2009-06-10 14:33:16

Irland: Aufarbeitung wie nach Nazi-Zeit


RealAudioMP3 Irland ist nach wie vor schockiert über das Ausmaß sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Heimen. Am Montag diskutierten die Bischöfe der „Grünen Insel“ über das Thema, vergangen Freitag erstatteten Kardinal-Primas Sean Brady von Armagh und Erzbischof Diarmuid Martin von Dublin im Vatikan Bericht. Benedikt XVI. zeigte sich irischen Medien zufolge besonders beunruhigt, weil es sich um die „Institutionalisierung eines Problems“ handele. Eine öffentliche Reaktion aus dem Vatikan steht bislang jedoch aus.

Laut einem im Mai veröffentlichten unabhängigen Bericht wurden in Irland bis in die 80er Jahre hinein mehr als 2.000 Kinder in katholischen Erziehungseinrichtungen misshandelt, geschlagen oder sexuell missbraucht. Von der jetzt ausgebrochenen landesweiten Debatte berichtete im Kölner Domradio die Pastorin der deutschsprachigen Gemeinde in Dublin, Corinna Diestelkamp:

„Das ist eine ganz furchtbare Geschichte. Viele Menschen sind sehr betroffen, und das ist eine Betroffenheit, die nicht erst jetzt aufbricht. In den vergangenen zehn oder 15 Jahren ist Schritt für Schritt immer mehr ans Tageslicht gekommen, und das hat dazu geführt, dass sehr viele Menschen sich von der katholischen Kirche distanziert haben. Aber eben nicht nur von der katholischen Kirche, da das ganze unter der Überschrift des christlichen Glaubens gelaufen ist. Für viele hat das Glauben und Kirche überhaupt sehr fragwürdig gemacht.“

Unter den Teppich gekehrt habe die Kirche den Skandal nicht, meint die evangelische Seelsorgerin. Seit den 90er Jahren habe es verschiedene Gerichtsurteile gegeben, Filme und auch eine offene Diskussion. Neu und schockierend sei allerdings das Ausmaß. Daher sei es wichtig, dass der Erzbischof von Dublin zum Beispiel sich öffentlich entschuldigt habe, so Diestelkamp.

„Die Diskussion hier in Irland geht sehr stark in die Richtung, ob und inwieweit die katholische Kirche insgesamt für diese Geschichten haftbar gemacht werden muss. Es wird auch die Frage gestellt, ob das im Vatikan und in Rom bekannt gewesen ist. Auch dafür gibt es Hinweise, dass das möglicherweise der Fall war. Hier ist die Erwartung sehr stark, dass die katholische Kirche weltweit sich mit diesen Vorgängen auseinandersetzt und möglicherweise auch finanziell haftet.“

Doch die Vorwürfe seitens der Gesellschaft richten sich nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen den Staat. Der schockierende Bericht spricht von einem Klima der Angst in den meisten der hundert untersuchten Einrichtungen sowie von übertriebenen und willkürlichen Strafen. Dahinter schlummere ein unbewusster, „unausgesprochener gesellschaftlicher Konsens“, so die Seelsorgerin in Dublin.

„Alle kirchlichen Schulen sind hier konfessinell, der weit überwiegende Teil katholisch. Es wird dem Staat vorgeworfen, dass er seine kritische Aufsichtspflicht vernachlässigt hat und dass dabei möglicherweise auch geduldet wurde, was in den Heimen geschieht, wie zum Teil mit den Kindern umgegangen wurde und manche – natürlich nicht alle - Kinder gelitten haben.“

Entschädigungszahlungen und die Verurteilung einzelner beenden dieses dunkle Kapitel der irischen Geschichte nicht. Was jetzt auf die Gesellschaft zukommt, vergleicht die Pastorin der deutschsprachigen Gemeinde mit der Aufarbeitung der Nazi-Zeit oder der DDR-Geschichte in Deutschland.

„Je länger man sich damit befasst, umso mehr wird deutlich, dass es natürlich Menschen gegeben hat, die nicht selbst in Missbrauch verwickelt waren, die aber nicht hingeschaut haben, nichts unternommen haben und die nicht haben sehen wollen oder können, dass auch von der Kirche aus Unrecht passiert. Ich denke, ähnlich ist auch die Diskussion in Deutschland um die Heimerziehung wach geworden. Das ist nichts, was man nur an Einzelnen festmachen kann, im Sinn: wenn die aussortiert sind, dann ist die Sache erledigt.“

(dr/rv 10.06.2009 bp)








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