Das Bundeskabinett
hat vergangene Woche die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik
beschlossen. Die Ministerrunde billigte eine Neuverschuldung in Höhe von 86 Milliarden
Euro. Dieser Schritt ist umstritten – nicht nur unter Fachleuten. Antje Dechert hat
sich darüber mit dem Jesuiten und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach unterhalten. Wie
ist die Neuverschuldung denn aus Sicht der katholischen Soziallehre zu bewerten? Da
kann ich mich einfach auf die Methodik des früheren Papstes Wojtyla berufen, der also
den Kapitalismus auch unter zweifacher Rücksicht beurteilte. Erstens, es gibt einen
ökonomischen Kapitalismus. Der ist vielleicht wertneutral zu beurteilen. Und dann
gibt es ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das moralisch verwerflich ist. Und
so könnte man auch die Verschuldung des Staates beurteilen. Auf der einen Seite gibt
es eine gute Verschuldung: Der Kapitalismus hat ja seine Dynamik durch die Kreditschöpfung
der Banken, das heißt durch die Kreditaufnahme. Das gehört zum Kapitalismus dazu,
dass Unternehmer sich verschulden und dass die Banken ihnen auch Kredite geben. Diese
Verschuldung ist zumindest einmal wertneutral, wenn nicht sogar wertvoll, weil es
ein Geldvorschuss ist, der ja zur Bezahlung von Löhnen und zur Bezahlung von Maschinen
Produktionen ermöglicht, die dann nachher auf dem Markt abgesetzt werden können. Am
Ende kann der Kredit mit dem entsprechenden Überschuss zurückgezahlt werden. Also
das wäre eigentlich ein positiver Prozess, warum soll sich also der Staat nicht genauso
verschulden, indem er in die Zukunft reichende Investitionen tätigt, um verschiedene
Generationen an der Belastung dieser Investitionen teilhaben zu lassen.
Wann
wäre dann eine solche Staatsverschuldung ethisch nicht mehr tragbar? Verwerflich
ist eine Verschuldung, wenn sie nur dem aktuellen Konsum dient. Also praktisch Sanitätsaufgaben
übernimmt, das Arbeitslosengeld aufzubringen, Rentenzuschüsse und die Gesundheitsfonds
zu bezahlen. Da denke ich wird die Verschuldung des Staates fragwürdig.
Ist
das denn mit der aktuell vom Bundeskabinett beschlossenen Rekordneuverschuldung der
Fall? Teils, teils - also es wird ja immer gesagt, dass die aktuelle Krise,
diese für die Nachkriegszeit einmalige Wirtschaftskrise besondere Maßnahmen verlangt,
was die sozialen Sicherungssysteme angeht. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere
Seite ist natürlich das so genannte strukturelle Defizit, dass einfach mitgeschleppt
wurde, etwa durch die Wiedervereinigung, die verfestigte Arbeitslosigkeit und dann
auch durch die Ideologie des schlanken Staates. Der Staat hat sich durch seine Steuerpolitik
in den vergangenen Jahren systematisch arm gemacht, zugunsten der privaten Vermögensbildung.
Das
heißt die Rekordneuverschuldung des Bundes ist nur die Spitze eines Eisbergs falscher
politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen der letzten Jahre? Ich würde
schon sagen, die Verschuldung ist in keinem Fall ein Naturereignis. Das sind politische
Optionen und die Art und Weise wie Prioritäten gesetzt wurden. Gerade in Deutschland
sind die Prioritäten so gesetzt worden, dass zunächst das Finanzsystem und die Banken
stabilisiert wurden und eben nicht die reale wirtschaftliche Belebung im Vordergrund
stand.
Bundesfinanzminister Steinbrück sagte am Mittwoch bei der Verabschiedung
des Haushalts für das kommende Jahr, es gebe keine Alternative zu dieser hohen Staatsverschuldung.
Die Bundesregierung sei praktisch zu diesem Schritt gezwungen. Wie sehen Sie das?
Es ist vertretbar, dass er in der gegenwärtigen Situation keine Haushaltskürzungen
vornimmt. Das würde die Krise ja nur noch verschärfen, aber wie er selbst unter dem
aktuellen Entscheidungsdruck immer wieder betont: ‚Jeden Tag brennt es an einer anderen
Stelle.‘ Das ist richtig und wenn es so brennend aussieht, dann muss wahrscheinlich
auch irgendwo das Feuer gelöscht werden. Nur gleichzeitig müssten neue Regeln gefunden
werden für die Finanzmärkte. Das kann doch nicht sein, dass die Investmentbanker jetzt
schon wieder genau die Geschäfte betreiben, die in die Krise geführt haben, dass die
Fusion der Banken den Wettbewerb außer Kraft setzt, dass gerade die kleinen und mittleren
Unternehmen unter einer Kreditklemme leiden, weil die Banken sich selbst sanieren
wollen. Also die Frage nach dem, was am Tag danach zu geschehen hat, dass darf bei
allen Lösch- und Rettungsversuchen nicht aus dem Blick geraten, insofern kann man
sagen aktuell gibt es nicht viele Möglichkeiten, obwohl es immer eine Alternative
gibt.
Was wären dann aber die konkreten Alternativen? Es wird ja von allen
Seiten mehr Ethik in der Wirtschaft gefordert. Wie ist denn langfristig ein Umbau
in eine „ethischere“ Wirtschaft zu realisieren und gleichzeitig auch Arbeitsplätze
zu schaffen und einen Weg aus der Krise zu finden? Es hat keinen Sinn, in
die Vergangenheit zu blicken, in die Industrie, in den Export. … Es geht darum die
Finanzmärkte in die Realwirtschaft einzubinden, die Wirtschaft in die Gesellschaft
einzubinden und die Gesellschaft in das Naturverhältnis. Diese langfristigen Ziele,
über die wir vor einem halben Jahr in der Öffentlichkeit geredet haben und die uns
auch als dringlich erschienen, die sind in der Wirtschaftskrise fast vergessen worden.
Und da denke ich aus dieser Vergessenheit für die großen gesellschaftlichen Entwürfe,
die jetzt anstehen, müssen wir herauskommen.
Was muss die Politik aber konkret
tun, um diese großen gesellschaftlichen Entwürfe, von denen Sie sprechen, zu realisieren? Was
notwendig wäre, wären öffentliche Investitionen, aber nicht um krisenanfällige Industrien
noch einmal aufzupäppeln, sondern in die so genannte ‚Arbeit an den Menschen‘. Beispielsweise
Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Krankenschwestern, Pflegekräfte, Ärzte – gerade
in diesen Bereichen müssen Menschen in Arbeit gebracht werden. Also für mich ist Erwerbsarbeit
der Schlüssel der wirtschaftlichen Belebung und auch der einzig vernünftigen Weges
aus der Krise heraus, damit Einkommen entstehen und dass gleichzeitig diese Arbeitsplätze
in neuen Handlungsfeldern entstehen, die zukunftsfähig und nachhaltig sind. Auf Dauer,
denke ich, müsste bei jeder Krisenbewältigung über den Tellerrand hinaus gesehen werden,
wie sollen die Arbeitsverhältnisse geregelt werden: Industriearbeit oder Arbeit an
den Menschen? Oder die Geschlechterverhältnisse: Wie werden Männer und Frauen an den
neu entstehenden Arbeitsplätzen beteiligt? Und darüber hinaus müssten die Einkommensverhältnisse,
diese extreme Schieflage der Einkommen zur Vermögensverteilung, am Ende der Krise
anders geregelt werden. Ich denke, man muss die Frage mit einbeziehen: Wie wollen
die Menschen leben? In gelingenden Partnerschaften mit Kindern oder im Einklang mit
der Natur, autonom verfügend über die Zeit, die sie für die Erwerbsarbeit oder für
ihre Privatsphäre verwenden wollen? Diese Frage der Lebensverhältnisse – die ist,
denke ich, die entscheidende, die man jetzt über eine unmittelbare Krisenbewältigung
hinaus im Blick haben muss.