen können. Das Gemeinwohl wünschen
und sich dafür verwenden ist ein Erfordernis von Gerechtigkeit und Liebe. Sich
für das Gemeinwohl einzusetzen bedeutet, die Gesamtheit der Institutionen, die das
soziale Leben rechtlich, zivil, politisch und kulturell strukturieren, einerseits
zu schützen und andererseits sich ihrer zu bedienen, so daß auf diese Weise die Polis,
die Stadt Gestalt gewinnt. Man liebt den Nächsten um so wirkungsvoller, je mehr man
sich für ein gemeinsames Gut einsetzt, das auch seinen realen Bedürfnissen entspricht.
Jeder Christ ist zu dieser Nächstenliebe aufgerufen, in der Weise seiner Berufung
und entsprechend seinen Einflußmöglichkeiten in der Polis. Das ist der institutionelle
– wir können auch sagen politische – Weg der Nächstenliebe, der nicht weniger tauglich
und wirksam ist als die Liebe, die dem Nächsten unmittelbar, außerhalb der institutionellen
Vermittlungen der Polis entgegenkommt. Wenn der Einsatz für das Gemeinwohl
von der Liebe beseelt ist, hat er eine höhere Wertigkeit als der nur weltliche, politische.
Wie jeder Einsatz für die Gerechtigkeit gehört er zu jenem Zeugnis der göttlichen
Liebe, das, während es in der Zeit wirkt, die Ewigkeit vorbereitet. Wenn das Handeln
des Menschen auf Erden von der Liebe in-spiriert und unterstützt wird, trägt es zum
Aufbau jener universellen Stadt Gottes bei, auf die sich die Geschichte der
Menschheitsfamilie zubewegt. In einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung
müssen das Gemeinwohl und der Einsatz dafür unweigerlich die Dimensionen der gesamten
Menschheitsfamilie, also der Gemeinschaft der Völker und der Nationen, annehmen, so
daß sie der Stadt des Menschen die Gestalt der Einheit und des Friedens verleihen
und sie gewissermaßen zu einer vorausdeutenden Antizipation der grenzenlosen Stadt
Gottes machen. 8. Durch die Veröffentlichung der Enzyklika Populorum progressio
im Jahr 1967 hat mein verehrter Vorgänger Paul VI. das große Thema der Entwicklung
der Völker unter dem Glanz der Wahrheit und dem Licht der Liebe Christi beleuchtet.
Er hat bekräftigt, daß die Verkündigung Christi der erste und hauptsächliche Entwicklungsfaktor
ist, und er hat uns aufgegeben, auf dem Weg der Entwicklung mit unserem Herzen und
all unserer Intelligenz voranzugehen, das heißt mit dem Feuer der Liebe und der Weisheit
der Wahrheit. Es ist die ursprüngliche Wahrheit der Liebe Gottes, eine uns geschenkte
Gnade, die unser Leben für die Gabe öffnet und es möglich macht, eine Entwicklung
»des ganzen Menschen und der ganzen Menschheit«, einen Übergang »von weniger menschlichen
zu menschlicheren Bedingungen« zu erhoffen, der durch die Überwindung der unweigerlich
auf dem Weg anzutreffenden Schwierigkeiten erreicht wird. Über vierzig Jahre nach
der Veröffentlichung der Enzyklika möchte ich dem Gedenken des großen Papstes Paul
VI. Anerkennung zollen und Ehre erweisen, indem ich seine Lehren über die ganzheitliche
Entwicklung des Menschen aufnehme und mich auf den von ihnen vorgezeichneten Weg
begebe, um sie in der gegenwärtigen Zeit zu aktualisieren. Dieser Prozeß der Aktualisierung
begann mit der Enzyklika Sollecitudo rei socialis, mit welcher der Diener Gottes
Papst Johannes Paul II. der Veröffentlichung von Populorum progressio anläßlich
ihres zwanzigsten Jahrestags gedenken wollte. Ein solches Andenken war bis dahin nur
der Enzyklika Rerum novarum zuteil geworden. Nachdem nun weitere zwanzig Jahre
vergangen sind, bringe ich meine Überzeugung zum Ausdruck, daß die Enzyklika Populorum
progressio verdient, als »die Rerum novarum unserer Zeit« angesehen zu
werden, welche die Schritte der Menschheit auf dem Weg zu einer Einigung erleuchtet. 9. Die
Liebe in der Wahrheit – caritas in veritate – ist eine große Herausforderung
für die Kirche in einer Welt der fortschreitenden und um sich greifenden Globalisierung.
Die Gefahr unserer Zeit besteht darin, daß der tatsächlichen Abhängigkeit der Menschen
und der Völker untereinander keine ethische Wechselbeziehung von Gewissen und Verstand
der Beteiligten entspricht, aus der eine wirklich menschliche Entwicklung als Ergebnis
hervorgehen könnte. Nur mit der vom Licht der Vernunft und des Glaubens erleuchteten
Liebe ist es möglich, Entwicklungsziele zu erreichen, die einen menschlicheren
und vermenschlichenderen Wert besitzen. Das Teilen der Güter und der Ressourcen, aus
dem die echte Entwicklung hervorgeht, wird nicht allein durch technischen Fortschritt
und durch bloß vom Kalkül bestimmte Beziehungen gewährleistet, sondern durch das Potential
der Liebe, die das Böse durch das Gute besiegt (vgl. Röm 12, 21) und die Menschen
dafür öffnet, in ihrem Gewissen und mit ihrer Freiheit aufeinander einzugehen. Die
Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten und beansprucht keineswegs, »sich
in die staatlichen Belange einzumischen«. Sie hat aber zu allen Zeiten und unter allen
Gegebenheiten eine Sendung der Wahrheit zu erfüllen für eine Gesellschaft, die dem
Menschen und seiner Würde und Berufung gerecht wird. Ohne Wahrheit verfällt man in
eine empiristische und skeptische Lebensauffassung, die unfähig ist, sich über die
Praxis zu erheben, weil sie nicht daran interessiert ist, die Werte – und bisweilen
sogar die Bedeutungen – zu erfassen, mit denen diese zu beurteilen und nach denen
sie auszurichten ist. Die Treue zum Menschen erfordert die Treue zur Wahrheit,
die allein Garant der Freiheit (vgl. Joh 8, 32) und der Möglichkeit
einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung ist. Darum sucht die Kirche die
Wahrheit, verkündet sie unermüdlich und erkennt sie an, wo immer sie sich offenbart.
Diese Sendung der Wahrheit ist für die Kirche unverzichtbar. Ihre Soziallehre ist
ein besonderer Aspekt dieser Verkündigung: Sie ist Dienst an der Wahrheit, die befreit.
Offen für die Wahrheit, gleichgültig aus welcher Wissensrichtung sie kommt, nimmt
die Soziallehre der Kirche sie auf, setzt die Bruchstücke, in der sie sie häufig vorfindet,
zu einer Einheit zusammen und vermittelt sie in die immer neue Lebenspraxis der Gesellschaft
der Menschen und der Völker hinein.
ERSTES KAPITEL DIE BOTSCHAFT
VON POPULORUM PROGRESSIO10. Die erneute Lektüre von Populorum progressio über
vierzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung regt dazu an, ihrer Botschaft der Liebe
und der Wahrheit treu zu bleiben und sie im Kontext der spezifischen Lehre Papst Pauls
VI. und allgemeiner innerhalb der Tradition der Soziallehre der Kirche zu betrachten.
Alsdann sind die anderen Bedingungen zu erwägen, unter denen sich das Problem der
Entwicklung heute im Unterschied zu damals stellt. Der richtige Gesichtspunkt ist
also jener der Überlieferung des apostolischen Glaubens, des alten und neuen Erbes,
außerhalb dessen Populorum progressio ein Dokument ohne Wurzeln wäre und die
Entwicklungsfragen sich einzig auf soziologische Daten reduzieren würden. 11. Die
Publikation von Populorum progressio geschah unmittelbar nach Abschluß des
Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Enzyklika selbst weist in den ersten Absätzen auf
ihre enge Beziehung zum Konzil hin. Papst Johannes Paul II. unterstrich zwanzig Jahre
danach in Sollicitudo rei socialis seinerseits die fruchtbare Verbindung jener
Enzyklika zum Konzil, insbesondere zur Pastoralkon-stitution Gaudium et spes.
Auch ich möchte hier an die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Enzyklika
Papst Pauls VI. und für das gesamte nachfolgende Lehramt der Päpste in sozialen Fragen
erinnern. Das Konzil vertiefte, was seit jeher zur Wahrheit des Glaubens gehört, daß
nämlich die Kirche, da sie im Dienst Gottes steht, bezüglich der Liebe und der Wahrheit
im Dienst der Welt steht. Genau von dieser Sicht ging Papst Paul VI. aus, um uns zwei
große Wahrheiten mitzuteilen. Die erste ist, daß die ganze Kirche, wenn sie verkündet,
Eucharistie feiert und in der Liebe wirkt, in all ihrem Sein und Handeln darauf ausgerichtet
ist, die ganzheitliche Entwicklung des Menschen zu fördern. Sie hat eine öffentliche
Rolle, die sich nicht in ihrem Einsatz in der Fürsorge oder der Erziehung erschöpft,
sondern all ihre besonderen Kräfte im Dienst der Förderung des Menschen und der weltweiten
Geschwisterlichkeit offenbart, wenn sie sich eines freiheitlichen Regimes bedienen
kann. In nicht wenigen Fällen ist diese Freiheit behindert durch Verbote und Verfolgungen
oder auch eingeschränkt, wenn die öffentliche Präsenz der Kirche einzig auf ihre karitativen
Aktivitäten begrenzt wird. Die zweite Wahrheit ist, daß die echte Entwicklung des
Menschen einheitlich die Gesamtheit der Person in all ihren Dimensionen betrifft.
Ohne die Aussicht auf ein ewiges Leben fehlt dem menschlichen Fortschritt in dieser
Welt der große Atem. Wenn er innerhalb der Geschichte eingeschlossen bleibt, ist er
der Gefahr ausgesetzt, sich auf eine bloße Zunahme des Besitztums zu beschränken;
so verliert die Menschheit den Mut, für die höheren Güter aufnahmebereit zu sein,
für die großen und selbstlosen Initiativen, zu denen die universale Nächstenliebe
drängt. Der Mensch entwickelt sich nicht bloß mit den eigenen Kräften, noch kann die
Entwicklung ihm einfach von außen gegeben werden. Im Laufe der Geschichte hat man
oft gemeint, die Schaffung von Institutionen genüge, um der Menschheit die Erfüllung
ihres Rechtes auf Entwicklung zu gewährleisten. Leider hat man in solche Institutionen
ein übertriebenes Vertrauen gesetzt, so als könnten sie das ersehnte Ziel automatisch
erlangen. In Wirklichkeit reichen die Institutionen allein nicht aus, denn die ganzheitliche
Entwicklung des Menschen ist vor allem Berufung und verlangt folglich von allen eine
freie und solidarische Übernahme von Verantwortung. Eine solche Entwicklung erfordert
außerdem eine transzendente Sicht der Person, sie braucht Gott: Ohne ihn wird die
Entwicklung entweder verweigert oder einzig der Hand des Menschen anvertraut, der
in die Anmaßung der Selbst-Erlösung fällt und schließlich eine entmenschlichte Entwicklung
fördert. Im übrigen gestattet nur die Begegnung mit Gott, nicht »im anderen immer
nur den anderen zu sehen«, sondern in ihm das göttliche Bild zu erkennen und so dahin
zu gelangen, wirklich den anderen zu entdecken und eine Liebe reifen zu lassen, die
»Sorge um den anderen und für den anderen« wird. 12. Die Verbindung zwischen
Populorum progressio und dem Zweiten Vatikanischen Konzil stellt nicht etwa
einen Bruch zwischen dem Lehramt Papst Pauls VI. in sozialen Fragen und dem seiner
Vorgänger auf dem Stuhl Petri dar, denn das Konzil ist eine Vertiefung dieser Lehre
in der Kontinuität des Lebens der Kirche. In diesem Sinn tragen gewisse abstrakte
Unterteilungen der modernen Soziallehre der Kirche, die auf die sozialen Aussagen
der Päpste ihr fremde Kategorien anwenden, nicht zur Klärung bei. Es gibt nicht zwei
Typologien von Soziallehre, eine vorkonziliare und eine nachkonziliare, die sich voneinander
unterscheiden, sondern eine einzige kohärente und zugleich stets neue Lehre.
Es ist richtig, die Besonderheiten der einen oder der anderen Enzyklika, der Lehre
des einen oder des anderen Papstes hervorzuheben, man darf dabei aber niemals die
Kohärenz des gesamten Corpus der Lehre aus den Augen verlieren. Kohärenz bedeutet
nicht ein Einschließen in ein System, sondern vielmehr dynamische Treue zu einem empfangenen
Licht. Die Soziallehre der Kirche beleuchtet die immer neuen Probleme, die auftauchen,
mit einem Licht, das sich nicht verändert. Das gewährleistet den sowohl permanent
aktuellen als auch geschichtlichen Charakter dieses doktrinellen »Erbes«, das mit
seinen spezifischen Merkmalen Teil der stets lebendigen Überlieferung der Kirche ist.
Die Soziallehre der Kirche ist auf dem Fundament aufgebaut, das die Apostel den Kirchenvätern
übermittelt haben und das dann von den großen christlichen Lehrmeistern aufgenommen
und vertieft wurde. Diese Lehre greift letztlich auf den Neuen Menschen zurück, auf
den »Letzten Adam«, der »lebendig machender Geist« wurde (1Kor 15, 45) und
Ursprung jener Liebe ist, die »niemals aufhört« (1Kor 13, 8). Sie ist bezeugt
von den Heiligen und von allen, die auf dem Gebiet der Gerechtigkeit und des Friedens
ihr Leben für Christus, den Erlöser, hingegeben haben. In ihr kommt die prophetische
Aufgabe der Päpste zum Ausdruck, die Kirche Christi apostolisch zu leiten und die
jeweils neuen Erfordernisse der Evangelisierung zu erkennen. Aus diesen Gründen ist
die in den großen Strom der Überlieferung eingebettete Enzyklika Populorum progressio
imstande, uns heute noch etwas zu sagen. 13. Außer ihrer bedeutenden Verbindung
mit der ganzen Soziallehre der Kirche ist die Enzy-klika Populorum progressio
mit dem gesamten Lehramt Papst Pauls VI. und insbesondere mit seinem Lehramt in
sozialen Fragen verknüpft. Seine Unterweisungen zu diesem Thema waren durchaus
von großer Wichtigkeit: Er betonte die unabdingbare Rolle des Evangeliums für den
Aufbau der Gesellschaft im Sinne von Freiheit und Gerechtigkeit, in der geistigen
und historischen Perspektive einer von der Liebe geleiteten Zivilisation. Papst Paul
VI. erfaßte klar, daß die soziale Frage weltweit geworden war, und sah die innere
Entsprechung zwischen dem Drängen auf eine Vereinheitlichung der Menschheit und dem
christlichen Ideal einer einzigen, in der allgemeinen Brüderlichkeit solidarischen
Familie der Völker. Erbezeichnete die menschlich und christlich verstandene
Entwicklung als das Herz der christlichen Soziallehre und stellte die christliche
Liebe als die hauptsächliche Kraft im Dienst der Entwicklung dar. Von dem Wunsch bewegt,
die Liebe Christi dem heutigen Menschen ganz sichtbar zu machen, ging Papst Paul VI.
mit Fe-stigkeit wichtige ethische Fragen an, ohne den Schwächen der Kultur seiner
Zeit nachzugeben. 14. Mit dem Apostolischen Schreiben Octogesima adveniens
von 1971 thematisierte Papst Paul VI. dann den Sinn der Politik und die Gefahr
seitens utopistischer und ideologischer Visionen, die ihre ethische und menschliche
Qualität beeinträchtigten. Es handelt sich um Argumente, die mit der Entwicklung eng
verbunden sind. Leider treiben die negativen Ideologien fortwährend Blüten. Vor der
technokratischen Ideologie, die heute besonders verbreitet ist, hatte Papst Paul VI.
bereits gewarnt, wohl wissend, daß es sehr gefährlich ist, den gesamten Entwicklungsprozeß
allein der Technik zu überlassen, denn auf diese Weise würde ihm die Orientierung
fehlen. Technik, für sich genommen, ist ambivalent. Wenn heute einerseits die Neigung
besteht, ihr den besagten Entwicklungsprozeß gänzlich anzuvertrauen, ist andererseits
das Aufkommen von Ideologien zu beobachten, welche die Nützlichkeit der Entwicklung
überhaupt leugnen, weil sie sie für grundsätzlich anti-menschlich halten und meinen,
sie führe zu allgemeinem Verfall. So verurteilt man letztlich nicht nur die verzerrte
und ungerechte Weise, in der die Menschen manchmal den Fortschritt orientieren, sondern
die wissenschaftlichen Entdeckungen selbst, die hingegen, wenn sie recht genutzt werden,
eine Wachstumschance für alle darstellen. Die Vorstellung von einer Welt ohne Entwicklung
drückt Mißtrauen gegenüber dem Menschen und gegenüber Gott aus. Es ist also ein schwerer
Irrtum, die menschlichen Fähigkeiten zur Kontrolle von Auswüchsen in der Entwicklung
geringzuschätzen, oder sogar zu ignorieren, daß der Mensch konstitutiv dem »Mehr-Sein«
entgegenstrebt. Den technischen Fortschritt ideologisch zu verabsolutieren oder die
Utopie einer zum ursprünglichen Naturzustand zurückgekehrten Menschheit zu erträumen,
sind zwei gegensätzliche Weisen, den Fortschritt von der moralischen Bewertung und
somit von unserer Verantwortung zu trennen. 15. Zwei weitere Dokumente Papst Pauls
VI., die nicht unmittelbar mit der Soziallehre zusammenhängen – die Enzyklika Humanae
vitae vom 25. Juli 1968 und das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi
vom 8. Dezember 1975 – sind sehr wichtig, um den vollkommen menschlichen Gehalt
der von der Kirche vorgeschlagenen Entwicklung zu beschreiben. Es ist also angebracht,
auch diese beiden Texte in Verbindung mit Populorum progressio zu lesen. Die
Enzyklika Humanae vitae unterstreicht die zweifache Bedeutung der Sexualität
als Vereinigung und als Zeugung und gründet damit die Gesellschaft auf das Fundament
des Ehepaares, eines Mannes und einer Frau, die sich gegenseitig annehmen in ihrer
Unterschiedenheit und Komplementarität; eines Paares also, das offen ist für das Leben.
Es handelt sich nicht um eine bloß individuelle Moral: Humanae vitae zeigt
die starken Verbindungen auf, die zwischen der Ethik des Lebens und der
Sozialethik bestehen und hat damit eine lehramtliche Thematik eröffnet, die nach
und nach in verschiedenen Dokumenten Gestalt gewonnen hat, zuletzt in der Enzyklika
Evangelium vitae Papst Johannes Pauls II. Die Kirche betont mit Nachdruck diesen
Zusammenhang zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik, denn sie weiß: Unmöglich
»kann eine Gesellschaft gesicherte Grundlagen haben, die – während sie Werte wie Würde
der Person, Gerechtigkeit und Frieden geltend macht – sich von Grund auf widerspricht,
wenn sie die verschiedensten Formen von Mißachtung und Verletzung des menschlichen
Lebens akzeptiert oder duldet, vor allem, wenn es sich um schwaches oder ausgegrenztes
Leben handelt«. Das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi hat seinerseits
eine sehr enge Beziehung zur Entwicklung, denn »die Evangelisierung wäre nicht vollkommen«,
schrieb Papst Paul VI., »wenn sie nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, daß sich
im Lauf der Zeit das Evangelium und das konkrete, persönliche und gemeinschaftliche
Leben des Menschen gegenseitig fordern«. »Zwischen Evangelisierung und menschlicher
Förderung – Entwicklung und Befreiung – bestehen in der Tat enge Verbindungen«: Von
dieser Kenntnis ausgehend, stellte Papst Paul VI. die Beziehung zwischen der Verkündigung
Christi und der Förderung des Menschen in der Gesellschaft klar heraus. Das Zeugnis
für die Liebe Christi durch Werke der Gerechtigkeit, des Friedens und der Entwicklung
gehört zur Evangelisierung, denn dem uns in Liebe zugewandten Jesus Christus liegt
der ganze Mensch am Herzen. Auf diese wichtigen Lehren gründet sich der missionarische
Aspekt der Soziallehre der Kirche als wesentliches Element der Evangelisierung. Die
Soziallehre der Kirche ist Glaubensverkündigung und Glaubenszeugnis. Sie ist Instrument
und unverzichtbarer Ort der Erziehung zum Glauben. 16. In der Enzyklika Populorum
progressio wollte Papst Paul VI. uns vor allem sagen, daß der Fortschritt in seinem
Ursprung und seinem Wesen nach eine Berufung ist: »Nach dem Plan Gottes ist
jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln; denn das ganze Leben ist Berufung«. Genau
dieses Faktum rechtfertigt das Eingreifen der Kir che in den Problemkomplex der Entwicklung.
Wenn es nur um technische Aspekte des menschlichen Lebens ginge und der Mensch weder
den Sinn seines Voranschreitens in der Geschichte gemeinsam mit seinen Mitmenschen,
noch die Zielbestimmung dieses Weges beachten würde, dann hätte die Kirche kein Recht,
über diese Dinge zu sprechen. Papst Paul VI. war sich – wie schon sein Vorgänger Papst
Leo XIII. in der Enzyklika Rerum novarum – bewußt, eine seinem Amt
eigene Pflicht zu erfüllen, indem er das Licht des Evangeliums auf die sozialen Fragen
seiner Zeit warf. Wenn man sagt, daß die Entwicklung eine Berufung ist,
bedeutet das anzuerkennen, daß sie zum einen aus einem transzendenten Ruf hervorgeht
und zum andern nicht in der Lage ist, sich selbst ihren letzten Sinn zu geben. Nicht
ohne Grund kommt das Wort »Berufung« auch an einer anderen Stelle der Enzyklika vor,
wo es heißt: »Nur jener Humanismus also ist der wahre, der sich zum Absoluten hin
öffnet, in Dank für eine Berufung, die die richtige Auffassung vom menschlichen Leben
schenkt«. Diese Sicht der Entwicklung ist das Herz von Populorum progressio
und motiviert alle Reflexionen Papst Pauls VI. über die Freiheit, die Wahrheit und
die Liebe in der Entwicklung. Sie ist auch der Hauptgrund, warum diese Enzy-klika
in unseren Tagen noch aktuell ist. 17. Die Berufung ist ein Appell, der eine freie
und verantwortliche Antwort verlangt. Die ganzheitliche menschliche Entwicklung
setzt dieverantwortliche Freiheit der Person und der Völker voraus:
keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn sie die menschliche Verantwortung
beiseite läßt oder sich über sie stellt. Die »Messianismen«, reich an »Verheißungen,
die doch nur Gaukler einer Traumwelt sind«, gründen ihre eigenen Vorschläge immer
auf die Leugnung der transzendenten Dimension der Entwicklung, in der Sicherheit,
daß diese ihnen ganz zur Verfügung steht. Diese falsche Sicherheit verwandelt sich
in Schwäche, weil sie die Unterjochung des Menschen mit sich bringt, der zu einem
Mittel für die Entwicklung herabgewürdigt wird, während die Demut dessen, der eine
Berufung annimmt, sich in wahre Autonomie verwandelt, weil sie den Menschen frei macht.
Papst Paul VI. bezweifelt nicht, daß Hindernisse und Bedingtheiten die Entwicklung
hemmen, aber er ist auch sicher, daß »jeder seines Glückes Schmied, seines Versagens
Ursache [ist], wie immer auch die Einflüsse sind, die auf ihn wirken«. Diese Freiheit
betrifft die Entwicklung, die wir vor uns haben, aber sie betrifft zugleich auch die
Situationen von Unterentwicklung, die nicht ein Ergebnis des Zufalls oder einer geschichtlichen
Notwendigkeit sind, sondern von der menschlichen Verantwortung abhängen. Aus diesem
Grund bitten »die Völker, die Hunger leiden, … die Völker im Wohlstand dringend um
Hilfe«. Auch das ist Berufung, ein von freien Menschen an freie Menschen gerichteter
Appell für eine gemeinsame Übernahme von Verantwortung. Papst Paul VI. hatte ein lebendiges
Empfinden für die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Strukturen und der Institutionen,
aber ebenso deutlich war sein Empfinden für deren eigentliches Wesen als Werkzeuge
der menschlichen Freiheit. Nur wenn sie frei ist, kann die Entwicklung ganz menschlich
sein; nur in Verhältnissen von verantwortlicher Freiheit kann sie in angemessener
Weise wachsen. 18. Neben der Forderung nach Freiheit verlangt die ganzheitliche
menschliche Entwicklung als Berufung auch, daß ihre Wahrheit respektiert wird.
Die Berufung zum Fortschritt drängt die Menschen, »mehr [zu] handeln, mehr [zu] erkennen,
mehr [zu] besitzen, um mehr zu sein«. Doch da stellt sich das Pro-blem: Was bedeutet
»mehr sein«? Auf diese Frage antwortet Papst Paul VI., indem er auf das wesentliche
Kennzeichen der »wahren Entwicklung« verweist: Sie muß »umfassend sein, sie muß den
ganzen Menschen im Auge haben und die gesamte Menschheit«. In der Konkurrenz der verschiedenen
Auffassungen vom Menschen, von denen es in der heutigen Gesellschaft noch mehr gibt
als zur Zeit Papst Pauls VI., hat die christliche Sichtweise die Besonderheit, den
unveräußerlichen Wert des Menschen und den Sinn seines Wachsens zu bekräftigen und
zu rechtfertigen. Die christliche Berufung zur Entwicklung hilft, die Förderung aller
Menschen und des ganzen Menschen zu verfolgen. Papst Paul VI. schrieb: »Was für uns
zählt, ist der Mensch, der einzelne, die Gruppe von Menschen bis zur gesamten Menschheit«.
Der christliche Glaube kümmert sich um die Entwicklung, ohne sich auf Privilegien
oder auf Machtpositionen und nicht einmal auf die Verdienste der Christen zu verlassen,
auch wenn es sie gab und auch heute abgesehen von natürlichen Grenzen gibt. Der Glaube
setzt vielmehr einzig auf Christus, auf den jede echte Berufung zur ganzheitlichen
menschlichen Entwicklung zurückzuführen ist. Das Evangelium ist grundlegendes Element
der Entwicklung, denn darin macht Christus »in der Offenbarung des Geheimnisses
des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund«. Von ihrem
Herrn belehrt, erforscht die Kirche die Zeichen der Zeit, deutet sie und bietet der
Welt »ihr Ureigenstes: eine umfassende Sicht des Menschen und der Menschheit«. Gerade
weil Gott das größte »Ja« zum Menschen sagt, kann der Mensch nicht darauf verzichten,
sich der göttlichen Berufung zu öffnen, um die eigene Entwicklung zu verwirklichen.
Die Wahrheit der Entwicklung besteht in ihrer Ganzheit: Wenn die Entwicklung nicht
den ganzen Menschen und jeden Menschen betrifft, ist sie keine wahre Entwicklung.
Das ist die zentrale Botschaft von Populorum progressio, die heute und immer
gilt. Die ganzheitliche Entwicklung des Menschen auf der natürlichen Ebene als Antwort
auf eine Berufung durch den Schöpfergott erfordert ihre Verwirklichung in einem »Humanismus
jenseitiger … Art, der [dem Menschen] eine umgreifende Vollendung schenkt: das ist
das Ziel und der letzte Sinn menschlicher Entwicklung«. Die christliche Berufung zu
dieser Entwicklung betrifft also sowohl die natürliche als auch die übernatürliche
Ebene; aus diesem Grund gilt: »Wenn Gott in den Schatten gestellt wird, schwindet
unsere Fähigkeit, die natürliche Ordnung, ihr Ziel und das ‚Gute‘ zu erkennen, allmählich
dahin«. 19. Schließlich verlangt die Auffassung von der Entwicklung als Berufung,
daß in ihr die Liebe im Zentrum steht. Papst Paul VI. stellte in der Enzyklika
Populorum progressio fest, daß die Ursachen der Unterentwicklung nicht in erster
Linie materieller Art sind. Er forderte uns auf, sie in anderen Dimensionen des Menschen
zu suchen. Vor allem im Willen, der oft die Pflichten der Solidarität mißachtet. An
zweiter Stelle im Denken, das den Willen nicht immer in rechter Weise zu orientieren
weiß. Zu begleiten wäre die Entwicklung daher durch »weise Menschen mit tiefen Gedanken,
die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den Menschen von heute sich selbst
finden läßt«. Aber das ist nicht alles. Die Unterentwicklung hat eine Ursache, die
noch wichtiger ist als die Unzulänglichkeit im Denken: Es ist das »Fehlen des brüderlichen
Geistes unter den Menschen und unter den Völkern«. Können die Menschen eine solche
Brüderlichkeit jemals aus eigenem Antrieb erreichen? Die zunehmend globalisierte Gesellschaft
macht uns zu Nachbarn, aber nicht zu Geschwistern. Die Vernunft für sich allein ist
imstande, die Gleichheit unter den Menschen zu begreifen und ein bürgerliches Zusammenleben
herzustellen, aber es gelingt ihr nicht, Brüderlichkeit zu schaffen. Diese hat ihren
Ursprung in einer transzendenten Berufung durch Gott den Vater, der uns zuerst geliebt
hat und uns durch den Sohn lehrt, was geschwisterliche Liebe ist. In seiner Darstellung
der verschiedenen Ebenen des Entwicklungsprozesses des Menschen stellte Papst Paul
VI., nachdem er den Glauben erwähnt hatte, an die Spitze »die Einheit in der Liebe
Christi, der alle gerufen hat, als Kinder am Leben des lebendigen Gottes teilzunehmen,
des Vaters aller Menschen«. 20. Diese von Populorum progressio eröffneten
Perspektiven bleiben grundlegend, um unserem Einsatz für die Entwicklung der Völker
Schwung und Orientierung zu verleihen. Die Enzyklika unterstreicht außerdem immer
wieder die Dringlichkeit von Reformen und ruft dann auf, angesichts
der großen Probleme der Ungerechtigkeit in der Entwicklung der Völker mutig und ohne
Zögern zu handeln. Auch die Liebe in der Wahrheit schreibt diese Dringlichkeit
vor. Die Liebe Christi ist es, die uns drängt: »caritas Christi urget nos«
(2 Kor 5, 14). Die Dringlichkeit liegt nicht nur in den Gegebenheiten, sie
ergibt sich nicht nur daraus, daß die Ereignisse und Probleme sich überstürzen, sondern
auch aus der ausgesetzten Prämie: die Verwirklichung einer echten Brüderlichkeit.
Dieses Ziel hat eine solche Bedeutung, daß es unsere Aufgeschlossenheit erfordert,
damit wir es zutiefst begreifen und uns konkret und »von Herzen« dafür engagieren,
daß die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse zu wahrhaft menschlichen
Ergebnissen führen.
ZWEITES KAPITEL DIE ENTWICKLUNG
DES MENSCHEN IN UNSERER ZEIT21. Papst Paul VI. hatte eine differenzierte
Sicht der Entwicklung. Mit dem Begriff »Entwicklung« wollte er das Ziel anzeigen,
den Völkern vor allem zu einer Überwindung von Hunger, Elend, endemischen Krankheiten
und Analphabetismus zu verhelfen. Das bedeutete vom ökonomischen Gesichtspunkt aus
ihre aktive Teilnahme am internationalen Wirtschaftsprozeß unter paritätischen Bedingungen;
vom sozialen Gesichtspunkt aus ihre Entwicklung zu gebildeten und solidarischen Gesellschaften;
vom politischen Gesichtspunkt aus die Konsolidierung demokratischer Regime, die imstande
sind, Freiheit und Frieden zu sichern. Während wir nun nach vielen Jahren mit Besorgnis
auf die Entwicklungen und auf die Perspektiven der Krisen schauen, die in diesen Zeiten
einander folgen, fragen wir uns, wie weit die Erwartungen Papst Pauls VI. von
dem in den letzten Jahrzehnten angewendeten Entwicklungsmodell befriedigt worden
sind. Wir erkennen so, daß die Befürchtungen der Kirche bezüglich der Fähigkeiten
des rein technisch orientierten Menschen, sich realistische Ziele zu setzen und die
zur Verfügung stehenden Mittel in angemessener Weise zu handhaben, begründet waren.
Der Gewinn ist nützlich, wenn er in seiner Eigenschaft als Mittel einem Zweck zugeordnet
ist, welcher der Art und Weise seiner Erlangung ebenso wie der seiner Verwendung einen
Sinn verleiht. Die ausschließliche Ausrichtung auf Gewinn läuft, wenn dieser auf ungute
Weise erzielt wird und sein Endzweck nicht das Gemeinwohl ist, Gefahr, Vermögen zu
zerstören und Armut zu schaffen. Die von Papst Paul VI. herbeigewünschte wirtschaftliche
Entwicklung sollte so geartet sein, daß sie ein reales, auf alle ausdehnbares und
konkret nachhaltiges Wachstum hervorruft. Es trifft zu, daß die Entwicklung ein positiver
Faktor war und weiterhin ist, der Milliarden von Menschen aus dem Elend befreit und
in letzter Zeit vielen Ländern die Möglichkeit gegeben hat, wirksame Partner in der
internationalen Politik zu werden. Man muß jedoch zugeben, daß ebendiese wirtschaftliche
Entwicklung durch Verzerrungen und dramatische Probleme belastet war und weiterhin
ist, die durch die augenblickliche Krisensituation noch mehr in den Vordergrund treten.
Diese stellt uns unaufschiebbar vor Entscheidungen, die zunehmend die Bestimmung des
Menschen selbst betreffen, der im übrigen nicht von seiner Natur absehen kann. Die
auf dem Plan befindlichen technischen Kräfte, die weltweiten Wechselbeziehungen, die
schädlichen Auswirkungen einer schlecht eingesetzten und darüber hinaus spekulativen
Finanzaktivität auf die Realwirtschaft, die stattlichen, oft nur ausgelösten und dann
nicht angemessen geleiteten Migrationsströme, die unkontrollierte Ausbeutung der Erdressourcen
– all das veranlaßt uns heute, über die notwendigen Maßnahmen zur Lösung von Problemen
nachzudenken, die im Vergleich zu den von Papst Paul VI. unternommenen nicht nur neu
sind, sondern auch und vor allem einen entscheidenden Einfluß auf das gegenwärtige
und zukünftige Wohl der Menschheit haben. Die Aspekte der Krise und ihrer Lösungen
wie auch die einer zukünftigen neuen möglichen Entwicklung sind immer mehr miteinander
verbunden, sie bedingen sich gegenseitig, erfordern neue Bemühungen um ein Gesamtverständnis
und eine neue humanistische Synthese. Die Kompliziertheit und Schwere der augenblicklichen
wirtschaftlichen Krise besorgt uns zu Recht, doch müssen wir mit Realismus, Vertrauen
und Hoffnung die neuen Verantwortungen übernehmen, zu denen uns das Szenario einer
Welt ruft, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung
von Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist. Die Krise verpflichtet
uns, unseren Weg neu zu planen, uns neue Regeln zu geben und neue Einsatzformen zu
finden, auf positive Erfahrungen zuzusteuern und die negativen zu verwerfen. So wird
die Krise Anlaß zu Unterscheidung und neuer Planung. In dieser eher zuversichtlichen
als resignierten Grundhaltung müssen die Schwierigkeiten des gegenwärtigen Augenblicks
in Angriff genommen werden. 22. Heute ist der Rahmen der Entwicklung polyzentrisch.
Die Akteure und die Ursachen sowohl der Unterentwicklung als auch der Entwicklung
sind vielgestaltig, Schuld und Verdienste sind voneinander zu unterscheiden. Diese
Gegebenheit müßte dazu drängen, sich von den Ideologien zu befreien, die in oft künstlicher
Weise die Realität vereinfachen, und dazu veranlassen, objektiv die menschliche Komplexität
der Pro-bleme zu überprüfen. Die Demarkationslinie zwischen reichen und armen Ländern
ist nicht mehr so deutlich wie zur Zeit der Enzyklika Populorum progressio;
darauf hatte schon Papst Johannes Paul II. hingewiesen. Absolut gesehen, nimmt
der weltweite Reichtum zu, doch die Ungleichheiten vergrößern sich. In den reichen
Ländern verarmen neue Gesellschaftsklassen, und es entstehen neue Formen der Armut.
In ärmeren Regionen erfreuen sich einige Gruppen einer Art verschwenderischer und
konsumorientierter Überentwicklung, die in unannehmbarem Kontrast zu anhaltenden Situa-tionen
entmenschlichenden Elends steht. »Der Skandal schreiender Ungerechtigkeit« hält an.
Korruption und Illegalität gibt es leider im Verhalten wirtschaftlicher und politischer
Vertreter der alten und neuen reichen Länder ebenso wie in den armen Ländern selbst.
Manchmal sind es große transnationale Unternehmen oder auch lokale Produktionsgruppen,
welche die Menschenrechte der Arbeiter nicht respektieren. Die internationalen Hilfen
sind oft durch Verantwortungslosigkeiten sowohl in der Kette der Geber als auch in
der der Nutznießer zweckentfremdet worden. Auch im Bereich der nicht materiellen oder
der kulturellen Ursachen der Entwicklung bzw. der Unterentwicklung können wir die
gleiche Aufteilung der Verantwortung finden. Es gibt übertriebene Formen des Wissensschutzes
seitens der reichen Länder durch eine zu strenge Anwendung des Rechtes auf geistiges
Eigentum, speziell im medizinischen Bereich. Zugleich bestehen in einigen armen Ländern
kulturelle Leitbilder und gesellschaftliche Verhaltensnormen fort, die den Entwicklungsprozeß
bremsen. 23. Viele Regionen der Erde haben sich heute, wenn auch auf problematische
und nicht homogene Weise, fortentwickelt und sind in den Kreis der großen Mächte eingetreten,
die dazu bestimmt sind, in Zukunft wichtige Rollen zu spielen. Es muß jedoch unterstrichen
werden, daß ein Fortschritt allein unter wirtschaftlichem und technologischem Gesichtspunkt
nicht genügt. Es ist notwendig, daß die Entwicklung vor allem echt und ganzheitlich
ist. Das Heraustreten aus dem wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand, ein an sich
positives Faktum, löst nicht die komplexe Problematik der Förderung des Menschen:
weder für die unmittelbar von diesem Fortschritt selbst betroffenen Länder, noch für
die wirtschaftlich bereits entwickelten, und auch nicht für die noch armen Länder,
die nicht nur unter den alten Formen der Ausbeutung, sondern auch unter den negativen
Konsequenzen eines durch Verzerrungen und Unausgeglichenheiten gekennzeichneten Wachstums
leiden können. Nach dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen und politischen Systeme
der kommuni-stischen Länder Osteuropas und dem Ende der sogenannten „gegnerischen
Blöcke“ wäre ein umfassendes Überdenken der Entwicklung nötig gewesen. Das hatte Papst
Johannes Paul II. gefordert, der 1987 die Existenz dieser „Blöcke“ als eine der Hauptursachen
der Unterentwicklung ausgewiesen hatte, insofern die Politik der Wirtschaft und der
Kultur Geldmittel entzog und die Ideologie die Freiheit behinderte. Im Jahr 1991,
nach den Ereignissen von 1989, forderte er auch, daß dem Ende der „Blöcke“eine
globale Neuplanung der Entwicklung entsprechen müsse, und zwar nicht nur in jenen
Ländern, sondern auch im Westen und in jenen Teilen der Welt, die sich im Stadium
der Entwicklung befanden. Das ist nur zum Teil geschehen und bleibt weiter eine echte
Verpflichtung, der Genüge getan werden muß, indem man vielleicht gerade aus den zur
Überwindung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme notwendigen Entscheidungen Nutzen
zieht. 24. Obwohl man angesichts des schon fortgeschrittenen Prozesses der Sozialisierung
von einer weltweit gewordenen sozialen Frage sprechen konnte, war die Welt, die Papst
Paul VI. vor sich hatte, noch viel weniger zusammengewachsen als die heutige. Wirtschaftliche
Aktivität und politische Tätigkeit spielten sich großenteils im selben räumlichen
Bereich ab und konnten sich so aufeinander verlassen. Die produktive Tätigkeit geschah
vornehmlich innerhalb der nationalen Grenzen, und die finanziellen Investitionen hatten
eine eher begrenzte Zirkulation im Ausland, so daß die Politik vieler Staaten noch
die Prioritäten der Wirtschaft festsetzen und mit den ihr noch zur Verfügung stehenden
Mitteln deren Fortgang in gewisser Weise regeln konnte. Aus diesem Grund schrieb Populorum
progressio der »staatlichen Gewalt« eine zentrale, wenn auch nicht ausschließliche
Aufgabe zu. In unserer Zeit sieht sich der Staat mit der Situation konfrontiert,
sich mit den Beschränkungen auseinandersetzen zu müssen, die der neue internationale
ökonomisch-kommerzielle und finanzielle Kontext seiner Souveränität in den Weg legt
– ein Kontext, der sich auch durch eine zunehmende Mobilität des Finanzkapitals und
der materiellen wie nicht materiellen Produktionsmittel auszeichnet. Dieser neue Kontext
hat die politische Macht der Staaten verändert. Heute – auch unter dem Eindruck
der Lektion, die uns die augenblickliche Wirtschaftskrise erteilt, in der die staatliche
Gewalt unmittelbar damit beschäftigt ist, Irrtümer und Mißwirtschaft zu korrigieren
– scheint eine neue Wertbestimmung der Rolle und der Macht der Staaten realistischer;
beides muß klug neu bedacht und abgeschätzt werden, so daß die Staaten wieder imstande
sind – auch durch neue Modalitäten der Ausübung –, sich den Herausforderungen der
heutigen Welt zu stellen. Mit einer besser ausgewogenen Rolle der staatlichen Gewalt
kann man davon ausgehen, daß sich jene neuen Formen der Teilnahme an der nationalen
und internationalen Politik stärken, die sich durch die Tätigkeit der in der Zivilgesellschaft
arbeitenden Organisationen verwirklichen. Es ist wünschenswert, daß in dieser Richtung
eine tiefer empfundene Aufmerksamkeit und Anteilnahme der Bürger an der Res publica
wachse. 25. Vom sozialen Gesichtspunkt aus haben die Schutz- und Fürsorgeeinrichtungen,
die es schon zur Zeit Papst Pauls VI. in vielen Ländern gab, Mühe – und in Zukunft
könnte es noch schwieriger werden –, ihre Ziele wirklicher sozialer Gerechtigkeit
in einem zutiefst veränderten Kräftespiel zu verfolgen. Der global gewordene Markt
hat vor allem bei den reichen Ländern die Suche nach Zonen angetrieben, in die die
Produktion zu Niedrigpreisen verlagert werden kann, mit dem Ziel, die Preise vieler
Waren zu senken, die Kaufkraft zu steigern und somit die auf vermehrtem Konsum basierenden
Wachstumsraten für den eigenen internen Markt zu erhöhen. Folglich hat der Markt neue
Formen des Wettstreits unter den Staaten angeregt, die darauf abzielen, mit verschiedenen
Mitteln – darunter günstige Steuersätze und die Deregulierung der Arbeitswelt – Produktionszentren
ausländischer Unternehmen anzuziehen. Diese Prozesse haben dazu geführt, daß die Suche
nach größeren Wettbewerbsvorteilen auf dem Weltmarkt mit einer Reduzierung der
Netze der sozialen Sicherheit bezahlt wurde, was die Rechte der Arbeiter, die
fundamentalen Menschenrechte und die in den traditionellen Formen des Sozialstaates
verwirklichte Solidarität in ernste Gefahr bringt. Die Systeme der sozialen Sicherheit
können die Fähigkeit verlieren, ihre Aufgabe zu erfüllen, und zwar nicht nur in den
armen Ländern, sondern auch in den Schwellenländern und in den seit langem entwickelten
Ländern. Hier kann die Haushaltspolitik mit Streichungen in den Sozialausgaben, die
häufig auch von den internationalen Finanzinstituten angeregt werden, die Bürger machtlos
neuen und alten Gefahren aussetzen; diese Machtlosigkeit wird durch das Fehlen eines
wirksamen Schutzes durch die Arbeitnehmervereinigungen noch erhöht. Die Gesamtheit
der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen bewirkt, daß die Gewerkschaftsorganisationen
bei der Ausübung ihrer Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, auf
größere Schwierigkeiten stoßen, auch weil die Regierungen aus Gründen des wirtschaftlichen
Nutzens oft die gewerkschaftlichen Freiheiten oder die Verhandlungsmöglichkeiten der
Gewerkschaften selbst einschränken. So haben die traditionellen Netze der Solidarität
wachsende Hindernisse zu überwinden. Der Vorschlag seitens der Soziallehre der Kirche
– angefangen von der Enzyklika Rerum novarum –, Arbeitnehmervereinigungen
zur Verteidigung der eigenen Rechte ins Leben zu rufen, sollte darum heute noch mehr
nachgekommen werden als früher, indem man vor allem eine sofortige und weitblickende
Antwort auf die Dringlichkeit gibt, neue Formen des Zusammenwirkens nicht nur auf
lokaler, sondern auch auf interna-tionaler Ebene einzuführen. Die Arbeitsmobilität
ist in Verbindung mit der verbreiteten Deregulierung ein wichtiges Phänomen nicht
ohne positive Aspekte gewesen, denn sie ist imstande, die Produktion von neuem Vermögen
und den Austausch zwischen verschiedenen Kulturen anzuregen. Wenn jedoch die Unsicherheit
bezüglich der Arbeitsbedingungen infolge von Prozessen der Mobilität und der Deregulierung
um sich greift, bilden sich Formen psychologischer Instabilität aus, Schwierigkeiten,
eigene konsequente Lebensplanungen zu entwikkeln, auch im Hinblick auf die Ehe. In
der Folge ergeben sich Situationen nicht nur sozialer Kräftevergeudung, sondern auch
menschlichen Niedergangs. Vergleicht man dies mit dem, was in der Industriegesellschaft
der Vergangenheit geschah, so provoziert die Arbeitslosigkeit heute neue Aspekte wirtschaftlicher
Bedeutungslosigkeit, und die augenblickliche Krise kann die Situation nur noch verschlechtern.
Der langzeitige Ausschluß von der Arbeit oder die längere Abhängigkeit von öffentlicher
oder privater Hilfe untergraben die Freiheit und die Kreativität der Person sowie
ihre familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, was schwere Leiden auf psychologischer
und spiritueller Ebene mit sich bringt. Allen, besonders den Regierenden, die damit
beschäftigt sind, den Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen der Welt ein erneuertes
Profil zu geben, möchte ich in Erinnerung rufen, daß das erste zu schützende und
zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – »ist doch der
Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft«. 26. Auf kultureller Ebene
ist der Unterschied im Vergleich zur Zeit Papst Pauls VI. noch markanter. Damals waren
die Kulturen ziemlich gut umschrieben und hatten größere Chancen, sich vor Versuchen
kultureller Homogenisierung zu schützen. Heute haben die Möglichkeiten der Wechselwirkung
zwischen den Kulturen beträchtlich zugenommen und geben Raum für neue Perspektiven
des interkulturellen Dialogs – eines Dialogs, der, um wirkungsvoll zu sein, von den
verschiedenen Gesprächspartnern als Ausgangspunkt das tiefe Bewußtsein ihrer spezifischen
Identität verlangt. Man darf dabei allerdings nicht außer Acht lassen, daß die zunehmende
Kommerzialisierung des Kulturaustauschs heute eine zweifache Gefahr begünstigt. An
erster Stelle ist ein häufig unkritisch angenommener kultureller Eklektizismus
zu beobachten: Die Kulturen werden einfach nebeneinander gestellt und als im wesentlichen
gleichwertig und untereinander austauschbar betrachtet. Das fördert das Abgleiten
in einen Relativismus, der dem wahren interkulturellen Dialog wenig hilfreich ist;
auf gesellschaftlicher Ebene bewirkt der kulturelle Relativismus ein getrenntes Nebeneinanderher-Leben
der Kulturgruppen ohne echten Dialog und folglich ohne wirkliche Integration. An zweiter
Stelle existiert die entgegengesetzte Gefahr, die in der kulturellen Verflachung
und der Vereinheitlichung der Verhaltensweisen und der Lebensstile besteht. Auf diese
Weise geht die tiefe Bedeutung der Kultur der verschiedenen Nationen und der Traditionen
der verschiedenen Völker verloren, in denen der Mensch sich mit den Grundfragen der
Existenz auseinandersetzt. Eklektizismus und kulturelle Nivellierung laufen auf die
Trennung der Kultur von der menschlichen Natur hinaus. So können die Kulturen ihr
Maß nicht mehr in einer Natur finden, die über sie hinausgeht, und reduzieren den
Menschen schließlich auf ein bloßes kulturelles Phänomen. Wenn das geschieht, gerät
die Menschheit in neue Gefahren der Hörigkeit und der Manipulation. 27. In vielen
armen Ländern hält als Folge der Nahrungsmittelknappheit die extreme Unsicherheit
des Lebens an und läuft Gefahr, sich noch zu verschärfen: Der Hunger rafft
noch zahllose Opfer unter den vielen Menschen gleich dem »Lazarus« hinweg, denen es
nicht gestattet ist, mit dem Reichen an derselben Tafel zu sitzen – wie Papst Paul
VI. es gewünscht hatte. Den Hungrigen zu essen geben (vgl. Mt 25, 35.37.42)
ist ein ethischer Imperativ für die Weltkirche, die den Lehren ihres Gründers Jesus
Christus über Solidarität und Teilen entspricht. Den Hunger in der Welt zu beseitigen,
ist darüber hinaus in der Ära der Globalisierung auch ein Ziel geworden, das notwendigerweise
verfolgt werden muß, um den Frieden und die Stabilität auf der Erde zu bewahren. Der
Hunger hängt weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem Mangel
an gesellschaftlichen Ressourcen, deren wichtigste institutioneller Natur ist. Das
heißt, es fehlt eine Ordnung wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage sind,
sowohl einen der richtigen Ernährung angemessenen regulären Zugang zu Wasser und Nahrungsmitteln
zu garantieren, als auch die Engpässe zu bewältigen, die mit den Grundbedürfnissen
und dem Notstand im Fall echter Nahrungsmittelkrisen verbunden sind – Krisen, die
natürliche Ursachen haben können oder auch durch nationale und internationale politische
Verantwortungslosigkeit hervorgerufen werden. Das Problem der Unsicherheit auf dem
Gebiet der Ernährung muß in einer langfristigen Perspektive in Angriff genommen werden,
indem man die strukturellen Ursachen, die sie hervorrufen, beseitigt und die landwirtschaftliche
Entwicklung der ärmsten Länder fördert. Dies kann geschehen durch Investitionen in
die ländliche Infrastruktur, in Bewässerungssysteme, in Transportwesen, in die Organisation
von Märkten, in die Bildung und Verbreitung von geeigneten landwirtschaftlichen Techniken
– also durch Investitionen, die geeignet sind, die menschlichen, natürlichen und sozioökonomischen
Ressourcen, die auf lokaler Ebene am zugänglichsten sind, bestmöglich zu nutzen, so
daß die Nachhaltigkeit dieser Investitionen auch langfristig gewährleistet ist. All
das muß verwirklicht werden, indem man die lokalen Gemeinschaften in die Auswahl des
Ackerlandes und die Entscheidungen bezüglich seiner Nutzung mit einbezieht. Aus dieser
Sicht könnte es sich als hilfreich erweisen, die neuen Horizonte zu betrachten, die
sich durch einen richtigen Einsatz der traditionellen wie auch der innovativen landwirtschaftlichen
Produktionstechniken auftun, vorausgesetzt, daß letztere nach angemessener Prüfung
als zweckmäßig, umweltfreundlich und für die am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen
als zuträglich erkannt wurden. Gleichzeitig sollte die Frage einer gerechten Agrarreform
in den Entwicklungsländern nicht vernachlässigt werden. Das Recht auf Ernährung sowie
das auf Wasser spielen eine wichtige Rolle für die Erlangung anderer Rechte, angefangen
vor allem mit dem Grundrecht auf Leben. Darum ist es notwendig, daß ein solidarisches
Bewußtsein reift, welches die Ernährung und den Zugang zum Wasser als allgemeine
Rechte aller Menschen betrachtet, ohne Unterscheidungen und Diskriminierungen.
Außerdem ist es wichtig zu verdeutlichen, wie der Weg der Solidarisierung mit den
armen Ländern ein Projekt zur Lösung der augenblicklichen weltweiten Krise darstellen
kann; Politiker und Verantwortliche internationaler Institutionen haben das in letzter
Zeit erfaßt. Indem man durch solidarisch ausgerichtete Finanzierungspläne die armen
Länder wirtschaftlich unterstützt, damit sie selber dafür sorgen, die Nachfrage ihrer
Bürger nach Konsumgütern und Entwicklung zu befriedigen, kann man nicht nur ein echtes
Wirtschaftswachstum erzielen, sondern auch dazu beitragen, die Produktionskapazitäten
der reichen Länder zu erhalten, die Gefahr laufen, durch die Krise in Mitleidenschaft
gezogen zu werden. 28. Einer der augenscheinlichsten Aspekte der heutigen Entwicklung
ist die Wichtigkeit des Themas der Achtung vor dem Leben, das in keiner Weise
von den Fragen bezüglich der Entwicklung der Völker getrennt werden kann. Es handelt
sich um einen Aspekt, der in letzter Zeit eine immer größere Bedeutung gewinnt und
uns verpflichtet, die Begriffe von Armut und Unterentwicklung auf die Fragen auszudehnen,
die mit der Annahme des Lebens verbunden sind, vor allem dort, wo dieses in verschiedener
Weise behindert wird. Nicht nur die Situation der Armut verursacht noch in vielen
Regionen hohe Quoten der Kindersterblichkeit, sondern in verschiedenen Teilen der
Welt gibt es weiterhin Praktiken der Bevölkerungskontrolle durch die Regierungen,
die oft die Empfängnisverhütung verbreiten und sogar so weit gehen, die Abtreibung
anzuordnen. In den wirtschaftlich mehr entwickelten Ländern sind die lebensfeindlichen
Gesetzgebungen sehr verbreitet und haben bereits die Gewohnheit und die Praxis entscheidend
beeinflußt; sie tragen dazu bei, eine geburtenfeindliche Mentalität zu lancieren,
die man häufig auch auf andere Staaten zu übertragen sucht, als stelle sie einen kulturellen
Fortschritt dar. Einige Nichtregierungsorganisationen arbeiten aktiv für die Verbreitung
der Abtreibung und fördern manchmal in den armen Ländern die Entscheidung für die
Praxis der Sterilisierung, auch bei Frauen, die sich der Bedeutung des Eingriffs nicht
bewußt sind. Außerdem besteht der begründete Verdacht, daß gelegentlich die Entwicklungshilfe
selbst an bestimmte Formen der Gesundheitspolitik geknüpft wird, die de facto die
Auferlegung starker Geburtenkontrollen einschließen. Besorgniserregend sind ferner
Gesetzgebungen, welche die Euthanasie vorsehen, und ebenso beunruhigend auch der Druck
von natio-nalen und internationalen Gruppen, die deren rechtliche Anerkennung fordern. Die
Offenheit für das Leben steht im Zentrum der wahren Entwicklung. Wenn eine Gesellschaft
den Weg der Lebensverweigerung oder -unterdrük-kung einschlägt, wird sie schließlich
nicht mehr die nötigen Motivationen und Energien finden, um sich für das wahre Wohl
des Menschen einzusetzen. Wenn der persönliche und gesellschaftliche Sinn für die
Annahme eines neuen Lebens verlorengeht, verdorren auch andere, für das gesellschaftliche
Leben hilfreiche Formen der Annahme. Die Annahme des Lebens stärkt die moralischen
Kräfte und befähigt zu gegenseitiger Hilfe. Wenn die reichen Völker die Offenheit
für das Leben pflegen, können sie die Bedürfnisse der armen Völker besser verstehen,
die Verwendung ungeheurer wirtschaftlicher und intellektueller Ressourcen zur Befriedigung
egoistischer Wünsche bei den eigenen Bürgern vermeiden und statt dessen gute Aktionen
im Hinblick auf eine moralisch gesunde und solidarische Produktion fördern, in der
Achtung des Grundrechtes jedes Volkes und jedes Menschen auf das Leben. 29. Es
gibt noch einen anderen Aspekt des heutigen Lebens, der mit der Entwicklung sehr eng
verbunden ist: die Verweigerung des Rechtes auf Religionsfreiheit. Ich beziehe
mich nicht nur auf die Kämpfe und Konflikte, die in der Welt noch aus religiösen Gründen
ausgefochten werden, auch wenn das Religiöse manchmal nur der Deckmantel für andersartige
Gründe ist wie die Gier nach Herrschaft und Reichtum. Tatsächlich wird heute oft im
heiligen Namen Gottes getötet, wie mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. und ich
selbst wiederholt öffentlich betont und mißbilligt haben. Gewalt aller Art bremst
die authentische Entwicklung und behindert den Übergang der Völker zu größerem sozioökonomischen
und geistigen Wohlbefinden. Das gilt speziell für den Terrorismus mit fundamentalistischem
Hintergrund, der Leid, Verwüstung und Tod verursacht, den Dialog zwischen den Nationen
blockiert und große Geldmittel von ihrem friedlichen und zivilen Einsatz abzieht.
Es muß jedoch hinzugefügt werden, daß außer dem religiösen Fanatismus, der in einigen
Bereichen die Ausübung des Rechtes auf Religionsfreiheit verhindert, auch die planmäßige
Förderung der religiösen Indifferenz oder des praktischen Atheismus durch viele Länder
den Bedürfnissen der Entwicklung der Völker widerspricht, indem sie ihnen spirituelle
und humane Reichtümer entzieht. Gott ist der Garant der wahren Entwicklung des
Menschen, denn da er ihn nach seinem Bild geschaffen hat, begründet er auch seine
transzendente Würde und nährt sein Grundverlangen, »mehr zu sein«. Der Mensch ist
nicht etwa ein verlorenes Atom in einem Zufalls-Universum, sondern ein Geschöpf Gottes,
das von ihm eine unsterbliche Seele empfangen hat und von Ewigkeit her geliebt worden
ist. Wenn der Mensch nur das Ergebnis des Zufalls bzw. der Notwendigkeit wäre oder
wenn er seine Bestrebungen auf den begrenzten Horizont der Situationen reduzieren
müßte, in denen er lebt, wenn alles allein Geschichte und Kultur wäre und der Mensch
nicht eine Natur besäße, die dazu bestimmt ist, sich in einem übernatürlichen Leben
selbst zu überschreiten, könnte man von Wachstum oder Evolution sprechen, aber nicht
von Entwicklung. Wenn der Staat Formen eines praktischen Atheismus fördert, lehrt
oder sogar durchsetzt, entzieht er seinen Bürgern die moralische und geistige Kraft,
die für den Einsatz in der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung unentbehrlich ist,
und hindert sie, mit neuer Lebendigkeit im eigenen Engagement für eine großherzigere
menschliche Antwort auf die göttliche Liebe voranzuschreiten. Es kommt auch vor, daß
die wirtschaftlich entwickelten Länder oder die Schwellenländer im Rahmen ihrer kulturellen,
kommerziellen und politischen Beziehungen diese herabwürdigende Sicht des Menschen
und seiner Bestimmung in die armen Länder exportieren. Das ist der Schaden, den die
»Überentwicklung« der echten Entwicklung zufügt, wenn sie von der »moralischen Unterentwicklung«
begleitet ist. 30. In dieser Richtung bekommt das Thema der ganzheitlichen Entwicklung
des Menschen eine noch umfassendere Tragweite: Die Wechselbeziehung zwischen ihren
vielfältigen Elementen erfordert, daß man sich darum bemüht, die verschiedenen
Ebenen des menschlichen Wissens im Hinblick auf die Förderung einer wahren Entwicklung
der Völker interagieren zu lassen. Oft wird die Meinung vertreten, die Entwicklung
bzw. die entsprechenden sozioökonomischen Maßnahmen verlangten nur ihre Realisierung
als Frucht eines gemeinsamen Handelns. Dieses gemeinsame Handeln muß aber orientiert
werden, denn »alles soziale Handeln setzt eine Lehre voraus«. Angesichts der Komplexität
der Probleme ist es klar, daß die verschiedenen Disziplinen mittels einer geordneten
Interdisziplinarität zusammenarbeiten müssen. Die Liebe schließt das Wissen nicht
aus, ja, sie verlangt, fördert und belebt es von innen her. Das Wissen ist niemals
allein das Werk der Intelligenz. Es kann zwar auf ein Kalkül oder Experiment reduziert
werden, wenn es aber Weisheit sein will, die imstande ist, den Menschen im Licht der
Grundprinzipien und seiner letzten Ziele zu orientieren, dann muß sie mit dem »Salz«
der Liebe »gewürzt« sein. Das Tun ist blind ohne das Wissen, und das Wissen ist steril
ohne die Liebe. Denn »der wahre Liebende [ist] erfinderisch im Entdecken von Ursachen
des Elends, im Finden der Mittel, es zu überwinden und zu beseitigen«. Gegenüber den
vor uns liegenden Phänomenen verlangt die Liebe in der Wahrheit vor allem ein Erkennen
und ein Verstehen im Bewußtsein und in der Achtung der spezifischen Kompetenz jeder
Ebene des Wissens. Die Liebe ist keine nachträgliche Hinzufügung, gleichsam ein Anhängsel
an die von den verschiedenen Disziplinen bereits getane Arbeit, sondern sie steht
mit diesen von Anfang an im Dialog. Die Ansprüche der Liebe stehen zu denen der Vernunft
nicht im Widerspruch. Das menschliche Wissen ist ungenügend, und die Schlußfolgerungen
der Wissenschaften können allein den Weg zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen
nicht weisen. Es ist immer nötig, darüber hinaus weiter vorzustoßen – das verlangt
die Liebe in der Wahrheit. Darüber hinaus zu gehen bedeutet jedoch niemals, von den
Schlüssen der Vernunft abzusehen, noch ihren Ergebnissen zu widersprechen. Intelligenz
und Liebe stehen nicht einfach nebeneinander: Es gibt die an Intelligenz reiche
Liebe und die von Liebe erfüllte Intelligenz. 31. Das bedeutet, daß die moralischen
Bewertungen und die wissenschaftliche Forschung gemeinsam wachsen müssen und daß die
Liebe sie in einer harmonischen interdisziplinären Ganzheit, die aus Einheit und Unterschiedenheit
besteht, beseelen muß. Die Soziallehre der Kirche, die »eine wichtige interdisziplinäre
Dimension« hat, kann aus dieser Perspektive eine Funktion von außerordentlicher
Wirksamkeit erfüllen. Sie gestattet dem Glauben, der Theologie, der Metaphysik und
den Wissenschaften, ihren Platz innerhalb einer Zusammenarbeit im Dienst des Menschen
zu finden. Vor allem hier realisiert die Soziallehre der Kirche ihre auf der Weisheit
beruhende Dimension. Papst Paul VI. hatte deutlich gesehen, wie die Unterentwicklung
unter anderem auch dadurch verursacht wird, daß es an Weisheit, an Reflexion, an einem
Denken fehlt, das imstande ist, eine richtungweisende Synthese aufzustellen; für sie
bedarf es »einer klaren Konzeption auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und
gei-stigem Gebiet«. Die übertriebene Aufteilung des Wissens in Fachbereiche, das Sich-Verschließen
der Humanwissenschaften gegenüber der Metaphysik, die Schwierigkeiten im Dialog der
Wissenschaften mit der Theologie schaden nicht nur der Entwicklung des Wissens, sondern
auch der Entwicklung der Völker, denn in diesen Fällen wird der Blick auf das ganze
Wohl des Menschen in den verschiedenen Dimensionen, die es charakterisieren, verstellt.
Die »Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs« ist unerläßlich, um alle
Elemente der Frage nach der Entwicklung und der Lösung der sozioökonomischen Probleme
angemessen abwägen zu können. 32. Die großen Neuheiten, die das Gesamtbild der
Entwicklung der Völker heute aufweist, machen in vielen Fällen neue Lösungen
erforderlich. Sie müssen unter Beachtung der Eigengesetze jeder Realität und zugleich
im Licht einer ganzheitlichen Sicht des Menschen gesucht werden – einer Sicht, welche
die verschiedenen Aspekte des Menschen widerspiegelt, wie sie sich dem von der Liebe
geläuterten Blick darstellen. Dann wird man einzigartige Übereinstimmungen und konkrete
Lösungsmöglichkeiten entdecken, ohne auf irgendeinen fundamentalen Bestandteil des
menschlichen Lebens zu verzichten. Die Würde der Person und die Erfordernisse der
Gerechtigkeit verlangen, daß – vor allem heute – die wirtschaftlichen Entscheidungen
die Unterschiede im Besitztum nicht in übertriebener und moralisch unhaltbarer Weise
vergrößern und daß als Priorität weiterhin das Ziel verfolgt wird, allen
Zugang zur Arbeit zu verschaffen und für den Erhalt ihrer Arbeitsmöglichkeit zu
sorgen. Recht besehen erfordert das auch die »wirtschaftliche Vernunft«. Die systembedingte
Zunahme der Ungleichheit unter Gesellschaftsgruppen innerhalb eines Landes und unter
den Bevölkerungen verschiedener Länder bzw. das massive Anwachsen der relativen Armut,
neigt nicht nur dazu, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben, und bringt
auf diese Weise die Demokratie in Gefahr. Auch auf wirtschaftlicher Ebene wirkt sie
sich negativ aus: durch fortschreitende Abtragung des »Gesellschaftskapitals«, bzw.
durch Untergrabung jener Gesamtheit von Beziehungen, die auf Vertrauen, Zuverlässigkeit
und Einhaltung der Regeln gründen und die unverzichtbar sind für jedes bürgerliche
Zusammenleben. Zudem sagt uns die Wirtschaftswissenschaft, daß eine strukturelle
Situation der Unsicherheit Verhaltensweisen erzeugt, welche die Produktion hemmen
und menschliche Ressourcen verschwenden, insofern der Arbeitnehmer dazu neigt, sich
passiv den automatischen Mechanismen zu fügen, anstatt Kreativität zu entwickeln.
Auch in diesem Punkt gibt es eine Übereinstimmung zwischen Wirtschaftswissenschaft
und moralischer Bewertung. Der menschliche Preis ist immer auch ein wirtschaftlicher
Preis, und die wirtschaftlichen Mißstände fordern immer auch einen menschlichen
Preis. Ferner muß daran erinnert werden, daß die Reduzierung der Kulturen auf die
technologische Dimension, selbst wenn sie kurzfristig die Erlangung eines Gewinns
fördern mag, auf lange Sicht die gegenseitige Bereicherung und die Dynamiken der Zusammenarbeit
behindert. Es ist wichtig, zwischen kurzfristigen und langfristigen wirtschaftlichen
oder soziologischen Überlegungen zu unterscheiden. Die Senkung des Rechtsschutzniveaus
für die Arbeiter oder der Verzicht auf Mechanismen der Umverteilung des Gewinns, damit
das Land eine größere internationale Wettbewerbsfähigkeit erlangt, verhindern, daß
sich eine langfristige Entwicklung durchsetzen kann. So sollten die Konsequenzen,
welche die aktuellen Tendenzen zu einer kurzfristig, bisweilen extrem kurzfristig
angelegten Wirtschaft für die Menschen haben, aufmerksam abgewogen werden. Das verlangt
»eine neue und vertiefte Reflexion über den Sinn der Wirtschaft und ihrer Ziele«
sowie eine tiefgreifende und weitblickende Revision des Entwicklungsmodells, um seine
Mißstände und Verzerrungen zu korrigieren. Tatsächlich ist dies ein Erfordernis der
ökologischen Gesundheit des Planeten; und vor allem ist es eine Notwendigkeit, die
sich aus der kulturellen und moralischen Krise des Menschen ergibt, deren Symptome
seit langem in allen Teilen der Welt sichtbar sind. 33. Über vierzig Jahre nach
der Enzyklika Populorum progressio ist ihr Grundthema, eben der Fortschritt,
nach wie vor ein noch offenes Problem, das sich durch die augenblickliche Wirtschafts-
und Finanzkrise verschärft hat und noch dringender geworden ist. Wenn einige Regionen
der Erde, die einst durch die Armut belastet waren, bemerkenswerte Änderungen im Sinn
eines wirtschaftlichen Wachstums und einer Beteiligung an der Weltproduktion erfahren
haben, so leben andere Zonen noch in einer Situation des Elends, die jener zur Zeit
Papst Pauls VI. vergleichbar ist, ja, in einigen Fällen kann man sogar von einer Verschlechterung
sprechen. Es ist bezeichnend, daß einige Ursachen dieser Situation bereits in Populorum
progressio ausgemacht worden waren, wie zum Beispiel die von den wirtschaftlich
entwickelten Ländern festgesetzten hohen Grenzzölle, welche die Produkte aus den armen
Ländern immer noch daran hindern, auf die Märkte der reichen Länder zu gelangen. Andere
Ursachen hingegen, welche die Enzyklika nur angedeutet hatte, sind in der Folge deutlicher
hervorgetreten. Das trifft auf die Bewertung des Entkolonisierungsprozesses zu, der
damals in vollem Gange war. Papst Paul VI. wünschte sich einen autonomen Verlauf,
der sich in Freiheit und Frieden vollziehen sollte. Nach über vierzig Jahren müssen
wir eingestehen, wie schwierig dieser Verlauf gewesen ist, sei es aufgrund neuer Formen
von Kolonialismus und Abhängigkeit von alten und neuen Hegemonialländern, sei es durch
schwerwiegende Verantwortungslosigkeiten innerhalb der Länder selbst, die sich unabhängig
gemacht haben. Die hauptsächliche Neuheit war die Explosion der weltweiten wechselseitigen
Abhängigkeit, die inzwischen unter der Bezeichnung »Globalisierung« allgemein
bekannt ist. Papst Paul VI. hatte sie teilweise vorausgesehen, doch das Ausmaß und
die Heftigkeit, mit der sie sich entwickelt hat, sind erstaunlich. In den wirtschaftlich
entwickelten Ländern entstanden, hat dieser Prozeß seiner Natur entsprechend eine
Einbeziehung sämtlicher Ökonomien verursacht. Er war der Hauptantrieb für das Heraustreten
ganzer Regionen aus der Unterentwicklung und stellt an sich eine große Chance dar.
Ohne die Führung der Liebe in der Wahrheit kann dieser weltweite Impuls allerdings
dazu beitragen, die Gefahr bisher ungekannter Schäden und neuer Spaltungen in der
Menschheitsfamilie heraufzubeschwören. Darum stellen uns die Liebe und die Wahrheit
vor einen ganz neuen und kreativen Einsatz, der freilich sehr umfangreich und komplex
ist. Es geht darum, die Vernunft auszuweiten und sie fähig zu machen, diese eindrucksvollen
neuen Dynamiken zu erkennen und auszurichten, indem man sie im Sinn jener »Kultur
der Liebe« beseelt, deren Samen Gott in jedes Volk und in jede Kultur gelegt hat.
DRITTES
KAPITEL BRÜDERLICHKEIT, WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND ZIVILGESELLSCHAFT34. Die
Liebe in der Wahrheit stellt den Menschen vor die staunenswerte Erfahrung des
Geschenks. Die Unentgeltlichkeit ist in seinem Leben in vielerlei Formen gegenwärtig,
die aufgrund einer nur produktivistischen und utilitaristischen Sicht des Daseins
jedoch oft nicht erkannt werden. Der Mensch ist für das Geschenk geschaffen, das seine
transzendente Dimension ausdrückt und umsetzt. Manchmal ist der moderne Mensch fälschlicherweise
der Überzeugung, der einzige Urheber seiner selbst, seines Lebens und der Gesellschaft
zu sein. Diese Überheblichkeit ist eine Folge des egoistischen Sich-in-sich-selbst-Verschließens
und rührt – in Begriffen des Glaubens gesprochen – von der Ursünde her.Die Weisheit der Kirche hat stets vorgeschlagen, die Erbsünde auch bei der Interpretation
der sozialen Gegebenheiten und beim Aufbau der Gesellschaft zu beachten: »Zu übersehen,
daß der Mensch eine verwundete, zum Bösen geneigte Natur hat, führt zu schlimmen Irrtümern
im Bereich der Erziehung, der Politik, des gesellschaftlichen Handelns und der Sittlichkeit«.
Zur Aufzählung der Bereiche, in denen sich die schädlichen Auswirkungen der Sünde
zeigen, gehört nun schon seit langer Zeit auch jener der Wirtschaft. Auch unsere Zeit
liefert uns dafür einen offensichtlichen Beleg. Die Überzeugung, sich selbst zu genügen
und in der Lage zu sein, das in der Geschichte gegenwärtige Übel allein durch das
eigene Handeln überwinden zu können, hat den Menschen dazu verleitet, das Glück und
das Heil in immanenten Formen des materiellen Wohlstands und des sozialen Engagements
zu sehen. Weiter hat die Überzeugung, daß die Wirtschaft Autonomie erfordert und keine
moralische „Beeinflussung“ zulassen darf, den Menschen dazu gedrängt, das Werkzeug
der Wirtschaft sogar auf zerstörerische Weise zu mißbrauchen. Langfristig haben diese
Überzeugungen zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Systemen geführt,
die die Freiheit der Person und der gesellschaftlichen Gruppen unterdrückt haben und
genau aus diesem Grund nicht in der Lage waren, für die Gerechtigkeit zu sorgen, die
sie versprochen hatten. Wie ich schon in meiner Enzyklika Spe salvi geschrieben
habe, entfernt man auf diese Weise die christliche Hoffnung aus der Geschichte,
die jedoch ein kraftvolles Potential im Dienste der umfassenden Entwicklung des Menschen
darstellt, die in der Freiheit und in der Gerechtigkeit gesucht wird. Die Hoffnung
ermutigt die Vernunft und gibt ihr die Kraft, den Willen zu lenken. Sie ist bereits
im Glauben gegenwärtig, von dem sie geradezu geweckt wird. Die Liebe in der Wahrheit
nährt sich aus ihr und macht sie zugleich sichtbar. Da die Hoffnung ein völlig unentgeltliches
Geschenk Gottes ist, tritt sie als etwas Ungeschuldetes in unser Leben herein, das
über jedes Gesetz der Gerechtigkeit hinausgeht. Das Geschenk übertrifft seinem Wesen
nach den Verdienst, sein Gesetz ist das Übermaß. Es kommt uns in unserer Seele zuvor
als Zeichen der Gegenwart Gottes in uns und seiner Erwartung an uns. Die Wahrheit,
die wie die Liebe ein Geschenk ist, ist, so lehrt der heilige Augustinus, größer als
wir. Auch die Wahrheit über uns selbst, über unsere eigene Erkenntnis, ist uns zu
aller erst „geschenkt“. Denn in jedem Erkenntnisvorgang wird die Wahrheit nicht von
uns erzeugt, sondern immer gefunden, oder besser, empfangen. Die Wahrheit kommt wie
die Liebe »nicht aus Denken und Wollen, sondern übermächtigt gleichsam den Menschen«. Da
die Liebe in der Wahrheit eine Gabe ist, die alle empfangen, stellt sie eine Kraft
dar, die Gemeinschaft stiftet, die die Menschen auf eine Weise vereint, die keine
Barrieren und Grenzen kennt. Die Gemeinschaft der Menschen kann von uns selbst gestiftet
werden, aber sie wird allein aus eigener Kraft nie eine vollkommen brüderliche Gemeinschaft
sein und jede Abgrenzung überwinden, das heißt, eine wirklich universale Gemeinschaft
werden: die Einheit des Menschengeschlechts, eine brüderliche Gemeinschaft jenseits
jedweder Teilung, wird aus dem zusammenrufenden Wort Gottes, der die Liebe ist, geboren.
Bei der Behandlung dieser entscheidenden Frage müssen wir einerseits präzisieren,
daß die Logik des Geschenks die Gerechtigkeit nicht ausschließt oder ihr in einem
zweiten Moment und von außen hinzugefügt wird, und andererseits, daß eine wirtschaftliche,
gesellschaftliche und politische Entwicklung, die wahrhaft menschlich sein will, dem
Prinzip der Unentgeltlichkeit als Ausdruck der Brüderlichkeit Raum geben muß. 35. Der
Markt ist, wenn gegenseitiges und allgemeines Vertrauen herrscht, die wirtschaftliche
Institution, die die Begegnung zwischen den Menschen ermöglicht, welche als Wirtschaftstreibende
ihre Beziehungen durch einen Vertrag regeln und die gegeneinander aufrechenbaren Güter
und Dienstleistungen austauschen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen.
Der Markt unterliegt den Prinzipien der sogenannten ausgleichenden Gerechtigkeit,
die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen gleichwertigen Subjekten regelt.
Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit
und der sozialen Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht
nur weil diese in das Netz eines größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden
ist, sondern auch aufgrund des Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn
der Markt nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen wird,
ist er nicht in der Lage, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, den er jedoch braucht,
um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte
Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion
nicht vollkommen erfüllen. Heute ist dieses Vertrauen verlorengegangen, und der
Vertrauensverlust ist ein schwerer Verlust. Papst Paul VI. hat in der Enzyklika
Populorum progressio richtigerweise die Tatsache unterstrichen, daß allgemein
verbreitete gerechte Handlungsweisen für das Wirtschaftssystem selbst einen Vorteil
darstellen, da die reichen Länder die ersten Nutznießer des wirtschaftlichen Aufschwungs
der armen Länder sind. Dabei handelte es sich nicht nur darum, Fehlfunktionen durch
Hilfsleistungen zu korrigieren. Die Armen dürfen nicht als eine »Last« angesehen
werden, sondern als eine Ressource, auch unter streng wirtschaftlichem Gesichtspunkt.
Es muß jedoch die Sichtweise jener als unrichtig verworfen werden, nach denen die
Marktwirtschaft strukturell auf eine Quote von Armut und Unterentwicklung angewiesen
sei, um bestmöglich funktionieren zu können. Es ist im Interesse des Marktes, Emanzipierung
zu fördern, aber um dies zu erreichen, darf er sich nicht nur auf sich selbst verlassen,
denn er ist nicht in der Lage, von sich aus das zu erreichen, was seine Möglichkeiten
übersteigt. Er muß vielmehr auf die moralischen Kräfte anderer Subjekte zurückgreifen,
die diese hervorbringen können. 36. Das Wirtschaftsleben kann nicht alle gesellschaftlichen
Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden. Es
soll auf das Erlangen des Gemeinwohls ausgerichtet werden, für das auch und
vor allem die politische Gemeinschaft sorgen muß. Es darf daher nicht vergessen werden,
daß die Trennung zwischen der Wirtschaftstätigkeit, der die Aufgabe der Schaffung
des Reichtums zukäme, und der Politik, die sich mittels Umverteilung um die Gerechtigkeit
zu kümmern habe, schwere Störungen verursacht. Die Kirche vertritt seit jeher,
daß die Wirtschaftstätigkeit nicht als antisozial angesehen werden darf. Der Markt
ist an sich nicht ein Ort der Unterdrückung des Armen durch den Reichen und darf daher
auch nicht dazu werden. Die Gesellschaft muß sich nicht vor dem Markt schützen, als
ob seine Entwicklung ipso facto zur Zerstörung wahrhaft menschlicher Beziehungen
führen würde. Es ist sicher richtig, daß der Markt eine negative Ausrichtung haben
kann, nicht weil dies seinem Wesen entspräche, sondern weil eine gewisse Ideologie
ihm diese Ausrichtung geben kann. Es darf nicht vergessen werden, daß es den Markt
nicht in einer Reinform gibt. Er erhält seine Gestalt durch die kulturellen Gegebenheiten,
die ihm eine konkrete Prägung und Orientierung geben. Die Wirtschaft und das Finanzwesen
können, insofern sie Mittel sind, tatsächlich schlecht gebraucht werden, wenn der
Verantwortliche sich nur von egoistischen Interessen leiten läßt. So können an sich
gute Mittel in schadenbringende Mittel verwandelt werden. Doch diese Konsequenzen
bringt die verblendete Vernunft der Menschen hervor, nicht die Mittel selbst. Daher
muß sich der Appell nicht an das Mittel, sondern an den Menschen richten, an sein
moralisches Gewissen und an seine persönliche und soziale Verantwortung. Die Soziallehre
der Kirche ist der Ansicht, daß wahrhaft menschliche Beziehungen in Freundschaft und
Gemeinschaft, Solidarität und Gegenseitigkeit auch innerhalb der Wirtschaftstätigkeit
und nicht nur außerhalb oder »nach« dieser gelebt werden können. Der Bereich der Wirtschaft
ist weder moralisch neutral noch von seinem Wesen her unmenschlich und antisozial.
Er gehört zum Tun des Menschen und muß, gerade weil er menschlich ist, nach moralischen
Gesichtspunkten strukturiert und institutionalisiert werden. Vor uns liegt eine
große Herausforderung, die von den Problemen der Entwicklung in dieser Zeit der Globalisierung
hervorgebracht und durch die Wirtschafts- und Finanzkrise noch weiter erschwert wurde:
Wir müssen in unserem Denken und Handeln nicht nur zeigen, daß die traditionellen
sozialethischen Prinzipien wie die Transparenz, die Ehrlichkeit und die Verantwortung
nicht vernachlässigt oder geschwächt werden dürfen, sondern auch, daß in den geschäftlichen
Beziehungen das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks als Ausdruck
der Brüderlichkeit im normalen wirtschaftlichen Leben Platz haben können und müssen.
Das ist ein Erfordernis des Menschen in unserer jetzigen Zeit, aber auch um ein Erfordernis
des wirtschaftlichen Denkens selbst. Es ist zugleich ein Erfordernis der Liebe und
der Wahrheit. 37. Die Soziallehre der Kirche hat immer bekräftigt, daß die
Gerechtigkeit alle Phasen der Wirtschaftstätigkeit betrifft, da diese stets mit
dem Menschen und mit seinen Bedürfnissen zu tun hat. Die Beschaffung von Ressourcen,
die Finanzierung, die Produktion, der Konsum und alle übrigen Phasen haben unvermeidbar
moralische Folgen. So hat jede wirtschaftliche Entscheidung eine moralische Konsequenz.
All das bestätigt sich auch in den Sozialwissenschaften und in den Tendenzen der heutigen
Wirtschaft. Vielleicht war es früher denkbar, der Wirtschaft die Schaffung des Reichtums
anzuvertrauen, um dann der Politik die Aufgabe zu übertragen, diesen zu verteilen.
Heute erscheint das schwieriger, da die wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht an territoriale
Grenzen gebunden sind, während die Autorität der Regierungen weiter vorwiegend örtlich
beschränkt ist. Darum müssen die Regeln der Gerechtigkeit von Anfang an beachtet werden,
während der wirtschaftliche Prozeß in Gang ist, und nicht mehr danach oder parallel
dazu. Darüber hinaus ist es nötig, daß Räume für wirtschaftliche Tätigkeiten geschaffen
werden, die von Trägern durchgeführt werden, die ihr Handeln aus freiem Entschluß
nach Prinzipien ausrichten, die sich vom reinen Profitstreben unterscheiden, die aber
dennoch weiter wirtschaftliche Werte hervorbringen wollen. Die vielen Ausdrucksformen
der Wirtschaft, die aus konfessionellen und nicht konfessionellen Initiativen hervorgegangen
sind, zeigen, daß das eine konkrete Möglichkeit ist. In der Zeit der Globalisierung
leidet die Wirtschaft an konkurrierenden Modellen, die von sehr unterschiedlichen
Kulturen abhängig sind. Die daraus hervorgehenden wirtschaftlich-unternehmerischen
Verhaltensweisen finden vorwiegend in der Beachtung der ausgleichenden Gerechtigkeit
einen Berührungspunkt. Das Wirtschaftsleben braucht ohne Zweifel Verträge,
um den Tausch von einander entsprechenden Werten zu regeln. Ebenso sind jedoch gerechte
Gesetze, von der Politik geleitete Mechanismen zur Umverteilung und darüber
hinaus Werke, die vom Geist des Schenkens geprägt sind, nötig. Die globalisierte
Wirtschaft scheint die erste Logik, jene des vertraglich vereinbarten Gütertausches,
zu bevorzugen, aber direkt und indirekt zeigt sie, daß sie auch die anderen beiden
Formen braucht, die Logik der Politik und die Logik des Geschenks ohne Gegenleistung.
38. Mein Vorgänger Papst Johannes Paul II. hat auf diese Problematik hingewiesen,
als er in der Enzyklika Centesimus annus die Notwendigkeit eines Systems mit
drei Subjekten aufgezeigte: dem Markt, dem Staat und der Zivilgesellschaft.
In der Zivilgesellschaft sah er den geeignetsten Bereich für eine Wirtschaft der
Unentgeltlichkeit und der Brüderlichkeit, aber er wollte diese nicht für die anderen
beiden Bereiche ausschließen. Heute können wir sagen, daß das Wirtschaftsleben als
eine mehrdimensionale Realität verstanden werden muß: In allen muß in unterschiedlichem
Umfang und in eigenen Formen der Aspekt der brüderlichen Gegenseitigkeit vorhanden
sein. In der Zeit der Globalisierung kann die Wirtschaftstätigkeit nicht auf die Unentgeltlichkeit
verzichten, die die Solidarität und das Verantwortungsbewußtsein für die Gerechtigkeit
und das Gemeinwohl in seinen verschiedenen Subjekten und Akteuren verbreitet und nährt.
Es handelt sich dabei schließlich um eine konkrete und tiefgründige Form wirtschaftlicher
Demokratie. Solidarität bedeutet vor allem, daß sich alle für alle verantwortlich
fühlen, und daher kann sie nicht allein dem Staat übertragen werden. Während man früher
der Ansicht sein konnte, daß man zuerst für Gerechtigkeit sorgen müsse und daß die
Unentgeltlichkeit danach als ein Zusatz hinzukäme, muß man heute festhalten, daß ohne
die Unentgeltlichkeit auch die Gerechtigkeit nicht erreicht werden kann. Es bedarf
daher eines Marktes, auf dem Unternehmen mit unterschiedlichen Betriebszielen frei
und unter gleichen Bedingungen tätig sein können. Neben den gewinnorientierten Privatunternehmen
und den verschiedenen Arten von staatlichen Unternehmen sollen auch die nach wechselseitigen
und sozialen Zielen strebenden Produktionsverbände einen Platz finden und tätig sein
können. Aus ihrem Zusammentreffen auf dem Markt kann man sich erhoffen, daß es zu
einer Art Kreuzung und Vermischung der unternehmerischen Verhaltensweisen kommt und
daß in der Folge spürbar auf eine Zivilisierung der Wirtschaft geachtet wird.
Liebe in der Wahrheit bedeutet in diesem Fall, daß jenen wirtschaftlichen Initiativen
Gestalt und Struktur verliehen wird, die den Gewinn zwar nicht ausschließen, aber
über die Logik des Äquivalenzprinzips und des Gewinns als Selbstzweck hinausgehen
wollen. 39. Papst Paul VI. sprach sich in der Enzyklika Populorum progressio
für die Schaffung eines Marktwirtschaftsmodells aus, das wenigstens tendenziell
alle Völker einschließen kann und nicht nur jene, die über entsprechende Möglichkeiten
und Fähigkeiten verfügen. Er verlangte, sich dafür einzusetzen, daß eine für alle
menschlichere Welt entstehe, eine Welt, »wo alle geben und empfangen können, ohne
daß der Fortschritt der einen ein Hindernis für die Entwicklung der anderen ist«.
Damit dehnte er die Forderungen und Ziele der Enzyklika Rerum novarum auf eine
universale Ebene aus. Als jene Enzyklika als Antwort auf die industrielle Revolution
erschien, setzte sich zum ersten Mal der damals sicher fortschrittliche Gedanke durch,
daß der Fortbestand der gesellschaftlichen Ordnung auch eines umverteilenden Eingreifens
des Staates bedarf. Heute erweist sich diese Sicht auch abgesehen davon, daß sie durch
die Öffnung der Märkte und der gesellschaftlichen Gruppen in Krise geraten ist, als
unvollständig und kann die Ansprüche an eine voll und ganz menschliche Wirtschaft
nicht erfüllen. Was die Soziallehre der Kirche ausgehend von ihrer Sicht des Menschen
und der Gesellschaft immer vertreten hat, ist heute auch aufgrund der Dynamiken erforderlich,
die die Globalisierung mit sich bringt. Wenn die Logik des Marktes und die Logik
des Staates mit gegenseitigem Einverständnis auf dem Monopol ihrer jeweiligen Einflußbereiche
beharren, gehen langfristig die Solidarität in den Beziehungen zwischen den Bürgern,
die Anteilnahme und die Beteiligung sowie die unentgeltliche Tätigkeit verloren. Diese
unterscheiden sich vom „Geben, um zu haben“, das die Logik des Tausches ausmacht,
und vom „Geben aus Pflicht“, das für die öffentlichen Verhaltensweisen gilt, die durch
staatliche Gesetze auferlegt werden. Die Überwindung der Unterentwicklung erfordert
ein Eingreifen nicht nur zur Verbesserung der auf Gütertausch beruhenden Transaktionen,
nicht nur im Bereich der Leistungen der öffentlichen Hilfseinrichtungen, sondern vor
allem eine fortschreitende Offenheit auf weltweiter Ebene für wirtschaftliche Tätigkeiten,
die sich durch einen Anteil von Unentgeltlichkeit und Gemeinschaft auszeichnen.
Die exklusive Kombination Markt-Staat zersetzt den Gemeinschaftssinn. Die Formen solidarischen
Wirtschaftslebens hingegen, die ihren fruchtbarsten Boden im Bereich der Zivilgesellschaft
finden, ohne sich auf diese zu beschränken, schaffen Solidarität. Es gibt keinen Markt
der Unentgeltlichkeit, und eine Haltung der Unentgeltlichkeit kann nicht per Gesetz
verordnet werden. Dennoch brauchen sowohl der Markt als auch die Politik Menschen,
die zur Hingabe aneinander bereit sind. 40. Die derzeitigen internationalen wirtschaftlichen
Dynamiken mit ihren schwerwiegenden Verzerrungen und Mißständen erfordern, daß sich
auch das Verständnis des Unternehmens tiefgreifend verändern muß. Alte Formen
der Unternehmertätigkeit gehen ihrem Ende entgegen, doch am Horizont werden neue vielversprechende
Formen sichtbar. Eine der größten Gefahren ist sicher die, daß das Unternehmen fast
ausschließlich gegenüber den Investoren verantwortlich ist und so letztendlich an
Bedeutung für die Gesellschaft einbüßt. Aufgrund der wachsenden Größe und des zunehmenden
Kapitalbedarfs hängen immer weniger Unternehmen von einem gleichbleibenden Unternehmer
ab, der sich langfristig – und nicht nur vorübergehend – für die Tätigkeit und die
Ergebnisse seines Unternehmens verantwortlich fühlt, und immer seltener hängen Unternehmen
nur von einer Region ab. Außerdem kann die sogenannte Auslagerung der Produktionstätigkeit
das Verantwortungsbewußtsein des Unternehmers gegenüber Interessensträgern wie den
Arbeitnehmern, den Zulieferern, den Konsumenten, der Umwelt und dem größeren gesellschaftlichen
Umfeld zugunsten der Aktionäre verringern, die nicht an einen bestimmten Ort gebunden
sind und daher außerordentlich beweglich sind. Der internationale Kapitalmarkt bietet
heute tatsächlich einen großen Handlungsspielraum. Zugleich wächst aber auch das Bewußtsein
für die Notwendigkeit einer weiterreichenden „sozialen Verantwortung“des Unternehmens.
Auch wenn nicht alle ethischen Konzepte, die heute die Debatte über die soziale Verantwortung
des Unternehmens bestimmen, aus der Sicht der Soziallehre der Kirche annehmbar sind,
so ist es doch eine Tatsache, daß sich eine Grundüberzeugung ausbreitet, nach der
die Führung des Unternehmens nicht allein auf die Interessen der Eigentümer achten
darf, sondern auch auf die von allen anderen Personenkategorien eingehen muß, die
zum Leben des Unternehmens beitragen: die Arbeitnehmer, die Kunden, die Zulieferer
der verschiedenen Produktionselemente, die entsprechende Gemeinde. In den vergangenen
Jahren war eine Zunahme einer kosmopolitischen Klasse von Managern zu beobachten,
die sich oft nur nach den Anweisungen der Hauptaktionäre richten, bei denen es sich
normalerweise um anonyme Fonds handelt, die defacto den Verdienst der Manager
bestimmen. Auch heute gibt es jedoch viele Manager, die sich dank weitblikkender Analysen
immer mehr der tiefgreifenden Verbindungen bewußt werden, die ihr Unternehmen mit
der Region oder den Regionen, in denen es arbeitet, hat. Papst Paul VI. lud dazu ein,
ernsthaft zu bedenken, welchen Schaden es dem eigenen Land zufügen kann, wenn Kapital
nur zum persönlichen Vorteil ins Ausland geschafft wird. Papst Johannes Paul II. merkte
an, daß eine Investition neben der wirtschaftlichen immer auch eine moralische
Bedeutung hat. Es muß betont werden, daß all das auch heute gilt, auch wenn der
Kapitalmarkt stark liberalisiert worden ist und die moderne technologische Denkweise
dazu verleiten kann, in einer Investition nur einen technischen Vorgang und nicht
auch eine menschliche und ethische Handlung zu sehen. Es gibt keinen Grund zu leugnen,
daß ein gewisses Kapital Gutes bewirken kann, wenn es im Ausland und nicht in der
Heimat investiert wird. Es müssen aber die aus Gerechtigkeit bestehenden Ansprüche
gewährt sein, wobei auch zu beachten ist, wie dieses Kapital entstanden ist und welchen
Schaden die Menschen davontragen, wenn es nicht an den Orten eingesetzt wird, wo es
geschaffen wurde. Man muß vermeiden, daß die finanziellen Ressourcen zur Spekulation
verwendet werden und man der Versuchung nachgibt, nur einen kurzfristigen Gewinn zu
suchen und nicht auch den langfristigen Bestand des Unternehmens, den Nutzen der Investition
für die Realwirtschaft und die Sorge für die angemessene und gelegene Förderung von
wirtschaftlichen Initiativen in Entwicklungsländern. Ebenso gibt es keinen Grund zu
leugnen, daß eine Verlagerung ins Ausland, wenn sie mit Investitionen und Ausbildung
verbunden ist, für die Bevölkerung des betreffenden Landes Gutes bewirken kann. Die
Arbeit und das technische Wissen werden überall gebraucht. Es ist aber nicht zulässig,
eine Auslagerung nur vorzunehmen, um von bestimmten Begünstigungen zu profitieren
oder gar um andere auszubeuten, ohne einen echten Beitrag für die Gesellschaft vor
Ort zur Schaffung eines stabilen Produktions- und Sozialwesens zu leisten, das eine
unverzichtbare Bedingung für eine beständige Entwicklung darstellt. 41. In diesem
Zusammenhang ist es hilfreich, darauf hinzuweisen, daß die unternehmerische Tätigkeit
eine mehrwertige Bedeutung hat und dieser immer mehr gerecht werden muß. Die
seit längerer Zeit vorherrschende Kombination Markt-Staat hat uns daran gewöhnt, nur
an den privaten Unternehmer nach kapitalistischer Art und andererseits an die Leiter
staatlicher Unternehmen zu denken. In Wirklichkeit ist ein differenziertes Verständnis
der unternehmerischen Tätigkeit erforderlich. Das resultiert aus einer Reihe von metaökonomischen
Beweggründen. Die unternehmerische Tätigkeit hat noch vor ihrer beruflichen eine menschliche
Bedeutung. Sie ist Teil einer jeden Arbeit, wenn sie als »actus personae«
betrachtet wird; daher ist es gut, jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, seinen
persönlichen Beitrag zu leisten, so daß er selbst »das Bewußtsein hat, im eigenen
Bereich zu arbeiten«. Nicht zufällig lehrte Papst Paul VI. daß »jeder, der arbeitet,
schöpferisch tätig ist«. Gerade um den Erfordernissen und der Würde des arbeitenden
Menschen sowie den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden, gibt es verschiedene
Arten von Unternehmen, weit hin-aus über die alleinige Unterscheidung zwischen »privat«
und »staatlich«. Jede erfordert und verwirklicht eine besondere unternehmerische Fähigkeit.
Um eine Wirtschaft zu erreichen, die sich in der nahen Zukunft in den Dienst des nationalen
und weltweiten Gemeinwohls stellen kann, ist es angebracht, diese weitreichende Bedeutung
der unternehmerischen Tätigkeit zu beachten. Diese umfassendere Sicht fördert den
Austausch und die gegenseitige Prägung unter den verschiedenen Arten von unternehmerischer
Tätigkeit mit einem Kompetenzfluß vom nicht-gewinnorientierten Bereich zum gewinnorientierten
und umgekehrt, vom öffentlichen zu dem der Zivilgesellschaft, von den fortgeschrittenen
Wirtschaftsregionen zu jenen der Entwicklungsländer. Auch die „politische Autorität“
hat eine mehrwertige Bedeutung, die auf dem Weg zur Verwirklichung einer neuen
sozial verantwortlichen und nach dem Maß des Menschen ausgerichteten wirtschaftlich-produktiven
Ordnung nicht vergessen werden darf. So wie man auf der ganzen Welt eine differenzierte
unternehmerische Tätigkeit pflegen will, so muß auch eine verteilte und auf verschiedenen
Ebenen wirkende politische Autorität gefördert werden. Die zusammengewachsene Wirtschaft
unserer Zeit eliminiert die Rolle der Staaten nicht, sie verpflichtet die Regierungen
vielmehr zu einer engeren Zusammenarbeit untereinander. Gründe der Weisheit und der
Klugheit raten davon ab, vorschnell das Ende des Staates auszurufen. Hinsichtlich
der Lösung der derzeitigen Krise zeichnet sich ein Wachstum seiner Rolle ab, indem
er viele seiner Kompetenzen wiedererlangt. Es gibt auch Länder, in denen der Aufbau
oder der Wiederaufbau des Staates weiterhin ein Schlüsselelement für ihre Entwicklung
ist. Die internationale Hilfe sollte gerade im Rahmen eines solidarischen Plans
zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme die Festigung der Verfassungs-,
Rechts- und Verwaltungssysteme in den Ländern, die sich dieser Güter noch nicht vollkommen
erfreuen, eher fördern. Neben der wirtschaftlichen Hilfe bedarf es der Unterstützung,
um die dem Rechtsstaat eigenen Garantien, ein wirksames System der öffentlichen
Ordnung und des Gefängniswesens unter Einhaltung der Menschenrechte und wirklich demokratische
Institutionen zu stärken. Der Staat muß nicht überall dieselben Ausprägungen haben:
Die Unterstützung zur Stärkung der schwachen Verfassungssysteme kann auf hervorragende
Weise von der Entwicklung anderer politischer Akteure neben dem Staat begleitet werden,
die kultureller, sozialer, regionaler oder religiöser Art sind. Die Gliederung der
politischen Autorität auf lokaler Ebene, auf der Ebene der nationalen und internationalen
Zivilgesellschaft und auf der Ebene der übernationalen und weltweiten Gemeinschaft
ist auch einer der Hauptwege, um die wirtschaftliche Globalisierung lenken zu können.
Sie ist auch die Vorgangsweise, um zu verhindern, daß diese de facto die Fundamente
der Demokratie untergräbt. 42. Manchmal sind gegenüber der Globalisierung
fatalistische Einstellungen bemerkbar, als ob die herrschenden Dynamiken von unpersönlichen
anonymen Kräften und von vom menschlichen Wollen unabhängigen Strukturen hervorgebracht
würden. Diesbezüglich ist es gut, in Erinnerung zu rufen, daß die Globalisierung gewiß
einen sozioökonomischen Prozeß darstellt, dies aber nicht ihre einzige Dimension ist.
Hinter dem deutlicher sichtbaren Prozeß steht eine zunehmend untereinander verflochtene
Menschheit; diese setzt sich aus Personen und Völkern zusammen, denen dieser Prozeß
zum Nutzen und zur Entwicklung gereichen soll, weil sowohl die Einzelnen als auch
die Gesamtheit die jeweiligen Verantwortungen auf sich nehmen. Die Überwindung der
Grenzen ist nicht nur eine materielle Angelegenheit, sondern hinsichtlich ihrer Gründe
und Auswirkungen auch eine kulturelle Frage. Wenn die Globalisierung deterministisch
interpretiert wird, gehen die Kriterien für ihre Bewertung und ihre Ausrichtung verloren.
Sie ist eine menschliche Realität, hinter der verschiedene kulturelle Ausrichtungen
stehen können, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Die Wahrheit des Globalisierungsprozesses
und sein grundlegendes ethisches Kriterium sind in der Einheit der Menschheitsfamilie
und in ihrem Voranschreiten im Guten gegeben. Es ist daher ein unablässiger Einsatz
zur Förderung einer personalistischen und gemeinschaftlichen sowie für die Transzendenz
offenen kulturellen Ausrichtung des globalen Integrationsprozesses erforderlich. Trotz
einiger ihrer strukturell bedingten Dimensionen, die nicht zu leugnen sind, aber auch
nicht verabsolutiert werden dürfen, ist »die Globalisierung a priori weder gut noch
schlecht. Sie wird das sein, was die Menschen aus ihr machen«. Wir dürfen nicht Opfer
sein, sondern müssen Gestalter werden, indem wir mit Vernunft vorgehen und uns von
der Liebe und von der Wahrheit leiten lassen. Blinder Widerstand wäre eine falsche
Haltung, ein Vorurteil, das schließlich dazu führen würde, einen Prozeß zu verkennen,
der auch viele positive Seiten hat, und so Gefahr zu laufen, eine große Chance zu
verpassen, an den vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten teilzuhaben, die dieser bietet.
Die angemessen geplanten und ausgeführten Globalisierungsprozesse machen auf weltweiter
Ebene eine noch nie dagewesene große Neuverteilung des Reichtums möglich; wenn diese
Prozesse jedoch schlecht geführt werden, kön-nen sie hingegen zu einer Zunahme der
Armut und der Ungleichheit führen sowie mit einer Krise die ganze Welt anstecken.
Es ist nötig, die auch schweren Mängel dieser Prozesse zu beheben, die neue
Spaltungen zwischen den Völkern und innerhalb der Völker verursachen, und dafür zu
sorgen, daß die Umverteilung des Reichtums nicht mittels einer Umverteilung der Armut
erfolgt oder diese sogar noch zunimmt, wie es ein schlechter Umgang mit der gegenwärtigen
Lage befürchten lassen könnte. Lange Zeit dachte man, daß die armen Völker in einem
im voraus festgelegten Entwicklungsstadium verbleiben und sich mit der Philanthropie
der entwickelten Völker begnügen müßten. Gegen diese Mentalität hat Papst Paul VI.
in der Enzyklika Populorum progressio Stellung bezogen. Heute sind die zur
Verfügung stehenden materiellen Möglichkeiten, um diesen Völkern aus der Armut herauszuhelfen,
potentiell größer als früher, aber sie wurden hauptsächlich von den entwickelten Völkern
selbst in Beschlag genommen, die sich den Prozeß der Liberalisierung des Finanz- und
Arbeitskräfteverkehrs besser zunutze machen konnten. Die weltweite Ausbreitung des
Wohlstands darf daher nicht durch egoistische, protektionistische und von Einzelinteressen
geleitete Projekte gebremst werden. Die Einbeziehung der Schwellen- und Entwicklungsländer
ermöglicht heute einen besseren Umgang mit der Krise. Die zum Globalisierungsprozeß
gehörende Veränderung bringt große Schwierigkeiten und Gefahren mit sich, die nur
dann überwunden werden können, wenn man sich der anthropologischen und ethischen Seele
bewußt wird, die aus der Tiefe die Globalisierung selbst in Richtung einer solidarischen
Humanisierung führt. Leider ist diese Seele oft verschüttet und wird von individualistisch
und utilitaristisch geprägten ethisch-kulturellen Sichtweisen unterdrückt. Die Globalisierung
ist ein vielschichtiges und polyvalentes Phänomen, das in der Verschiedenheit und
in der Einheit all seiner Dimensionen – einschließlich der theologischen – erfaßt
werden muß. Dies wird es erlauben, die Globalisierung der Menschheit im Sinne von
Beziehung, Gemeinschaft und Teilhabe zu leben und auszurichten.
VIERTES
KAPITEL ENTWICKLUNG DER VÖLKER, RECHTE UND PFLICHTEN, UMWELT43. »Die Solidarität
aller, die etwas Wirkliches ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern
auch Pflichten«. Viele Menschen neigen heute zu der Anmaßung, niemandem etwas schuldig
zu sein außer sich selbst. Sie meinen, nur Rechte zu besitzen, und haben oft große
Schwierigkeiten, eine Verantwortung für ihre eigene und die ganzheitliche Entwicklung
des anderen reifen zu lassen. Es ist deshalb wichtig, eine neue Reflexion darüber
anzuregen, daß die Rechte Pflichten voraussetzen, ohne die sie zur Willkür werden.
Wir erleben heutzutage einen bedrückenden Widerspruch. Während man einerseits mutmaßliche
Rechte willkürlicher und genießerischer Art unter dem Vorwand beansprucht, sie würden
von den staatlichen Strukturen anerkannt und gefördert, werden andererseits einem
großen Teil der Menschheit elementare Grundrechte aberkannt und verletzt. Häufig festzustellen
ist ein Zusammenhang zwischen der Beanspruchung des Rechts auf Überfluß oder geradezu
auf Rechtswidrigkeit und Laster in den Wohlstandgesellschaften und dem Mangel an Nahrung,
Trinkwasser, Schulbildung oder medizinischer Grundversorgung in manchen unterentwickelten
Weltregionen wie auch am Rande von großen Metropolen. Der Zusammenhang beruht darauf,
daß die Individualrechte, wenn sie von einem sinngebenden Rahmen von Pflichten losgelöst
sind, verrückt werden und eine praktisch grenzenlose und alle Kriterien entbehrende
Spirale von Ansprüchen auslösen. Die Übertreibung der Rechte mündet in die Unterlassung
der Pflichten. Die Pflichten grenzen die Rechte ein, weil sie sie auf den an-thropologischen
und ethischen Rahmen verweisen, in dessen Wahrheit sich auch diese letzteren einfügen
und daher nicht zur Willkür werden. Die Pflichten stärken demnach die Rechte und bieten
deren Verteidigung und Förderung als eine Aufgabe im Dienst des Guten an. Wenn hingegen
die Rechte des Menschen ihr Fundament allein in den Beschlüssen einer Bürgerversammlung
finden, können sie jederzeit geändert werden, und daher läßt die Pflicht, sie zu achten
und einzuhalten, im allgemeinen Bewußtsein nach. Die Regierungen und internationalen
Organismen können da die Objektivität und »Unverfügbarkeit« der Rechte außer Acht
lassen. Wenn das geschieht, ist die echte Entwicklung der Völker gefährdet. Derartige
Einstellungen kompromittieren das Ansehen der internationalen Organismen vor allem
in den Augen der am meisten entwicklungsbedürftigen Länder. Diese fordern nämlich,
daß die internatio-nale Gemeinschaft es als eine Pflicht übernimmt, ihnen zu helfen,
»Baumeister ihres Schicksals« zu sein, das heißt ihrerseits Pflichten zu übernehmen.
Das Teilen der wechselseitigen Pflichten mobilisiert viel stärker als die bloße
Beanspruchung von Rechten. 44. Die Auffassung von den Rechten und Pflichten
in der Entwicklung muß auch den Problemkreis im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum
berücksichtigen. Es handelt sich um einen sehr wichtigen Aspekt der echten Entwicklung,
weil er die unverzichtbaren Werte des Lebens und der Familie betrifft. In der Bevölkerungszunahme
die Hauptursache der Unterentwicklung zu sehen, ist – auch in wirtschaftlicher Hinsicht
– unkorrekt. Man braucht nur einerseits an den bedeutenden Rückgang der Kindersterblichkeit
und die Verlängerung des durchschnittlichen Lebensalters in neuen wirtschaftlich entwickelten
Ländern zu denken und andererseits an die deutlichen Zeichen einer Krise in solchen
Gesellschaften, die einen beunruhigenden Geburtenrückgang verzeichnen. Die Kirche,
der die wahre Entwicklung des Menschen am Herzen liegt, empfiehlt ihm die umfassende
Achtung menschlicher Werte, und dies gilt auch für den Umgang mit der Sexualität:
Man kann sie nicht auf eine lediglich hedonistische und spielerische Handlung reduzieren,
so wie man die Sexualerziehung nicht auf eine technische Anleitung reduzieren kann,
deren einzige Sorge es ist, die Betroffenen vor eventuellen Ansteckungen oder vor
dem »Risiko« der Fortpflanzung zu schützen. Das würde einer Verarmung und Mißachtung
der tiefen Bedeutung der Sexualität gleichkommen, die jedoch sowohl von der einzelnen
Person wie von der Gemeinschaft anerkannt und verantwortungsvoll angenommen werden
soll. Die Verantwortung verbietet es nämlich ebenso, die Sexua-lität lediglich als
Lustquelle zu betrachten, wie sie in politische Maßnahmen einer erzwungenen Geburtenplanung
einzubeziehen. In beiden Fällen steht man vor materialistischen Auffassungen und deren
politischen Umsetzungen, in denen die Menschen schließlich verschiedene Formen von
Gewalt erleiden. All dem muß man in diesem Bereich die vorrangige Zuständigkeit der
Familien gegenüber dem Staat und seinen restriktiven politischen Maßnahmen sowie
eine entsprechende Erziehung der Eltern entgegensetzen. Die moralisch verantwortungsvolle
Offenheit für das Leben ist ein sozialer und wirtschaftlicher Reichtum. Große
Nationen haben auch dank der großen Zahl und der Fähigkeiten ihrer Einwohner aus dem
Elend herausfinden können. Umgekehrt erleben einst blühende Nationen jetzt wegen des
Geburtenrückgangs eine Phase der Unsicherheit und in manchen Fällen sogar ihres Niedergangs
– ein entscheidendes Problem gerade für die Wohlstandsgesellschaften. Der Geburtenrückgang,
der die Bevölkerungszahl manchmal unter den kritischen demographischen Wert sinken
läßt, stürzt auch die Sozialhilfesysteme in die Krise, führt zur Erhöhung der Kosten,
schränkt die Rückstellung von Ersparnissen und in der Folge die für die Investitionen
nötigen finanziellen Ressourcen ein, reduziert die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte
und verringert das Reservoir der »Köpfe«, aus dem man für die Bedürfnisse der Nation
schöpfen muß. Außerdem laufen die kleinen, manchmal sehr kleinen Familien Gefahr,
die sozialen Beziehungen zu vernachlässigen und keine wirksamen Solidaritätsformen
zu gewährleisten. Diese Situationen weisen die Symptome eines geringen Vertrauens
in die Zukunft sowie einer moralischen Müdigkeit auf. Daher wird es zu einer sozialen
und sogar ökonomischen Notwendigkeit, den jungen Generationen wieder die Schönheit
der Familie und der Ehe vor Augen zu stellen sowie die Übereinstimmung dieser Einrichtungen
mit den tiefsten Bedürfnissen des Herzens und der Würde des Menschen. In dieser Hinsicht
sind die Staaten dazu aufgerufen, politische Maßnahmen zu treffen, die die zentrale
Stellung und die Unversehrtheit der aufdie Ehe zwischen einem Mann und einer
Frau gegründeten Familie, der Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft, dadurch
fördern, indem sie sich auch um deren wirtschaftliche und finanzielle Probleme in
Achtung vor ihrem auf Beziehung beruhenden Wesen kümmern. 45. Antworten auf die
tiefsten moralischen Ansprüche des Menschen haben auch wichtige und wohltuende Auswirkungen
auf wirtschaftlicher Ebene. Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes Funktionieren
die Ethik; nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik. Heute
spricht man viel von Ethik im Bereich der Wirtschaft, der Finanzen und der Betriebe.
Es entstehen Studienzentren und Ausbildungsgänge für business ethics; in der
Welt der hochentwickelten Länder verbreitet sich im Gefolge der rund um die soziale
Verantwortung des Betriebs entstandenen Bewegung das System der ethischen Zertifikate.
Die Banken bieten sogenannte »ethische« Konten und Investitionsfonds an. Es entwickelt
sich ein »ethisches Finanzwesen«, vor allem durch den Kleinkredit und allgemeiner
die Mikrofinanzierung. Diese Entwicklungen rufen Anerkennung hervor und verdienen
eine breite Unterstützung. Ihre positiven Auswirkungen sind auch in weniger entwickelten
Zonen der Erde wahrzunehmen. Es ist jedoch gut, auch ein gültiges Unterscheidungskriterium
zu erarbeiten, da man eine gewisse Abnützung des Adjektivs »ethisch« feststellt, das,
wenn es allgemein gebraucht wird, auch sehr verschiedene Inhalte bezeichnet. Das kann
so weit gehen, daß unter seinem Deckmantel Entscheidungen und Beschlüsse durchgehen,
die der Gerechtigkeit und dem wahren Wohl des Menschen widersprechen. Viel hängt
nämlich vom moralischen Bezugssystem ab. Zu diesem Thema hat die Soziallehre der Kirche
einen besonderen Beitrag zu leisten, der sich auf die Erschaffung des Menschen »als
Abbild Gottes« (Gen 1, 27) gründet, eine Tatsache, von der sich die unverletzliche
Würde der menschlichen Person ebenso herleitet wie der transzendente Wert der natürlichen
moralischen Normen. Eine Wirtschaftsethik, die von diesen beiden Säulen absähe, würde
unvermeidlich Gefahr laufen, ihre moralische Qualität zu verlieren und sich instrumentalisieren
zu lassen; genauer gesagt, sie würde riskieren, zu einer Funktion für die bestehenden
Wirtschafts- und Finanzsysteme zu werden, statt zum Korrektiv ihrer Mißstände. Unter
anderem würde sie schließlich auch die Finanzierung von ethisch nicht vertretbaren
Projekten rechtfertigen. Ferner soll das Wort »ethisch« nicht in ideologisch diskriminierender
Weise angewandt werden, indem man damit zu verstehen gibt, daß die Initiativen, die
sich nicht formell mit dieser Bezeichnung zieren, nicht ethisch seien. Man muß sich
nicht nur darum bemühen – die Bemerkung ist hier wesentlich! – , daß »ethische« Sektoren
und Bereiche der Ökonomie oder des Finanzwesens entstehen, sondern daß die gesamte
Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen ethisch sind und das nicht nur durch eine äußerliche
Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer Natur selbst wesenseigenen Ansprüchen.
Diesbezüglich spricht die jüngste Soziallehre der Kirche mit aller Klarheit, wenn
sie daran erinnert, daß die Wirtschaft mit allen ihren Zweigen ein Teilbereich des
vielfältigen menschlichen Tuns ist. 46. Betrachtet man die mit der Beziehung
zwischen Unternehmen und Ethik befaßten Themenbereiche sowie die Entwicklung,
die das Produktionssy-stem durchmacht, so scheint es, daß die bisher allgemein verbreitete
Unterscheidung zwischen gewinnorientierten (profit) Unternehmen und nicht gewinnorientierten
(non profit) Organisationen nicht mehr imstande ist, über die tatsächliche
Situation vollständig Rechenschaft zu geben oder zukünftige Entwicklungen effektiv
zu gestalten. In diesen letzten Jahrzehnten ist ein großer Zwischenbereich zwischen
den beiden Unternehmenstypologien entstanden. Er besteht aus tradi-tionellen Unternehmen,
die allerdings Hilfsabkommen für rückständige Länder unterzeichneten; aus Unternehmensgruppen,
die Ziele mit sozialem Nutzen verfolgen; aus der bunten Welt der Vertreter der sogenannten
öffentlichen und Gemeinschaftswirtschaft. Es handelt sich nicht nur um einen »dritten
Sektor«, sondern um eine neue umfangreiche zusammengesetzte Wirklichkeit, die das
Private und das Öffentliche einbezieht und den Gewinn nicht ausschließt, ihn aber
als Mittel für die Verwirklichung humaner und sozialer Ziele betrachtet. Die Tatsache,
daß diese Unternehmen die Gewinne nicht verteilen oder daß sie die eine oder andere
von den Rechtsnormen vorgesehene Struktur haben, wird nebensächlich angesichts ihrer
Bereitschaft, den Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um eine Humanisierung des Marktes
und der Gesellschaft zu erreichen. Es ist zu wünschen, daß diese neuen Unternehmensformen
in allen Ländern auch eine entsprechende rechtliche und steuerliche Gestalt finden.
Ohne den herkömmlichen Unternehmensformen etwas von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung
und Nützlichkeit zu nehmen, bewirken die neuen Formen, daß sich das System zu einer
klareren und vollkommeneren Übernahme der Verpflichtungen seitens der Wirtschaftsvertreter
entwickelt. Nicht nur das. Gerade die Vielfalt der institutionellen Unternehmensformen
sollte einen humaneren und zugleich wettbewerbsfähigeren Markt hervorbringen. 47. Die
Vermehrung der verschiedenen Unternehmenstypologien und besonders derjenigen, die
dazu fähig sind, den Gewinn als ein Mittel zu begreifen, um den Zweck der Humanisierung
des Marktes und der Gesellschaften zu erreichen, muß auch in den Ländern verfolgt
werden, die unter Ausschluß oder Ausgrenzung aus den globalen Wirtschaftskreisläufen
leiden. Dort ist es sehr wichtig, mit Projekten angemessen konzipierter und verwalteter
Subsidiarität voranzukommen, die vor allem die Rechte zu stärken trachten, wobei jedoch
immer auch die Übernahme entsprechender Verantwortlichkeiten vorgesehen ist. In den
Beiträgen zur Entwicklung muß das Prinzip der zentralen Stellung der menschlichen
Person sichergestellt sein, die das Subjekt ist, das in erster Linie die Verpflichtung
zur Entwicklung auf sich nehmen muß. Das Hauptinteresse gilt der Verbesserung der
Lebenssituationen der konkreten Menschen in einer bestimmten Region, damit sie jenen
Verpflichtungen nachkommen können, deren Erfüllung ihnen ihre derzeitige Notlage unmöglich
macht. Die Sorge kann niemals eine abstrakte Haltung sein. Um an die einzelnen Situationen
angepaßt werden zu können, müssen die Entwicklungsprogramme von Flexibilität gekennzeichnet
sein; und die Empfänger der Hilfe sollten direkt in die Planung der Projekte einbezogen
und zu Hauptakteuren ihrer Umsetzung werden. Ebenso ist es notwendig, die Kriterien
eines stufenweisen und begleitenden Fortschreitens – einschließlich der laufenden
Kontrolle der Ergebnisse – anzuwenden, da es keine universal gültigen Rezepte gibt.
Viel hängt von der konkreten Durchführung der Interventionen ab. »Weil die Völker
die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle
die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie
gegenseitig isoliert bleiben«. Angesichts der Konsolidierung des Prozesses der fortschreitenden
Integration der Erde hat diese Mahnung Papst Pauls VI. heute noch größere Gültigkeit.
Die Dynamik der Einbeziehung hat nichts Mechanisches an sich. Die Lösungen müssen
auf der Grundlage einer behutsamen Einschätzung der Situation genau auf das Leben
der Völker und konkreten Personen zugeschnitten werden. Neben den Großprojekten braucht
es die kleinen Projekte und vor allem die tatkräftige Mobilisierung aller Angehörigen
der Zivilgesellschaft, sowohl der juristischen wie der physischen Personen. Die
internationale Zusammenarbeit benötigt Personen, die den wirtschaftlichen und
menschlichen Entwicklungsprozeß durch die Solidarität ihrer Präsenz, der Begleitung,
der Ausbildung und des Respekts teilen. Unter diesem Gesichtspunkt müßten sich die
internationalen Organismen selbst nach der tatsächlichen Wirksamkeit ihrer oft viel
zu kostspieligen bürokratischen Verwaltungsapparate fragen. Es kommt mitunter vor,
daß der Hilfeempfänger zu einem Mittel für den Helfer wird und die Armen dazu dienen,
aufwendige bürokratische Organisationen aufrechtzuerhalten, die für ihren eigenen
Bestand allzu hohe Beträge aus jenen Ressourcen für sich behalten, die eigentlich
für die Entwicklung bestimmt sein sollten. Aus dieser Sicht wäre es wünschenswert,
daß sich alle internationalen Organismen und die Nichtregierungsorganisationen zu
einer größeren Transparenz verpflichteten, indem sie die Spender sowie die öffentliche
Meinung über den prozentualen Anteil der erhaltenen Gelder, der für die Programme
der Zusammenarbeit bestimmt ist, über den tatsächlichen Inhalt solcher Programme und
schließlich über die Zusammensetzung der Ausgaben der Einrichtung selbst informieren. 48. Das
Thema Entwicklung ist heute stark an die Verpflichtungen gebunden, die aus der Beziehung
des Menschen zurnatürlichen Umwelt entstehen. Diese Beziehung wurde allen
von Gott geschenkt. Der Umgang mit ihr stellt für uns eine Verantwortung gegenüber
den Armen, den künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar. Wenn die Natur
und allen voran der Mensch als Frucht des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus
angesehen werden, wird das Verantwortungsbewußtsein in den Gewissen schwächer. Der
Gläubige erkennt hingegen in der Natur das wunderbare Werk des schöpferischen Eingreifens
Gottes, das der Mensch verantwortlich gebrauchen darf, um in Achtung vor der inneren
Ausgewogenheit der Schöpfung selbst seine berechtigten materiellen und geistigen Bedürfnisse
zu befriedigen. Wenn diese Auffassung schwindet, wird am Ende der Mensch die Natur
entweder als ein unantastbares Tabu betrachten oder, im Gegenteil, sie ausbeuten.
Beide Haltungen entsprechen nicht der christlichen Anschauung der Natur, die Frucht
der Schöpfung Gottes ist. Die Natur ist Ausdruck eines Plans der Liebe und der
Wahrheit. Sie geht uns voraus und wird uns von Gott als Lebensraum geschenkt.
Sie spricht zu uns vom Schöpfer (vgl. Röm 1, 20) und von seiner Liebe zu den
Menschen. Sie ist dazu bestimmt, am Ende der Zeiten in Christus »vereint zu werden«
(vgl. Eph 1, 9-10; Kol 1, 19-20). Auch sie ist also eine »Berufung«.
Die Natur steht uns nicht als »ein Haufen zufällig verstreuter Abfälle« zur Verfügung,
sondern als eine Gabe des Schöpfers, der die ihr innewohnenden Ordnungen gezeichnet
hat, damit der Mensch daraus die gebotenen Aufschlüsse bezieht, »damit er [sie] bebaue
und hüte« (Gen 2, 15). Aber es muß auch betont werden, daß es der wahren Entwicklung
widerspricht, die Natur für wichtiger zu halten als die menschliche Person. Diese
Einstellung verleitet zu neu-heidnischen Haltungen oder einem neuen Pantheismus: Aus
der in einem rein naturalistischen Sinn verstandenen Natur allein kann man nicht das
Heil für den Menschen ableiten. Allerdings muß man auch die gegenteilige Position
zurückweisen, die eine vollständige Technisierung der Natur anstrebt, weil das natürliche
Umfeld nicht nur Materie ist, über die wir nach unserem Belieben verfügen können,
sondern wunderbares Werk des Schöpfers, das eine „Grammatik“ in sich trägt, die Zwecke
und Kriterien für eine weise, nicht funktionelle und willkürliche Nutzung angibt.
Viele Schäden für die Entwicklung rühren heute aus diesen verzerrten Auffassungen
her. Die Natur vollständig auf eine Menge einfacher Gegebenheiten zu verkürzen, erweist
sich schließlich als Quelle der Gewalt gegenüber der Umwelt und motiviert zu respektlosen
Handlungen gegenüber der Natur des Menschen. Da diese nicht nur aus Materie, sondern
auch aus Geist besteht und als solche reich an Bedeutungen und zu erreichenden transzendenten
Zielen ist, hat sie auch einen normativen Charakter für die Kultur. Der Mensch deutet
und bildet die natürliche Umwelt durch die Kultur nach, die ihrerseits durch die verantwortliche,
auf die Gebote des Sittengesetzes achtende Freiheit bestimmt wird. Die Projekte für
eine ganzheitliche menschliche Entwicklung dürfen daher die nachfolgenden Generationen
nicht ignorieren, sondern müssen zur Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den
Generationen bereit sein, indem sie den vielfältigen Bereichen – dem ökologischen,
juristischen, ökonomischen, politischen und kulturellen – Rechnung tragen. 49. Die
mit der Sorge und dem Schutz für die Umwelt zusammenhängenden Fragen müssen heute
der Energieproblematik entsprechende Beachtung schenken. Das Aufkaufen der
nicht erneuerbaren Energiequellen durch einige Staaten, einflußreiche Gruppen und
Unternehmen stellt nämlich ein schwerwiegendes Hindernis für die Entwicklung der armen
Länder dar. Diese verfügen weder über die ökonomischen Mittel, um sich Zugang zu den
bestehenden nicht erneuerbaren Energiequellen zu verschaffen, noch können sie die
Suche nach neuen und alternativen Quellen finanzieren. Das Aufkaufen der natürlichen
Ressourcen, die sich in vielen Fällen gerade in den armen Ländern befinden, führt
zu Ausbeutung und häufigen Konflikten zwischen den Nationen und auch innerhalb der
Länder selbst. Solche Konflikte werden häufig gerade auf dem Boden dieser Länder ausgetragen,
mit einer bedrückenden Schlußbilanz von Tod, Zerstörung und weiterem Niedergang. Die
internationale Gemeinschaft hat die unumgängliche Aufgabe, die institutionellen Wege
zu finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen Einhalt zu gebieten,
und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit ihnen gemeinsam die Zukunft
zu planen. Auch an dieser Front besteht die dringende moralische Notwendigkeit
einer erneuerten Solidarität, besonders in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern
und den hochindustrialisierten Ländern. Die technologisch fortschrittlichen Gesellschaften
können und müssen ihren Energieverbrauch verringern, weil die Produktion in der verarbeitenden
Industrie sich weiter entwik-kelt, aber auch weil sich unter ihren Bürgern eine größere
Sensibilität für die Umwelt verbreitet. Man muß außerdem hinzufügen, daß heute eine
Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Energie realisierbar und es gleichzeitig möglich
ist, die Suche nach alternativen Energien voranzutreiben. Es ist jedoch auch eine
weltweite Neuverteilung der Energiereserven notwendig, so daß auch die Länder, die
über keine eigenen Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können. Ihr Schicksal darf
nicht den Händen des zuerst Angekommenen oder der Logik des Stärkeren überlassen werden.
Es handelt sich um beachtliche Probleme, die, wenn sie in entsprechender Weise angegangen
werden sollen, von seiten aller die verantwortungsvolle Bewußtwerdung der Folgen verlangen,
die über die neuen Generationen hereinbrechen werden, vor allem über die sehr vielen
Jugendlichen in den armen Völkern, die »ihren Anteil am Aufbau einer besseren Welt
fordern«. 50. Diese Verantwortung ist global, weil sie nicht nur die Energie, sondern
die ganze Schöpfung betrifft, die wir den neuen Generationen nicht ausgebeutet hinterlassen
dürfen. Es ist dem Menschen gestattet, eine verantwortungsvolle Steuerung über
die Natur auszuüben, um sie zu schützen, zu nutzen und auch in neuen Formen und
mit fortschrittlichen Technologien zu kultivieren, so daß sie die Bevölkerung, die
sie bewohnt, würdig aufnehmen und ernähren kann. Es gibt Platz für alle auf dieser
unserer Erde: Auf ihr soll die ganze Menschheitsfamilie die notwendigen Ressourcen
finden, um mit Hilfe der Natur selbst, dem Geschenk Gottes an seine Kinder, und mit
dem Einsatz ihrer Arbeit und ihrer Erfindungsgabe würdig zu leben. Wir müssen jedoch
auf die sehr ernste Verpflichtung hinweisen, die Erde den neuen Generationen in einem
Zustand zu übergeben, so daß auch sie würdig auf ihr leben und sie weiter kultivieren
können. Das schließt ein, »es sich zur Pflicht zu machen, nach verantwortungsbewußter
Abwägung gemeinsam zu entscheiden, welcher Weg einzuschlagen ist, mit dem Ziel, jenen
Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe
Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs
sind«. Man kann nur wünschen, daß die internationale Gemeinschaft und die einzelnen
Regierungen es wirksam verhindern können, daß die Umwelt zu ihrem Schaden ausgenutzt
wird. Es ist ebenso erforderlich, daß die zuständigen Autoritäten alle nötigen Anstrengungen
unternehmen, damit die wirtschaftlichen und sozialen Kosten für die Benutzung der
allgemeinen Umweltressourcen offen dargelegt sowie von den Nutznießern voll getragen
werden und nicht von anderen Völkern oder zukünftigen Generationen: Der Schutz der
Umwelt, der Ressourcen und des Klimas erfordert, daß alle auf internationaler Ebene
Verantwortlichen gemeinsam handeln und bereit sind, in gutem Glauben, dem Gesetz entsprechend
und in Solidarität mit den schwächsten Regionen unseres Planeten zu arbeiten. Eine
der größten Aufgaben der Ökonomie ist gerade der äußerst effiziente Gebrauch der Ressourcen,
nicht die Verschwendung, wobei man sich bewußt sein muß, daß der Begriff der Effizienz
nicht wertneutral ist. 51. Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die
Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmu-ster, nach denen er sich selbst behandelt,
und umgekehrt. Das fordert die heutige Gesellschaft dazu heraus, ernsthaft ihren
Lebensstil zu überprüfen, der in vielen Teilen der Welt zum Hedonismus und Konsumismus
neigt und gegenüber den daraus entstehenden Schäden gleichgültig bleibt. Notwendig
ist ein tatsächlicher Gesinnungswandel, der uns dazu anhält, neue Lebensweisen
anzunehmen, »in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten und die Gemeinschaft
mit den anderen Menschen für ein gemeinsames Wachstum die Elemente sein sollen, die
die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen«. Jede Verletzung
der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft Umweltschäden hervor, so wie die
Umweltschäden ihrerseits Unzufriedenheit in den sozialen Beziehungen auslösen. Die
Natur ist besonders in unserer Zeit so sehr in die Dynamik der sozialen und kulturellen
Abläufe integriert, daß sie fast keine unabhängige Variable mehr darstellt. Die fortschreitende
Wüstenbildung und die Verelendung mancher Agrargebiete sind auch Ergebnis der Verarmung
der dort wohnenden Bevölkerungen und der Rückständigkeit. Durch die Förderung der
wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung jener Bevölkerungen schützt man auch
die Natur. Wie viele natürliche Ressourcen werden zudem durch Kriege zerstört! Der
Friede der Völker und zwischen den Völkern würde auch einen größeren Schutz der Natur
erlauben. Das Aufkaufen der Ressourcen, besonders des Wassers, kann schwere Konflikte
unter der betroffenen Bevölkerung hervorrufen. Ein friedliches Einvernehmen über die
Nutzung der Ressourcen kann die Natur und zugleich das Wohlergehen der betroffenen
Gesellschaften schützen. Die Kirche hat eine Verantwortung für die Schöpfung
und muß diese Verantwortung auch öffentlich geltend machen. Und wenn sie das tut,
muß sie nicht nur die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben der Schöpfung verteidigen,
die allen gehören. Sie muß vor allem den Menschen gegen seine Selbstzerstörung schützen.
Es muß so etwas wie eine richtig verstandene Ökologie des Menschen geben. Die Beschädigung
der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen, die das menschliche Zusammenleben
gestaltet. Wenn in der Gesellschaft die »Humanökologie« respektiert
wird, profitiert davon auch die Umweltökologie. Wie die menschlichen Tugenden
miteinander verbunden sind, so daß die Schwächung einer Tugend auch die anderen gefährdet,
so stützt sich das ökologische System auf die Einhaltung eines Planes, der sowohl
das gesunde Zusammenleben in der Gesellschaft wie das gute Verhältnis zur Natur betrifft. Um
die Natur zu schützen, genügt es nicht, mit anspornenden oder einschränkenden Maßnahmen
einzugreifen, und auch eine entsprechende Anleitung reicht nicht aus. Das sind wichtige
Hilfsmittel, aber das entscheidende Problem ist das moralische Verhalten der Gesellschaft.
Wenn das Recht auf Leben und auf einen natürlichen Tod nicht respektiert wird, wenn
Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen auf künstlichem Weg erfolgen,
wenn Embryonen für die Forschung geopfert werden, verschwindet schließlich der Begriff
Humanökologie und mit ihm der Begriff der Umweltökologie aus dem allgemeinen Bewußtsein.
Es ist ein Widerspruch, von den neuen Generationen die Achtung der natürlichen Umwelt
zu verlangen, wenn Erziehung und Gesetze ihnen nicht helfen, sich selbst zu achten.
Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens
und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen
Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt verbinden sich mit
den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in Beziehung zu den anderen
haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken. Das
ist ein schwerwiegender Widerspruch der heutigen Mentalität und Praxis, der den Menschen
demütigt, die Umwelt erschüttert und die Gesellschaft beschädigt. 52. Die Wahrheit
und die Liebe, die sie erschließt, lassen sich nicht produzieren, man kann sie nur
empfangen. Ihre letzte Quelle ist nicht und kann nicht der Mensch sein, sondern Gott,
das heißt Er, der Wahrheit und Liebe ist. Dieses Prinzip ist sehr wichtig für die
Gesellschaft und für die Entwicklung, da weder die eine noch die andere lediglich
menschliche Produkte sein können; ebenso gründet sich die Berufung zur Entwicklung
der Menschen und der Völker nicht auf eine lediglich menschliche Entscheidung, sondern
sie ist in einen Plan eingeschrieben, der uns vorausgeht und für uns alle eine Pflicht
darstellt, die freiwillig angenommen werden muß. Das, was uns vorausgeht, und das,
was uns konstituiert – die Liebe und die Wahrheit –, zeigt uns, was das Gute ist und
worin unser Glück besteht. Es zeigt uns somit den Weg zur wahren Entwicklung.
FÜNFTES
KAPITEL DIE ZUSAMMENARBEIT DER MENSCHHEITSFAMILIE53. Eine der schlimmsten
Arten von Armut, die der Mensch erfahren kann, ist die Einsamkeit. Genau betrachtet
haben auch die anderen Arten von Armut, einschließlich der materiellen Armut, ihren
Ursprung in der Isolation, im Nicht-geliebt-Sein oder in der Schwierigkeit zu lieben.
Oft entstehen die Arten der Armut aus der Zurückweisung der Liebe Gottes, aus einem
ursprünglichen tragischen Verschließen des Menschen in sich selbst, der meint, sich
selbst genügen zu können oder nur eine unbedeutende und vorübergehende Erscheinung,
ein »Fremder« in einem zufällig gebildeten Universum zu sein. Der Mensch ist entfremdet,
wenn er allein ist oder sich von der Wirklichkeit ablöst, wenn er darauf verzichtet,
an ein Fundament zu denken und zu glauben. Die Menschheit insgesamt ist entfremdet,
wenn sie sich bloß menschlichen Plänen, Ideologien und falschen Utopien verschreibt.
Heute erscheint die Menschheit interaktiver als gestern: Diese größere Nähe muß zu
echter Gemeinschaft werden. Die Entwicklung der Völker hängt vor allem davon ab, sich
als eine einzige Familie zu erkennen, die in einer echten Gemeinschaft zusammenarbeitet
und von Subjekten gebildet wird, die nicht einfach nebeneinander leben. Papst
Paul VI. bemerkte, daß »die Welt krank ist, weil ihr Gedanken fehlen«. Diese Aussage
enthält eine Feststellung, vor allem aber einen Wunsch: Es bedarf eines neuen Schwungs
des Denkens, um die Implikationen unseres Familieseins besser zu verstehen; die wechselseitigen
Unternehmungen der Völker dieser Erde fordern uns zu diesem Schwung auf, damit die
Integration im Zeichen der Solidarität und nicht der Verdrängung vollzogen wird.
Ein solches Denken verpflichtet auch zu einer kritischen und beurteilenden Vertiefung
der Kategorie der Beziehung. Es handelt sich um eine Aufgabe, die nicht von
den Sozialwissenschaften allein durchgeführt werden kann, insofern sie den Beitrag
von Wissen wie Metaphysik und Theologie verlangt, um die transzendente Würde des Menschen
klar zu begreifen. Der Mensch als Geschöpf von geistiger Natur verwirklicht sich
in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Je echter er diese lebt, desto mehr reift
auch seine eigene persönliche Identität. Nicht durch Absonderung bringt sich der Mensch
selber zur Geltung, sondern wenn er sich in Beziehung zu den anderen und zu Gott setzt.
Die Bedeutung solcher Beziehungen wird also grundlegend. Dies gilt auch für die Völker.
Ihrer Entwicklung ist daher eine metaphysische Sichtder Beziehung zwischen
den Personen sehr zuträglich. Diesbezüglich findet die Vernunft Anregung und Orientierung
in der christlichen Offenbarung. Gemäß dieser wird die Person nicht durch die Gemeinschaft
der Menschen absorbiert, beziehungsweise ihre Autonomie zunichte gemacht, wie es in
den verschiedenen Formen des Totalitarismus geschieht. Vielmehr bringt die Gemeinschaft
im christlichen Denken die Person weiter zur Geltung, da die Beziehung zwischen Person
und Gemeinschaft der eines Ganzen gegenüber einem anderen Ganzen entspricht. Wie die
Gemeinschaft der Familie in sich die Personen, die sie bilden, nicht auflöst und wie
die Kirche selbst die »neue Schöpfung«(vgl. Gal 6, 15; 2 Kor 5,
17), die durch die Taufe ihrem Leib eingegliedert wird, voll hervorhebt, so löst auch
die Einheit der Menschheitsfamilie in sich die Personen, Völker und Kulturen nicht
auf, sondern macht sie füreinander transparenter und vereint sie stärker in ihrer
legitimen Vielfalt. 54. Das Thema der Entwicklung der Völker fällt mit dem der
Einbeziehung aller Personen und Völker in die eine Gemeinschaft der Menschheitsfamilie
zusammen, die auf der Basis der Grundwerte der Gerechtigkeit und des Friedens in Solidarität
gebildet wird. Diese Sicht findet von der Beziehung der Personen der Dreifaltigkeit
in dem einen Göttlichen Wesen her eine klare Erhellung. Die Dreifaltigkeit ist völlige
Einheit, insofern die drei Göttlichen Personen reine Beziehung sind. Die gegenseitige
Transparenz zwischen den Göttlichen Personen ist völlig und die Verbindung untereinander
vollkommen, denn sie bilden eine absolute Einheit und Einzigkeit. Gott will auch uns
in diese Wirklichkeit der Gemeinschaft aufnehmen: »denn sie sollen eins sein, wie
wir eins sind« (Joh 17, 22). Die Kirche ist Zeichen und Werkzeug dieser Einheit.
Auch die Beziehungen zwischen Menschen in der Geschichte können nur Nutzen aus dem
Bezug auf dieses göttliche Modell ziehen. Insbesondere im Licht des offenbarten Geheimnisses
der Dreifaltigkeit versteht man, daß eine echte Öffnung nicht zentrifugale Zerstreuung
bedeutet, sondern tiefe Durchdringung. Dies ergibt sich auch aus der gemeinsamen menschlichen
Erfahrung der Liebe und der Wahrheit. Wie die sakramentale Liebe die Eheleute geistig
als »ein Fleisch« (Gen 2, 24; Mt 19, 5; Eph 5, 31) verbindet
und aus den zweien eine echte Einheit in der Beziehung macht, verbindet auf analoge
Weise die Wahrheit die Vernunftwesen untereinander und läßt sie im Einklang denken,
indem sie sie anzieht und in sich vereint. 55. Die christliche Offenbarung über
die Einheit des Menschengeschlechts setzt eine metaphysische Interpretation des humanum
voraus, in dem die Fähigkeit zur Beziehung ein wesentliches Element darstellt.
Auch andere Kulturen und Religionen lehren Brüderlichkeit und Frieden und sind daher
für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen von großer Bedeutung. Es fehlen aber
nicht religiöse und kulturelle Haltungen, in denen das Prinzip der Liebe und der Wahrheit
nicht vollständig angenommen und am Ende so die echte menschliche Entwicklung gebremst
oder sogar behindert wird. Die Welt von heute ist von einigen Kulturen mit religiösem
Hintergrund durchzogen, die den Menschen nicht zur Gemeinschaft verpflichten, sondern
ihn auf der Suche nach dem individuellen Wohl isolieren, indem sie sich darauf beschränken,
psychologische Erwartungen zu befriedigen. Auch eine gewisse Verbreitung von religiösen
Wegen kleiner Gruppen oder sogar einzelner Personen und der religiöse Synkretismus
können Faktoren einer Zerstreuung und eines Mangels an Engagement sein. Ein möglicher
negativer Effekt des Globalisierungsprozesses ist die Tendenz, solchen Synkretismus
zu begün-stigen und dabei Formen von „Religionen“ zu nähren, die die Menschen einander
entfremden, anstatt sie einander begegnen zu lassen, und sie von der Wirklichkeit
entfernen. Gleichzeitig bleiben mitunter kulturelle und religiöse Vermächtnisse weiter
bestehen, die die Gesellschaft in feste soziale Kasten eingrenzen, in Formen von magischem
Glauben, die die Würde der Person mißachten, und in Haltungen der Unterwerfung unter
okkulte Mächte. Auf dieser Ebene ist es für die Liebe und die Wahrheit schwierig,
sich zu behaupten, was Schaden für die echte Entwicklung mit sich bringt. Wenn
es einerseits wahr ist, daß die Entwicklung die Religionen und Kulturen der verschiedenen
Völker braucht, ist es aus diesem Grund andererseits ebenso wahr, daß eine angemessene
Unterscheidung vonnöten ist. Religionsfreiheit bedeutet nicht religiöse Gleichgültigkeit
und bringt nicht mit sich, daß alle Religionen gleich sind. Die Unterscheidung hinsichtlich
des Beitrags der Kulturen und Religionen zum Aufbau der sozialen Gemeinschaft in der
Achtung des Gemeinwohls ist vor allem für den, der politische Gewalt ausübt, erforderlich.
Solche Unterscheidung muß sich auf das Kriterium der Liebe und der Wahrheit stützen.
Da die Entwicklung der Menschen und der Völker auf dem Spiel steht, wird sie die Möglichkeit
der Emanzipation und der Einbeziehung im Hinblick auf eine wirklich universale Gemeinschaft
der Menschen berücksichtigen. »Der ganze Mensch und alle Menschen« sind das Kriterium,
um auch die Kulturen und die Religionen zu beurteilen. Das Christentum, die Religion
des »Gottes, der ein menschliches Angesicht hat«, trägt in sich selbst ein solches
Kriterium. 56. Die christliche Religion und die anderen Religionen können ihren
Beitrag zur Entwicklung nur leisten, wenn Gott auch im öffentlichen Bereich mit spezifischem
Bezug auf die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und insbesondere politischen
Aspekte Platz findet. Die Soziallehre der Kirche ist entstanden, um dieses »Statut
des Bürgerrechts« der christlichen Religion geltend zu machen. Die Verweigerung des
Rechts, öffentlich die eigene Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, daß auch
das öffentliche Leben über die Wahrheiten des Glaubens unterrichtet wird, bringt negative
Folgen für die wahre Entwicklung mit sich. Der Ausschluß der Religion vom öffentlichen
Bereich wie andererseits der religiöse Fundamentalismus behindern die Begegnung zwischen
den Menschen und ihre Zusammenarbeit für den Fortschritt der Menschheit. Das öffentliche
Leben verarmt an Motivationen, und die Politik nimmt ein unerträgliches und aggressives
Gesicht an. Die Menschenrechte laufen Gefahr nicht geachtet zu werden, weil sie entweder
ihres transzendenten Fundaments beraubt werden oder weil die persönliche Freiheit
nicht anerkannt wird. Im Laizismus und im Fundamentalismus verliert man die Möglichkeit
eines fruchtbaren Dialogs und einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft
und religiösem Glauben. Die Vernunft bedarf stets der Reinigung durch den Glauben,
und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten
darf. Die Religion bedarf ihrerseits stets der Reinigung durch die Vernunft, um ihr
echtes menschliches Antlitz zu zeigen. Der Abbruch dieses Dialogs ist mit einem schwer
lastenden Preis für die Entwicklung der Menschheit verbunden. 57. Der fruchtbare
Dialog zwischen Glaube und Vernunft kann nur das Werk der sozialen Nächstenliebe wirksamer
machen und bildet den sachgemäßen Rahmen, um die brüderliche Zusammenarbeit zwischen
Gläubigen und Nichtgläubigen in der gemeinsamen Sicht, für die Gerechtigkeit und den
Frieden der Menschheit zu arbeiten, zu fördern. In der Pastoralkonstitution Gaudium
et spes sagten die Konzilsväter: »Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen
und Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt
hinzuordnen ist«. Für die Gläubigen ist die Welt nicht das Produkt des Zufalls noch
der Notwendigkeit, sondern eines Planes Gottes. Von daher kommt die Pflicht der Gläubigen,
ihre Bemühungen mit allen Menschen guten Willens – Angehörige anderer Religionen oder
Nichtgläubige – zu vereinen, damit unsere Welt wirklich dem göttlichen Plan entspricht:
als eine Familie unter dem Blick des Schöpfers zu leben. Besonderes Zeichen der Liebe
und Leitkriterium für die brüderliche Zusammenarbeit von Gläubigen und Nichtgläubigen
ist ganz sicher das Prinzip der Subsidiarität, Ausdruck der unveräußerlichen
Freiheit des Menschen. Die Subsidiarität ist vor allem eine Hilfe für die Person durch
die Autonomie der mittleren Gruppen und Verbände. Solche Hilfe wird geboten, wenn
die Person und die sozialen Subjekte es nicht aus eigener Kraft schaffen, und schließt
immer emanzipatorische Zielsetzungen ein, da sie die Freiheit und die Partizipation,
insofern sie Übernahme von Verantwortung ist, fördert. Die Subsidiarität achtet die
Würde der Person, in der sie ein Subjekt sieht, das immer imstande ist, anderen etwas
zu geben. Indem sie in der Gegenseitigkeit die innerste Verfassung des Menschen anerkennt,
ist die Subsidiarität das wirksamste Gegenmittel zu jeder Form eines bevormundenden
Sozialsy-stems. Sie kann sowohl die vielfache Gliederung der Ebenen und daher der
Vielfalt der Subjekte erklären als auch ihre Koordinierung. Es handelt sich demnach
um ein besonders geeignetes Prinzip, um die Globalisierung zu lenken und sie auf eine
echte menschliche Entwicklung auszurichten. Um nicht eine gefährliche universale Macht
monokratischer Art ins Leben zu rufen, muß die Steuerung der Globalisierung von subsidiärer
Art sein, und zwar in mehrere Stufen und verschiedene Ebenen gegliedert, da sie die
Frage nach einem globalen Gemeingut aufwirft, das zu verfolgen ist; eine solche Autorität
muß aber auf subsidiäre und polyarchische Art und Weise organisiert sein, um die Freiheit
nicht zu verletzen und sich konkret wirksam zu erweisen. 58. Das Prinzip der
Subsidiarität muß in enger Verbindung mit dem Prinzip der Solidarität gewahrt werden
und umgekehrt. Denn wenn die Subsidiarität ohne die Solidarität in einen sozialen
Partikularismus abrutscht, so ist ebenfalls wahr, daß die Solidarität ohne die Subsidiarität
in ein Sozialsystem abrutscht, daß den Bedürftigen erniedrigt. Diese Regel allgemeiner
Art muß ebenso sehr beachtet werden, wenn Fragen bezüglich internationaler Entwicklungshilfen
angegangen werden. Diese können jenseits der Absichten der Geber mitunter ein Volk
in einer Lage der Abhängigkeit halten oder sogar Situationen von lokaler Herrschaft
und Ausbeutung innerhalb des Hilfeempfängerlandes begünstigen. Damit die Wirtschaftshilfen
auch wirklich solche sind, dürfen sie keine Hintergedanken verfolgen. Sie müssen unter
Miteinbeziehung nicht nur der Regierungen der betroffenen Länder geleistet werden,
sondern auch der örtlichen Wirtschaftstreibenden und der Kulturträger der Zivilgesellschaft,
einschließlich der örtlichen Kirchen. Die Hilfsprogramme müssen in immer größerem
Ausmaß die Merkmale von Programmen annehmen, die Ergänzung und Partizipation von unten
einbeziehen. Es ist nämlich wahr, daß in den Ländern, die Entwicklungshilfe empfangen,
die größte hervorzuhebende Ressource der Reichtum an Menschen ist: Das ist das echte
Kapital, das wachsen muß, um den ärmsten Ländern eine wahre autonome Zukunft zu sichern.
Es ist auch daran zu erinnern, daß auf wirtschaftlichem Gebiet die Haupthilfe, derer
die Entwicklungsländer bedürfen, darin besteht, die schrittweise Eingliederung ihrer
Produkte auf den Weltmärkten zu erlauben und zu fördern und so ihre volle Teilnahme
am internationalen Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Zu oft haben in der Vergangenheit
die Hilfen dazu genützt, nur Nebenmärkte für die Produkte dieser Länder zu schaffen.
Dies ist oft vom Fehlen einer echten Nachfrage nach diesen Produkten bedingt: Daher
ist es notwendig, diesen Ländern zu helfen, ihre Produkte zu verbessern und sie besser
der Nachfrage anzupassen. Überdies haben einige oft die Konkurrenz der Einfuhr von
– normalerweise landwirtschaftlichen – Produkten aus den wirtschaftlich ärmeren Ländern
gefürchtet. Dennoch muß daran erinnert werden, daß für diese Länder die Möglichkeit
zur Vermarktung solcher Produkte sehr oft bedeutet, ihr Überleben auf kurze und lange
Zeit zu sichern. Ein gerechter und ausgeglichener Welthandel im Agrarbereich kann
für alle Vorteile bringen, sowohl auf Seiten des Angebots wie der Nachfrage. Aus diesem
Grund ist es nicht nur notwendig, diese Produktionen kommerziell auszurichten, sondern
Welthandelsregeln festzulegen, die sie unterstützen, und die Finanzierungen für die
Entwicklung zu verstärken, um diese Wirtschaften produktiver zu machen. 59. Die
Entwicklungszusammenarbeit darf nicht die wirtschaftliche Dimension allein betreffen;
sie muß eine gute Gelegenheit zur kulturellen und menschlichen Begegnung werden. Wenn
die Träger der Kooperation in den wirtschaftlich entwickelten Ländern nicht der eigenen
und der fremden kulturellen und auf menschlichen Werten gründenden Identität Rechnung
tragen, wie es mitunter geschieht, können sie keinen tiefen Dialog mit den Bürgern
der armen Ländern aufnehmen. Wenn letztere ihrerseits sich gleichgültig und unterschiedslos
jedem kulturellen Angebot öffnen, sind sie nicht in der Lage, die Verantwortung für
ihre echte Entwicklung zu übernehmen. Die technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften
dürfen die eigene technologische Entwicklung nicht mit einer vermeintlichen kulturellen
Überlegenheit verwechseln, sondern müssen bei sich selber zuweilen vergessene Tugenden
wiederentdecken, die ihnen eine Blüte in der Geschichte gebracht haben. Die aufstrebenden
Gesellschaften müssen dem treu bleiben, was in ihren Traditionen an echt Menschlichem
vorhanden ist, indem sie eine automatische Überlagerung mit den Mechanismen der globalisierten
technologischen Zivilisation vermeiden. In allen Kulturen gibt es besondere und vielfältige
ethische Übereinstimmungen, die Ausdruck derselben menschlichen, vom Schöpfer gewollten
Natur sind und die von der ethischen Weisheit der Menschheit Naturrecht genannt wird.
Ein solches universales Sittengesetz ist die feste Grundlage eines jeden kulturellen,
religiösen und politischen Dialogs und erlaubt dem vielfältigen Pluralismus der verschiedenen
Kulturen, sich nicht von der gemeinsamen Suche nach dem Wahren und Guten und nach
Gott zu lösen. Die Zustimmung zu diesem in die Herzen eingeschriebenen Gesetz ist
daher die Voraussetzung für jede konstruktive soziale Zusammenarbeit. In allen Kulturen
gibt es Beschwerliches, von dem man sich befreien, und Schatten, denen man sich entziehen
muß. Der christliche Glaube, der in den Kulturen Gestalt annimmt und sie dabei transzendiert,
kann ihnen helfen, in universaler Gemeinschaft und Solidarität zum Vorteil der gemeinsamen
weltweiten Entwicklung zu wachsen. 60. Bei der Suche nach Lösungen in der gegenwärtigen
Wirtschaftskrise muß die Entwicklungshilfe für die armen Länder als ein echtes Mittel
zur Vermögensschaffung für alle angesehen werden. Welches andere Hilfsprojekt kann
eine selbst für die Weltwirtschaft so bedeutende Wertsteigerung in Aussicht stellen
wie die Unterstützung von Völkern, die sich noch in einer Anfangsphase oder wenig
fortgeschrittenen Phase ihres wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses befinden? Aus
diesem Blickwinkel werden die wirtschaftlich mehr entwickelten Länder das Mögliche
tun, um höhere Sätze ihres Bruttoinlandprodukts für die Entwicklungshilfe bereitzustellen,
wobei natürlich die auf der Ebene der internationalen Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen
einzuhalten sind. Sie können dies unter anderem durch eine Revision der Politik der
Fürsorge und sozialen Solidarität in ihrem Inneren tun, indem sie das Prinzip der
Subsidiarität anwenden und besser integrierte Systeme sozialer Vorsorge mit aktiver
Teilnahme der Privatpersonen und der Zivilgesellschaft schaffen. Auf diese Weise ist
es sogar möglich, die Sozial- und Fürsorgeleistungen zu verbessern und gleichzeitig
Geldmittel zu sparen – auch unter Beseitigung von Verschwendungen und mißbräuchlichen
Bezügen –, die für die internationale Solidarität zu bestimmen sind. Ein System sozialer
Solidarität, das eine größere Beteiligung kennt und organischer aufgebaut ist, das
weniger bürokratisch, aber nicht weniger koordiniert ist, würde es erlauben, viele
heute schlummernde Energien auch zum Nutzen der Solidarität unter den Völkern zur
Geltung zu bringen. Eine Möglichkeit der Entwicklungshilfe könnte auf der wirksamen
Anwendung der sogenannten steuerlichen Subsidiarität beruhen, die es den Bürgern gestatten
würde, über den Bestimmungszweck von Anteilen ihrer dem Staat erbrachten Steuern zu
entscheiden. Wenn partikularistische Ausartungen vermieden werden, kann dies dazu
verhelfen, Formen sozialer Solidarität von unten zu fördern, wobei offensichtliche
Vorteile auch auf Seiten der Solidarität für die Entwicklung bestehen. 61. Eine
auf internationaler Ebene breitere Solidarität drückt sich vor allem in der weiteren
Förderung – selbst unter den Verhältnissen einer Wirtschaftskrise – eines größeren
Zugangs zur Bildung aus, die andererseits eine wesentliche Bedingung für die
Wirksamkeit der internationalen Zusammenarbeit selber ist. Der Begriff „Bildung“ bezieht
sich nicht allein auf Unterricht und Ausbildung zum Beruf, die beide wichtige Gründe
für die Entwicklung sind, sondern auf die umfassende Formung der Person. Diesbezüglich
ist ein problematischer Aspekt hervorzuheben: Bei der Erziehung muß man wissen, was
die menschliche Person ist, und ihre Natur kennen. Die Behauptung einer relativistischen
Sicht dieser Natur stellt die Erziehung, vor allem die moralische Erziehung, vor ernste
Probleme, indem sie ihre erweiterte Bedeutung auf universaler Ebene beeinträchtigt.
Wenn man einem solchen Relativismus nachgibt, werden alle ärmer, was negative Auswirkungen
auch auf die Wirksamkeit der Hilfe für die notleidenden Völker hat, die nicht nur
der wirtschaftlichen und technischen Mittel bedürfen, sondern auch pädagogische Möglichkeiten
und Mittel brauchen, die die Personen in ihrer vollen menschlichen Verwirklichung
unterstützen. Ein Beispiel für die Bedeutung dieses Pro-blems bietet uns das Phänomen
des internationalen Tourismus, der einen beträchtlichen Faktor für die wirtschaftliche
Entwicklung und das kulturelle Wachstum darstellen kann, sich aber auch in eine Gelegenheit
zu Ausbeutung und moralischem Verfall verwandeln kann. Die gegenwärtige Situation
bietet außergewöhnliche Möglichkeiten, denn die wirtschaftlichen Aspekte der Entwicklung,
das heißt die Geldflüsse und der Anfang bedeutender unternehmerischer Erfahrungen
vor Ort, können sich mit den kulturellen Aspekten, in erster Linie mit jenem der Bildung,
verbinden. In vielen Fällen geschieht dies, aber in vielen anderen ist der internationale
Tourismus ein in erzieherischer Hinsicht verderbliches Ereignis sowohl für den Touristen
als auch für die örtliche Bevölkerung. Letztere wird oft mit unmoralischem oder sogar
perversem Verhalten konfrontiert, wie es beim sogenannten Sextourismus der Fall ist,
dem viele Menschen, selbst in jugendlichem Alter, zum Opfer fallen. Es ist schmerzlich
festzustellen, daß dies sich oft mit Zustimmung der örtlichen Regierungen, mit dem
Schweigen der Regierungen der Herkunftsländer der Touristen und in Komplizenschaft
vieler, die in der Branche tätig sind, abspielt. Auch wenn es nicht zu solchen Auswüchsen
kommt, wird der internationale Tourismus nicht selten als Konsum und in hedonistischer
Form gelebt, als Flucht und unter den für die Herkunftsländer typischen Bedingungen
organisiert, so daß eine echte Begegnung mit den Menschen und der Kultur nicht begünstigt
wird. Man muß daher an einen anderen Tourismus denken, der in der Lage ist, ein echtes
gegenseitiges Kennenlernen zu fördern, ohne der Erholung und dem gesunden Vergnügen
Raum wegzunehmen: Ein Tourismus dieser Art muß – auch dank einer engeren Verbindung
der Erfahrung von internationaler Zusammenarbeit und zugunsten der Entwicklung – gefördert
werden. 62. Ein anderer Aspekt, der in bezug auf die ganzheitliche menschliche
Entwicklung Beachtung verdient, ist das Phänomen der Migrationen. Dieses Phänomen
erschüttert einen wegen der Menge der betroffenen Personen, wegen der sozialen, wirtschaftlichen,
politischen, kulturellen und religiösen Probleme, die es aufwirft, wegen der dramatischen
Herausforderungen, vor die es die Nationen und die internationale Gemeinschaft stellt.
Wir können sagen, daß wir vor einem sozialen Phänomen epochaler Art stehen, das eine
starke und weitblickende Politik der internationalen Kooperation verlangt, um es in
angemessener Weise anzugehen. Eine solche Politik muß ausgehend von einer engen Zusammenarbeit
zwischen Herkunfts- und Aufnahmeländern der Migranten entwickelt werden; sie muß mit
angemessenen internationalen Bestimmungen einhergehen, die imstande sind, die verschiedenen
gesetzgeberischen Ordnungen in Einklang zu bringen in der Aussicht, die Bedürfnisse
und Rechte der ausgewanderten Personen und Familien sowie zugleich der Zielgesellschaften
der Emigranten selbst zu schützen. Kein Land kann sich allein dazu imstande sehen,
den Migrationsproblemen unserer Zeit zu begegnen. Wir alle sind Zeugen der Last an
Leid, Entbehrung und Hoffnung, die mit den Migrationsströmen einhergeht. Das Phänomen
zu steuern ist bekanntermaßen komplex; dennoch steht fest, daß die Fremdarbeiter trotz
der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Integration durch ihre Arbeit einen
bedeutenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gastlandes leisten und darüber
hinaus dank der Geldsendungen auch einen Beitrag zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer
erbringen. Offensichtlich können diese Arbeitnehmer nicht als Ware oder reine Arbeitskraft
angesehen werden. Sie dürfen folglich nicht wie irgendein anderer Produktionsfaktor
behandelt werden. Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als solche unveräußerliche
Grundrechte besitzt, die von allen und in jeder Situation respektiert werden müssen. 63. Bei
der Betrachtung der Probleme der Entwicklung kann man nicht anders, als den direkten
Zusammenhang zwischen Armut und Arbeitslosigkeit hervorzuheben. In vielen Fällen sind
die Armen das Ergebnis der Verletzung der Würde der menschlichen Arbeit, da
sowohl ihre Möglichkeiten beschränkt werden (Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung)
als auch »die Rechte, die sich aus ihr ergeben, vor allem das Recht auf angemessene
Entlohnung und auf die Sicherheit der Person des Arbeitnehmers und seiner Familie,
entleert werden«. Deswegen hat mein Vorgänger seligen Angedenkens Johannes Paul II.
schon am 1. Mai 2000 anläßlich des Jubiläums der Arbeiter zu einer »weltweiten Koalition
für würdige Arbeit« aufgerufen und dabei die Strategie der Internationalen Arbeitsorganisation
gefördert. Auf diese Weise hat er diesem Ziel als Bestrebung der Familien in allen
Ländern der Welt eine starke moralische Bestätigung verliehen. Was bedeutet das Wort
„Würde“ auf die Arbeit angewandt? Es bedeutet eine Arbeit, die in jeder Gesellschaft
Ausdruck der wesenseigenen Würde jedes Mannes und jeder Frau ist: eine frei gewählte
Arbeit, die die Arbeitnehmer, Männer und Frauen, wirksam an der Entwicklung ihrer
Gemeinschaft teilhaben läßt; eine Arbeit, die auf diese Weise den Arbeitern erlaubt,
ohne jede Diskriminierung geachtet zu werden; eine Arbeit, die es gestattet, die Bedürfnisse
der Familie zu befriedigen und die Kinder zur Schule zu schicken, ohne daß diese selber
gezwungen sind zu arbeiten; eine Arbeit, die den Arbeitnehmern erlaubt, sich frei
zu organisieren und ihre Stimme zu Gehör zu bringen; eine Arbeit, die genügend Raum
läßt, um die eigenen persönlichen, familiären und spirituellen Wurzeln wiederzufinden;
eine Arbeit, die den in die Rente eingetretenen Arbeitnehmern würdige Verhältnisse
sichert. 64. Beim Nachdenken über das Thema Arbeit ist auch ein Hinweis auf den
dringenden Bedarf angebracht, daß die Gewerkschaftsorganisationen der Arbeitnehmer,
die von der Kirche stets gefördert und unterstützt wurden, sich den neuen Perspektiven
öffnen, die im Bereich der Arbeit auftauchen. In Überwindung der eigenen Grenzen der
kategorialen Gewerkschaften sind die Gewerkschaftsorganisationen dazu aufgerufen,
sich um die neuen Probleme unserer Gesellschaft zu kümmern: Ich beziehe mich zum Beispiel
auf die Gesamtheit der Fragen, die die Sozialwissenschaftler im Konflikt zwischen
Arbeitnehmer und Konsument ermitteln. Ohne notwendigerweise die These eines erfolgten
Übergangs von der zentralen Rolle des Arbeiters zu der des Konsumenten vertreten zu
müssen, scheint es jedenfalls, daß auch das ein Gebiet für innovative Gewerkschaftserfahrungen
ist. Der globale Rahmen, in dem die Arbeit ausgeübt wird, verlangt auch, daß die nationalen
Gewerkschaftsorganisationen, die sich vorwiegend auf die Verteidigung der Interessen
der eigenen Mitglieder beschränken, den Blick ebenso auf die Nichtmitglieder richten
und insbesondere auf die Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern, wo die Sozialrechte
oft verletzt werden. Die Verteidigung dieser Erwerbstätigen, die auch durch geeignete
Initiativen gegenüber ihren Herkunftsländern gefördert wird, erlaubt den Gewerkschaftsorganisationen,
die echten ethischen und kulturellen Gründe hervorzuheben, die es ihnen unter anderen
sozialen und Arbeitszusammenhängen gestattet haben, ein entscheidender Faktor für
die Entwicklung zu sein. Stets bleibt die traditionelle Lehre der Kirche gültig, die
eine Rollen- und Aufgabenunterscheidung von Gewerkschaft und Politik vorschlägt. Diese
Unterscheidung erlaubt den Gewerkschaftsorganisationen, in der Zivilgesellschaft jenen
Bereich herauszufinden, der am meisten ihrer Tätigkeit entspricht, für die notwen-dige
Verteidigung und Förderung der Arbeitswelt vor allem zugunsten der ausgebeuteten und
nicht vertretenen Arbeitnehmer Sorge zu tragen, deren bittere Lage dem zerstreuten
Blick der Gesellschaft oft entgeht. 65. Ferner bedarf das Finanzwesen als
solches einer notwendigen Erneuerung der Strukturen und Bestimmungen seiner Funktionsweisen,
deren schlechte Anwendung die Realwirtschaft zuvor geschädigt hat. Auf diese Weise
kann es dann wieder ein auf die bessere Vermögensschaffung und auf die Entwicklung
zielgerichtetes Instrument werden. Die ganze Wirtschaft und das ganze Finanzwesen
– nicht nur einige ihrer Bereiche – müssen nach ethischen Maßstäben als Werkzeuge
gebraucht werden, so daß sie angemessene Bedingungen für die Entwicklung des Menschen
und der Völker schaffen. Es ist gewiß nützlich und unter manchen Umständen unerläßlich,
Finanzinitiativen ins Leben zu rufen, bei denen die humanitäre Dimension vorherrscht.
Dies darf aber nicht vergessen lassen, daß das Finanzsystem insgesamt auf die Unterstützung
einer echten Entwicklung zielgerichtet sein muß. Vor allem darf die Absicht, Gutes
zu tun, nicht der Intention nach der tatsächlichen Güterproduktionskapazität gegenübergestellt
werden. Die Finanzmakler müssen die eigentlich ethische Grundlage ihrer Tätigkeit
wieder entdecken, um nicht jene hoch entwickelten Instrumente zu mißbrauchen, die
dazu dienen können, die Sparer zu betrügen. Redliche Absicht, Transparenz und die
Suche nach guten Ergebnissen sind miteinander vereinbar und dürfen nie voneinander
gelöst werden. Wenn die Liebe klug ist, kann sie auch die Mittel finden, um gemäß
einer weitblickenden und gerechten Wirtschaftlichkeit zu handeln, wie viele Erfahrungen
auf dem Gebiet der Kreditgenossenschaften deutlich unterstreichen. Sowohl eine
Regulierung des Bereichs, welche die schwächeren Subjekte absichert und skandalöse
Spekulationen verhindert, als auch der Versuch neuer Finanzformen, die zur Förderung
von Entwicklungsprojekten bestimmt sind, bedeuten positive Erfahrungen, die vertieft
und gefördert werden müssen und zugleich an die Eigenverantwortung des Sparers appellieren.
Auch die Erfahrung des Mikrofinanzwesens, das seine eigenen Wurzeln in den
Überlegungen und Werken der bürgerlichen Humanisten hat – ich denke vor allem an das
Entstehen der Leihhäuser –, muß bestärkt und ausgearbeitet werden, besonders in diesen
Momenten, wo die Finanzprobleme für viele verwundbarere Teile der Bevölkerung, die
vor den Risiken von Wucher oder vor der Hoffnungslosigkeit geschützt werden müssen,
dramatisch werden können. Die schwächeren Subjekte müssen angeleitet werden, sich
vor dem Wucher zu verteidigen. Ebenso sind die armen Völker darin zu schulen, realen
Nutzen aus dem Mi-krokredit zu ziehen. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten von
Ausbeutung in diesen zwei Bereichen gebremst. Da es auch in den reichen Ländern neue
Formen von Armut gibt, kann das Mikrofinanzwesen Hilfen geben, neue Initiativen und
Bereiche zugunsten der schwachen Gesellschaftsschichten selbst in Phasen einer möglichen
Verarmung der Gesellschaft zu schaffen. 66. Die weltweite Vernetzung hat eine
neue politische Macht aufsteigen lassen, und zwar jene der Konsumenten und
ihrer Verbände. Es handelt sich um ein Phänomen, das eingehend zu studieren ist, weil
es positive Elemente enthält, die gefördert werden müssen, wie auch Übertreibungen,
die zu vermeiden sind. Es ist gut, daß sich die Menschen bewußt werden, daß das Kaufen
nicht nur ein wirtschaftlicher Akt, sondern immer auch eine moralische Handlung ist.
Die Konsumenten haben daher eine klare soziale Verantwortung, die mit der sozialen
Verantwortung des Unternehmens einhergeht. Sie müssen ständig zu der Rolle erzogen
werden, die sie täglich ausüben und die sie in der Achtung vor den moralischen Grundsätzen
ausführen können, ohne die eigene wirtschaftliche Vernünftigkeit des Kaufakts herabzusetzen.
Gerade in Zeiten wie denen, die wir erleben, wo die Kaufkraft sich verringern könnte
und man sich beim Konsum mäßigen sollte, ist es auch im Bereich des Erwerbs notwendig,
andere Wege zu beschreiten, wie zum Beispiel die Formen von Einkaufskooperativen wie
die Konsumgenossenschaften, die seit dem neunzehnten Jahrhundert auch dank der Initiative
von Katholiken tätig sind. Ferner ist es nützlich, neue Formen der Vermarktung von
Produkten, die aus unterdrückten Gebieten der Erde stammen, zu fördern, um den Erzeugern
einen annehmbaren Lohn zu sichern unter der Bedingung, daß es sich wirklich um einen
transparenten Markt handelt, daß die Erzeuger nicht nur eine höhere Gewinnspanne,
sondern auch eine bessere Ausbildung, Professionalität und Technologie erhalten und
daß sich schließlich mit solchen Wirtschaftserfahrungen für die Entwicklung nicht
parteiideologische Ansichten verbinden. Eine wirksamere Rolle der Verbraucher, wenn
diese selbst nicht von Verbänden manipuliert werden, die sie nicht wirklich vertreten,
ist als Faktor einer wirtschaftlichen Demokratie wünschenswert. 67. Gegenüber
der unaufhaltsamen Zunahme weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit wird gerade auch
bei einer ebenso weltweit anzutreffenden Rezession stark die Dringlichkeit einer Reform
sowohl der Organisation der Vereinten Nationen als auch der internationalen
Wirtschafts- und Finanzgestaltung empfunden, damit dem Konzept einer Familie der
Nationen reale und konkrete Form gegeben werden kann. Desgleichen wird als dringlich
gesehen, innovative Formen zu finden, um das Prinzip der Schutzverantwortung anzuwenden
und um auch den ärmeren Nationen eine wirksame Stimme in den gemeinschaftlichen Entscheidungen
zuzuerkennen. Dies scheint gerade im Hinblick auf eine politische, rechtliche und
wirtschaftliche Ordnung notwendig, die die internationale Zusammenarbeit auf die solidarische
Entwicklung aller Völker hin fördert und ausrichtet. Um die Weltwirtschaft zu steuern,
die von der Krise betroffenen Wirtschaften zu sanieren, einer Verschlimmerung der
Krise und sich daraus ergebenden Ungleichgewichten vorzubeugen, um eine geeignete
vollständige Abrüstung zu verwirklichen, die Sicherheit und den Frieden zu nähren,
den Umweltschutz zu gewährleisten und die Migrationsströme zu regulieren, ist das
Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität, wie sie schon von meinem
Vorgänger, dem seligen Papst Johannes XXIII., angesprochen wurde, dringend nötig.
Eine solche Autorität muß sich dem Recht unterordnen, sich auf konsequente Weise an
die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität halten, auf die Verwirklichung des
Gemeinwohls hingeordnet sein, sich für die Verwirklichung einer echten ganzheitlichen
menschlichen Entwicklung einsetzen, die sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit
inspirieren läßt. Darüber hinaus muß diese Autorität von allen anerkannt sein, über
wirksame Macht verfügen, um für jeden Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung
der Rechte zu gewährleisten. Offensichtlich muß sie die Befugnis besitzen, gegenüber
den Parteien den eigenen Entscheidungen wie auch den in den verschiedenen internationalen
Foren getroffenen abgestimmten Maßnahmen Beachtung zu verschaffen. In Ermangelung
dessen würde nämlich das internationale Recht trotz der großen Fortschritte, die auf
den verschiedenen Gebieten erzielt worden sind, Gefahr laufen, vom Kräftegleichgewicht
der Stärkeren bestimmt zu werden. Die ganzheitliche Entwicklung der Völker und die
internationale Zusammenarbeit erfordern, daß eine übergeordnete Stufe internationaler
Ordnung von subsidiärer Art für die Steuerung der Globalisierung errichtet wird und
daß eine der moralischen Ordnung entsprechende Sozialordnung sowie jene Verbindung
zwischen moralischem und sozialem Bereich, zwischen Politik und wirtschaftlichem und
zivilem Bereich, die schon in den Statuten der Vereinten Nationen dargelegt wurde,
endlich verwirklicht werden.
SECHSTES KAPITEL DIE ENTWICKLUNG
DER VÖLKER UND DIE TECHNIK68. Das Thema der Entwicklung der Völker ist eng
mit dem der Entwicklung jedes einzelnen Menschen verbunden. Der Mensch ist von seiner
Natur aus in dynamischer Weise auf die eigene Entwicklung ausgerichtet. Dabei handelt
es sich nicht um eine von natürlichen Mechanismen gewährleistete Entwicklung, denn
jeder von uns weiß, daß er imstande ist, freie und verantwortungsvolle Entscheidungen
zu treffen. Es handelt sich auch nicht um eine Entwicklung, die unserer Willkür überlassen
ist, da wir alle wissen, daß wir Geschenk sind und nicht Ergebnis einer Selbsterzeugung.
Die Freiheit ist in uns ursprünglich von unserem Sein und dessen Grenzen bestimmt.
Niemand formt eigenmächtig das eigene Bewußtsein, sondern alle bauen das eigene „Ich“
auf der Grundlage eines „Selbst“ auf, das uns gegeben ist. Wir können über andere
Menschen und auch über uns selbst nicht verfügen. Die Entwicklung des Menschen
verkommt, wenn er sich anmaßt, sein eigener und einziger Hervorbringer zu sein.
Ähnlich gerät die Entwicklung der Völker aus den Bahnen, wenn die Menschheit meint,
sich wieder-erschaffen zu können, wenn sie sich der „Wunder“ der Technik bedient.
So wie sich die wirtschaftliche Entwicklung als trügerisch und schädlich herausstellt,
wenn sie sich den „Wundern“ der Finanzwelt anvertraut, um ein unnatürliches und konsumorientiertes
Wachstum zu unterstützen. Gegenüber dieser prometheischen Anmaßung müssen wir die
Liebe zu einer Freiheit stärken, die nicht willkürlich ist, sondern durch die Anerkennung
des ihr vorausgehenden Guten menschlicher geworden ist. Dazu muß der Mensch wieder
zu sich kommen, um die Grundnormen des natürlichen Sittengesetzes zu erkennen, das
Gott ihm ins Herz geschrieben hat. 69. Das Problem der Entwicklung ist heute eng
mit dem technologischen Fortschritt und mit dessen erstaunlichen Anwendungen
im Bereich der Biologie verbunden. Die Technik – das sei hier unterstrichen – ist
eine zutiefst menschliche Erscheinung, die an die Autonomie und Freiheit des Menschen
geknüpft ist. In der Technik kommt zum Ausdruck und bestätigt sich die Herrschaft
des Geistes über die Materie. »Der Geist des Menschen kann sich, von der Versklavung
unter die Sachwelt befreit, ungehinderter zur Kontemplation und Anbetung des Schöpfers
erheben«. Die Technik gestattet es, die Materie zu beherrschen, die Risiken zu verringern,
Mühe zu sparen, die Lebensbedingungen zu verbessern. Sie entspricht der eigentlichen
Berufung der menschlichen Arbeit: In der Technik, die als Werk seines Geistes gesehen
wird, erkennt der Mensch sich selbst und verwirklicht das eigene Menschsein. Die Technik
ist der objektive Aspekt der menschlichen Arbeit, deren Ursprung und Daseinsberechtigung
im subjektiven Element liegt: dem arbeitenden Menschen. Darum ist die Technik niemals
nur Technik. Sie zeigt den Menschen und sein Streben nach Entwicklung, sie ist Ausdruck
der Spannung des menschlichen Gei-stes bei der schrittweisen Überwindung gewisser
materieller Bedingtheiten. Die Technik fügt sich daher in den Auftrag ein, »die
Erde zu bebauen und zu hüten« (vgl. Gen 2, 15), den Gott dem Menschen erteilt
hat, und muß darauf ausgerichtet sein, jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken,
der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes sein soll. 70. Die technologische Entwicklung
kann zur Idee verleiten, daß sich die Technik selbst genügt, wenn der Mensch sich
nur die Frage nach dem Wie stellt und die vielen Warum unbeachtet läßt,
von denen er zum Handeln angespornt wird. Das ist der Grund dafür, daß die Technik
ein zwiespältiges Gesicht annimmt. Da sie aus der menschlichen Kreativität als dem
Werkzeug der Freiheit der Person hervorgegangen ist, kann die Technik als Element
absoluter Freiheit verstanden werden, jener Freiheit, die von den Grenzen absehen
will, die die Dinge in sich tragen. Der Globalisierungsprozeß könnte die Ideologien
durch die Technik ersetzen, die selbst zu einer ideologischen Macht geworden ist und
die Menschheit der Gefahr aussetzt, sich in einem Apriorieingeschlossen zu
finden, aus dem sie nicht ausbrechen kann, um dem Sein und der Wahrheit zu begegnen.
In diesem Fall würden wir alle unsere Lebensumstände innerhalb eines technokratischen
Kulturhorizonts, dem wir strukturell angehören würden, erkennen, einschätzen und bestimmen,
ohne je einen Sinn finden zu können, den wir nicht selbst erzeugt haben. Diese Vorstellung
macht heute die technizistische Mentalität so stark, daß sie das Wahre mit dem Machbaren
zusammenfallen läßt. Wenn aber die Effizienz und der Nutzen das einzige Kriterium
der Wahrheit sind, wird automatisch die Entwicklung geleugnet. Denn die echte Entwicklung
besteht nicht in erster Linie im Tun. Schlüssel der Entwicklung ist ein Verstand,
der in der Lage ist, die Technik zu durchdenken und den zutiefst menschlichen Sinn
des Tuns des Menschen im Sinnhorizont der in der Gesamtheit ihres Seins genommenen
Person zu erfassen. Auch wenn der Mensch durch einen Satelliten oder einen ferngesteuerten
elektronischen Impuls tätig ist, bleibt sein Tun immer menschlich, Ausdruck verantwortlicher
Freiheit. Die Technik wirkt auf den Menschen sehr anziehend, weil sie ihn den physischen
Beschränkungen entreißt und seinen Horizont erweitert. Aber die menschliche Freiheit
ist nur dann im eigentlichen Sinn sie selbst, wenn sie auf den Zauber der Technik
mit Entscheidungen antwortet, die Frucht moralischer Verantwortung sind. Daraus
ergibt sich die Dringlichkeit einer Erziehung zur sittlichen Verantwortung im Umgang
mit der Technik. Ausgehend von der Faszination, die die Technik auf den Menschen ausübt,
muß man den wahren Sinn der Freiheit wiedergewinnen, die nicht in der Trunkenheit
einer totalen Autonomie besteht, sondern in der Antwort auf den Aufruf des Seins,
angefangen bei dem Sein, das wir selbst sind. 71. Dieses mögliche Abweichen der
technischen Denkweise von ihrem ursprünglichen humanistischen Lauf ist heute in den
Phänomenen der Technisierung sowohl der Entwicklung wie des Friedens offenkundig.
Häufig wird die Entwicklung der Völker als eine Frage der Finanzierungstechnik, der
Öffnung der Märkte, der Zollsenkung, der roduktionsinvestitionen, der institutionellen
Reformen – letztlich als eine rein technische Frage gesehen. Alle diese Bereiche sind
äußerst wichtig, aber man muß sich fragen, warum die Entscheidungen technischer Art
bis jetzt nur einigermaßen funktioniert haben. Der Grund dafür muß tiefer gesucht
werden. Die Entwicklung wird niemals von gleichsam automatischen und unpersönlichen
Kräften – seien es jene des Marktes oder jene der internationalen Politik – vollkommen
garantiert werden. Ohne rechtschaffene Menschen, ohne Wirtschaftsfachleute und
Politiker, die in ihrem Gewissen den Aufruf zum Gemeinwohl nachdrücklich leben, ist
die Entwicklung nicht möglich. Sowohl die berufliche Vorbereitung wie die moralische
Konsequenz sind vonnöten. Wenn sich die Verabsolutierung der Technik durchsetzt, kommt
es zu einer Verwechslung von Zielen und Mitteln; der Unternehmer wird als einziges
Kriterium für sein Handeln den höchsten Gewinn der Produktion ansehen; der Politiker
die Festigung der Macht; der Wissenschaftler das Ergebnis seiner Entdeckungen. So
geschieht es, daß oft unter dem Netz der Wirtschafts-, Finanz- oder politischen Beziehungen
Unverständnis, Unbehagen und Ungerechtigkeiten weiterbestehen; die Ströme technischen
Fachwissens vervielfachen sich, allerdings zum Vorteil ihrer Eigentümer, während die
tatsächliche Situation der Völker, die jenseits und fast immer im Schatten dieser
Ströme leben, weiter unverändert und ohne reale Emanzipationsmöglichkeiten bleibt. 72. Auch
der Friede läuft mitunter Gefahr, als ein technisches Produkt – lediglich als Ergebnis
von Abkommen zwischen Regierungen oder von Initiativen zur Sicherstellung effizienter
Wirtschaftshilfen – betrachtet zu werden. Es stimmt, daß der Aufbau des Friedens
das ständige Knüpfen diplomatischer Kontakte, wirtschaftlichen und technologischen
Austausch, kulturelle Begegnungen, Abkommen über gemeinsame Vorhaben ebenso erfordert
wie die Übernahme gemeinsam geteilter Verpflichtungen, um kriegerische Bedrohungen
einzudämmen und die regelmäßig wiederkehrenden terroristischen Versuchungen an der
Wurzel freizulegen. Damit diese Bemühungen dauerhafte Wirkungen hervorbringen können,
müssen sie sich allerdings auf Werte stützen können, die in der Wahrheit des Lebens
verwurzelt sind. Das heißt, man muß die Stimme der betreffenden Bevölkerung hören
und sich ihre Lage anschauen, um ihre Erwartungen entsprechend zu deuten. Hier muß
man sich sozusagen ständig in eine Linie mit der anonym geleisteten Anstrengung so
vieler Menschen stellen, die sich sehr dafür engagieren, die Begegnung zwischen den
Völkern zu fördern und die Entwicklung ausgehend von Liebe und gegenseitigem Verständnis
zu begünstigen. Unter diesen Personen sind auch gläubige Christen, die an der großen
Aufgabe beteiligt sind, der Entwicklung und dem Frieden einen vollauf menschlichen
Sinn zu geben. 73. Mit der technologischen Entwicklung verbunden ist die gestiegene
Verbreitung der sozialen Kommunikationsmittel. Es ist bereits fast unmöglich,
sich die Existenz der menschlichen Familie ohne sie vorzustellen. Im guten wie im
bösen sind sie dermaßen im Leben der Welt präsent, daß die Einstellung derjenigen,
die die Neutralität der sozialen Kommunikationsmittel behaupten und daher ihre Autonomie
in bezug auf die die Menschen betreffende Moral fordern, wirklich absurd erscheint.
Derartige Sichtweisen, die die strikt technische Natur der Medien nachdrücklich betonen,
begünstigen tatsächlich oft ihre Unterordnung unter das wirtschaftliche Kalkül, unter
die Absicht, die Märkte zu beherrschen, und nicht zuletzt unter das Verlangen, kulturelle
Parameter aufzuerlegen, die Projekten ideologischer und politischer Macht dienen.
Angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung bei der Bestimmung von Veränderungen in der
Art und Weise, wie die Wirklichkeit und die menschliche Person selbst wahrgenommen
und kennengelernt wird, wird ein aufmerksames Nachdenken über ihren Einfluß besonders
gegenüber der ethisch-kulturellen Dimension der Globalisierung und der solidarischen
Entwicklung der Völker notwendig. Entsprechend dem, was von einem korrekten Umgang
mit der Globalisierung und Entwicklung gefordert wird, müssen Sinn und Zielsetzung
der Medien auf anthropologischer Grundlage gesucht werden. Das heißt, daß sie
nicht nur dann Gelegenheit zur Humanisierung werden können, wenn sie dank der
technologischen Entwicklung größere Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten
bieten, sondern vor allem dann, wenn sie im Licht eines Bildes vom Menschen und vom
Gemeinwohl, das deren universale Bedeutung widerspiegelt, organisiert und ausgerichtet
werden. Die sozialen Kommunikationsmittel begünstigen weder die Freiheit noch globalisieren
sie die Entwicklung und die Demokratie für alle einfach deshalb, weil sie die Möglichkeiten
der Verbindung und Zirkulation von Ideen vervielfachen. Um solche Ziele zu erreichen,
müssen sie auf die Förderung der Würde der Menschen und der Völker ausgerichtet sein,
ausdrücklich von der Liebe beseelt sein und im Dienst der Wahrheit, des Guten sowie
der natürlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit stehen. In der Menschheit ist die
Freiheit nämlich mit diesen höheren Werten innerlich verbunden. Die Medien können
eine wertvolle Hilfe darstellen, um die Gemeinschaft der menschlichen Familie und
das Ethos der Gesellschaften wachsen zu lassen, wenn sie Werkzeuge zur Förderung der
allgemeinen Teilnahme an der gemeinsamen Suche nach dem, was gerecht ist, werden. 74. Der
wichtigste und entscheidende Bereich der kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem
Absolutheitsanspruch der Technik und der moralischen Verantwortung des Menschen ist
heute die Bioethik, wo auf radikale Weise die Möglichkeit einer ganzheitlichen
menschlichen Entwicklung selbst auf dem Spiel steht. Es handelt sich um einen äußerst
heiklen und entscheidenden Bereich, in dem mit dramatischer Kraft die fundamentale
Frage auftaucht, ob sich der Mensch selbst hervorgebracht hat oder ob er von Gott
abhängt. Die wissenschaftlichen Entdeckungen auf diesem Gebiet und die Möglichkeiten
technischer Eingriffe scheinen so weit vorangekommen zu sein, daß sie uns vor die
Wahl zwischen den zwei Arten der Rationalität stellen: die auf Transzendenz hin offene
Vernunft oder die in der Immanenz eingeschlossene Vernunft. Man steht also vor einem
entscheidenden Entweder-Oder. Die Rationalität des auf sich selbst zentrierten technischen
Machens erweist sich jedoch als irrational, weil sie eine entschiedene Ablehnung von
Sinn und Wert mit sich bringt. Nicht zufällig prallen das Sich-Verschließen gegenüber
der Transzendenz und die Schwierigkeit zu denken, wie aus dem Nichts das Sein hervorgegangen
und wie aus dem Zufall der Verstand entstanden sein soll, aufeinander. Angesichts
dieser dramatischen Probleme helfen sich Vernunft und Glaube gegenseitig. Nur gemeinsam
werden sie den Menschen retten. Die vom reinen technischen Tun gefesselte Vernunft
ist ohne den Glauben dazu verurteilt, sich in der Illusion der eigenen Allmacht zu
verlieren. Der Glaube ist ohne die Vernunft der Gefahr der Entfremdung vom konkreten
Leben der Menschen ausgesetzt. 75. Schon Papst Paul VI. hatte den weltweiten
Horizont der sozialen Frage erkannt und auf ihn hingewiesen. Wenn man ihm auf diesem
Weg folgt, muß man heute feststellen, daß die soziale Frage in radikaler Weise
zu einer anthropologischen Frage geworden ist, insofern sie die Möglichkeit selbst
beinhaltet, das Leben, das von den Biotechnologien immer mehr in die Hände des Menschen
gelegt wird, nicht nur zu verstehen, sondern auch zu manipulieren. In der heutigen
Kultur der totalen Ernüchterung, die glaubt, alle Geheimnisse aufgedeckt zu haben,
weil man bereits an die Wurzel des Lebens gelangt ist, kommt es zur Entwicklung und
Förderung von In-vitro-Fertilisation, Embryo-nenforschung, Möglichkeiten des Klonens
und der Hybridisierung des Menschen. Hier findet der Absolutheitsanspruch der Technik
seinen massivsten Ausdruck. In dieser Art von Kultur ist das Gewissen nur dazu berufen,
eine rein technische Möglichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Man kann jedoch nicht die
beunruhigenden Szenarien für die Zukunft des Menschen und die neuen mächtigen Instrumente,
die der »Kultur des Todes« zur Verfügung stehen, bagatellisieren. Zur verbreiteten
tragischen Plage der Abtreibung könnte in Zukunft – aber insgeheim bereits jetzt schon
in nuce vorhanden – eine systematische eugenische Geburtenplanung hinzukommen.
Auf der entgegengesetzten Seite wird einer mens euthanasica der Weg bereitet,
einem nicht weniger mißbräuchlichen Ausdruck der Herrschaft über das Leben, das unter
bestimmten Bedingungen als nicht mehr lebenswert betrachtet wird. Hinter diesen Szenarien
stehen kulturelle Auffassungen, welche die menschliche Würde leugnen. Diese Praktiken
sind ihrerseits dazu bestimmt, eine materielle und mechanistische Auffassung vom menschlichen
Leben zu nähren. Wer wird die negativen Auswirkungen einer solchen Mentalität auf
die Entwicklung ermessen können? Wie wird man sich noch über die Gleichgültigkeit
gegenüber den Situa-tionen menschlichen Verfalls wundern können, wenn die Gleichgültigkeit
sogar unsere Haltung gegenüber dem, was menschlich ist oder nicht, kennzeichnet? Es
verwundert einen die willkürliche Selektivität all dessen, was heute als achtenswert
vorgeschlagen wird. Während viele gleich bereit sind, sich über Nebensächlichkeiten
zu entrüsten, scheinen sie unerhörte Ungerechtigkeiten zu tolerieren. Während die
Armen der Welt noch immer an die Türen der Üppigkeit klopfen, läuft die reiche Welt
Gefahr, wegen eines Gewissens, das bereits unfähig ist, das Menschliche zu erkennen,
jene Schläge an ihre Tür nicht mehr zu hören. Gott enthüllt dem Menschen den Menschen;
die Vernunft und der Glaube arbeiten zusammen, ihm das Gute zu zeigen, wenn er es
nur sehen wollte; das Naturrecht, in dem die schöpferische Vernunft aufscheint, zeigt
die Größe des Menschen auf, aber auch sein Elend, wenn er den Ruf der moralischen
Wahrheit nicht annimmt. 76. Einer der Aspekte des modernen technisierten Geistes
besteht in der Neigung, die mit dem Innenleben verbundenen Fragen und Regungen nur
unter einem psychologischen Gesichtspunkt bis hin zum neurologischen Reduktionismus
zu betrachten. Die Innerlichkeit des Menschen wird so entleert, und das Bewußtsein
von der ontologischen Beschaffenheit der menschlichen Seele mit ihren Tiefen, die
die Heiligen auszuloten wußten, geht allmählich verloren. Die Frage der Entwicklung
ist auch mit unserer Auffassung von der Seele des Menschen eng verbunden, da unser
Ich oft auf die Psyche reduziert wird und die Gesundheit der Seele mit dem emotionalen
Wohlbefinden verwechselt wird. Diesen Verkürzungen liegt ein tiefes Unverständnis
des geistlichen Lebens zugrunde. Sie führen dazu, nicht anerkennen zu wollen, daß
die Entwicklung des Menschen und der Völker jedoch auch von der Lösung von Problemen
geistlicher Art abhängt. Die Entwicklung muß außer dem materiellen auch ein geistig-geistliches
Wachstum umfassen, weil der Mensch eine »Einheit aus Seele und Leib« ist, geboren
von der schöpferischen Liebe Gottes und zum ewigen Leben bestimmt. Der Mensch entwickelt
sich, wenn er im Geist wächst, wenn seine Seele sich selbst und die Wahrheiten erkennt,
die Gott ihr keimhaft eingeprägt hat, wenn er mit sich selbst und mit seinem Schöpfer
redet. Fern von Gott ist der Mensch unstet und krank. Die soziale und psychologische
Entfremdung und die vielen Neurosen, die für die reichen Gesellschaften kennzeichnend
sind, verweisen auch auf Ursachen geistlicher Natur. Eine materiell entwickelte, aber
für die Seele bedrückende Wohlstandsgesellschaft ist an und für sich nicht auf echte
Entwicklung ausgerichtet. Die neuen Formen der Knechtschaft der Droge und die Verzweiflung,
in die viele Menschen geraten, finden nicht nur eine soziologische und psychologische,
sondern eine im wesentlichen geistliche Erklärung. Die Leere, der sich die Seele trotz
vieler Therapien für Leib und Psyche überlassen fühlt, ruft Leiden hervor. Es gibt
keine vollständige Entwicklung und kein universales Gemeinwohl ohne das geistliche
und moralische Wohlder in ihrer Gesamtheit von Seele und Leib gesehenen
Personen. 77. Der Absolutheitsanspruch der Technik neigt dazu, eine Unfähigkeit
entstehen zu lassen, das wahrzunehmen, was sich nicht mit der bloßen Materie erklären
läßt. Und doch erfahren alle Menschen so viele immaterielle und geistige Aspekte ihres
Lebens. Erkennen ist nicht ein nur materieller Akt, weil das Erkannte immer etwas
verbirgt, was über die empirische Gegebenheit hinausgeht. Jede Erkenntnis, auch die
einfach-ste, ist immer ein kleines Wunder, weil sie sich mit den materiellen Mitteln,
die wir anwenden, nie vollständig erklären läßt. In jeder Wahrheit steckt mehr, als
wir selbst es uns erwartet hätten, in der Liebe, die wir empfangen, ist immer etwas
für uns Überraschendes. Wir sollten niemals aufhören, angesichts dieser Wunder zu
staunen. In jeder Erkenntnis und in jeder Liebeshandlung erlebt die Seele des Menschen
ein »Mehr«, das sehr einer empfangenen Gabe gleicht, einer Erhabenheit, zu der wir
uns erhöht fühlen. Auch die Entwicklung des Menschen und der Völker steht auf einer
ähnlichen Höhe, wenn wir die geistige Dimension betrachten, die diese Entwicklung
notwendigerweise kennzeichnen muß, damit sie echt sein kann. Sie erfordert neue Augen
und ein neues Herz, die imstande sind, die materialistische Sicht der menschlichen
Geschehnisse zu überwinden und in der Entwicklung ein „darüber hinaus“ zu sehen,
das die Technik nicht geben kann. Auf diesem Weg wird es möglich sein, jene ganzheitliche
menschliche Entwicklung fortzusetzen, die ihr Orientierungskriterium in der Antriebskraft
der Liebe in der Wahrheit hat.
SCHLUSS78. Ohne Gott weiß der Mensch
nicht, wohin er gehen soll, und vermag nicht einmal zu begreifen, wer er ist. Angesichts
der enormen Probleme der Entwicklung der Völker, die uns fast zur Mutlosigkeit und
zum Aufgeben drängen, kommt uns das Wort des Herrn Jesus Christus zu Hilfe, der uns
wissen läßt: »Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh 15, 5) und
uns ermutigt: »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 20).
Angesichts der Arbeitsfülle, die zu bewältigen ist, werden wir im Glauben an die Gegenwart
Gottes aufrechterhalten an der Seite derer, die sich in seinem Namen zusammentun und
für die Gerechtigkeit arbeiten. Papst Paul VI. hat uns in Populorum progressio
daran erinnert, daß der Mensch nicht in der Lage ist, seinen Fortschritt allein zu
betreiben, weil er nicht von sich aus einen echten Humanismus begründen kann. Nur
wenn wir daran denken, daß wir als einzelne und als Gemeinschaft dazu berufen sind,
als seine Kinder zur Familie Gottes zu gehören, werden wir auch dazu fähig sein, ein
neues Denken hervorzubringen und neue Kräfte im Dienst eines echten ganzheitlichen
Humanismus zu entfalten. Die große Kraft im Dienst der Entwicklung ist daher ein christlicher
Humanismus, der die Liebe belebt und sich von der Wahrheit leiten läßt, indem er die
eine und die andere als bleibende Gabe Gottes empfängt. Die Verfügbarkeit gegenüber
Gott öffnet uns zur Verfügbarkeit gegenüber den Brüdern und gegenüber einem Leben,
das als solidarische und frohe Aufgabe verstanden wird. Umgekehrt stellen die ideologische
Verschlossenheit gegenüber Gott und der Atheismus der Gleichgültigkeit, die den Schöpfer
vergessen und Gefahr laufen, auch die menschlichen Werte zu vergessen, heute die größten
Hindernisse für die Entwicklung dar. Der Humanismus, der Gott ausschließt, ist
ein unmenschlicher Humanismus. Nur ein für das Absolute offener Humanismus kann
uns bei der Förderung und Verwirklichung von sozialen und zivilen Lebensformen – im
Bereich der Strukturen, der Einrichtungen, der Kultur, des Ethos – leiten, indem er
uns vor der Gefahr bewahrt, zu Gefangenen von Moden des Augenblicks zu werden. Es
ist das Wissen um die unzerstörbare Liebe Gottes, das uns in dem mühsamen und erhebenden
Einsatz für die Gerechtigkeit und für die Entwicklung der Völker zwischen Erfolgen
und Mißerfolgen in der unablässigen Verfolgung rechter Ordnungen für die menschlichen
Angelegenheiten unterstützt. Die Liebe Gottes ruft uns zum Aussteigen aus allem,
was begrenzt und nicht endgültig ist; sie macht uns Mut, weiter zu arbeiten in der
Suche nach dem Wohl für alle, auch wenn es sich nicht sofort verwirklichen läßt,
auch wenn das, was uns zu verwirklichen gelingt – uns und den politischen Autoritäten
und Wirtschaftsfachleuten –, stets weniger ist als das, was wir anstreben. Gott gibt
uns die Kraft, zu kämpfen und aus Liebe für das gemeinsame Wohl zu leiden, weil er
unser Alles, unsere größte Hoffnung ist. 79. Die Entwicklung braucht Christen,
die die Arme zu Gott erheben in der Geste des Gebets, Christen, die von dem Bewußtsein
getragen sind, daß die von Wahrheit erfüllte Liebe, caritas in veritate, von
der die echte Entwicklung ausgeht, nicht unser Werk ist, sondern uns geschenkt wird.
Darum müssen wir auch in den schwierigsten und komplizierte-sten Angelegenheiten nicht
nur bewußt reagieren, sondern uns vor allem auf seine Liebe beziehen. Die Entwicklung
beinhaltet Aufmerksamkeit für das geistliche Leben, ernsthafte Beachtung der Erfahrungen
des Gottvertrauens, der geistlichen Brüderlichkeit in Christus, des Sich-Anvertrauens
an die göttliche Vorsehung und Barmherzigkeit, der Liebe und Vergebung, des Selbstverzichts,
der Annahme des Nächsten, der Gerechtigkeit und des Friedens. Das alles ist unverzichtbar,
um die »Herzen von Stein« in »Herzen von Fleisch« zu verwandeln (Ez 36, 26),
um so das Leben auf der Erde „göttlich“ und damit menschenwürdiger zu machen. Das
alles gehört dem Menschen, weil der Mensch Subjekt seiner Existenz ist; und
zugleich gehört es Gott, weil Gott am Anfang und am Ende von all dem steht,
was gilt und erlöst: »Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch;
ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott« (1 Kor 3, 22-23). Das tiefe
Verlangen des Christen ist, daß die ganze menschliche Familie Gott als »Vater unser!«
anrufen kann. Zusammen mit dem Eingeborenen Sohn können alle Menschen lernen, zum
Vater zu beten und ihn mit den Worten, die Jesus selbst uns gelehrt hat, zu bitten,
ihn heiligen zu können, wenn sie nach seinem Willen leben, und dann das nötige tägliche
Brot zu haben sowie Verständnis und Großzügigkeit gegenüber den Schuldigern, nicht
zu sehr auf die Probe gestellt und vom Bösen befreit zu werden (vgl. Mt 6,
9-13). Zum Abschluß des Paulusjahres möchte ich diesen Wunsch mit den Worten
des Apostels aus dem Brief an die Römer zum Ausdruck bringen: »Eure Liebe
sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher
Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung« (12, 9-10). Die Jungfrau
Maria, die von Papst Paul VI. zur Mater Ecclesiae erklärt wurde und vom christlichen
Volk als Speculum iustitiae und Regina pacis verehrt wird, beschütze
uns und erhalte uns durch ihre himmlische Fürsprache die Kraft, die Hoffnung und die
Freude, die wir brauchen, um uns weiterhin großzügig der Verpflichtung zu widmen,
»die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen« zu verwirklichen. Gegeben
zu Rom, Sankt Peter, am 29. Juni, dem Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus,
im Jahr 2009, dem fünften Jahr meines Pontifikats.