Kardinal Sean Brady,
der irische Primas, ist erschüttert angesichts der gegen die Kirche erhobenen Missbrauchsvorwürfe.
Der detaillierte Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission, der am Mittwoch
vorgelegt wurde, sei ein „beschämender Katalog von Grausamkeiten“. Das erklärte Brady
am Mittwoch in Maynoth. Zugleich bezeichnete der Kardinal das Papier als „willkommenen
und wichtigen Schritt zur Aufklärung“, der den Opfern Gerechtigkeit verschaffe und
ähnliche Vorfälle in Zukunft verhindern helfe.
Der in Dublin veröffentlichte
Bericht beschäftigt sich mit den erzieherischen Methoden in kirchlichen Kinderheimen
des 20. Jahrhunderts, bis in die Achtziger Jahre hinein. Die Autoren kommen zu dem
Schluss, dass körperliche und seelische Misshandlungen und Vernachlässigungen an der
Tagesordnung gewesen seien. Auch seien Kinder, besonders in Einrichtungen für Jungen,
sexuell missbraucht worden. Der Bericht der Untersuchungskommission hat rund 2.500
Seiten und befasst sich mit mehr als 100 Einrichtungen in Irland. Er ist das Ergebnis
von neun Jahren Arbeit. „Insgesamt waren es 18 kirchliche Gemeinschaften, die
die Verantwortung für Kinder in solchen Einrichtungen hatten; die Kommission hat sie
genau unter die Lupe genommen“, sagt Schwester Mary Ann O`Connor vom irischen Verband
der Ordensgemeinschaften. „Die Untersuchung ist sehr wichtig, weil sie uns zeigt,
dass wir aus der Vergangenheit lernen müssen. Nur wenn wir diese Lektion lernen, können
wir verletzlichen Menschen wirklich die Hilfe geben, die sie brauchen.“ Im fraglichen
Zeitraum befanden sich rund 35.000 Kinder in der Obhut von kirchlichen Erziehungsheimen,
Schulen und anderen Betreuungseinrichtungen. Mehr als 2.000 hätten der Kommission
von körperlichem und sexuellem Missbrauch berichtet. Viele der mutmaßlichen Täter
seien bereits gestorben. Der Bericht spricht von einem Klima der Angst in den meisten
der untersuchten Einrichtungen sowie von übertriebenen und willkürlichen Strafen.
„Wir sollten nicht verdrängen, welcher Schmerz hier verursacht wurde; wir nehmen
das absolut wahr und entschuldigen uns dafür. Allerdings sollten wir auch nicht völlig
vergessen, in welchen Zeiten und in welcher Art von Gesellschaft wir lebten. Vor 30,
40, 50 Jahren war doch alles ziemlich anders, als es heute ist...“, so Schwester Mary
Ann O`Connor. „Kurze und oberflächliche Kommentare wären jetzt nicht angemessen,
angesichts des Leidens der Opfer“, meint Dublins Erzbischof, Kardinal Diarmund Martin.
„Solche systematischen Missbräuche, die über Jahrzehnte angehalten haben, sind furchtbar
und abstoßend, wenn man in den fünf Bänden des neuen Berichts darüber liest. Ich bewundere,
mit welchem Mut die Opfer ihre Geschichten erzählt haben. Auch ich rufe - wie die
Kommission - alle betroffenen kirchlichen Gemeinschaften zu einer Zeit der Prüfung
auf. Sie sollen untersuchen, unter welchen Umständen es möglich war, dass sie sich
derart von ihrem Gründungscharisma entfernen konnten.“
Derweil hat der neue
Londoner Erzbischof Vincent Gerard Nichols mit Äußerungen zum Bericht über Kindesmissbrauch
in Irland eine Debatte entfacht. Die Kontroverse überschattete seine Amtseinführung
als Nachfolger von Kardinal Cormac Murphy-O'Connor (76) an diesem Donnerstag. Im britischen
Fernsehsender ITV hatte Nichols am Mittwoch den Tätern „Mut“ bescheinigt, weil sie
sich ihrer Vergangenheit gestellt hätten. Zwar denke er zuerst an die Missbrauchsopfer.
An zweiter Stelle denke er aber auch an die Geistlichen und Mitglieder religiöser
Gemeinschaften, „die sich Tatsachen aus ihrer Vergangenheit stellen müssen, die sie
instinktiv und ganz verständlich lieber vergessen möchten.“ Der Missbrauchsbericht
dürfte die vielen guten Dinge in den Hintergrund treten lassen, die diese Menschen
ebenfalls getan hätten, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Kinderschutzverbände
in Großbritannien reagierten entrüstet auf die Aussagen von Nichols.