Eine Bilanz oder
eine Statistik gibt es nicht. Was bleibt, ist die Erinnerung. Als am 4. Juni 1989
die Studenten- und Arbeiterproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking
gewaltsam niedergeschlagen wurden, starben laut Menschenrechtsorganisationen bis zu
tausend Menschen; offizielle Zahlen wurden jedoch nie bekannt gegeben. Amnesty International
fordert zum 20. Jahrestag erneut Aufklärung, die USA rufen China nachdrücklich auf,
alle in Zusammenhang mit den Protesten Inhaftierten freizulassen und mit den Familien
der Opfer in einen Dialog zu treten. Die Regierung in Peking weist solche Ansinnen
als „schwerwiegende Einmischung in innerpolitische Angelegenheiten“ zurück und versuchte
Gedenkveranstaltungen rund um den Tiananmen-Jahrestag zu unterbinden. Allein in Hongkong
gedachten am Donnerstag Abend mehr als 150.000 Menschen (nach Angaben der Veranstalter;
die Polizei spricht von nur 63.000 Teilnehmern) mit Kerzen in den Händen des Massakers.
Der
langjährige Hongkong-Missionar Pater Angelo Lazzarotto berichtet gegenüber Radio Vatikan:
„Diese
Protestbewegung vor 20 Jahren war keine Revolte gegen die Regierung, war nicht der
Versuch, die Autoritäten zu stürzen. Es waren nicht nur Studenten, sondern auch viele
Parteimitglieder und Angestellte der Universität, der Betriebe und sogar der offiziellen
Tageszeitung. Es war ein Protest gegen die Ungerechtigkeiten, gegen die vielen Korruptionsfälle,
gegen die schlechte Regierungsführung. Die Menschen verlangten schlicht mehr Transparenz,
mehr Sauberkeit.“
Trotz zahlreicher Veränderungen in der Volksrepublik
- im wesentlichen habe sich die Lage nicht verändert, beklagt der Missionar. Die Korruption
halte die chinesische Gesellschaft noch immer im Würgegriff:
„Die Regierung
hat das Wirtschafswachstum vorangetrieben, ohne den Aspekt der Freiheit und der wahren
Gleichheit zu berücksichtigen. Die Rechte der an den Rand Gedrängten wurden missachtet.
Außerdem setzt die Regierung weiterhin auf Nationalismus. Die Olympischen Spiele haben
uns das ja gezeigt. Die kommunistische Regierung hat schon nach dem Niederschlagen
von Tiananmen dieses Programm verfolgt: Sie setzt auf Nationalismus, wirtschaftliches
Wachstum und versucht soweit als möglich gegnerische Stimmen, die den Eindruck erwecken
könnten, dass es auch Negatives zu berichten gibt, zu blockieren.“
20 Jahre
nach dem Massaker sei die Stimmung unter den jungen Chinesen allerdings anders. Wer
nach 1989 aufgewachsen sei, dränge nicht mehr mit den Bedürfnissen der Protestierer
von Tiananmen auf die Straße, stellt Pater Lazzarotto fest:
„Ihr Ideal ist
heute wirtschaftlicher Reichtum: Für den größten Teil der jungen Menschen ist der
Jahrestag nicht so wichtig. Doch es gibt jetzt ein neues Phänomen: Es gibt zahlreiche
Intellektuelle, Anwälte oder Dissidenten, die gegen diese Ungerechtigkeiten die Stimme
erheben und eine Demokratisierung des Landes fordern. Viele von ihnen wurden jedoch
verhaftet - im Namen des Nationalismus.“