D: „Erwachsen auf Probe“ – ohne Babys als Versuchskaninchen
Die Kirchen in Deutschland
und Österreich kritisieren die Fernsehsendung „Erwachsen auf Probe“. In der neuen
Reality-Show eines deutschen Privatsenders können Teenagerpaare das Elternsein austesten,
und zwar mit echten Babys, die ihnen für vier Tage von deren leiblichen Eltern anvertraut
werden. „Erwachsen auf Probe“ ist ein verantwortungsloses Experiment mit Säuglingen,
sagten Kirchenvertreter. Auch Kinderschützer und Psychologen warnten schon vor der
Erstausstrahlung Anfang Juni: der emotionale Stress, dem die Kinder ausgesetzt sind,
ist enorm.
Die Kritik scheint mehr als berechtigt. Dennoch lenkt „Erwachsen
auf Probe“ den Blick auf einen ernstzunehmenden Trend: Immer mehr Teenager werden
teils gewollt, meist ungewollt Eltern und sind dann mit ihrer Erziehungsaufgabe überfordert.
Doch um Jugendliche an die Thematik heranzuführen, müssen keine Babys als Versuchskaninchen
missbraucht werden. Das zeigt das Projekt „Eltern auf Probe“ der Schwangerenberatung
beim Caritasverband im Bistum Hildesheim. Schon seit rund fünf Jahren sind dort Sozialarbeiterinnen
mit so genannten Babysimulatoren im Einsatz.
Sie heißen Emily oder Leo, wiegen
ungefähr dreitausend Gramm, sind 52 cm groß und sehen fast so aus wie ein richtiger
Säugling. Die Rede ist von Babysimulatoren. Die sind zwar aus hundert Prozent Plastik,
ihren lebendigen Konterfeis aber sonst ziemlich ähnlich:
„Die schreien ganz
realistisch, wie ein richtiges Baby, also es muss gefüttert werden, es müssen die
Windeln gewechselt werden, er muss auch ab und zu einfach nur beruhigt werden. Es
macht das Bäuerchen.“
So Astrid Schrader vom Sozialdienst Katholischer
Frauen in Braunschweig, einem Fachbverband der Caritas. Sie ist schon seit viereinhalb
Jahren im Präventionsprojekt „Eltern auf Probe“ mit den Babysimulatoren im Einsatz.
Zusammen mit anderen Sozialarbeiterinnen bietet sie bei Projektwochen an Schulen ein
„Elternpraktikum“ an. Dabei wird Schülern ein Babysimulator anvertraut. Sie sollen
so eine Ahnung erhalten, was es heißt, Verantwortung für ein Kind zu tragen:
„Die
Schüler kommen zu uns in unsere Räumlichkeiten. Wir haben eine Altbauwohnung mit einer
Küche, dort kann man sich auch einen Tee kochen, und dort findet das Projekt statt.
Der Babysimulator wir jeden Morgen mit zu uns gebracht, wir reden über Themen wie
Verantwortung, Verhütung oder die Gefahren von Alkohol und Rauchen während der Schwangerschaft.
Dann geht der Jugendliche mit dem Babysimulator nach Hause und ist dann den ganzen
Tag im Prinzip für den Babysimulator verantwortlich, natürlich auch nachts.“
Das
Verhalten des Plastikbabys steuert eine eingebaute Software, die nach dem Durchschnittsverhalten
echter Säuglinge programmiert wurde.
„In dem Simulator gibt es einen Computer,
der zeichnet auf, wie oft der Simulator versorgt wurde, wie oft er unter Umständen
auch hat schreien müssen, ohne dass er versorgt worden ist, ob er auch unter Umständen
misshandelt wurde…Das Köpfchen des Simulators ist äußerst empfindlich, wie bei einem
richtigen Säugling. Es kann ein Schütteltrauma ausgelöst werden. Es wird auch eine
fehlende Kopfstütze aufgezeichnet, also wenn das Köpfchen nach hinten kippt, was ja
bei einem realen Säugling äußerst gefährlich ist.“
Vier Tage und drei Nächte
kümmern sich die Jugendlichen um „ihr“ Ersatzbaby. Aus der Verantwortung können sie
sich dann nicht mehr ziehen. Denn jeder Babysimulator ist nur auf seine Probe-Mami
oder seinen Probe-Papi eingestellt:
„Zu jedem Babysimultaor gehört eine
ID. Das heißt die Identität des Babysimulators, diese ID bekommt der Schüler ans Handgelenk
gebunden. Das heißt ich muss, wenn der Simulator versorgt wird, einmal bei dem Simulator
über den Bauch fahren, dann klingelt es einmal und der Babysimulator erkennt den Schüler
als seine Mutter beziehungsweise Vater. Der Schüler kann jetzt nicht diesen Babysimulator
seiner eigenen Mutter beziehungsweise dem Vater oder der Schwester geben und in die
Disco gehen, sondern er ist wirklich diese vier Tage und drei Nächte mit dem Babysimulator
zusammen.“
Am Ende der Projektwoche folgt die Auswertung. Die Schüler erfahren
dann, wie sie sich bei dieser Belastungsprobe bewährt haben. Dabei geht es nicht darum,
die Teenager als vorbildliche oder Rabeneltern zu bewerten, betont Astrid Schrader,
sondern um den Erfahrungsaustausch:
„Die Schüler werden nicht so vorgeführt,
wie zum Beispiel in dieser Sendung bei RTL „Erwachsen auf Probe“, sondern wir führen
mit den Schülern Einzelgespräche und reden über das Ergebnis. Das wird auch nicht
in der gesamten Gruppe bekannt gegeben, das wird auch nicht an die Lehrkräfte weitergegeben.
Bei uns werden die Schüler nicht bloßgestellt.“
Sicher – ein Babysimulator
ist kein echtes Baby. Dennoch erhalten die Schüler einen ersten Eindruck davon, wie
ein Alltag mit Kind aussehen kann und merken: meist läuft der ganz anders ab, als
zunächst vermutet:
„Viele Schülerinnen gehen davon aus, meine Eltern werden
mich schon irgendwie unterstützen, die kriegen das hin und machen das dann schon.
Die Schüler füllen am ersten Tag einen Fragebogen aus und da heißt es dann ganz oft:
meine Eltern würden mich unterstützen, die können mir helfen und ich könnte arbeiten
gehen, meine Mutter würde das Baby nehmen. Aber wenn die Jugendlichen dann mit ihren
Eltern sprechen, hören sich die Antworten der Eltern ganz anders an.
Mit
den Babysimulatoren wird das Thema Teenagerschwangerschaft in die Familien hineingetragen.
Die Eltern der Schüler werden mit der Frage konfrontiert: was wäre, wenn meine Tochter
oder mein Sohn ein Kind bekäme? Das kann Gespräche über einen verantwortungsvollen
Umgang mit Sexualität anregen. Die Auseinandersetzung mit Teenagerschwangerschaften
ist wichtiger denn je, meint auch der Pressesprecher des Caritasverbandes im Bistum
Hildesheim, Heribert Schlensok:
„Die Zahlen in 2008 sprechen bezogen auf
das Bistum Hildesheim eine deutliche Sprache. Wir hatten 405 Jugendliche in der Beratung,
im Alter zwischen 13 und 19 Jahren. Jugendliche heißt hier auch junge Erwachsene,
aber die Zahl 405 hat uns alarmiert. Sie ist nicht untypisch, das gilt auch für die
Vorjahre.“
Grund für die wachsende Zahl jugendlicher Eltern ist laut Schlensok
nicht mehr in erster Linie die mangelnde Aufklärung.
„Die wissen sehr genau,
wie man ein Baby macht oder wie man verhindert schwanger zu werden. Es hat nach unserer
Wahrnehmung eher damit zu tun, dass die Jugendlichen wenig Zukunftsperspektiven für
sich sehen, ganz konkret fehlende Ausbildungsplätze und dann die Vorstellung: Wenn
ich ein Baby habe, dann ist das der Hauptankerpunkt meines Lebens.“
Doch
ein Baby wäre nicht die Lösung des eigentlichen Problems. Viele Schüler unterschätzen
die große Verantwortung, die ein Kind bedeutet. Ein paar Tage mit dem Babysimulator
können da lehrreich sein und unreflektierten Entscheidungen vorbeugen, meint Heribert
Schlensok:
„Wenn ein zu früher Kinderwunsch einem Spielhündchen im Arm ähnelt,
dann, glaube ich, ist Prävention sehr angebracht, um zu zeigen, ein kleines Kind ist
etwas anderes als ein Spielzeug. Und so funktionieren die Wochen auch. Die Jugendlichen
sagen, mein Kinderwunsch ist da, aber ich merke jetzt, es hängt mehr daran, das habe
ich erfahren, ich kann warten.“