Merkel im Erdbebengebiet: „Böse Geschichte in gute Erfahrung verwandeln“
Bundeskanzlerin Angela
Merkel besucht am Mittwoch die Erdbebenopfer von Onna, ein Vorort der Abruzzenstadt
L’Aquila. Das Dorf wurde zu 90 Prozent zerstört, 45 von circa 280 Einwohnern wurden
getötet. Der Symbolort der vom verheerenden Beben Anfang April erschütterten mittelitalienischen
Region ist auf tragische Weise mit Deutschland verbunden. Ein Beitrag von Birgit Pottler:
Im
Juni 1944 hatte die Wehrmacht im Zuge des Rückzugs in Onna 17 unschuldige Zivilisten
erschossen. Deutschland will daher seine Wiederaufbauhilfe für die Erdbebenregion
auf Onna konzentrieren.
„Wenn Sie mit den Menschen vor Ort gesprochen haben,
dann können Sie vielleicht etwas erreichen, was man nur ganz selten erreichen kann:
Man kann böse Geschichte in eine gute Erfahrung verwandeln.“ Das sagte der deutsche
Botschafter in Italien, Michael Steiner, gegenüber Radio Vatikan. „Dieses Ereignis
ist in Onna und in den ganzen Abruzzen im kollektiven Gedächtnis haften geblieben.
Das bedeuet, dass Onna zum zweiten Mal von einem tragischen Schlag getroffen worden
ist. Wir finden, das gibt uns Deutschen eine spezifische Verantwortung, gerade hier
zu helfen und unsere Hilfe auf diesen Ort zu konzentrieren.“ Der italienische
Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte Hilfe aus dem Ausland zunächst abgelehnt,
doch die Menschen in den Abruzzen und im ganzen Land nehmen die Solidarität und diese
konkrete Initiative dankbar auf, berichtet Steiner nach ersten Besuchen in der Region.
„Ich muss sagen, die Reaktion auf die deutsche Bereitschaft, sich auf diesen Ort
zu konzentrieren, war fast Herz zerreißend. Die Menschen haben ein solches Vertrauen
uns gegenüber, auch eine – vielleicht zu große – Erwartung, dass man hier einfach
helfen muss.“ Die verheerenden Erdstöße vom 6. April forderten in den Abruzzen
insgesamt 296 Menschenleben. Rund 1.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 55.000
Personen obdachlos. Gerade von Onna gingen Bilder in die Welt, die an einen Bombenanschlag
erinnerten. Steiner versichert:
„Ich habe im ehemaligen Jugoslawien vieles
gesehen, in Kroatien, in Bosnien, im Kosovo... Aber so etwas habe ich noch nicht gesehen.
Da ist alles zusammengebrochen.“ In dem Ort kennt jeder jeden, jede Familie
trauert um tote Angehörige.
„Sie können sich vorstellen, was das in den
Köpfen und Herzen der Menschen anrichtet. Sie leben jetzt in Zeltstädten am Rande
des Ortes und sind natürlich immer noch unter Schock. Aber ich muss sagen, diesen
Menschen gilt mein tiefer Respekt, denn sie nehmen diesen Schicksalsschlag – und es
ist der zweite für manche, die das 1944 miterlebt haben; da gibt es noch einige Überlebende
– mit einer großen Würde.“ Zwar könne Deutschland nicht den Ort wieder aufbauen,
was überdies Jahre dauern wird, wolle aber mittelfristig einen Beitrag leisten. Die
Nothilfe wird weiter vom italienischen Zivilschutz übernommen.
„Bundesaußenminister
Steinmeier hat mit seinem italienischen Kollegen gesprochen, dabei gesagt, wir werden
uns auf die Kirche konzentrieren, aber es ist auch Hilfe beim Wiederaufbau der Privathäuser
notwendig. Die Caritas Deutschland hat uns schon mitgeteilt, dass sie über die Schwesterorganisationen
in Italien mitwirken will. Wenn es uns gelingt, dass wir auch Private gewinnen, Institutionen
gewinnen, die uns mithelfen, dann können wir hier eine ganze Menge erreichen.“ Die
Deutsche Botschaft in Italien hat Spendenkonten eingerichtet, doch Steiner appelliert
besonders an die deutsche Wirtschaft, die in Italien präsent ist. Deutschland wolle
Italien nichts aufoktruieren, jede Maßnahme soll zwischen der Bevölkerung, den Behörden
und der deutschen Botschaft abgestimmt werden.
„Der Bürgermeister von L’Aquila....,
der verliert sein Haus, sein Bürgermeisteramt in dieser Stadt mit rund 70.000 Einwohnern
und hat nichts mehr. Alles was ihm geblieben ist, ist sein Dienstwagen und ein Anzug.
Auch der sagte mir, er sei ganz begeistert über unser Projekt, denn es komme in einer
solchen Lage nicht nur auf die materielle Hilfe an. Es komme auch auf die spirituelle
Hilfe und darüber hinaus auf die psychologische Hilfe an. Er sagte mir, was die Menschen
in diesen Gebieten jetzt brauchen, – und natürlich gilt das insbesondere für Onna
– ist ein Zeichen der Hoffnung.“ Den Besuch des Papstes werden die Betroffenen
in der Erdbebenregion als Zeichen echter Solidarität werten, meint Steiner.
Geplant
sind neben Onna Stationen beim eingestürzten Studentenwohnheim in L’Aquila, dem Schauplatz
einer der größten Tragödien, und bei der zerstörten romanischen Basilika Santa Maria
di Collemaggio. Vor der Toren der Regionshauptstadt wird Benedikt auf dem Vorplatz
einer Kaserne den Bürgermeistern und Pfarrern der vom Erdbeben betroffenen Orte begegnen
und eine Ansprache an die Bürger und Hilfskräfte halten. (rv 27.04.2009 bp)