Am 18. Juni feiert
Jürgen Habermas seinen achtzigsten Geburtstag. Der deutsche Denker hat in jüngster
Zeit u.a. mit Beiträgen zur Rolle der Religion in der Gesellschaft Aufsehen erregt;
seine Debatte mit dem damaligen Kardinal Ratzinger, jetzt Papst Benedikt, im Jahr
2004 ist berühmt geworden. Hier finden Sie eine ausführliche Würdigung von Habermas,
die Radio Vatikan am 7. Juni in der Reihe „Menschen in der Zeit“ ausstrahlte; Autor
ist Aldo Parmeggiani.
Über Jürgen Habermas haben schon viele Zeitgenossen gesprochen
– mit Jürgen Habermas nur wenige. Seine öffentlichen Auftritte sind in der Tat äußerst
rar: Professor Habermas ist ein ausgesprochener Medienabstinenzler. Und so ist es
eigentlich nicht verwunderlich, dass den Mann – heute im Zeitalter der Fernseh- und
Rundfunk-Talkrunden - kaum jemand kennt. Und dennoch: Habermas ist ohne Zweifel der
bekannteste deutsche Philosoph der Gegenwart. Ein Zeitdiagnostiker, der den letzten
vergangenen 40 Jahren die Stichworte und Themen zu unserer Zeit gegeben hat. Habermas
hält an seiner Überzeugung fest, dass unsere Lebenswelt ernstlich Schaden nehmen würde,
wenn nicht ein gewisses Maß an gegenseitigem Vertrauen herrscht - und die Fähigkeit,
sich mit Worten und nicht mit Waffen auseinandersetzen. Auch wir haben – wie so viele
andere – von dem emeritierten Professor für Philosophie und Soziologie in Frankfurt
eine höfliche Absage für ein persönliches Geburtstagsgespräch erhalten. Dennoch war
es uns ein Anliegen, diese Persönlichkeit in die Sendereihe ‘Menschen in der Zeit’
mit aufzunehmen. Dazu hilft uns ein Blick zurück in das Jahr 2004, in dem Jürgen Habermas
in der Katholischen Akademie in München jenes berühmt gewordene Gespräch mit dem damaligen
Kardinal Joseph Ratzinger und heutigem Papst Benedikt XVI. geführt hatte. Dr. Florian
Schuller, seit beinahe 10 Jahren Direktor dieser nahmhaften Akademie, hatte die aufsehenerregende
Begegnung – von der es leider keine rundfunkgerechten Aufnahmen gibt – zustandegebracht
und moderiert. Ich darf ihn jetzt sehr herzlich bei uns begrüßen und ihn bitten, uns
seine Erinnerungen an dieses Zwiegespräch weiterzugeben.
*Herr Dr. Schuller,
von Professor Jürgen Habermas weiß man, dass er grundsätzlich keine Interviews gibt.
In Ihrem Haus der Katholischen Akademie in München fand das inzwischen als historische
Debatte bekannt gewordene Gespräch zwischen Kardinal Jospeh Ratzinger – heute Papst
Benedikt XVI. – und em Philosophen Habermas statt. Diese Debatte, in der es um Vernunft
und Religion ging – hat weltweites Aufsehen erregt. Sie haben dieses Gespräch angeregt,
Sie haben an dieser Debatte teilgenommen. Zunächt die Frage: Wie war diese Begegnung
vom Menschlichen her? Wie gingen die beiden aufeinander zu? Wie war die allgemeine
Atmosphäre?
‘Es war eine sehr unkomplizierte, direkte Gesprächsatmosphäre.
Interessant ist ja, dass sich die beiden Koryphäen des Geistes aus ganz unterschiedlichen
Welten – obwohl sie ungefähr gleichaltrig sind – vorher nie getroffen hatten, geschweige
denn miteinander auf einem Podium gesessen hätten und miteinander diskutiert hätten.
Hilfreich war sicher auch, dass Jürgen Habermas als Voraussetzung für dieses Gespräch
gewünscht hatte, dass es ein ganz kleiner Kreis von 25–30 Personen sein sollte, so
dass unmittelbarer Austausch möglich war und man im Grunde nicht in das Publikum hineinsprach,
sondern tatsächlich zueinander’.
*Wir alle kennen Papst Benedikt XVI. relativ
gut, wie würden Sie uns Jürgen Habermas menschlich beschreiben?
‘Jürgen Habermas
ist ein Mensch, der sich in einem säkularen Umfeld auch geistig geprägt hat, der sich
selber – das ist sein bekannter Ausdruck – als religiös ‘unmusikalisch’ bezeichnet
hat; der zunächst, Ende der 60-er Jahre, auch ganz stark diese Erneuerung der Gesellschaft
angeregt hatte, dann aber von den Auswüchsen schon sehr, sehr früh betroffen war.
Ein Mensch, der weiß, dass er zu den großen Denkern im deutschsprachigen, im europäischen
Bereich, im Bereich der Philosophie gehört. Ein Mensch, der sich deshalb auch seiner
Bedeutung bewußt ist und der zugleich immer neu auf der Suche nach den – um mit dem
Konzil zu sprechen – „Zeichen der Zeit“ ist... und der deshalb in dieser ganz spannenden
Situation nach dem 11. September nun auch eine neue Sensibilität für die Fragen entwickelt
hat, die die Religion betreffen oder die von der Religion her behandelt werden’.
*Hatten
Sie den Eindruck, dass sich Joseph Ratzinger und Jürgen Habermas durch dieses Münchener
Gespräch näher gekommen sind?
‘Ich hatte damals den Eindruck, dass sie sich
gut verstanden haben. Jürgen Habermas hatte am Ende des Gesprächs sogar gesagt: Ich
bewundere bei Ihnen, Herr Kardinal, die Weite der Weltkirche, die eine ganz andere
Dimension noch ins Denken mit hinein nehmen kann. Ich hatte den Eindruck, dass die
beiden sich menschlich gut verstanden haben, sich näher gekommen sind. Im Nachhinein
scheint mir allerdings auch, dass Jürgen Habermas doch einen größeren Abstand zwischen
sich und Joseph Ratzinger entdeckt hat. Vor allem im Hinblick darauf, wie beide jetzt
die Vernunft definieren und was beide unter Vernunft verstehen. Da scheint mir – ohne
dass ich das genau festmachen könnte – aber doch auch durch Äußerungen von Jürgen
Habermas, nicht zuletzt vor einiger Zeit in der ‘Neuen Züricher Zeitung’, dass die
Distanz größer geworden sei, ungeachtet der Wertschätzung des anderen.’
*Welche
waren in Ihrer Erinnerung bei dieser Debatte in Ihrem Haus die wichtigsten Wortmeldungen
aus dem Publikum? Wer hatte an bekannten Prsönlichkeiten daran teilgenommen? Und wie
hat Habermas auf diese Fragen reagiert?
‘Es war eigentlich kein Publikum –
es waren ausgewählte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die hier dabei waren.
Das Gespräch verlief ja so, dass jeder der beiden Vortragenden zunächst ein Statement
abgegeben hat. Dann gab es eine Pause und dann haben die beiden aufeinander reagiert,
in einem unvorbereiteten direkten Gespräch; und dann kamen nachher Fragen aus der
Reihe der Teilnehmer. Ich erinnere mich an Professor Spaemann, der vor allem die Bedeutung
des Naturrechts in den Mittelpunkt gestellt hat, ich erinnere mich an Professor Johann
Baptist Metz, der leidenschaftlich die Frage nach der Wahrheit aufgeworfen hat. Und
das Ganze kreiste letztlich um die Frage: Was ist die letzte Begründung für unser
politisches Handeln? Die vorpolitischen, moralischen Grundlagen eines freien Rechtsstaates
– das war ja das Thema. Und da war es schon interessant, dass die beiden Kontrahenten
– wenn ich sie so nennen kann – sich in den praktischen Konsequenzen sehr nahe waren,
wohingegen sie in der Begründung der Motivation natürlich ganz unterschiedliche Positionen
vertreten haben’.
*Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie diese unterschiedlichen
Positionen kurz erklären könnten.
‘Jürgen Habermas vertrat die Notwendigkeit,
dass im Diskurs der Gesellschaft gemeinsam der Grund gefunden wird, und Joseph Ratzinger
meinte mit der selbstverständlich von ihm her zu erwartenden klaren Betonung, dass
die Grundlagen, die der Diskussion und der Mehrheitentscheidung vorwegliegen, nicht
durch Mehrheitentscheidung und nicht nur durch Diskurs erreicht werden können’.
*Ein
Impuls für das historische Münchner Gespräch zwischen Joseph Ratzinger und Jürgen
Habermas ist von der Frankfurter Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises
des Deutschen Buchhandels 2001 an den Philosophen ausgegangen. In dieser Rede forderte
Habermas von der sekulären Gesellschaft ein neues Verständnis von religiösen Überzeugungen.
Habermas behauptete damals, dass diese Überzeugungen eine Herausforderung für die
Philosophie darstellten. Dann erfolgte in München die Gegenüberstellung der beiden
großen Kontrahenten: Auf der einen Seite die Personalisierung des katholischen Glaubens,
auf der anderen die Personalisierung des liberalen, sekulären Denkens. Wurde denn
so etwas wie ein gemeinsamer Nenner gefunden? Wie könnte die Quintessenz aus diesem
Gespräch lauten?
‘Die Quintessenz muss man von beiden Gesprächspartnern her
differenziert sehen. Jürgen Habermas hat deutlich gemacht, in den religiösen Traditionen,
in den religiösen Begründungen ist gleichsam ein Mehrwert enthalten, den säkulares
Denken nicht einholen kann.Menschenrechte und Menschenwürde sind eben nicht mit der
gleichen Dichte besetzt, wie der Begriff oder die Position : Der Mensch ist Ebenbild
Gottes. Das war die klare Aussage. Und deshalb soll und deshalb muss säkulares Denken
offen sein für religiöses Denken. Andererseits besteht sicher vom religiösen Denken
her die Gefahr, damals nicht bei Joseph Ratzinger, sondern im Nachklang zu diesem
Gespräch, dass man nun diese Position von Jürgen Habermas zu sehr für sich selber
vereinnahmte. Es blieb die Distanz - und es blieb aber gleichzeitig das Bewußtsein:
Im konkreten Handeln sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt’.
*Wie
kaum ein anderer Denker unserer Zeit beteiligt sich Jürgen Habermas am politischen
und geistigen Diskurs der Gegenwart. Auf die Politik hat er ebenso Einfluss genommen
wie auf die Wissenschaften. Denken wir nur an die 68-er Jahre. Bekannt geworden ist
Habermas als streitbarer Intellektueller im sogenannten Positivismusstreit, das heißt:
ob und inwiefern Werte, auch religiöse Werte, die Wissenschaft überhaupt bestimmen
können. Scheint es nicht so, dass die Religion in den letzten Jahren für diesen Philosophen
immer mehr zu einem wichtigen Thema geworden ist.? So kann Religion – nach Habermas
– zum Beispiel ein Trostspender sein, Religion kann ethische Werte fördern, Werte,
die für die Demokratie von höchster Wichtigkeit sind. Hat Habermas eine grundsätzliche
Geisteswandlung durchgemacht?
‘Ich glaube nicht, dass sich Jürgen Habermas
um 180 Grad gedreht hat. Sondern er hat einen blinden Fleck in seiner Positionsbestimmung
in der Gesellschaft der Gegenwart neu und bewußt in den Blick genommen und hier positive
Werte entdeckt, die vorher nicht in seinem Bewußtsein waren. Er wehrt sich allerdings
leidenschaftlich dagegen, nun als Fürsprecher oder fast als fast voreingenommener
Räpresentant für religiöse Werte verstanden zu werden. Er bleibt der Religion kritisch
gegenüber! Das ist seine eigene Geschichte, und aus der kommt er natürlich nicht heraus.
Er sieht aber sehr wohl, dass in der Gesellschaft insgesamt Religion eine ganz wesentliche,
unersetzbare Rolle spielt.’
*Welchen besonderen Anlass gibt es für einen durchschnittlichen
Christen, sich mit Habermas, diesen vielfach kritisierten, aber international auch
sehr geschätzten Denker, auseinanderzusetzen?
‘Jürgen Habermas steht für die
Geschichte des säkularen Denkens der vergangenen Jahrzehnte, und ein Christ, der dem
Auftrag unseres Heiligen Vaters gerecht werden will, Vernunft und Glauben miteinander
in Verbindung zu bringen, darf sich – meine ich – nicht nur historisch, sozusagen
philosohiegeschichtlich auf dieses Thema einlassen, sondern muss ganz konkret sich
mit den Positionen und den Menschen und den Denkern beschäftigen, die heute in der
Gesellschaft das Sagen haben, unabhängig davon, welche Position sie vertreten. Das
scheint mir die große und die bleibende Herausforderung zu sein. Und dafür ist Jürgen
Habermas ein wesentlicher Repräsentant. Sicher nicht der einzige, aber ein unersetzbarer
Repräsentant für jeden, der sich über die geistige Situation unserer Zeit nicht nur
informieren will, sondern sie in Kontakt bringen will mit seiner eigenen Position
des Glaubens’.
*Das Gesamtwerk des Philosophen und Soziologen Habermas ist
kaum mehr zu überblicken. Gibt es ein Werk, das Sie besonders hervorheben würden?
‘Eine
schwierige Frage: Jetzt sind die wichtigsten Schriften von Jürgen Habermas in einer
fünfbändigen Ausgabe herausgekommen. Da sind sicher die zentralen Texte nun versammelt.
Ich meine, dass für das augenblickliche Gespräch der verhältnismäßig kurze Text aus
dem Gespräch mit Kardinal Ratzinger tatsächlich ganz entscheidend ist. Denn hier werden
nicht mehr die geistigen Schlachten der vergangenen Jahrzehnte geschlagen, sondern
hier wird das in den Blick genommen, was in einer postsäkularen, postmodernen Situation
von neuem ansteht: Wie nämlich Glaube und säkulare Vernunft miteinander reden können.
’