Irland ist nach wie
vor schockiert über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Heimen. Am Montag
diskutierten die Bischöfe der „Grünen Insel“ über das Thema, vergangen Freitag erstatteten
Kardinal-Primas Sean Brady von Armagh und Erzbischof Diarmuid Martin von Dublin im
Vatikan Bericht. Benedikt XVI. zeigte sich irischen Medien zufolge besonders beunruhigt,
weil es sich um die „Institutionalisierung eines Problems“ handele. Eine öffentliche
Reaktion aus dem Vatikan steht bislang jedoch aus.
Laut einem im Mai veröffentlichten
unabhängigen Bericht wurden in Irland bis in die 80er Jahre hinein mehr als 2.000
Kinder in katholischen Erziehungseinrichtungen misshandelt, geschlagen oder sexuell
missbraucht. Von der jetzt ausgebrochenen landesweiten Debatte berichtete im Kölner
Domradio die Pastorin der deutschsprachigen Gemeinde in Dublin, Corinna Diestelkamp:
„Das
ist eine ganz furchtbare Geschichte. Viele Menschen sind sehr betroffen, und das ist
eine Betroffenheit, die nicht erst jetzt aufbricht. In den vergangenen zehn oder 15
Jahren ist Schritt für Schritt immer mehr ans Tageslicht gekommen, und das hat dazu
geführt, dass sehr viele Menschen sich von der katholischen Kirche distanziert haben.
Aber eben nicht nur von der katholischen Kirche, da das ganze unter der Überschrift
des christlichen Glaubens gelaufen ist. Für viele hat das Glauben und Kirche überhaupt
sehr fragwürdig gemacht.“
Unter den Teppich gekehrt habe die Kirche den
Skandal nicht, meint die evangelische Seelsorgerin. Seit den 90er Jahren habe es verschiedene
Gerichtsurteile gegeben, Filme und auch eine offene Diskussion. Neu und schockierend
sei allerdings das Ausmaß. Daher sei es wichtig, dass der Erzbischof von Dublin zum
Beispiel sich öffentlich entschuldigt habe, so Diestelkamp.
„Die Diskussion
hier in Irland geht sehr stark in die Richtung, ob und inwieweit die katholische Kirche
insgesamt für diese Geschichten haftbar gemacht werden muss. Es wird auch die Frage
gestellt, ob das im Vatikan und in Rom bekannt gewesen ist. Auch dafür gibt es Hinweise,
dass das möglicherweise der Fall war. Hier ist die Erwartung sehr stark, dass die
katholische Kirche weltweit sich mit diesen Vorgängen auseinandersetzt und möglicherweise
auch finanziell haftet.“
Doch die Vorwürfe seitens der Gesellschaft richten
sich nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen den Staat. Der schockierende Bericht
spricht von einem Klima der Angst in den meisten der hundert untersuchten Einrichtungen
sowie von übertriebenen und willkürlichen Strafen. Dahinter schlummere ein unbewusster,
„unausgesprochener gesellschaftlicher Konsens“, so die Seelsorgerin in Dublin.
„Alle
kirchlichen Schulen sind hier konfessinell, der weit überwiegende Teil katholisch.
Es wird dem Staat vorgeworfen, dass er seine kritische Aufsichtspflicht vernachlässigt
hat und dass dabei möglicherweise auch geduldet wurde, was in den Heimen geschieht,
wie zum Teil mit den Kindern umgegangen wurde und manche – natürlich nicht alle -
Kinder gelitten haben.“
Entschädigungszahlungen und die Verurteilung einzelner
beenden dieses dunkle Kapitel der irischen Geschichte nicht. Was jetzt auf die Gesellschaft
zukommt, vergleicht die Pastorin der deutschsprachigen Gemeinde mit der Aufarbeitung
der Nazi-Zeit oder der DDR-Geschichte in Deutschland.
„Je länger man sich
damit befasst, umso mehr wird deutlich, dass es natürlich Menschen gegeben hat, die
nicht selbst in Missbrauch verwickelt waren, die aber nicht hingeschaut haben, nichts
unternommen haben und die nicht haben sehen wollen oder können, dass auch von der
Kirche aus Unrecht passiert. Ich denke, ähnlich ist auch die Diskussion in Deutschland
um die Heimerziehung wach geworden. Das ist nichts, was man nur an Einzelnen festmachen
kann, im Sinn: wenn die aussortiert sind, dann ist die Sache erledigt.“