Die deutschen Bischöfe haben die neue Enzyklika des Papstes als „großartiges Werk“
begrüßt. Benedikt XVI. habe in der gegenwärtigen Krise eine „hochaktuelle“ und „eindrucksvolle“
Botschaft vorgelegt, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof
Robert Zollitsch, am Dienstag vor Journalisten in Freiburg. Wir dokumentieren hier
die offizielle Erklärung der Bischofskonferenz zur Veröffentlichung der neuen Enzyklika
„Caritas in veritate“ im Wortlaut: „Liebe im Dienst einer humanen Entwicklung
weltweit“ Erzbischof Robert Zollitsch würdigt neue Enzyklika „Caritas in
veritate“ Die heute im Vatikan vorgestellte Enzyklika „Caritas in veritate“
von Papst Benedikt XVI. hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz als entscheidenden
Beitrag zur aktuellen Globalisierungs- und Gerechtigkeitsdebatte bezeichnet. „Nicht
zuletzt der Zeitpunkt der Veröffentlichung – einen Tag vor Beginn des G8-Gipfels in
L’Aquila – macht die Dringlichkeit des Anliegens deutlich. Der Papst ruft nicht nur
die Verantwortlichen der wichtigsten Industrienationen der Welt auf, den aktuellen
Herausforderungen mutig zu begegnen und dabei die notwendigen ethischen Grundlagen
nicht zu vergessen, sondern ermutigt alle Menschen guten Willens, sich als Gestalter,
nicht als Opfer derzeitiger Entwicklungen zu sehen. Umdenken ist bei allen gefordert!“,
so Erzbischof Zollitsch.
Die Enzyklika „Caritas in veritate“ ist von Papst
Benedikt XVI. am 29. Juni 2009 unterschrieben worden. Sie ist das dritte Lehrschreiben
im Pontifikat von Benedikt XVI. Bereits 2007 veröffentlichte er seine Enzyklika „Spe
Salvi“ über die christliche Hoffnung und zuvor 2006 die Enzyklika „Deus Caritas est“
über die christliche Liebe.
Wir dokumentieren den Wortlaut der Würdigung
der neuen Enzyklika durch Erzbischof Dr. Robert Zollitsch:
Die seit mehr
als zwei Jahren mit Spannung erwartete erste Sozialenzyklika und nach Deus caritas
est und Spe salvi die insgesamt dritte Enzyklika von Papst Benedikt XVI.
wurde heute in Rom veröffentlicht. Unterzeichnet hat sie Papst Benedikt am 29. Juni
2009, dem Hochfest der Apostel Petrus und Paulus. Sie war bereits für das Jahr 2007
– zum 40. Jahrestag der Enzyklika Papst Paul VI. Populorum progressio – angekündigt
und erscheint nun, zwei Jahre später. Mit der vorliegenden Enzyklika trägt der Papst
zugleich der krisenhaften Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten und in
der Realwirtschaft Rechnung wie er auch dem im Zweiten Vatikanischen Konzil erteilten
bleibenden Auftrag gerecht wird, nach den jeweiligen „Zeichen der Zeit“ zu forschen
und sie im Licht des Evangeliums zu deuten.
Die Enzyklika „Caritas in veritate“
steht ganz in der Tradition der Soziallehre der katholischen Kirche. Den entscheidenden
Anknüpfungspunkt für die aktuelle Frage nach den Herausforderungen, die die fortschreitende
Globalisierung für die Kirche bedeutet, stellt die erste Entwicklungsenzyklika Populorum
progressio aus dem Jahr 1967dar. In ihr wurde erstmalig die soziale Frage
als eine weltweite behandelt und die Fragen der Entwicklung der Völker beleuchtet.
Da bereits 20 Jahre später Papst Johannes Paul II. eine weitere Entwicklungsenzyklika
Sollicitudo rei socialis veröffentlichte, bekräftigt Papst Benedikt nun mit
seiner neuen, der dritten Entwicklungsenzyklika, dass „die Enzyklika Populorum
progressio (es) verdient, als die Rerum novarum unserer Zeit angesehen
zu werden“ (8). [1]
Bevor ich eine Würdigung der Enzyklika vornehme,
möchte ich Ihnen kursorisch einen Einblick in die Inhalte geben:
Der Titel
der Enzyklika, der immer aus den ersten Worten des lateinischen Textes besteht, nimmt
ein Wort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesus auf, in dem
von der „Wahrheit in der Liebe“ (Eph 4,15) die Rede ist. Umgekehrt macht der Papst
deutlich, dass auch die Liebe „ihrerseits im Licht der Wahrheit verstanden, bestätigt
und praktiziert werden [muss].“ Benedikt richtet sein spezielles Augenmerk darauf,
dass in der im gesellschaftlichen Leben verwirklichten Liebe die Wahrheit sich als
glaubwürdig erweist. „Nur in der Wahrheit erstrahlt die Liebe und kann glaubwürdig
gelebt werden“ (3), ohne diesen Zusammenhang droht die Liebe in „Sentimentalität“
oder „Fideismus“ abzugleiten.
Die Enzyklika umfasst sechs große Kapitel. Die
vorangestellte Einleitung legt das theologische und sozialethische Fundament für das
Folgende: Die „Liebe“ wird als der Hauptweg der Soziallehre der Kirche definiert,
was durch den engen Zusammenhang, den der Papst zwischen Liebe und Gerechtigkeit herstellt
– womit er ein Motiv aus Deus caritas est aufgreift –, sowie durch den Verweis
auf das Gemeinwohl als entscheidendes Kriterium, näher erläutert wird. Ausdrücklich
erwähnt wird dabei der institutionelle bzw. politische Weg der Nächstenliebe. Der
Bezug auf die Liebe impliziert mithin durchaus auch strukturethische Aspekte (7).
Dem so von der Liebe inspirierten Handeln des Menschen kommt höchste Bedeutung zu:
Es „trägt … zum Aufbau jener universellen Stadt Gottes bei, auf die sich die Geschichte
der Menschheitsfamilie zu bewegt.“ (7) Engagement für das Gemeinwohl der gesamten
Menschheitsfamilie macht die „Stadt des Menschen […] zu einer vorausdeutenden Antizipation
der grenzenlosen Stadt Gottes“.
Im 1. Kapitel nimmt Benedikt eine Relecture
von Populorum progressio vor: zur integralen menschlichen Entwicklung jedes
und aller Menschen trägt die Kirche umfassend, also durch die Bezeugung, das Feiern
und Bewirken der Liebe bei.
Im 2. Kapitel skizziert der Papst sehr differenziert
„die Entwicklung des Menschen in unserer Zeit“. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen
Krise spricht er nicht nur von den wirtschaftlichen Aspekten, sondern behandelt unter
anderem Fragen der weltweiten Armut, der Finanzmarktkrise, des Umweltschutzes und
der Migration. Bei der Suche nach Lösungen bedarf es „einer tiefgreifenden kulturellen
Erneuerung und der Wiederentdeckung von Grundwerten“.
Das 3. Kapitel greift
dieses Anliegen unter den Stichworten von „Brüderlichkeit, wirtschaftlicher Entwicklung
und Zivilgesellschaft“ auf. Die Gesamtgesellschaft und nicht nur der Staat wird in
die Verantwortung genommen, speziell, wenn es um den Markt und das Bemühen um Gerechtigkeit
geht. Die in der letzten Sozialenzyklika Johannes Pauls II. klare, prinzipiell positive
Stellungnahme zum Markt erfährt hier noch einmal eine deutliche Verstärkung, wenngleich
auch hervorgehoben wird, dass es Ziele gibt, die die Möglichkeiten des Marktes übersteigen
(vgl. 35). Auch in der positiven Würdigung der unternehmerischen Initiative schließt
Benedikt an seinen Vorgänger an.
Das 4. Kapitel handelt sodann von der „Entwicklung
der Völker, von Rechten und Pflichten, und von der Umwelt“. Die Wirtschaft wird verpflichtet
auf eine „menschenfreundliche Ethik“ (45), als deren eine zentrale Dimension auch
die „verantwortungsvolle Steuerung über die Natur“ (50) genannt wird. Der Umgang mit
der natürlichen Umwelt „stellt für uns eine Verantwortung gegenüber den Armen, den
künftigen Generationen und der ganzen Menschheit dar“ (48). Damit wird unmissverständlich
deutlich: Der globale Frieden hat auch eine ökologische Dimension! Hier kommt der
Kirche eine besondere Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung zu, wobei es insbesondere
darum geht, „den Menschen gegen seine Selbstzerstörung [zu]schützen“ (51).
Das
5. Kapitel widmet sich der Zusammenarbeit der Menschheitsfamilie: Es geht um „Integration
im Zeichen der Solidarität und nicht der Verdrängung“ (53). Die klassischen Sozialprinzipien
Solidarität und Subsidiarität werden in ihrer wechselseitigen Verwiesenheit für eine
nachhaltige Entwicklung der Menschheitsfamilie entfaltet. Dabei wird für den spezifischen
Beitrag des Christentums zum Aufbau der sozialen Gemeinschaft besonderer Raum gefordert.
Zugleich erkennt die Enzyklika an, dass andere Kulturen und Religionen, die Brüderlichkeit
und Frieden lehren, ebenfalls einen Beitrag zur ganzheitlichen Entwicklung des Menschen
leisten können.
Auf der Basis der Erkenntnis, dass die „Entwicklung des Menschen
verkommt, wenn er sich anmaßt, sein eigener und einziger Hervorbringer zu sein“ (68),
entfaltet das letzte Kapitel höchst komplexe Gedanken zur Bedeutung der Technik für
die Entwicklung der Völker. Dabei wird deutlich: Technik, als Ausdruck menschlicher
Freiheit und Autonomie durchaus positiv gewertet, bedarf immer eines dementsprechenden
verantworteten Umgangs und Einsatzes.
Der Schluss der Enzyklika lenkt den
Blick wieder auf den grundlegenden Gedanken einer wahren, integralen, christlichen
und damit zugleich humanen Entwicklung des einzelnen und aller Menschen. Solche Entwicklung
braucht Christen, die sich bei allem Engagement für Gerechtigkeit und Gemeinwohl weltweit
bewusst bleiben, dass echte Entwicklung letztlich nicht Menschenwerk, sondern Geschenk
Gottes ist. Würdigung:
Die Sozialenzyklika Caritas
in veritate ist ein großartiges Werk, das allen Menschen guten Willens zentrale
Voraussetzungen einer menschengerechten und -würdigen Entwicklung – und damit auch
der Globalisierung – vor Augen hält. Es beeindruckt, wie es Papst Benedikt XVI. gelingt,
die Dynamik und Kraft der Liebe, die er bereits in den Mittelpunkt seiner Antrittsenzyklika
„Deus Caritas est“ stellte, nun mit Blick auf die unterschiedlichen Aspekte, Forderungen
und Erscheinungsweisen im sozialen Bereich zu entfalten. Dabei legt er eine höchst
eindrucksvolle, in der gegenwärtigen Krise hochaktuelle und vielschichtige soziale
Verkündigung vor, die dem klaren Grundgedanken folgt: Es geht um die ganzheitliche
Entwicklung des Menschen, die nur im Kontext der Gemeinschaft, für die es Verantwortung
zu übernehmen gilt, ganz zur Entfaltung kommt und die dem Potential einer wahrhaften,
wahrheits- und vernunftgeleiteten Liebe entstammt: „Caritas in Veritate“.
Die
stringente Ausrichtung auf den Menschen und seine humane Entwicklung als Fokus des
gesellschaftlichen und besonders auch des wirtschaftlichen Lebens unterscheidet die
Enzyklika wohltuend von Ausarbeitungen, die eine partikuläre Orientierung an wirtschaftsethischen
Einzelfragen oder einseitig an der Welt der Wirtschaft aufweisen und die der Zentralität
des Menschen nicht in vollem Umfang gerecht werden. Einer Zentralität, die einerseits
der Vernunft zugänglich ist und zugleich dem Glauben entspricht, dass der Mensch Abbild
Gottes ist und eine entsprechende Beachtung verlangt. Auf diesem Hintergrund erörtert
der Papst praktisch das gesamte Spektrum drängender Problemstellungen unter den Bedingungen
einer Krise der globalisierten Weltwirtschaft und -gesellschaft, die die Aktualität
der Thematik verdeutlichen. Niemals kommt dabei die Perspektive des einzelnen Menschen
und seiner Moral und Verantwortung zu kurz, übrigens auch nicht in Bezug auf sein
persönliches und familiäres Leben. Ebenso wenig die nur scheinbar wirtschaftsfernen,
in Wirklichkeit sehr ökonomierelevanten Aspekte eines Machbarkeitswahns im kulturellen
Leben, im wissenschaftlichen Fortschritt und insbesondere im Lebensschutz.
Die
Enzyklika ist ein bedeutender Schritt in der Fortschreibung der Katholischen Soziallehre
und stellt mit ihrer Sicht einer ganzheitlichen Entwicklung einen wichtigen Beitrag
zu den Fragen der Globalisierung mit ihren Vorteilen und ihren Gefahren dar. Nicht
Handlungsanweisungen politischer oder ökonomischer Art sind das Anliegen des Papstes,
nicht Lösungskonzepte der gegenwärtigen Krise die Aufgabe der Soziallehre der Kirche.
Vielmehr geht es darum, den Blick erneut auf die zentrale, aber in Vergessenheit geratene
Dimension von Entwicklung zu lenken: auf eine ganzheitliche Entwicklung, orientiert
an den Prinzipien von Gerechtigkeit und Gemeinwohl, die Ausdruck der Liebe in Wahrheit
sind. Nicht zuletzt der Zeitpunkt der Veröffentlichung – einen Tag vor Beginn des
G8-Gipfels in L’Aquila – macht die Dringlichkeit des Anliegens deutlich. Der Papst
ruft nicht nur die Verantwortlichen der wichtigsten Industrienationen der Welt auf,
den aktuellen Herausforderungen mutig zu begegnen und dabei die notwendigen ethischen
Grundlagen nicht zu vergessen, sondern ermutigt alle Menschen guten Willens, sich
als Gestalter, nicht als Opfer derzeitiger Entwicklungen zu sehen. Umdenken ist bei
allen gefordert! Die Enzyklika enthält sich pauschaler Urteile über das Wirtschaftsleben
und unterzieht es stattdessen einer differenzierten Betrachtung, die z.B. dem Wirtschaftswettbewerb,
der Finanzwelt und ihren Kreditinstrumenten, der Unternehmensentwicklung und den Herausforderungen
an Unternehmer wie auch an Beschäftigte gewidmet ist. Keine vorschnellen Verurteilungen
auszusprechen, bedeutet nicht, sich klarer Urteile zu enthalten, auch nicht hinsichtlich
z.B. der langfristig wichtigen Forderungen des Energieverbrauchs, des Naturschutzes
und anderer Dimensionen eines nachhaltigen Lebensstils, das gleichwohl auf eine Absolutsetzung
ökologischer Ziele verzichtet.
Wir deutschen Bischöfe begrüßen dankbar die
erste Sozialenzyklika unseres Papstes. Sie analysiert nicht nur in einer präzisen
Art und Weise die Zeichen der Zeit, sondern nennt notwendige Kriterien, die zu beachten
sind, um weltweit nachhaltig Gerechtigkeit zu befördern. Mit ihren in besonderer Weise
theologisch rückgebundenen und entfalteten ethischen Grundsätzen weist sie nicht nur
der Kirche, sondern auch der Menschheit insgesamt einen Weg in eine Zukunft, die vom
Gemeinwohl geprägt sein kann. Der Papst gibt viele Anregungen, denen wir deutsche
Bischöfe ein Gehör bei den Akteuren in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wünschen,
und die wir innerhalb und außerhalb der Kirche bekanntmachen und zur Geltung bringen
werden. Wir freuen uns darauf, dass die Enzyklika die öffentliche Meinungsbildung
bereichert, und danken dem Heiligen Vater für seine Reflexionen und Weisungen.